TE Vfgh Erkenntnis 2017/10/11 V43/2016 (V43/2016-14)

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Veröffentlicht am 11.10.2017
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Index

90/01 Straßenverkehrsrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs3 Z2
B-VG Art116 Abs3, Art119 Abs2
StVO 1960 §94b
V des Magistrats der Stadt Krems an der Donau vom 28.12.2000 betr Verkehrsmaßnahmen
Nö StadtrechtsorganisationsG §47
Kremser Stadtrecht §1 Abs1

Leitsatz

Aufhebung einer dem Magistrat der Stadt Krems zuzurechnenden Verordnung betreffend Verkehrsmaßnahmen wegen Erlassung von einer unzuständigen Behörde

Spruch

I. Die Verordnung des Magistrates der Stadt Krems an der Donau vom 28. Dezember 2000, MA I/4-72/1999 wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2018 in Kraft.

III. Die Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, "die Verordnung des Magistrates der Stadt Krems an der Donau vom 28.12.2000, MA I/4-72/1999, wegen Unzuständigkeit der verordnungserlassenden Behörde zur Gänze (in eventu nur den präjudiziellen Teil, nämlich deren Punkt I. 5) als gesetzwidrig aufzuheben."

II.      Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1.       §47 Niederösterreichischen Stadtrechtsorganisationsgesetzes (Nö STROG), LGBl 1026-0, lautet:

"§47

Wirkungsbereich des Magistrates

(1) Der Magistrat besorgt die Geschäfte der Stadt, die behördlichen Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches und die Angelegenheiten der Bezirksverwaltung.

[…]."

2.       Die Verordnung des Magistrates der Stadt Krems an der Donau vom 28. Dezember 2000, MA I/4-72/1999, lautet auszugsweise:

"Verordnung

I.

Der Magistrat der Stadt Krems an der Donau verordnet:

1) – 4) […]

5) eine Vorrangregelung für den Kreuzungsbereich Ausfahrt Tankstelle/Kreisverkehr mit Vorrang für den Kreisverkehr

6) – 24) […]

[…]

Mit Inkrafttreten dieser Verordnung wird die Verordnung des Magistrates der Stadt Krems Zl. I/4-69/1999, außer Kraft gesetzt.

[…]

Für den Bürgermeister

Der Amtsleiter:

[…]"

III.    Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ist eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Krems an der Donau vom 24. November 2015 anhängig, mit dem über den Beschwerdeführer (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich) eine Geldstrafe verhängt wurde, weil er am 16. März 2015 im Gemeindegebiet Krems an der Donau von einer Tankstelle kommend entgegen dem bei der Tankstellenausfahrt gut sichtbar angebrachten Vorschriftszeichen "Halt" (mit Haltlinie) ohne anzuhalten in den Kreisverkehr eingefahren sei. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den vorliegenden Antrag gemäß Art139 B-VG.

2.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legt seine Bedenken wie folgt dar:

2.1.    Zur Zulässigkeit führt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aus, es habe den Punkt I.5 der Verordnung des Magistrates der Stadt Krems an der Donau vom 28. Dezember 2000 im bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren anzuwenden und hege gegen diese Bestimmung die im Folgenden dargelegten Bedenken. Es sei daher zur Antragstellung gemäß Art139 B-VG verpflichtet. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich beantrage die Aufhebung der angefochtenen Verordnung zur Gänze, weil es Bedenken dahingehend hege, dass die Verordnung von einer unzuständigen Behörde erlassen worden sei. In einem solchen Fall sei gemäß Art139 Abs3 Z2 B-VG die Verordnung zur Gänze aufzuheben. In eventu werde die Aufhebung nur des präjudiziellen Teiles, nämlich Punkt I.5 der Verordnung, beantragt.

2.2.    In der Sache bringt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vor, nach den Bestimmungen des B-VG bzw. des Niederösterreichischen Stadtrechtsorganisationsgesetzes seien die Angelegenheiten der Bezirksverwaltung in Städten mit eigenem Statut Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches und daher vom Bürgermeister zu besorgen. Die angefochtene Verordnung sei gemäß §94b Abs1 litb StVO 1960 von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, weil sich nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung keine Zuständigkeit der Gemeinde (im eigenen oder übertragenen Wirkungsbereich) ergebe.

2.3.    In der angefochtenen Verordnung, werde als verordnungserlassende Behörde zunächst der Magistrat der Stadt Krems genannt ("Der Magistrat der Stadt Krems an der Donau verordnet: […]") allein die Fertigungsklausel laute "Für den Bürgermeister […]". Der somit bestehende Widerspruch lasse sich nur lösen, indem man davon ausgeht, der Bürgermeister habe als Vorstand des Magistrates, aber nicht als selbständige Behörde gehandelt. Diesbezüglich verweise das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 1992, 92/17/0045. Die angefochtene Verordnung sei dem Magistrat der Stadt Krems an der Donau zuzurechnen und somit von einer unzuständigen Behörde erlassen worden. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich beantrage daher die Aufhebung der Verordnung (zur Gänze).

3.       Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag dargelegten Bedenken entgegentritt.

4.       Die Niederösterreichische Landesregierung hat mitgeteilt, keine Äußerung zu erstatten.

IV.      Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.    Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2.    Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich ist auf Aufhebung der gesamten Verordnung gerichtet, in eventu wird die Aufhebung nur des präjudiziellen Teils, nämlich des Punktes I.5, der Verordnung des Magistrates der Stadt Krems an der Donau vom 28. Dezember 2000 beantragt.

1.3.    Es ist offenkundig, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich bei seiner Entscheidung über das bei ihm anhängige Beschwerdeverfahren, das den Anlass für den vorliegenden Verordnungsprüfungsantrag bildet, die vom Magistrat der Stadt Krems an der Donau erlassene Verordnung vom 28. Dezember 2000 anzuwenden hat. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist sohin insoweit zulässig. Im Hinblick auf das unter Punkt IV.2. dargestellte Ergebnis des Verordnungsprüfungsverfahrens und die daraus gezogene Schlussfolgerung erübrigt sich eine nähere Abgrenzung des präjudiziellen Teils der Verordnung (vgl. VfSlg 18.400/2008 mwN).

2.       In der Sache

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2.    Der Antrag ist begründet.

2.2.1.  Gemäß §94b StVO 1960 ist zur Erlassung der angefochtenen Verordnung grundsätzlich die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Die Stadt Krems an der Donau ist eine Stadt mit eigenem Statut (vgl. §1 Abs1 Kremser Stadtrecht). Angelegenheiten der Bezirksverwaltung sind gemäß Art116 Abs3 B-VG in Städten mit eigenem Statut von der Stadt zu besorgen. Sie gehören zum übertragenen Wirkungsbereich und sind vom Bürgermeister zu besorgen (vgl. Art119 Abs2 B-VG; §18 und 47 Nö STROG). Der Magistrat ist insoweit nur Hilfsorgan des Bürgermeisters.

2.2.2.  Die angefochtene Verordnung lautet zunächst: "Der Magistrat der Stadt Krems an der Donau verordnet: […]". Die Fertigungsklausel aber lautet: "Für den Bürgermeister […]". Es ist dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zuzustimmen, dass sich dieser Widerspruch auflösen lässt, indem die Fertigung "Für den Bürgermeister" so zu verstehen ist, dass der Bürgermeister der Stadt Krems an der Donau als Vorstand des Magistrates gehandelt hat (vgl. auch VwGH 29.4.1992, 92/17/0045 zu einem vom Magistrat der Stadt Krems an der Donau erlassenen Bescheid). Die angefochtene Verordnung ist daher dem Magistrat der Stadt Krems an der Donau zuzurechnen. Dieses Ergebnis wird zum einen auch durch die Verordnung selbst gestützt, die die Anordnung enthält: "Mit Inkrafttreten dieser Verordnung wird die Verordnung des Magistrates der Stadt Krems, Zl. […], außer Kraft gesetzt." sowie zum anderen durch den Verordnungsakt, aus dem hervorgeht, dass als Behörde für die der Verordnungserlassung vorangegangene Verhandlung der "Magistrat Krems/Donau" angeführt ist (vgl. Niederschrift über die Verhandlung vom 20. Oktober 1999).

2.2.3.  Die angefochtene Verordnung ist daher dem Magistrat der Stadt Krems an der Donau zuzurechnen und somit von einer unzuständigen Behörde erlassen worden.

V.       Ergebnis

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art139 Abs3 litb B-VG "die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben", wenn er zu der Auffassung gelangt, dass diese von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde und die Aufhebung der ganzen Verordnung offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei nicht zuwiderläuft. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Verordnung des Magistrates der Stadt Krems an der Donau vom 28. Dezember 2000 ist daher zur Gänze aufzuheben.

2.       Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstelle gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG.

Die Verpflichtung der niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden weiteren Ausspruchs erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Behördenzuständigkeit, Verordnungserlassung, Wirkungsbereich übertragener, Bezirksverwaltungsbehörde, Bürgermeister, Magistrat, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:V43.2016

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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