TE Vfgh Beschluss 2007/10/10 G218/06

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Veröffentlicht am 10.10.2007
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
AVG §34, §36 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags eines UVS auf Aufhebung der dieZuständigkeit zur Überprüfung von Ordnungs- oder Mutwillensstrafenregelnden Bestimmung des AVG wegen zu weit gefasstenAnfechtungsumfanges; Berufungsgegenstand lediglich Verhängung vonOrdnungsstrafen

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (im Folgenden: UVS) hat aus Anlass bei ihm anhängiger Berufungen den auf Art140 B-VG gestützten Antrag gestellt, §36 Abs2 erster Satz des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51 idF BGBl. I 65/2002, in eventu §36 Abs2 leg.cit. zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Bescheiden vom 22. September 2006 und vom 26. September 2006 verhängte das Amt der Tiroler Landesregierung gemäß §34 Abs3 AVG jeweils eine Ordnungsstrafe iHv € 250,- über R.M., weil er sich in seinen schriftlichen Eingaben vom 18. September 2006 und vom 24. September 2006 einer beleidigenden Schreibweise bedient habe. Dagegen sind beim UVS zwei Berufungen anhängig.

3. Im Kern vertritt der antragstellende UVS die Auffassung, dass den unabhängigen Verwaltungssenaten "für den Bereich der Bodenreform iSd Art12 Abs2 B-VG keinerlei Entscheidungsbefugnis zusteht".

Bei der Verhängung von Ordnungsstrafen handle es sich um Maßnahmen der Verfahrenspolizei, für deren Anordnung das AVG gelte. Im Sinne des Adhäsionsprinzips sei daher jene Behörde, vor der das jeweilige Verfahren zu führen sei, auch für allfällige Ordnungsstrafen zuständig. Demgegenüber sehe §36 Abs2 AVG vor, dass gegen Bescheide, mit denen eine Ordnungs- oder Mutwillensstrafe verhängt wird, Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig ist. Die angefochtene Bestimmung führe im Ergebnis dazu, dass - entgegen der Anordnung in Art12 Abs2 B-VG - nicht die Agrarbehörden, sondern die unabhängigen Verwaltungssenate für Berufungen gegen die Verhängung von Ordnungs- oder Mutwillensstrafen zuständig seien.

4. Die Bundesregierung hat keine Äußerung erstattet.

5. Das Amt der Tiroler Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der es den Bedenken des UVS entgegentritt.

II. 1. Art12 B-VG lautet (auszugsweise):

"Artikel 12. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten:

...

3. Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung;

...

(2) In den Angelegenheiten der Bodenreform steht die Entscheidung in oberster Instanz und in der Landesinstanz Senaten zu, die aus dem Vorsitzenden und aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen als Mitgliedern bestehen; der in oberster Instanz zur Entscheidung berufene Senat wird beim zuständigen Bundesministerium eingesetzt. Die Einrichtung, die Aufgaben und das Verfahren der Senate sowie die Grundsätze für die Einrichtung der mit den Angelegenheiten der Bodenreform sonst noch befassten Behörden werden durch Bundesgesetz geregelt. Darin ist zu bestimmen, dass die Bescheide der Senate nicht der Aufhebung und Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen; der Ausschluss eines ordentlichen Rechtsmittels von der Behörde erster Instanz an die Landesinstanz ist unzulässig.

..."

2. §36 Abs2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I 65/2002, lautet (die mit dem Hauptantrag angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Widmung und Vollzug der Ordnungs- und

Mutwillensstrafen; Rechtsmittel

§36. (1) ...

(2) Gegen den Bescheid, mit dem eine Ordnungs- oder Mutwillensstrafe verhängt wird, ist Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig. Dies gilt nicht in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde. Der unabhängige Verwaltungssenat hat durch Einzelmitglied zu entscheiden."

III. Der Antrag ist nicht zulässig:

1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur ausgesprochen hat, ist der Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Bestimmung derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, andererseits aber der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfahren soll (vgl. VfSlg. 8155/1977). Es ist dabei in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und welchem dieser Ziele der Vorrang gebührt (VfSlg. 7376/1974, 7786/1976, 13.701/1994). Die Grenzen einer (möglichen) Aufhebung müssen so gezogen werden, dass der verbleibende Gesetzesteil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt, aber auch die mit der aufzuhebenden Gesetzesbestimmung in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen erfasst werden.

2. Der vorliegende Antrag des UVS wurde aus Anlass bei ihm anhängiger Berufungen gegen die Verhängung von Ordnungsstrafen gestellt. Demnach bezieht sich jeweils nur die Wortfolge "Ordnungsoder" auf die dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalte. Sowohl der auf Aufhebung des §36 Abs2 erster Satz AVG gerichtete Hauptantrag als auch der auf Aufhebung des gesamten Abs2 des §36 AVG gerichtete Eventualantrag erweisen sich sohin als zu weit gefasst (vgl. dazu insbesondere VfSlg. 16.320/2001).

Der UVS führt auch nicht aus, inwieweit die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung für die Entscheidung über die bei ihm anhängigen Berufungen bildet.

3. Der Antrag war daher zurückzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Ordnungsstrafe, Mutwillensstrafe, UnabhängigerVerwaltungssenat, Behördenzuständigkeit, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH/ Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:G218.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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