TE Lvwg Erkenntnis 2017/10/2 VGW-242/002/RP12/13232/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2017
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.10.2017

Index

L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien

Norm

WMG §16 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Landesrechtspflegerin Schussek über die Beschwerde des Herrn B. S. vom 4.9.2017 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht, Sozialzentrum …, vom 17.8.2017, Zahl MA 40 - SH/2017/01929184-001,

zu Recht e r k a n n t:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

Entscheidungsgründe

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, hat mit Bescheid vom 17.08.2017 zur Zl. SH/2017/01929184-001 den Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers vom 21.07.2017 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) abgewiesen.

Begründend wurde u.a. ausgeführt, dass mit Schreiben vom 27.07.2017 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 16 WMG (Abweisung des Antrages wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht) die Aufforderung ergangen sei, bis zum 08.08.2017 für die Beurteilung des Anspruchs unerlässliche Angaben zu machen und/bzw. erforderliche Unterlagen zu erbringen. Dieser Aufforderung sei nicht bzw. zur Gänze nachgekommen. Es seien die Kontoauszüge der letzten sechs Monate (Gesamtkontoauszug) inkl. aller Einnahmen und Ausgaben ungeschwärzt, chronologisch geordnet und kopiert von dem Konto mit der IBAN AT…, ein Schreiben, wo ersichtlich ist, woher die Eigenerläge stammen, sowie eine schriftliche Stellungnahme wie in der Zeit von 01.05.2017 bis dato der Lebensunterhalt bestritten wurde und wo der Lebensmittelpunkt ist, nicht vorgelegt worden. Die Vermögensverhältnisse seien nicht offen gelegt worden. Auf Grund fehlender Unterlagen habe man das Ermittlungsverfahren nicht abschließen können. Da die Behörde ohne die verpflichtende Mitwirkung praktisch außerstande gesetzt gewesen sei, die für die Bemessung der Leistung rechtserheblichen Tatsachen festzustellen, seien die fehlenden Angaben bzw. Unterlagen zur Beurteilung des Anspruchs „unerlässlich“ im Sinne des § 16 WMG gewesen.

Dagegen richtete sich die Beschwerde vom 08.09.2017, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausführt, dass er die Begründung, weshalb die Mindestsicherung abgewiesen worden sei, nicht nachvollziehen könne. Er habe vor dem Schreiben vom 18.08.2017 kein anderes Schreiben erhalten. Von Mitte Juli bis Mitte August sei eine Vertretung mit der Zustellung beschäftigt gewesen und nehme er daher an, dass das Schreiben vom 27.07.2017 irgendwie verloren gegangen sei und habe er somit auch die verlangten Unterlagen nicht vorlegen können. Der Beschwerde war eine Stellungnahme vom 04.09.2017 beigelegt.

Die Magistratsabteilung 40 legte die Beschwerde mit dem Bezug habenden Akt dem Verwaltungsgericht Wien vor.

Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich folgender verfahrensrelevanter Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat am 21.07.2017 einen Antrag auf Mindestsicherung gestellt. Die Rubriken „Art der derzeitigen Beschäftigung“, „Art des derzeitigen Einkommens“ und „Höhe des aktuellen monatlichen Nettoeinkommens (Belege erforderlich)“ blieben dabei unausgefüllt. Es wurde „kein Vermögen“ angekreuzt.

Mit Schreiben „Aufforderung gemäß § 16 WMG“ vom 27.07.2017 hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer aufgefordert, bis spätestens 08.08.2017 zur Durchführung des Verfahrens unerlässliche Angaben zu machen bzw. folgende erforderliche Unterlagen vorzulegen. Unter der Rubrik „Sonstiges“ ist dabei angeführt wie folgt:

„- Kontoauszüge der letzten 6 Monate ungeschwärzt, chronologisch geordnet und so kopiert, dass der gesamte Kontoauszug inkl. aller Einnahmen und Ausgaben ersichtlich sind:

von Ihrem Konto mit der IBAN AT…

- zu den Kontoauszügen ist ein Schreiben beizulegen, wo ersichtlich ist, woher Ihre Eigenerläge stammen

- schriftliche Stellungnahme wie Sie in der Zeit von 01.05.2017 bis jetzt Ihren Lebensunterhalt bestritten haben und wo Ihr Lebensmittelpunkt ist“

Dabei wurde ausdrücklich auf die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführer bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens hingewiesen und wurde außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist die Leistung nach § 16 des Wiener Mindestsicherungsgesetzes abgelehnt oder eingestellt werden wird. Auch auf das Unterbleiben einer Nachzahlung für die Zeit der Einstellung oder Abweisung wurde hingewiesen.

Das Schreiben vom 27.07.2017 wurde laut Vermerk am 31.07.2017 expediert und laut Zustellnachweis RSb nach einem Zustellversuch am 04.08.2017 an der Abgabestelle in Wien, E.-Straße und Hinterlegung in der Postfiliale … ab dem 07.08.2017 zur Abholung bereit gehalten und nach Ablauf der Abholfrist mit dem postalischen Vermerk „nicht behoben zurück“ retourniert.

Die Behörde hat sodann den nunmehr angefochtenen Bescheid erlassen.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes lauten auszugweise wie folgt:

§ 1.

Ziele und Grundsätze

(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.

(2) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.

(3) Die Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.

(4) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Sie erfolgt auch vorbeugend, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Eine Fortsetzung ist solange möglich, als dies notwendig ist, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Hilfeleistung zu sichern. Die Mindestsicherung hat rechtzeitig einzusetzen. Eine Zuerkennung von Leistungen für die Vergangenheit ist nicht möglich.

§ 4.

Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen

(1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer

1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,

2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,

3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,

4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.

(2) Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich.

(3) Personen, die bereits eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung oder eine Schulausbildung auf Maturaniveau haben und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen können, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvieren, steht ein Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht zu.

§ 6.

Pflichten der Hilfe suchenden oder empfangenden Personen

Hilfe suchende oder empfangende Personen haben nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen

1. zur Abwendung und Beseitigung der Notlage ihre Arbeitskraft einzusetzen,

2. an arbeitsintegrativen Maßnahmen teilzunehmen,

3. eigene Mittel vorsorglich und zweckmäßig einzusetzen,

4. Ansprüche, die der Deckung der Bedarfe nach diesem Gesetz dienen, nachhaltig zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos, unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbunden ist,

5. zuerkannte Leistungen zweckentsprechend, das heißt zur Abdeckung der Bedarfe für die sie zuerkannt wurden, zu verwenden und

6. ihre Mitwirkungspflichten im Verfahren und während des Bezuges von Leistungen zu erfüllen.

§ 16.

Ablehnung und Einstellung der Leistungen

(1) Wenn eine Hilfe suchende oder empfangende Person trotz Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist und nachweislichem Hinweis auf die Rechtsfolgen ohne triftigen Grund nicht rechtzeitig mitwirkt, indem sie

1. die zur Durchführung des Verfahrens von der Behörde verlangten Angaben nicht macht oder

2. die von der Behörde verlangten Unterlagen nicht vorlegt oder

3. soweit nicht für die Anrechnung die statistisch errechneten Durchschnittsbedarfssätze herangezogen werden können, gesetzliche oder vertragliche Ansprüche, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich), verfolgt, wobei eine offenbar aussichtslose, unzumutbare oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbundene Geltendmachung von Ansprüchen nicht verlangt werden kann,

ist die Leistung einzustellen oder abzulehnen. Eine Nachzahlung für die Zeit der Einstellung oder Ablehnung unterbleibt. Ein triftiger Verhinderungsgrund ist von der Hilfe suchenden oder empfangenden Person glaubhaft zu machen und entsprechend zu bescheinigen.

(2) Die im Rahmen der Bemessung auf eine Hilfe suchende oder empfangende Person entfallende Leistung ist einzustellen oder abzulehnen, wenn sie unter den in Abs. 1, erster Halbsatz genannten Voraussetzungen nicht mitwirkt, indem sie der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht nachkommt.

(3) Bei einer Einstellung oder Ablehnung nach Abs. 2 ändert sich der auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzuwendende Mindeststandard nicht.

Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind u.a. dann abzulehnen, wenn die Hilfe suchende Person unter Setzung einer angemessenen Frist und nachweislichem Hinweis auf die Rechtsfolgen ohne triftigen Grund nicht rechtzeitig mitwirkt, indem sie die von der Behörde verlangten Unterlagen nicht vorlegt und/oder die zur Durchführung des Verfahrens von der Behörde verlangten Angaben nicht macht.

Im gegenständlichen Fall wurde das Schreiben vom 27.07.2017 laut Zustellnachweis RSb nach einem Zustellversuch am 04.08.2017 hinterlegt und ab dem 07.08.2017 zur Abholung bereitgehalten. Die Frist zur Vorlage der Unterlagen war bis 08.08.2017 festgesetzt.

Der Beschwerdeführer hätte demnach lediglich einen Tag zur Verfügung gehabt, um die von der belangten Behörde abverlangten Unterlagen vorzulegen. Dies kann, unerheblich vom Umfang der benötigten Unterlagen, jedenfalls nicht als angemessene Frist angesehen werden und war der Bescheid schon aus diesem Grund aufzuheben. Es konnte daher von Überprüfung des vorgebrachten Zustellmangels abgesehen werden.

Die Ablehnung der Leistung auf Grund der Verletzung der Mitwirkungspflicht erfolgte im gegenständlichen Fall zu Unrecht. Die belangte Behörde wird nunmehr über den offenen Antrag vom 21.07.2017 zu entscheiden haben.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 3 iVm § 24 Abs. 4 VwGVG konnte von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte

Mindestsicherung; Mitwirkungspflicht, Frist, Angemessenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.002.RP12.13232.2017

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten