TE Vwgh Erkenntnis 2017/10/18 Ra 2017/11/0145

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Veröffentlicht am 18.10.2017
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
90/02 Führerscheingesetz;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FSG 1997 §4 Abs3;
FSG 1997 §4 Abs6;
KFG 1967 §64a;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der S H in U, vertreten durch Dr. Uwe Foidl, Rechtsanwalt in 6263 Fügen, Hochfügenerstraße 22, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 3. März 2017, Zl. LVwG- 2016/13/1663-2, betreffend Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Schwaz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis ordnete das Verwaltungsgericht, in Bestätigung des Vorstellungsbescheides der belangten Behörde vom 16. Juni 2016, gegenüber der Revisionswerberin die Absolvierung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG an.

Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des Beschwerdevorbringens fest, die Revisionswerberin sei seit dem 11. August 2014 im Besitz einer Lenkberechtigung für die Klassen AM und B und habe (nach der Aktenlage am 5. Jänner 2016) einen Verkehrsunfall durch eine Vorrangverletzung zumindest mitverschuldet und damit die Unfallgegnerin fahrlässig am Körper verletzt.

3 Die Staatsanwaltschaft Innsbruck habe dazu mit Schreiben vom 15. Juni 2016 bzw. 14. November 2016 mitgeteilt, dass sie von der Verfolgung der Revisionswerberin gemäß § 200 Abs. 5 StPO zurückgetreten sei, weil die Voraussetzungen des § 198 StPO vorgelegen seien und die Revisionswerberin einen Geldbetrag zugunsten des Bundes geleistet habe (nach dem aktenkundigen zweitgenannten Schreiben der Staatsanwaltschaft wurde das Strafverfahren am 24. Februar 2016 gemäß § 200 StPO eingestellt).

4 Dem Beschwerdeeinwand, die Unfallgegnerin trage das Alleinverschulden am Verkehrsunfall, weil diese ihr Kraftfahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit gelenkt habe, hielt das Verwaltungsgericht die Erledigung des gegen die Revisionswerberin wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 StGB) geführten Strafverfahrens mittels Diversion gemäß § 200 StPO entgegen. Aufgrund dieser Erledigungsart des Strafverfahrens sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts von einer "hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit" auszugehen, sowie davon, dass die Revisionswerberin eine das Unrecht des Verhaltens akzeptierende Schuldeinsicht gezeigt habe.

5 In rechtlicher Hinsicht müsse daher die Begehung eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 3 und 6 (gemeint: Z 3) FSG durch die Revisionswerberin innerhalb der Probezeit angenommen werden, der nach dieser Bestimmung zwingend zur Anordnung der Nachschulung sowie zur Verlängerung bzw. zum Neubeginn der Probezeit führe.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Der belangten Behörde wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme gemäß § 35 Abs. 2 VwGG geboten, von der diese innerhalb gesetzter Frist nicht Gebrauch gemacht hat.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst aus, das Verwaltungsgericht habe es abweichend von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das Erkenntnis vom 23. Mai 2006, Zl. 2004/11/0201) unterlassen, Feststellungen hinsichtlich des der Revisionswerberin angelasteten schweren Verstoßes (iSd § 4 Abs. 3 FSG) zu treffen, weil es, ebenfalls abweichend von der Judikatur (hg. Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2003/03/0051), unzutreffend eine Bindung an die Einstellung des Strafverfahrens im Rahmen der Diversion angenommen bzw. der Diversion unzutreffende Rechtswirkungen (insbesondere Schuldeinsicht) unterstellt habe.

Dies wird auch als Revisionsgrund geltend gemacht.

Die Revision ist zulässig und begründet:

8 Das FSG, BGBl. Nr. 120/1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 61/2011, lautet auszugsweise:

"Lenkberechtigung für Anfänger (Probeführerschein)

§ 4. (1) Lenkberechtigungen für alle Klassen mit Ausnahme der Klassen AM und F, die Personen erteilt werden, die vorher keine in- oder ausländische Lenkberechtigung für eine dieser Klassen besessen haben, unterliegen einer Probezeit von zwei Jahren. Diese Probezeit ist in den Führerschein nicht einzutragen.

...

(3) Begeht der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) oder verstößt er gegen die Bestimmung des Abs. 7, so ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. Berufungen gegen die Anordnung der Nachschulung haben keine aufschiebende Wirkung. Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängert sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr oder es beginnt eine neuerliche Probezeit von einem Jahr, wenn die Probezeit in der Zeit zwischen der Deliktsetzung und der Anordnung der Nachschulung abgelaufen ist; die Verlängerung oder der Neubeginn der Probezeit ist von der Wohnsitzbehörde dem Führerscheinregister zu melden und in den Führerschein einzutragen. Der Besitzer des Probeführerscheines hat diesen bei der Behörde abzuliefern, die Behörde hat die Herstellung eines neuen Führerscheines gemäß § 13 Abs. 6 in die Wege zu leiten.

...

(6) Als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 gelten

1. Übertretungen folgender Bestimmungen der

Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, BGBl. Nr. 159:

...

e) § 19 Abs. 7 (Vorrangverletzung),

...

3. strafbare Handlungen gemäß den §§ 80, 81 oder 88 Strafgesetzbuch - StGB, BGBl. Nr. 60/1974, die beim Lenken eines Kraftfahrzeuges begangen wurden.

..."

9 Die maßgebenden Bestimmungen der StPO lauten auszugsweise:

"Rücktritt von der Verfolgung (Diversion)

Allgemeines

§ 198. (1) Die Staatsanwaltschaft hat nach diesem Hauptstück vorzugehen und von Verfolgung einer Straftat zurückzutreten, wenn auf Grund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach den §§ 190 bis 192 nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf

1.

die Zahlung eines Geldbetrages (§ 200) oder

2.

die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201) oder

3.

die Bestimmung einer Probezeit, in Verbindung mit

Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (§ 203), oder

         4.       einen Tatausgleich (§ 204) nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

     (2) Ein Vorgehen nach diesem Hauptstück ist jedoch nur

zulässig, wenn

1.        die Tat nicht mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe

bedroht ist,

2.        die Schuld des Beschuldigten nicht als schwer

(§ 32 StGB) anzusehen wäre und

         3.       die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt. ...

(3) Nach diesem Hauptstück darf im Fall des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB nur vorgegangen werden, soweit der Beschuldigte durch die Tat keine oder eine bloß geringfügige oder sonst unbedeutende Schädigung an Rechten herbeigeführt hat und die Tat nicht auch nach §§ 304 oder 307 StGB mit Strafe bedroht ist. Im Übrigen ist ein Vorgehen nach diesem Hauptstück ausgeschlossen, soweit es sich um eine im Zehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB geregelte strafbare Handlung handelt, die mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

...

Zahlung eines Geldbetrages

§ 200. (1) Unter den Voraussetzungen des § 198 kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat zurücktreten, wenn der Beschuldigte einen Geldbetrag zu Gunsten des Bundes entrichtet.

(2) Der Geldbetrag darf den Betrag nicht übersteigen, der einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zuzüglich der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens (§§ 389 Abs. 2 und 3, 391 Abs. 1) entspricht. ...

...

(4) Die Staatsanwaltschaft hat dem Beschuldigten mitzuteilen, dass Anklage gegen ihn wegen einer bestimmten Straftat beabsichtigt sei, aber unterbleiben werde, wenn er einen festgesetzten Geldbetrag und gegebenenfalls Schadensgutmachung in bestimmter Höhe leiste. Des weiteren hat die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten im Sinne des § 207 sowie über die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs (Abs. 2) zu informieren, soweit sie ihm einen solchen nicht von Amts wegen in Aussicht stellt.

(5) Nach Leistung des Geldbetrages und allfälliger Schadensgutmachung hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß § 205 nachträglich fortzusetzen ist.

..."

10 Es muss im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht näher darauf eingegangen werden, welche Schlussfolgerungen aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat (angesprochen wurde das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 StGB) gemäß § 200 Abs. 5 StPO zurückgetreten ist und das Strafverfahren eingestellt hat, für den in Rede stehenden Tatvorwurf gezogen werden können (vgl. aber das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2013, Zl. 2013/12/0073, über die mangelnde Bindungswirkung der diversionellen Entscheidung, welche die Behörde nicht von der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes entbindet; vgl. ebenso das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2004/11/0201):

11 Gemäß § 4 Abs. 3 erster Satz FSG ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß iSd Abs. 6 leg. cit. begeht (Abs. 7 ist fallbezogen nicht einschlägig), wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist.

In den diesbezüglichen Materialien (714 BlgNR XX. GP, Seite 33) zur Stammfassung des FSG wird auf den (im Wesentlichen vergleichbaren) vormaligen § 64a KFG 1967 verwiesen. In der Regierungsvorlage zur letztgenannten Bestimmung idF BGBl. 458/1990 (1309 BlgNR XVII. GP, Seite 2) zu dieser Bestimmung heißt es, "es wird an die rechtskräftige Bestrafung angeknüpft".

Die Materialien bekräftigen damit den klaren Wortlaut des § 4 Abs. 3 erster Satz, letzter Halbsatz FSG ("wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist"), sodass die dort normierte Nachschulung wegen eines schweren Verstoßes iSd Abs. 6 leg. cit. nur dann anzuordnen ist, wenn der Betreffende dafür rechtskräftig bestraft wurde (vgl. ausdrücklich das hg. Erkenntnis vom 20. April 2004, Zl. 2003/11/0143; siehe umgekehrt zur Bindungswirkung (nur) einer rechtskräftigen Bestrafung das ebenfalls eine Nachschulung betreffende hg. Erkenntnis vom 21. August 2014, Zl. Ra 2014/11/0027).

12 Dies hat das Verwaltungsgericht gegenständlich verkannt. Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Oktober 2017

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017110145.L00

Im RIS seit

14.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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