TE Bvwg Beschluss 2017/10/25 W210 2008633-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2017
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Entscheidungsdatum

25.10.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W210 2008633-2/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom 27.09.2017, Zl. 13-821406408/170732548:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste am 05.10.2012 nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Diesen begründete er damit, dass er als Angehöriger der Quizelbash von Angehörigen der Volksgruppe der Paschtunen geschlagen worden sei, die Situation sei für ihn unerträglich gewesen. Sein Bruder XXXX habe Probleme mit seinen Geschäftspartnern gehabt und sei nach Pakistan ausgereist. Die Geschäftspartner hätten daraufhin den Beschwerdeführer dermaßen schikaniert, dass er nur mehr habe ausreisen können.

2. Mit Bescheid vom 17.05.2014 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Gewährung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, dem Beschwerdeführer aber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt.

3. Die gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Gewährung des Status eines Asylberechtigten rechtzeitig erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer Verhandlung am 03.09.2015 vom zuständigen Verwaltungsgericht abgewiesen (BVwG, 28.09.2015, W152 2008633-1/12E).

4. Mit Bescheid vom 12.05.2015 wurde die Aufenthaltsberechtigung aufgrund der subsidiären Schutzberechtigung bis 19.05.2017 auf Antrag hin verlängert.

5. Mit Eingabe vom 14.03.2017 beantragte der Beschwerdeführer zuletzt die Verlängerung seiner subsidiären Schutzberechtigung, die Gründe seien nach wie vor gegeben. Der Akt wurde zuständigkeitshalber an die Regionaldirektion Kärnten übermittelt.

6. Mit Bescheid vom 16.03.2017, Zl. 821406408-2133864/BMI-BFA_KTN_RD, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung bis 19.05.2019 erneut erteilt. Die Ermittlungen zur Lage in Afghanistan und das glaubwürdige Vorbringen des Beschwerdeführers hätten ergeben, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gegeben seien.

7. Mit Eingabe vom 19.06.2017 wurde die belangte Behörde von der Inhaftnahme des Beschwerdeführers aufgrund des Verdachts des Verbrechens nach § 28a Abs. 5 SMG unterrichtet.

8. Mit Schreiben vom 22.07.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis einer Beweisaufnahme XXXX " verständigt. Unter einem wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, zu seinen persönlichen Daten, seinem Privat- und Familienleben binnen 2 Wochen Auskunft zu erteilen. Länderberichte wurden nicht übermittelt. Das Schreiben wurde dem Beschwerdeführer am 24.07.2017 persönlich übergeben. Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers erfolgte nicht.

9. Am 27.09.2017 erließ das BFA den angefochtenen Bescheid, der dem Beschwerdeführer zu eigenen Handen am 28.09.2017 zugestellt wurde.

Mit diesem Bescheid wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 17.05.2014, Zahl XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 [ ] von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die ihm mit Bescheid vom 16.03.2017, Zahl XXXX , erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG [ ] eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 [ ] erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt wird (Spruchpunkt IV.), ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt V.) und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz [ ] aberkannt (Spruchpunkt VI.)

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass eine entscheidungsrelevante Änderung der Sicherheitslage in Afghanistan zu der im Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes vorherrschenden Sicherheitslage eingetreten sei. Außerdem sei der Beschwerdeführer Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die sich auf gewerbsmäßigen Drogenhandel spezialisiert hätte und befinde sich zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde in Untersuchungshaft, er stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie für das Kindeswohl – die meisten Abnehmer der Bande seien minderjährig gewesen – und für die Gesundheit der Bevölkerung dar. Die Rückkehrentscheidung sei zulässig, sie greife nicht in die Rechte des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK ein, ein Familienleben habe der Beschwerdeführer trotz Aufforderung zur Stellungnahme ebenso nicht vorgebracht wie ein Privatleben. Zu Aberkennung der aufschiebenden Wirkung führte das BFA aus, dass der Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle. Deshalb sei seine sofortige Ausreise erforderlich. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seine Lebensumstände sowie seine familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 gerechtfertigt und notwendig sei, die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

Gleichzeitig mit der Erlassung des Bescheides gab die Behörde dem Beschwerdeführer einen Rechtsberater für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bei.

10. Dagegen richtet sich die vom Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsberater, eingebrachte Beschwerde vom 11.10.2017, mit welcher der oben genannte Bescheid in vollem Umfang angefochten wird. In dieser wird im Wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer sei bis dato unbescholten, die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, insbesondere kein Parteiengehör zur Aberkennung des Titels eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt. Die belangte Behörde stütze die Aberkennung zwar im Spruch auf § 9 Abs. 1 AsylG, begründe diese aber nicht, sondern nehme wiederholt auf die Untersuchungshaft des Beschwerdeführers Bezug und setze diese einer Strafhaft gleich.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten der belangten Behörde zum ursprünglichen Antrag des Beschwerdeführers, in die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.09.2015, W152 2008633-1/12E und in die Verwaltungsakten des Aberkennungsverfahrens sowie durch Ermittlungen bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden und den hiergerichtlichen Akt:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer heißt XXXX , er wurde am XXXX in Kabul, (Afghanistan) geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 05.10.2012 in Österreich und ist gesund.

Mit Bescheid vom 17.05.2014 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt. Diese wurde zuletzt mit Bescheid vom 16.03.2017, Zl. XXXX , bis 19.05.2019 erneut erteilt.

Der Beschwerdeführer wurde am 24.05.2017 wegen Verdachts des Verbrechens nach § 28a SMG festgenommen und befindet sich seit dem 26.05.2017, 08:00 Uhr, durchgehend in Untersuchungshaft in der Justizanstalt XXXX . Der Beschwerdeführer ist bis dato unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, worin die maßgebliche Änderung der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seit 16.03.2017 besteht.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer über familiäre oder private Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer über soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Beschwerdeführer ergeben sich aus seinen eigenen Angaben in den vorangegangenen Verfahren sowie im zugrundeliegenden Verfahren.

Die Untersuchungshaft ergibt sich aus der im Akt aufliegenden Vollzugsinformation (BFA-Akt, AS 19 ff.) sowie aus den Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft (BVwG-Akt, OZ 4). Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug vom 19.10.2017, aus dem auch keine Vormerkung oder Ähnliches ablesbar ist (BVwG-Akt, OZ 3).

Die Negativfeststellungen ergeben sich aus den zugrundeliegenden Akten, insbesondere zum Herkunftsstaat findet sich weder im Akt noch im belangten Bescheid ein Hinweis darauf, worin die maßgebliche Änderung des Sachverhalts liegen soll. Auch hat keine Einvernahme des Beschwerdeführers stattgefunden, die auf eine Änderung schließen ließe.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Nach § 16 Abs. 1 BFA-VG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl u.a. im Verfahren über die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich gemäß dem AsylG 2005 (§ 3 Abs. 2 Z 1 leg.cit.) zwei Wochen, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist. Dies ist in der gegenständlichen Rechtssache der Fall. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer nach Aktenlage am 28.09.2017 persönlich zugestellt.

Die am 11.10.2017 erhobene Beschwerde wurde zwar per Email außerhalb der Amtsstunden eingebracht, ist aber der Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 und 5 AVG der belangten Behörde als am 11.10.2017 eingebracht zu behandeln und somit rechtzeitig.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

Die Beschwerde ist auch begründet:

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

3.2.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte im Bescheid vom 27.09.2017 dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom 17.05.2014 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sich die Lage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, seit der Gewährung des subsidiären Schutzes wesentliche verbessert habe. Der Beschwerdeführer stelle eine massive Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie für das Kindeswohl und die Gesundheit der Bevölkerung dar. Eine Abschiebung berge keine Gefahren für den Beschwerdeführer, er sei auch in Österreich nicht integriert. Wiederholt weist die belangte Behörde auf die Inhaftnahme und die zur Last gelegten Taten hin und schließt dann daraus, dass daher gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen n sei.

Mit dieser Begründung verkennt die belangte Behörde zunächst, dass es bei der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 keiner Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den betroffenen Fremden bedarf. Überhaupt spielt die Inhaftnahme aufgrund des Verdachts einer begangenen Straftat bei der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dieser Rechtsgrundlage keine Rolle; maßgeblich ist allein, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten – also die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention durch Rückführung in den Herkunftsstaat – nicht mehr vorliegen (Z 1), der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in einem anderen Staat gelegen ist (Z 2) oder der Fremde die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat, in dem ihm eine Verletzung der genannten Grundrechte nicht droht (Z 3). Der Begründung des angefochtenen Bescheids folgend stützte sich die belangte Behörde auf den Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.

Hätte die belangte Behörde aber die Aberkennung auf eine allfällige Straffälligkeit des Beschwerdeführers gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, so hat sie diesen Verdacht der Straffälligkeit zwar in ihrem Bescheid mehrfach betont, jedoch übersehen, dass § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG eine rechtskräftige Verurteilung aufgrund eines Verbrechens verlangt, welche beim Beschwerdeführer bis dato nicht vorliegt. Auch die Straffälligkeit im Sinne des § 9 Abs. 3 iVm § 2 Abs. 3 AsylG 2005 verlangt eine rechtskräftige Verurteilung und nicht nur den Verdacht oder Ermittlungen aufgrund eines solchen Verdachts (vgl. dazu sowie auch zum Spannungsfeld des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155).

Vom aufgezeigten Fehler in der rechtlichen Beurteilung abgesehen unterließ die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung allerdings grundlegende, für die Aberkennung des dem Beschwerdeführer zukommenden Schutzstatus im vorliegenden Fall wesentliche Ermittlungsschritte. Hierbei wird seitens des entscheidenden Gerichts explizit darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die allgemeine Lage in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass eine Rückführung per se ausgeschlossen sei (VwGH, 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Es erfordert eine derartige Entscheidung aber ein sorgfältiges Ermittlungsverfahren zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat sowie eine Prüfung der Situation des jeweiligen Antragstellers: der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren wurde aber zu keinem Zeitpunkt des Aberkennungsverfahrens durch das Bundesamt einvernommen, eine solche Einvernahme wäre aber notwendig gewesen. In diesem Zusammenhang wäre durch eine zielgerichtete Befragung zu ermitteln gewesen, ob für den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK besteht bzw. ob für ihn dort überhaupt eine ausreichende Lebensgrundlage vorhanden ist.

Die Bedeutung dieser Fragen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hat die belangte Behörde selbst erkannt, zumal der angefochtene Bescheid zwar Feststellungen zur Selbsterhaltungsfähigkeit enthält, jedoch ist aus dem Verwaltungsakt nicht ersichtlich, dass eine aktuelle Einvernahme dazu stattgefunden hat. Ohne grundlegende Ermittlungsschritte, die im vorliegenden Fall angezeigt gewesen wären, kommt derartigen Ausführungen aber kein Begründungswert zu. Ob es familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan nach wie vor gibt, geht aus dem Bescheid ebenso nicht hervor.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die belangte Behörde mit Schreiben vom 22.07.2017 ein Parteiengehör zum Ergebnis einer Beweisaufnahme XXXX " gewährte und unter einem seine Ansicht mitteilte, dessen Verbringung in seinen Herkunftsstaat laufe seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK nicht zuwider. Die in diesem Zusammenhang an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen bezogen sich allerdings hauptsächlich auf sein Familienleben und seine Integration in Österreich. Insofern wäre (wenn überhaupt) die Übermittlung dieses Schreibens samt Aufforderung zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gerade einmal für die Frage der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Hinblick auf Art. 8 EMRK als tauglicher Ermittlungsschritt anzusehen. Die (vorgeschaltete) Frage, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt werden kann, wird damit hingegen nicht ermittelt; daran vermag auch die eingeräumte Möglichkeit, zur beabsichtigten Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 – im Parteiengehör in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 (vgl. dazu VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155) -Stellung zu nehmen, jedenfalls nichts zu ändern, weil die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen dem Beschwerdeführer gegenüber nicht ansatzweise aufgeworfen wurden. Auch aus der Übermittlung von Ergebnissen hinsichtlich einer strafrechtlichen Verdachtslage sowie einer Stellungnahmemöglichkeit dazu lässt sich angesichts des fehlenden Kriteriums einer strafrechtlichen, rechtskräftigen Verurteilung dazu nicht nichts gewinnen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sohin im Rahmen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gerade einmal ansatzweise Ermittlungen getätigt (wobei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt gar nicht hervorgeht, dass dem Beschwerdeführer mit dem Schreiben vom 22.07.2017 auch tatsächlich aktuelle Länderberichte zur Lage in der Afghanistan übermittelt wurden). Damit erweist sich der vorliegende Sachverhalt für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, ob die die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten – also die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention durch Rückführung in den Herkunftsstaat – für den Beschwerdeführer nicht mehr vorliegen, als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich sind.

3.2.3. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – vorbehaltlich allfällig sodann notwendig werdender weiterer Ermittlungsschritte – den Beschwerdeführer persönlich einzuvernehmen und in Hinblick auf mögliche reale Gefahren einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausführlich und zielgerichtet zu befragen haben. Bei dieser Gelegenheit werden dem Beschwerdeführer ebenso nähere Fragen zu seinem Familien- und Privatleben in Österreich und in seinem Herkunftsstaat zu stellen sein. Ebenso wird zu ermitteln sein, ob ein allfälliges Strafverfahren bis zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen sein wird (und ob der Beschwerdeführer für schuldig befunden wurde bzw. welche Strafe verhängt wurde) oder ob dieses noch nicht abgeschlossen ist, wobei diese Ermittlungen bei einer Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nur Indizwirkung haben können, dreht es sich bei einer Aberkennung nach dieser Bestimmung alleine um die Frage, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht oder nicht mehr vorliegen.

3.2.4. Da der maßgebliche Sachverhalt somit noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in allen Spruchpunkten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

3.3. Zu B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054; 29.07.2015, Ra 2015/07/0034).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Privat- und Familienleben, strafrechtliche
Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W210.2008633.2.00

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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