Entscheidungsdatum
31.10.2017Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2139564-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG, Friedrichgasse 31, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2016, Zl. 15-1054407804-150304835, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.08.2017 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der Spruch des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe bestätigt, dass es in Spruchpunkt IV. zu lauten hat: "Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."
II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 24.03.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Fischamend am Tag der Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung sowie ledig. Er habe im Irak neun Jahre die Grundschule und zuletzt als selbständiger Fotograf und im Elektrogeräteverkauf gearbeitet. Seine Mutter und mehrere Geschwister seien im Irak aufhältig. Sein Vater sei verstorben.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak vor einem Monat legal im Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. In weiterer Folge sei er schlepperunterstützt am Landweg nach Bulgarien gelangt und anschließend mit verschiedenen Fahrzeugen und auch zu Fuß nach Österreich gereist.
Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, den Wehrdienst nicht absolviert zu haben. Des Weiteren habe es in seiner Wohnumgebung verschiedene Parteien gegeben, welche aufgrund seiner Kenntnisse im Computerbereich alle gewollt hätten, dass er exklusiv für eine von ihnen arbeite. Dies habe er mehrmals abgelehnt, woraufhin er einen an ihn adressierten Drohbrief samt Patrone erhalten habe. Es sei ihm Spionage vorgeworfen worden, da er als Sunnit über schiitische Freunde verfügt habe. Bei einer Rückkehr befürchte er getötet zu werden, da er konkret bedroht worden sei.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 21.07.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, im Beisein eines Dolmetschers und einer Vertrauensperson in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.
Zu den Gründen der Ausreise befragt gab der Beschwerdeführer an, im Gemeindeamt des Bezirks XXXX im Gouvernement Basra zunächst als EDV-Administrator und dann als Buchhalter gearbeitet zu haben. Es sei zu einem Diebstahl gekommen bzw. Korruption festgestellt worden. Der Chef des Amtes habe Rechnungen gefälscht, was er festgestellt hätte. Beispielsweise sei ein Baum im Wert von 90.000,-- Dinar von seinem Chef um 500.000,-- Dinar verrechnet worden. Er habe ehrlich bleiben wollen. Sein Chef habe mit einem Parteifreund von Nuri Kamil AL-MALIKI Kontakt aufgenommen. Etwa am 09.02.2015 habe ihm der Leiter der Buchhaltung mitgeteilt, dass er in Gefahr sei. Des Weiteren habe ihm ein Freund aus dem Büro erzählt, dass es im Irak üblich sei, dass Personen erschossen würden und er auf einer Liste stünde. Daraufhin sei er nach Basra geflüchtet.
Des Weiteren legte der Beschwerdeführer dar, dass er Moslem der schiitischen Glaubensrichtung sei, welche immer unterdrückt worden sei.
Auf Vorhalt, wonach sich seine Geschichte bezüglich der Bedrohung anders als in der Erstbefragung darstelle, erwiderte der Beschwerdeführer: "Ich war sehr müde. Es ist ein Missverständnis. Ich habe nur gesagt, dass ich Moslem bin. Es ist alles das Gegenteil. Ich konnte mich nicht konzentrieren."
In der Folge korrigierte der Beschwerdeführer seine Angaben und führte aus, zuletzt in XXXX im Gouvernement Basra gewohnt zu haben. In XXXX sei er lediglich geboren worden. Im Falle der Rückkehr in den Irak töte ihn der Staat. Der Geheimdienst habe eine Liste. Man werde in eine Schwarze Liste eingetragen. Schließlich wurden mit dem Beschwerdeführer die länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak erörtert und gab er hierzu eine kurze Stellungnahme ab.
Im Gefolge seiner Einvernahme brachte der Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs-Niveau A1.1 im Original, eine Bestätigung über das Mitwirken an einem Kunsthandwerks- und an einem Ostermarkt im Original und einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie in Vorlage.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers vierzehn Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, die Angaben des Beschwerdeführers zum Fluchtgrund würden sich nicht glaubhaft darstellen. Es könne somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsland bedroht worden sei oder werde. In der Beweiswürdigung legte die belangte Behörde dar, dass die vorgebrachten Ausreisegründe aufgrund der widersprüchlichen Schilderungen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde als nicht glaubhaft erachtet würden.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2016 gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 07.11.2016 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation mit Schriftsatz vom 10.11.2016 fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser wird beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach §§ 57 und 55 AsylG zu erteilen und darüber hinaus die Rückkehrentscheidung samt der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben. Eventualiter wird zudem ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.
In der Folge wird moniert, dass die belangte Behörde der in § 18 Absatz 1 AsylG normierten Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei, zumal von Seiten des Beschwerdeführers Hinweise zur Begründung seines Antrags gegeben worden seien, welche die belangte Behörde nicht näher hinterfragt habe. Falls im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde asylrelevante Antworten ausgeblieben seien, wäre der Beschwerdeführer bereit gewesen, an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken.
Zur Beweiswürdigung der belangten Behörde bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe diese auf eine Gegenüberstellung der Aussagen des Beschwerdeführers anlässlich der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde gestützt, obwohl sich Erstere nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen habe.
Was den Eventualantrag auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter betrifft, so wirke sich die derzeitige Situation im Irak so aus, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Hinsichtlich der im Irak vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung sei auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei.
Abschließend werden bezüglich der Sicherheitslage im Irak – jeweils auszugsweise – die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen und vom Beschwerdeführer beigebrachte Länderberichte zitiert und im Wesentlichen vorgebracht, dass der irakische Staat nicht schutzfähig und -willig sei.
Gegen eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak spreche im Übrigen, dass dieser bemüht sei, sich zu integrieren.
6. Die Beschwerdevorlage langte am 14.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
7. Im Rahmen einer Stellungnahme vom 17.08.2017 wird zunächst mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer die Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt hat. Des Weiteren wird ausgeführt, dass aus dem anlässlich der Erstbefragung vorgezeigten Personalausweis zwar die Religion Islam, nicht aber die konkrete Glaubensrichtung ersichtlich sei. Im Personalausweis sei auch festgehalten, dass der Geburtsort des Beschwerdeführers Basra sei. In der Niederschrift habe man XXXX als Geburtsort vermerkt.
In der Sache wird dargelegt, dass die im Irak verbliebene Familie des Beschwerdeführers -aufgrund der vom Beschwerdeführer angeführten Fluchtgründe - jetzt ebenfalls Probleme mit den Arbeitsplätzen habe. Der Beschwerdeführer habe Deutschkurse besucht und sei an seinem Wohnort integriert.
Der Stellungnahme sind einerseits die beiden bereits im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde in Vorlage gebrachte Unterlagen zur Integration und andererseits neue Dokumente bezüglich der Integration (drei Referenzschreiben, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs-Niveau A1.3 und eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs) angeschlossen.
8. Am 18.08.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen und dem Fact Sheet Irak Nr. 63 des Bundesheers der Republik Österreich erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Seitens des Beschwerdeführers wurden ein irakischer Personalausweis im Original, eine Farbkopie eines irakischen Reisepasses, eine Farbkopie der Meldebestätigung der Mutter und der Lebensmittelbezugskarte, ein erfolgreich abgelegter Deutschtest samt einem eine Dekretverleihung zeigendes Lichtbild, ein Empfehlungsschreiben des Direktors des Bildungshauses des Landes Steiermark vom 16.08.2017 und ein Konvolut an Lichtbildern bezüglich der Freizeitaktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich vorgelegt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben.
9. Mit Schriftsatz vom 18.08.2017 teilte die bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit.
10. Am 01.09.2017 langte - abgesehen von einer nochmaligen Vertreterbekanntgabe seitens der Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG - ein Fristerstreckungsantrag des Beschwerdeführers zu der in der mündlichen Verhandlung eingeräumten Frist zur Stellungnahme hinsichtlich der erörterten und dem Beschwerdeführer ausgehändigten länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak ein, welcher antragsgemäß bis zum 20.09.2017 bewilligt wurde.
11. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 05.09.2017 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers seitens des Bundesverwaltungsgerichts - unter Setzung einer zweiwöchigen Frist ab Zustellung dieses Schreibens - die aktualisierten länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak, Stand September 2017, zur Kenntnis gebracht.
12. Am 20.09.2017 langte per Elektronischen Rechtsverkehr eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers zu den mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2017 übermittelten länderkundlichen Berichten beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei der entsprechende Anhang nicht lesbar war.
13. In der Folge übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers die Stellungnahme nochmals per E-Mail vom 22.09.2017 an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wird erneut beantragt, der Beschwerde Folge zu geben.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer – unter Verweis auf die Darlegungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung – nochmals vor, dass ihm im Irak in seiner Funktion als Buchhalter in der öffentlichen Verwaltung Fälle von Korruption bekannt geworden seien, welche er einem Bruder – einem Polizisten – gemeldet hätte. Daraufhin wäre ihm von einem Vorgesetzten zu verstehen gegeben worden, dass er aus diesem Grunde der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wäre.
Des Weiteren wird erneut geschildert, dass der Beschwerdeführer von der Islamischen Dawa-Partei - einer Miliz - bedroht werden würde. Diese wäre Teil der Regierung und auch im Besitz eines Haftbefehls gegen ihn. Diese Partei wäre Teil eines weit verzweigten Korruptionssystems, welches auch vom ehemaligen Premierminister Maliki gesteuert worden sei.
Abschließend wird zum Beweis der im Irak weit verbreiteten Korruption auf mehrere Links verwiesen und auszugsweise aus den damit abrufbaren Berichten zitiert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der schiitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX im Bezirk XXXX im Gouvernement Basra geboren und lebte vor seiner Ausreise zuletzt im Bezirk bzw. der Stadt XXXX im Gouvernement Basra. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer besuchte im Bezirk XXXX für neun Jahre die Grundschule. Seinen Lebensunterhalt bestritt der Beschwerdeführer hauptsächlich durch seine Tätigkeit als Gemeindebediensteter im Bereich Buchhaltung. Darüber hinaus verkaufte und reparierte der Beschwerdeführer zusätzlich Computer in einem Internetgeschäft.
Seine Mutter und sieben Geschwister leben weiterhin im Irak, wobei sich die Mutter und die vier verheirateten Brüder noch im familieneigenen Haus an der letzten Wohnadresse des Beschwerdeführers aufhalten. Er steht mit seiner Mutter über WhatsApp in Kontakt. Seine Mutter ist Hausfrau und bezieht eine Pension nach seinem verstorbenen Vater.
Am 09.02.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal mit dem Flugzeug in die Türkei und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 24.03.2015 einreiste und den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund vom ihm aufgedeckter korrupter Machenschaften vor seiner Ausreise Drohungen seitens des Bürgermeisters seiner Arbeitsgemeinde oder der Partei, welcher der Bürgermeister angehört, konkret der Islamischen Dawa-Partei, ausgesetzt war. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass in diesem Zusammenhang wider den Beschwerdeführer im Irak ein Haftbefehl besteht oder er gesucht würde.
Es kann darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschlichen Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit mehrjähriger Schuldbildung und Berufserfahrung als Buchhalter in der öffentlichen Verwaltung sowie durch seine Tätigkeit im EDV-Bereich. Der Beschwerdeführer verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat und bestehende familiäre Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument (Personalausweis im Original).
1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 24.03.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und bewohnt eine Unterkunft in der Gemeinde XXXX . Er ist nicht legal erwerbstätig, verrichtete jedoch gemeinnützige Arbeiten im Bildungszentrum des Landes Steiermark. Des Weiteren hofft der Beschwerdeführer demnächst in der Gemeinde gemeinnützige Arbeiten ausführen zu können. Der Beschwerdeführer hat weder eine Erwerbstätigkeit in Aussicht noch verfügt er über eine diesbezügliche Einstellungszusage.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte, vorwiegend mit österreichischen Staatsangehörigen und Personen aus dem arabischen Kulturkreis. Er spielt auch Fußball. Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und alleinstehend.
Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und Prüfungen auf dem Niveau A1.1 und A1.3 erfolgreich abgeschlossen. Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache, eine Verständigung im Alltag in deutscher Sprache ist möglich. Er hat außerdem an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen.
1.5. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:
1. Politische Lage
Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida – durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).
Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).
Staatsform & Parteien
Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen (AA 7.2.2017):
Wahlen & Premierminister
Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da‘wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).
Abadis Reformen sind bislang nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).
Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).
Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran
Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da‘wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen – einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen – in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).
Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die – trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren – außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).
Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).
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