TE Vwgh Erkenntnis 2000/8/29 97/05/0094

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Veröffentlicht am 29.08.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Albert Mitterbauer in Linz, vertreten durch Saxinger, Baumann & Partner, Rechtsanwälte in Linz, Europaplatz 7, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 19. Dezember 1996, Zl. BauR-011704/2-1996 Gr/Lg, betreffend eine Wiedereinsetzung in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Landeshauptstadt Linz, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der Landeshauptstadt Linz in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. Februar 1996 erteilte der Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Bauamt, dem Beschwerdeführer ("Herrn Albert Mitterbauer, Landstraße 84, 4020 Linz") als Eigentümer einer näher bezeichneten Hütte den Auftrag, diese bauliche Anlage binnen bestimmter Frist zu beseitigen. Die Zustellungsverfügung dieses Bescheides bezeichnet gleichfalls "Mitterbauer Albert, Landstraße 84, 4020 Linz als Verpflichteter" als Adressaten der Zustellung. Die Zustellung erfolgte am 27. Februar 1996; auch im Rückscheinbrief ist der gleiche Name und die gleiche Adresse angeführt.

Vertreten durch die Beschwerdeführervertreter erhob gegen diesen Bescheid als "Antragsteller" eine "Haus- und Grundimmobilien- und VerwaltungsGmbH, Landstraße 84, 4020 Linz" (im Folgenden: Gesellschaft) am 12. März 1996 Berufung. Diese Berufung richtet sich inhaltlich gegen den Beseitigungsauftrag vom 22. Februar 1996; auch am Ende der Berufungsschrift scheint die Gesellschaft als Berufungswerberin auf. Mit Bescheid vom 27. März 1996 wies der Stadtsenat der Landeshauptstadt Linz die Berufung wegen des Fehlens der Rechtsmittellegitimation der Berufungswerberin zurück. Da kein Zweifel bestand, dass die Berufung der Gesellschaft zuzurechnen ist, habe auch kein Anlass für die Behörde bestanden, nach § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen.

Mit Schriftsatz vom 11. April 1996 beantragte der Beschwerdeführer (und auch die Gesellschaft) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bauauftrag, holte unter einem die Berufung nach und erhob in eventu Vorstellung gegen den zurückweisenden Bescheid der Berufungsbehörde. Vorgebracht wurde im Wiedereinsetzungsantrag, Rechtsanwalt Dr. F.M. habe A.Ch. mit der Vorbereitung eines Berufungsschreibens gegen den Bauauftrag beauftragt; bei A.Ch. handle es sich um eine qualifizierte juristische Mitarbeiterin, die sich durch ihr gewissenhaftes und zuverlässiges Arbeiten ausgezeichnet habe. Sie sei davon ausgegangen, dass der Bauauftrag an den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Gesellschaft gerichtet gewesen sei, zumal auch im Spruch dieses Bescheides als Adresse der Firmensitz (Landstraße 84, 4020 Linz) aufgeschienen sei. Daher habe sie in der Berufungsschrift als Antragsteller die Gesellschaft angeführt. Für Rechtsanwalt Dr. F.M. habe sich kein Anhaltspunkt ergeben, die ihm zur Korrektur vorgelegte Berufungsschrift einer besonderen formellen Kontrolle zu unterziehen, weil sich Frau Ch. stets als besonders gewissenhafte und verlässliche Mitarbeiterin erwiesen habe. Dieses geringfügige Versehen habe ihm daher nicht auffallen müssen.

Diese Behauptungen wurden durch entsprechende eidestättige Erklärungen der A.Ch. und des Rechtsanwaltes Dr. F.M. bescheinigt. Der Erklärung der A.Ch. ist zu entnehmen, dass sie in der Kanzlei der Beschwerdevertreter seit 1. August 1995 als juristische Mitarbeiterin tätig sei und die Diplomprüfungen in Verfassungs- und Verwaltungsrecht abgelegt habe. In der Erklärung des Rechtsanwaltes Dr. F.M. heißt es, dass ein derartiges Versehen der A.Ch. bislang nicht unterlaufen sei und sie bei Ausführung ihrer Tätigkeit laufend von Rechtsanwalt Dr. F.M. kontrolliert werde.

Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 9. August 1996 wurde die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Entfernungsverfahren ... nicht bewilligt". Auf Grund der eindeutigen Nennung des Verpflichteten und somit Bescheidadressaten im Auftrag sei der Irrtum über die Person des Bescheidadressaten abwendbar gewesen; die Prüfung der Rechtsmittellegitimation gehöre zu den ureigensten Aufgaben eines Rechtsanwaltes, sodass diesbezügliche Fehler auf eine auffallende Sorglosigkeit schließen ließen.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 1996 gab der Stadtsenat der Landeshauptstadt Linz der Berufung keine Folge und bestätigte den Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz mit der Maßgabe, dass der Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen wurde. Die im Wiedereinsetzungsantrag nachgeholte Berufung wurde als verspätet zurückgewiesen. Rechtsanwalt Dr. F.M. habe auffallend sorglos gehandelt, weil er eine im Zeitpunkt der Abfassung der Berufung gegen den Bauauftrag lediglich etwas mehr als ein halbes Jahr bei ihm tätige Angestellte, welche das juristische Studium noch nicht abgeschlossen hatte, mit der selbstständigen Abfassung eines Rechtsmittels betraut habe, dann aber offensichtlich es nicht für nötig gehalten habe, das ihm zur Unterschrift vorgelegte Rechtsmittel in formeller Hinsicht einer Prüfung zu unterziehen. Der der Kanzleiangestellten unterlaufene Fehler hätte einem routinierten Rechtsanwalt auch bei oberflächlicher Durchsicht des Rechtsmittelschriftsatzes auffallen müssen, zumal im damals bekämpften Bescheid sowohl im Spruch als auch in der Zustellverfügung der Beschwerdeführer als Verpflichteter genannt wurde und die Gesellschaft mit keinem Wort dort aufschien.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangten Behörde der dagegen erhobenen Vorstellung des Beschwerdeführers keine Folge. Würden Rechtsmittel von einer noch relativ unerfahrenen Kanzleikraft verfasst werden, so treffe den Rechtsanwalt eine weiter gehende Überwachungspflicht als gegenüber einem Rechtsanwaltsanwärter und könne aus diesem Blickpunkt betrachtet von einem bloß minderen Grad des Versehens keine Rede sein.

Über die mit dem Wiedereinsetzungsantrag hilfsweise verbundene Vorstellung entschied die belangte Behörde mit Bescheid vom 17. Jänner 1997, in dem auch dieser Vorstellung keine Folge gegeben wurde. Nur in einem Zweifelsfall wäre die Berufungsbehörde verpflichtet gewesen, Ermittlungen darüber anzustellen, wer als Berufungswerber auftrete; ein solcher Zweifelsfall sei hier nicht vorgelegen; es könne auch nicht Aufgabe der Berufungsbehörde sein, einen rechtsfreundlich vertretenen Bescheidadressaten zur Rechtsmittelerhebung zu animieren bzw. ähnlich einer unvertretenen Partei zu belehren. Wie aus den nunmehrigen Beschwerdeausführungen ersichtlich, bildet dieser Bescheid offenbar den Gegenstand einer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde.

Gegen den hier angefochtenen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde allerdings mit Beschluss vom 24. Februar 1997, B 349/97, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In seiner Beschwerdeergänzung beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Stadtgemeinde - eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein Irrtum kann ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG sein. Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" unterläuft. Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Behörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an beruflich rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (siehe das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0104, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist unmittelbar oberhalb der anwaltlichen Fertigung des Berufungsschriftsatzes die Gesellschaft als Antragsteller angeführt. Unabhängig vom Verhalten seiner Mitarbeiterin musste dem Rechtsvertreter auf den ersten Blick auffallen, dass die Bezeichnung des Berufungswerbers unzutreffend war. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Zustelladresse des Beschwerdeführers und der Gesellschaft ident sind.

Wie es zu dieser Falschbezeichnung gekommen ist, ist ohne Belang; es geht um das Fehlverhalten des Rechtsvertreters selbst. Das Übersehen eines ins Auge springenden Fehlers unmittelbar oberhalb der Unterschrift des Rechtsanwaltes ist kein Fehler, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Rechtsvertreter unterläuft (siehe den hg. Beschluss vom 18. April 1997, Zlen. 97/16/0043, 0044). Bei diesem Sachverhalt ist der Fehler eines Mitarbeiters, der den Berufungsschriftsatz vorbereitet hat, ohne Belang.

Da somit der Beschwerdeführer nicht durch ein bloß leicht fahrlässig herbeigeführtes Ereignis an der rechtzeitigen Erhebung der Berufung gegen den Bauauftrag gehindert war, wurde der Wiedereinsetzungsantrag zu Recht abgewiesen.

Die Frage, ob die Berufungsbehörde zu Recht mit einer Zurückweisung dieser Berufung vorgegangen ist, oder ob sie allenfalls nach § 37 AVG ein weiteres Ermittlungsverfahren hätte durchführen müssen, ist nicht Gegenstand des Wiedereinsetzungsverfahrens; darüber hat die belangte Behörde nicht mit dem angefochtenen Bescheid, sondern mit Bescheid vom 17. Jänner 1997 abgesprochen.

Die somit unbegründete Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. August 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997050094.X00

Im RIS seit

24.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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