TE Bvwg Beschluss 2017/10/29 I404 1438694-2

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Veröffentlicht am 29.10.2017
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Entscheidungsdatum

29.10.2017

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs1 Z1
VwGVG §28 Abs3

Spruch

I404 1438694-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA Nigeria, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE-Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark vom 01.09.2017, Zl. 831437206-1727944, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste nach eigenen Angaben am 06.10.2013 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2013 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt II.); zugleich verfügte die belangte Behörde gemäß § 10 Absatz 1 AsylG die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet nach Nigeria (Spruchpunkt III.).

Mit Erkenntnis des BVwG vom 19.01.2016 zu GZ. I409 1438694-1/24E wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen. Der Spruchpunkt III. wurde behoben und gemäß § 75 Abs. 20 AsylG an das BFA zurückverwiesen.

2. Am 29.03.2017 wurde der Beschwerdeführer vom BFA einvernommen. Dem Beschwerdeführer wurden im Rahmen der Einvernahme keine Länderberichte ausgehändigt oder vorgehalten.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), vom 01.09.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 Asylgesetz 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 52 Abs. 1. Z. 1 FPG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt I.). Weiters wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage beträgt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.).

Im Sachverhalt wurden keine Feststellungen zum Herkunftsstaat Nigeria getroffen. Rechtlich führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. aus, dass mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen sei, dass eine Abschiebung zulässig sei, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Die Abschiebung Fremder in einen Staat sei gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt werde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Dazu führte die belangte Behörde weiter aus, dass sich beim Beschwerdeführer keine derartige Gefährdung ergebe, wie bereits unter Spruchpunkt II. dargelegt sei.

4. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE-Rechtsberatung, rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben und (unter anderem) ausgeführt, dass die belangte Behörde seiner Entscheidung keine aktuellen Länderfeststellungen zugrunde gelegt habe und dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit einer Stellungnahme zu diesen Feststellungen eingeräumt habe. Dies wäre angesichts der Tatsache, dass über die Zulässigkeit einer Abschiebung nach Nigeria entschieden worden sei, jedenfalls erforderlich gewesen. Das Ermittlungsverfahren sei daher grob mangelhaft. Es werde daher (auch) der Antrag gestellt, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt A) 1. Aufhebung und Zurückverweisung (Spruchpunkt I.):

1.1. Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Beschlüsse

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, 2a, 2b, 4 und 5 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

1.2. § 50, § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), in der geltenden Fassung lauten wie folgt:

Verbot der Abschiebung

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

(4) Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, näher präzisiert.

Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung)".

1.4. Mit der bekämpften Entscheidung hat die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung entlassen und ausgesprochen, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Diesbezüglich verlangt § 50 Abs. 1 FPG die Prüfung nach Artikel 2 und 3 EMRK.

Im Hinblick auf diese Prüfung ist es jedoch erforderlich, aktuelle Länderberichte nicht nur "in das Verfahren einzuführen", sondern in der Entscheidung inhaltlich wiederzugeben (VfGH vom 13.03.2013, U 2375/12).

In diesem Sinne ist es erforderlich, sich mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers im Hinblick auf die getroffenen Länderfeststellungen auseinanderzusetzen (VfGH vom 02.05.2011, U 1005/10). Die Berufung auf die Staatendokumentation und § 5 Absatz 2 BFA-VG ersetzt keineswegs die Aufgabe der belangten Behörde von sich aus Länderquellen zu verwenden, die in ihrer Gesamtheit als "ausgewogen zusammengestellt" bewertet werden können (Asylgerichtshof vom 14.08.2013, C16 420.015-1/2011).

Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den Asyl- (und Fremdenbehörden) zu erwarten, dass sie zur Feststellung zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und von Amts wegen aktuelles Berichtsmaterial heranziehen (z.B. VwGH vom 15.09.2010, 2008/23/0334 und viele andere mehr).

Wie in der Beschwerde zu Recht gerügt, hat im vorliegenden Fall die belangte Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der aktuellen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers unterlassen und auch keinerlei Länderfeststellungen in den angefochtenen Bescheid aufgenommen und sich auch in keiner Weise mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und ihm auch nicht zu aktuellen Länderberichten betreffend den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Nigeria das Parteiengehör gewährt.

1.5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die belangte Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der Situation im Herkunftsstaat Nigeria unterlassen hat. Insofern hat die belangte Behörde nur ansatzweise ermittelt und liegen daher die Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des VwGH für ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 VwGVG vor.

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch anzuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Notwenigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes aktuelle Länderbericht einzuholen und Feststellungen der belangten Behörde zu ergänzen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich macht (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Zl. Ra 2016/19/0290). Auch unter Effizienzgesichtspunkten gebietet sich daher eine Heranziehung des § 28 Abs. 3 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können, zumal fallbezogen die Verfahrensführung durch die Regionaldirektion Steiermark erfolgte und der Beschwerdeführer sich derzeit in der Justizanstalt Graz-Kalau befindet.

Angesichts der oben angeführten Verhandlungspflicht des BVwG bei einer Sachentscheidung ist daher nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, fehlende Länderfeststellungen, Kassation,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Parteiengehör, wesentlicher
Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I404.1438694.2.00

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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