TE Vwgh Beschluss 2017/9/29 Ra 2017/10/0105

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2017
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schubert-Zsilavecz, über die Revision des F F in S, vertreten durch Breitenecker Kolbitsch Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 8. Mai 2017, Zlen. LVwG-AV-219/001-2017, LVwG-AV-539/0012017, betreffend Abweisung von Anträgen in einer forstrechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mistelbach), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 8. Mai 2017 wurden im Beschwerdeverfahren - unter anderem - der Antrag des Revisionswerbers vom 7. Juni 2016 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 2. Mai 2016 (Spruchpunkt 1.) und der Antrag des Revisionswerbers vom 24. Juni 2016 auf Wiederaufnahme des mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 2. Mai 2016 abgeschlossenen Verfahrens (Spruchpunkt 4.) abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 6.).

2 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

3 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision wird zur Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei "von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da es den Revisionswerber zulasten einer materiell richtigen Entscheidung gegen Nachteile aus der Versäumung einer befristeten Rechtshandlung trotz Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 71 AVG" nicht schütze. Das Verwaltungsgericht habe "die Judikatur zur Frage der Überwachungspflicht gegenüber Juristen einer Rechtsanwaltskanzlei entgegen der ständigen Judikatur unmittelbar auf den rechtsunkundigen Revisionswerber angewandt". Es habe übersehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen sei als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (Verweis auf die hg. Beschlüsse vom 23. April 1990, Zl. 90/19/0179, vom 26. Februar 2015, Zl. Ra 2014/22/0092, und vom 22. Februar 2017, Zl. Ra 2017/10/0003, sowie auf Judikatur des Obersten Gerichtshofes (RS0036784)). Ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zeige sich darin, dass das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Jänner 2008, Zl. 2007/09/0221, anführe, der sich "auf berufliche und rechtskundige Parteienvertreter" beziehe.

6 Mit diesem Vorbringen wird ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings nicht aufgezeigt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass bereits das zuletzt wiedergegebene Zulässigkeitsvorbringen nicht zutrifft. Im genannten Beschluss vom 24. Jänner 2008 wurde es nämlich als beachtliche Sorglosigkeit gewertet, dass sich die dortige Beschwerdeführerin - bei der es sich um keine "berufliche und rechtskundige Parteienvertreterin" handelte - auf die bloßen Zusicherungen ihres Cousins hinsichtlich der Einhaltung der Beschwerdefrist verlassen hat, wobei die zweimalige konsequenzlos gebliebene Nachfrage der Beschwerdeführerin bei ihrem Cousin nicht als ausreichende Kontrolle für die Sicherstellung der Einhaltung der Beschwerdefrist angesehen wurde.

7 Im vorliegenden Fall wurde vom Revisionswerber in seinem Wiedereinsetzungsantrag allerdings gar nicht behauptet, dass er bei seiner Ehefrau, die mit der Einbringung mehrerer Rechtsmittel, darunter der Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 2. Mai 2016, beauftragt gewesen sei, nachgefragt habe, ob (auch) diese Beschwerde eingebracht wurde. Wer einen Wiedereinsetzungsantrag auf das Verschulden einer Hilfsperson stützt, hat aber schon im Wiedereinsetzungsantrag durch ein substantiiertes Vorbringen darzulegen, aus welchen Gründen ihn selbst kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft, etwa dass und in welcher Weise der Wiedereinsetzungswerber die erforderliche Kontrolle ausgeübt hat (vgl. die hg. Beschlüsse vom 26. April 2017, Zl. Ra 2017/05/0018, vom 30. Juni 2016, Zl. Ra 2015/19/0155, und vom 15. Dezember 2015, Zl. Ra 2015/01/0061, sowie die hg. Erkenntnisse vom 26. November 2015, Zl. 2012/15/0097, vom 23. Mai 2013, Zl. 2013/09/0062, und vom 15. Oktober 2009, Zl. 2008/09/0225). Dabei stecken die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist den Rahmen für die Untersuchung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. nochmals den Beschluss vom 26. April 2017 und das Erkenntnis vom 23. Mai 2013 sowie die hg. Erkenntnisse vom 23. April 2013, Zl. 2012/09/0171, und vom 20. Oktober 2010, Zl. 2008/08/0198).

8 Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers entspricht es auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dann, wenn ein Bote den ihm erteilten Auftrag versäumt, darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis erblickt werden kann, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. März 2009, Zl. 2007/09/0166, vom 19. März 2003, Zl. 2000/16/0055, vom 27. Februar 1996, Zl. 95/04/0218, und vom 28. Februar 1992, Zl. 91/10/0208).

9 In der Zulässigkeitsbegründung wird im Weiteren vorgebracht, das Verwaltungsgericht weiche dadurch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, dass es aus dem Umstand, dass die Ehefrau des Revisionswerbers von diesem auch beauftragt gewesen sei, sich die Einbringung der Schriftstücke bestätigen zu lassen und dies in anderen Fällen auch getan habe, ableite, dass der Revisionswerber seiner Überwachungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei. Dies weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Überwachungspflicht eines Parteienvertreters ab (Verweis auf den hg. Beschluss vom 3. September 2003, Zl. 2003/03/0164). Es sei auch diesbezüglich auf die bereits genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen sei als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen.

10 Dem ist zu entgegnen, dass es der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung nicht als zweckmäßige und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen hat, dass sich der Rechtsanwalt nach Übergabe sämtlicher Schriftstücke an die bisher bewährte Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt, die Überwachungspflicht des Parteienvertreters also nicht so weit geht, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung wie die Kuvertierung und Aufgabe von Postsendungen zu kontrollieren (so etwa der genannte hg. Beschluss vom 3. September 2003). Diese Ausführungen lassen sich aber nicht auf einen Fall wie den vorliegenden, in dem es nicht um Fragen der Kanzleiorganisation eines Rechtsanwaltes geht, übertragen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt die Partei, die sich eines Boten zur Übermittlung bedient, ihrer Überwachungspflicht nur dann nach, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 2010, Zl. 2010/08/0081, vom 20. Jänner 2005, Zl. 2004/07/0211, und vom 20. April 2001, Zl. 98/05/0083). Eine Partei, die sich nach Übergabe eines fristgebundenen Schriftstückes an einen Boten nicht weiter darum kümmert, ob das Schriftstück auch tatsächlich innerhalb einer zu wahrenden Frist zur Post gebracht (hier: bei der Behörde eingebracht) wurde, muss sich vorwerfen lassen, dass sie auffallend sorglos gehandelt hat, das heißt, dass sie die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1999, Zl. 99/02/0157; siehe etwa auch den hg. Beschluss vom 17. Oktober 2002, Zl. 2002/20/0496, und das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 94/01/0361).

11 In der Zulässigkeitsbegründung wird auch geltend gemacht, das Verwaltungsgericht weiche mit der "im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aufgestellten Verpflichtung, die Beschwerde nicht am letzten Tag, sondern schon früher einzubringen", vom AVG und der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab.

12 Dem ist zu erwidern, dass das Verwaltungsgericht mit der in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses enthaltenen Aussage, es sei nicht zu erkennen, weshalb der Revisionswerber den ihm obliegenden Überwachungspflichten nur am letzten Tag der Frist nachkommen habe können, lediglich - wie bereits aus den nachfolgenden Begründungsteilen deutlich wird - zum Ausdruck gebracht hat, dass dem Revisionswerber durch verschiedenste Dispositionen eine zeitnahe Überwachung möglich und zumutbar gewesen wäre und "eine geeignete Nachfrage und Kontrolle des Botenauftrages" durch den Revisionswerber nicht nachzuvollziehen sei. Ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird mit diesem Vorbringen daher nicht aufgezeigt.

13 Zur Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird in der Zulässigkeitsbegründung schließlich geltend gemacht, es widerspreche der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass zur Frage der "vorgebrachten neuen, wesentlichen Tatsache" - der Revisionswerber habe in seinem Antrag auf Wiederaufnahme geltend gemacht, dass der verfahrensgegenständliche Grundstücksteil im Waldentwicklungsplan als Schutzfläche mit den Kennzahlen 3-3-1 ausgewiesen sei - "kein Beweisverfahren geführt" worden sei.

14 Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraussetzt, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 26. April 2017, Zl. Ra 2016/10/0035, und vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2014/10/0032). Derartiges wird in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision aber nicht aufgezeigt.

15 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017100105.L00

Im RIS seit

16.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

27.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten