TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/19 W261 2162791-1

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Veröffentlicht am 19.10.2017
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Entscheidungsdatum

19.10.2017

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2162791-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 17.05.2017, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des festgestellten Grades der Behinderung in Höhe von 50 (fünfzig) von Hundert (v.H.) vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin war seit 26.01.2011 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H. Aufgrund der Einschätzung des Leidens "Insulinpflichtiger Diabetes mellitus bis zum vollendeten 18. Lebensjahr" wurde der Behindertenpass bis zur Volljährigkeit der Beschwerdeführerin bis 30.04.2015 befristet.

Am 27.02.2017 beantragte die Beschwerdeführerin die Neuausstellung des Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice (im Folgenden belangte Behörde) und legte dabei ein Konvolut an medizinischen Befunden vor.

Zur Beurteilung der Funktionseinschränkungen zog die belangte Behörde ein bereits im Jahr 2015 zum Verfahren nach dem Familienlastenausgleichgesetz eingeholtes Sachverständigengutachten heran. In diesem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.04.2015, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 01.04.2015, führte die medizinische Sachverständige Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – aus:

" Anamnese:

Februar 2005 wurde auf Grund einer Polyurie, Polydypsie und Nykturie im KH Zwettl ein Diab. mell. I diagnostiziert.

Es erfolgte zunächst die Einstellung mittels Basis/Bolus-Schema. 2008

erfolgte die Umstellung auf eine subcutane Insulinpumpe. Seit 2014 wiederum Basis/Bolus

Therapie wegen schlechter Werte

Derzeitige Beschwerden:

zuletzt unter Streß im Gymnasium sehr schwankende Werte lt BZ Protokoll zwischen 44 und 463 mg%

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Insulatard 7-0-7, Novorapid

Sozialanamnese:

lebt im familiären Verband

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

2013-05-07 KH Zwettl: diabetische Ketoacidose, bei Diabetes mell I; stat 26.4.-28.4.2013

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Gut

Ernährungszustand:

Gut

Größe: 159,00 cm Gewicht: 46,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:

interner Status unauffällig

Gesamtmobilität - Gangbild: rasch und sicher

Psycho(patho)logischer Status:

altersentsprechende psychomotorische Entwicklung

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:

Pos.Nr.

GdB %

1

Diabetes mellitus I Oberer Rahmensatz bei Basis Bolus Therapie

09.02.02

40 %

Gesamtgrad der Behinderung 40 v.H.

 

 

 

Stellungnahme zum Vorgutachten:

Änderung gegenüber Vorgutachten aufgrund der altersbedingten Änderung laut EVO

Der festgesellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

[x] ja

GdB liegt vor seit: 05/2015

GdB 50 liegt vor seit: 03/2005

[x] Dauerzustand

"

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und führte begründend aus, dass das medizinische Beweisverfahren einen GdB von 40 v.H. ergeben habe, und somit die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien.

Mit Schreiben vom 21.06.2017 erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid fristgerecht gegenständliche Beschwerde und brachte vor, die Herabsetzung des Grades der Behinderung von 50 v.H. auf 40 v. H. sei nicht nachvollziehbar, da sich seit der Begutachtung im Jahr 2005, in welcher ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden sei, nichts geändert habe. Die Blutzuckerwerte der Beschwerdeführerin würden bei Stress, Menstruation oder Krankheiten, wie grippalen Infekten, zwischen 40 und 500mg/dl schwanken. Bei solchen Schwankungen sei der Allgemeinzustand nicht gut, was sich durch Polyurie, Polydypsie, Nykturie sowie Schweißausbrüchen, Zittern am ganzen Körper, unscharfes Sehen und allgemeine Schwäche äußere. Vor allem in der Nacht kontrolliere sie oft ihren Blutzucker, was zu Erschöpfungszuständen am darauffolgenden Tag führe und sich wiederrum auf die Blutzuckerwerte auswirke. Stress in der Arbeit und unregelmäßige Arbeitszeiten würden den Blutzucker ebenfalls beeinflussen.

Aufgrund der Einwendungen in der Beschwerde holte das Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin ein.

In dem nach einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.08.2017 erstellten Gutachten vom 23.08.2017 führte der medizinische Sachverständige – hier im Wesentlichen angeführt – Folgendes aus:

" ANAMNESE:

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus seit dem 8. Lebensjahr bekannt, initial hatte sie eine Insulinpumpe, vor etwa 4-5 Jahren wurde auf Basis-Bolus-Therapie umgestellt. Ursprünglich zeigten sich unter dieser Therapie stabile Stoffwechselwerte.

Da die BF zum damaligen Zeitpunkt noch unter 18 Jahre alt war, wurde entsprechend den FLAG-Gutachten ein Behinderungsgrad 50 vH ab 03/2005 attestiert, mit Abschluss des 18. Lebensjahres erfolgte die oben angeführte Begutachtung mit entsprechender Rückstufung laut

EVO.

Sie gibt an, unter der Basis-Bolus-Therapie immer wieder Hypos zu haben, diese hat sie ab etwa 60 mg % gespürt, sie gibt starkes Schwitzen und Sehstörungen an. Diese Symptomatik hauptsächlich nachts auftretend, sie ist immer wach geworden. Überhaupt stellt sie sich nachts immer einen Wecker, um den Blutzucker zu messen, gelegentlich misst nachts auch der Vater.

Seit etwa einem dreiviertel Jahr merkt sie die Hypos nicht mehr, sie schläft gelegentlich auswärts, der Freund misst nachts den Blutzucker, laut mitgebrachtem Protokoll hat sie immer wieder nächtliche Blutzuckerwerte zwischen 28 und 40 mg %, trotz sofortiger oraler Zuckergabe zeigte sie ein somnulentes Zustandsbild, es musste 2x notärztliche Hilfe und Spitalseinweisung erfolgen. Auch die mitgebrachten Langzeitzuckerwerte (08/2015-07/2017) zeigen Werte oberhalb des Normbereichs zwischen 7,8 und 8,4 %.

Bis zum 18. Lebensjahr war sie in der Diabetesambulanz der Kinderabteilung des Krankenhaus Zwettl in Betreuung, mittlerweile kann sie dort nicht betreut werden, da sie noch studiert und möglicherweise ein Wohnortwechsel bevorsteht, ist sie derzeit bei der Hausärztin in Betreuung, sie wird sich jedoch in weiterer Folge wieder um eine fachärztliche Betreuung kümmern.

BESCHWERDEN:

Sie gibt keine wesentlichen diabetogene Folgeerkrankungen an, jedoch seit etwa einem dreiviertel Jahr zunehmende Neigung zu nächtlichen Hypoglykämien trotz unveränderter Therapie und regelmäßiger Nahrungseinnahme, zweimal wurde der Notarzt gerufen, es erfolgte eine Behandlung im Krankenhaus, mittlerweile bemerkt sie die Hypos nicht mehr. Seit einiger Zeit fällt ihr auf, dass oberflächliche Hautwunden schlechter heilen. Sie betreibt regelmäßig Sport.

Sie befindet sich derzeit in der universitären Ausbildung zur diplomierten Pflegekraft, hat bereits an mehreren Krankenhausabteilungen gearbeitet. Prinzipiell macht ihr der Wechseldienst viel Freude, sie macht gerne Nachtdienste. Es ist jedoch so, dass die unregelmäßigen Dienste zu ausgeprägten Blutzuckerschwankungen führen. Dieser Umstand macht sie sehr unglücklich, da sie momentan nicht weiß, wie sie den Spagat zwischen Berufswunsch und gut eingestelltem Diabetes schaffen soll.

MEDIKAMENTE:

Insulatard 7-0-0-7 IE, Novorapid je nach Blutzuckerwerten zu den Mahlzeiten, eine Einheit Novorapid senkt den Blutzucker um etwa 60 mg %.

STATUS

Caput:

sichtbare Häute und Schleimhäute gut durchblutet, Bulbusmotorik seitengleich, beidseits prompte Pupillenreaktion.

Wirbelsäule:

im Lot, kein Schulter- oder Beckenschiefstand, kein Klopfschmerz, im Seitaspekt physiologischer Krümmungsverlauf.

Obere, untere Extremitäten:

sämtliche Gelenke werden altersentsprechend endlagig frei, schmerzlos bewegt, MER seitengleich prompt, periphere DMS in Ordnung.

Thorax:

symmetrisch, Herzaktion rein, rhythmisch, Pulmo beidseits VA.

Abdomen:

weich, unter Thoraxniveau, kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung.

STELLUNGNAHME:

Ad 1)

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:

Pos.Nr.

GdB %

1

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus bei instabiler Stoffwechsellage Unterer Rahmensatz, da wiederholt auftretende, vornehmend nächtliche, unbemerkte Hypoglykämien mit der Notwendigkeit von Spitalsbehandlungen, erhöhter Langzeitzuckerwert. Guter Allgemeinzustand, keine Ketoazidosen.

09.02.04

50 %

Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.

 

 

 

Ad 2)

--

Ad 3)

Bezüglich der Beschwerde der BF (Abl. S4) decken sich die hier getätigten Angaben mit den Erläuterungen, welche sie im Rahmen der Untersuchung abgibt. Die nächtlichen Hypoglykämien sind auch im Meßprotokoll dokumentiert, dieses wird vorgelegt. Erschwert werden die nächtlichen Hypoglykämien meiner Meinung nach dadurch, dass die noch vor einigen Monaten bestehenden Warnsignale (Unruhe, Schweißausbruch, allgemeine Schwäche, Sehstörungen) nun nicht mehr bestehen.

Die BF spritzt, wie im Basis-Boius-Therapieregime üblich, morgens und abends 7 Einheiten eines Langzeitinsulins (Insulatard), zu den Mahlzeiten spritzt sie je nach gemessenen Blutzuckerwerten ein schnell wirksames Insulin (Novorapid), die notwendige Dosis muss sie jeweils berechnen, auf der 1 Basis, dass eine IE Novorapid den Blutzuckerspiegel etwa um 60 mg % senkt.

Ad 4)

Aufgrund der dokumentierten, mittlerweile stummen nächtlichen Hypoglykämien sowie des dokumentierten erhöhten Langzeitzuckerwert Tests liegt derzeit eine instabile Stoffwechsel läge vor, dementsprechend ist ein GdB 50 vH einzuschätzen.

Ad 5)

Derzeit liegt eine instabile Stoffwechsellage vor, dementsprechend ist ein GdB 50 vH gerechtfertigt.

Es ist jedoch anzumerken, dass bis dato viele Therapiemaßnahmen nicht eingeleitet, geschweige denn ausgereizt worden sind, hier liegt dringender Handlungsbedarf vor, der zu einer unmittelbaren Stabilisierung der Stoffwechsellage führen sollte. Dementsprechend empfehle ich eine Kontrolluntersuchung in 6 Monaten, um die Stoffwechsellage sowie die geänderten Therapiemaßnahmen zu beurteilen

."

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Schreiben vom 13.09.2017 der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde das eingeholte Sachverständigengutachten vom 23.08.2017 und räumte den beiden Parteien die Möglichkeit ein, bis längstens 04.10.2017 schriftlich Stellung zu nehmen.

Beide Parteien erstatteten keine Stellungnahme zu den Gutachten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin brachte am 27.02.2017 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei der Beschwerdeführerin besteht folgende Funktionseinschränkung, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:

- Insulinpflichtiger Diabetes mellitus bei instabiler Stoffwechsellage

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 50 v.H.

Aufgrund der Durchführung von bisher nicht eingeleiteten Therapiemaßnahmen, die zu einer Stabilisierung der Stoffwechsellage führen sollten, ist eine Änderung des Gesundheitszustandes bis Juni 2018 zu erwarten.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkung, deren Ausmaß und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten des Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 23.08.2017 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.10.2017 eine Anfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zur Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland basieren auf der vom Bundesverwaltungsgericht am 13.10.2017 durchgeführten Abfrage aus dem ZMR, aus der sich ein Hauptwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet ergibt; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 23.08.2017, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 22.08.2017.

Darin wird auf die Art des Leidens der Beschwerdeführerin und dessen Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit sämtlichen vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffene Einschätzung, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entspricht auch der festgestellten Funktionsbeeinträchtigung (diesbezüglich wird auch auf die detaillierten, oben auszugsweise wiedergegebenen, Ausführungen im Gutachten vom 23.08.2017 verwiesen); die Gesundheitsschädigung ist nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Das Gutachten weicht in seiner Einschätzung vom erstinstanzlichen Vorgutachten ab und begründet widerspruchsfrei und schlüssig die nunmehr höhere Einschätzung; vgl. dazu die oben wiedergegebenen Auszüge aus den Gutachten. Die belangte Behörde, die ihren Bescheid auf ein zwei Jahre zuvor im Rahmen des Familienlastenausgleichsgesetzes eingeholtes Sachverständigengutachten gestützt hat, ging fälschlicherweise von einer stabilen Stoffwechsellage bei der Beschwerdeführerin aus. Aus diesem Grund erfolgte die Einschätzung des Diabetes mellitus mit der Positionsnummer 09.02.02 ("Insulinpflichtiger Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage) und einem Grad der Behinderung von 40 v.H.. Aufgrund des seitens der Beschwerdeführerin vorgelegten Messprotokolls und der damit übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführerin, in denen deutliche Schwankungen des Blutzuckerspiegels und nächtliche Hypoglykämien feststellbar sind, ist das Leiden der Beschwerdeführerin richtigerweise mit der Positionsnummer 09.02.04 ("Insulinpflichtiger Diabetes bei instabiler Stoffwechsellage) einzuschätzen. Der Sachverständige hat hierbei nachvollziehbar den unteren Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. gewählt, da wiederholt auftretende, überwiegend nächtliche unbemerkte Hypoglykämien mit der Notwendigkeit von Spitalsbehandlungen auftreten und ein erhöhter Langzeitzuckerwert besteht. Es liegen jedoch ein guter Allgemeinzustand und keine Ketoazidosen vor.

Der Gutachter hält außerdem fest, dass bis dato viele Therapiemaßnahmen nicht eingeleitet und erst recht nicht ausgereizt worden seien, und somit dringender Handlungsbedarf besteht. Laut eigenen Angaben war die Beschwerdeführerin bis zum 18. Lebensjahr in der Diabetesambulanz der Kinderabteilung eines näher genannten Krankenhauses in Behandlung. Aufgrund ihres Alters, des Studiums und einem bevorstehenden Wohnortwechsel befindet sie sich derzeit bei ihrer Hausärztin in Betreuung. Der Sachverständige führt dazu aus, dass mit entsprechenden Therapiemaßnahmen eine unmittelbare Stabilisierung der Stoffwechsellage erwartet werden kann. Zur Beurteilung einer möglichen Veränderung durch die umgestellte Therapie ist eine baldige Kontrolluntersuchung zu empfehlen. Demzufolge erfolgte eine Befristung des Behindertenpasses bis Juni 2018.

Die Beschwerdeführerin ist diesem Sachverständigengutachten im Rahmen des ihr durch das Bundesverwaltungsgericht eingeräumten Parteiengehörs nicht entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093). Die belangte Behörde gab ebenfalls keine Stellungnahme ab.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 23.08.2017. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der GdB im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 23.08.2017 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 50 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, wird das vorliegende aktuelle Gutachten von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses bei der Beschwerdeführerin somit aktuell erfüllt.

Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit einer Änderung des Leidenszustandes durch die Umstellung der Therapiemaßnahmen ist der Behindertenpass bis 30.06.2018 befristet auszustellen.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die sowohl im Verfahren vor der belangten Behörde als auch im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Atteste in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchen die Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs nicht entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkung der Beschwerdeführerin sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W261.2162791.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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