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74/01 Gesetzliche Anerkennung, äußere RechtsverhältnisseNorm
B-VG Art10 Abs1 Z13, Art102Leitsatz
Kein verfassungswidriges Unterlaufen des Systems der mittelbaren Bundesverwaltung durch die normierten Zuständigkeiten des Bundesministers im Gesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften angesichts der historischen Grundlagen zum Kompetenztatbestand Kultus; Übertragung von Aufgaben an den Bundesminister zur Besorgung in erster Instanz im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossenRechtssatz
Abweisung des Antrags des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung (von Teilen) des §2 und §5 des BG über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (in der Folge: RelBekGemG).
Bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG im Jahr 1920 bestanden erstinstanzliche Zuständigkeiten eines Ministers zur Entscheidung über die Anerkennung einer Religionsgesellschaft (§11 RelBekGemG als lex fugitiva zu §2 AnerkennungsG). Der VfGH geht angesichts dessen davon aus, dass der Verfassungsgesetzgeber bei der Erlassung des Art102 B-VG ohne Nennung der Angelegenheiten des Kultus in Kauf nahm, dass Entscheidungen über die Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften und vergleichbare Entscheidungen (weiterhin) von der Ministerialinstanz besorgt werden dürfen.
Vor diesem Hintergrund hegt der VfGH keine Zweifel, dass auch die Zuständigkeit nach §2 und §5 RelBekGemG eine solche Regelung mit einer Zuständigkeit zu vergleichbaren Entscheidungen bildet. §11 RelBekGemG stellt die Verbindung zwischen RelBekGemG und AnerkennungsG her, §2 RelBekGemG bildet eine vergleichbare Regelung für "Vorstufen" einer anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft iSd des AnerkennungsG. §2 RelBekGemG bewirkt daher wie die übrigen seit Inkrafttreten des B-VG erlassenen Regelungen in diesem Bereich kein verfassungswidriges Unterlaufen der mittelbaren Bundesverwaltung. Regelungen späteren Datums über Regelungsgegenstände mit ähnlichem Inhalt, wie insbesondere das IslamG 2015 oder das OrthodoxenG 1967 begründen gleichartige Zuständigkeiten der Ministerialinstanz mit Bezug auf zum Teil andere Religionsgesellschaften bzw Kirchen. §2 RelBekGemG bedeutet ebenso wenig wie diese Regelungen eine Aushöhlung der mittelbaren Bundesverwaltung.
Abgesehen von den historischen Grundlagen zum Kompetenztatbestand Kultus, die vom Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 übernommen wurden, ist es darüber hinaus verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung in einem bestimmten Ausmaß und unter Einhaltung sonstiger verfassungsrechtlicher Vorgaben dem Bundesminister Agenden zur Besorgung in erster Instanz zu übertragen. Es ist an sich auch zulässig vorzusehen, dass sich der Bundesminister zur Besorgung solcher Aufgaben ihm direkt zugeordneter Hilfsorgane bedient. Mit der Zuständigkeit des Bundesministers nach §2 bzw §5 RelBekGemG verstößt der Bundesgesetzgeber nicht gegen die im Erkenntnis VfSlg 11403/1987 gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen.
Schlagworte
Religionsgesellschaften, Kompetenz Bund - Länder Kultus, Bundesverwaltung mittelbare, Bundesminister, Zuständigkeit, Versteinerungstheorie, Bundesstaat, BundesstaatsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G419.2016Zuletzt aktualisiert am
20.03.2019