Entscheidungsdatum
10.09.2017Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 130 Abs1 Z3Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Säumnisbeschwerde des B. R. (geb.: 1995, StA: Afghanistan), vertreten durch Mag. P., betreffend das Verfahren des Landeshauptmannes von Wien, Zl. MA35-9/3155605-01, hinsichtlich des Antrags des Beschwerdeführers auf Verlängerung seiner "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach § 57 AsylG,
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 41a Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 70/2015, wird dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Mit der gegenständlichen Säumnisbeschwerde begehrt der Beschwerdeführer die Erteilung eines Aufenthaltstitels; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass mit Schreiben vom 12. Jänner 2017 eine Mitteilung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (ab hier: BFA) gemäß § 59 Abs. 4 AsylG an die belangte Behörde ergangen sei. Mit dieser Mitteilung sei die belangte Behörde zuständige Behörde geworden. Diese habe aber ihrer gesetzlichen Entscheidungspflicht, den Aufenthaltstitel "unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen ab Zustellung der Mitteilung" nicht entsprochen.
2. Die belangte Behörde legte die Säumnisbeschwerde samt den Verwaltungsakten ohne Nachholung des Bescheids dem Verwaltungsgericht Wien vor.
3. Das Verwaltungsgericht Wien forderte das BFA auf, zu einer Reihe von Fragen Stellung zu nehmen.
Das BFA übermittelte dem Verwaltungsgericht Wien in der Folge den den Beschwerdeführer betreffenden beim BFA aufliegenden Verwaltungsakt zur Einsicht.
II. Sachverhalt
1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:
Der am …1995 geborene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger. Er hält sich seit dem Jahr 2011 im Bundesgebiet auf, ein Antrag auf internationalen Schutz wurde im Jahr 2012 rechtskräftig abgewiesen. In den Jahren 2013 bis 2015 wurden dem Beschwerdeführer Karten für Geduldete nach dem Asylgesetz ausgestellt. Am 8. Mai 2014 stellte der Beschwerdeführer erstmals einen Antrag auf eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG; diese wurde ihm mit Gültigkeitsdatum vom 4. Dezember 2014 bis 3. Dezember 2015 erteilt. Am 17. August 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag nach § 55 AsylG, welchen er im weiteren Verfahren vor dem BFA auf einen Verlängerungsantrag nach § 57 AsylG modifizierte.
Mit Schreiben vom 12. Jänner 2017 sendete das BFA eine "Mitteilung gemäß § 59 Abs. 4 AsylG" betreffend den Beschwerdeführer an die belangte Behörde, in welcher ausgeführt wird, "dass die Voraussetzungen des § 57 AsylG weiterhin vorliegen, die VP das Modul 1 der IV gem. § 14a NAG erfüllt hat und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Ziffer 1 bis 4 AsylG ebenfalls gegeben sind". Diese Mitteilung langte am 19. Jänner 2017 bei der belangten Behörde ein. Der Beschwerdeführer wurde von dieser Mitteilung mit Schreiben vom 12. Jänner 2017 verständigt (persönliche Übernahme am 13. Jänner 2017).
Am 21. Februar 2017 sendete eine Sachbearbeiterin des BFA ein E-Mail an eine Sachbearbeiterin der belangten Behörde, in welchem in Bezug auf die Mitteilung vom 12. Jänner 2017 ausgeführt wird, es werde "nun von ha. ersucht den Antrag wieder anher zu übermitteln, da von ha. über diesen Antrag entschieden werden muss". In der Folge übersendete die belangte Behörde den Verwaltungsakt wieder dem BFA und unternahm fortan keine eigenen Ermittlungsschritte. In einem weiteren E-Mail eines Sachbearbeiters des BFA an eine Sachbearbeiterin der belangten Behörde vom 24. Mai 2017 wird ausgeführt, dass "[d]er Verlängerungsantrag […] versehentlich und zu Unrecht gemäß § 59 Abs. 4 AsylG an die MA35 weitergeleitet" worden sei. Die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 57 iVm § 59 AsylG lägen nicht mehr vor, es bestehe weiterhin eine Zuständigkeit des BFA. Die "ergangene § 59 Abs. 4 AsylG Weiterleitung" sei als gegenstandslos zu betrachten.
Mit am 7. April 2017 abgesendetem Fax, eingelangt bei der belangten Behörde am 10. April 2017, wurde vom Beschwerdeführer die gegenständliche Säumnisbeschwerde erhoben.
2. Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und Würdigung des Beschwerdevorbringens.
Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus der vorliegenden Aktenlage, deren Inhalt von keiner Verfahrenspartei bestritten wurde und der auch sonst keinen Anlass gibt, an dessen Richtigkeit zu zweifeln.
III. Rechtliche Beurteilung
1. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 – AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I 70/2015, lauten:
"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.
[…]
Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'
§ 59. (1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Drittstaatsangehörigen auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.
(2) Die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels beginnt mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.
[…]
(4) Das Bundesamt hat der örtlich zuständigen Behörde nach dem NAG unverzüglich mitzuteilen, dass
1. die Voraussetzung des § 57 weiterhin vorliegen,
2. der Antragsteller das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat, und
3. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 4 erfüllt sind.
Liegen die Voraussetzungen der Z 2 oder Z 3 nicht vor, hat das Bundesamt den Aufenthaltstitel gemäß § 57 zu erteilen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Abs. 1 ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 4 Monaten ab Einbringung des Antrages zu treffen.
(5) Im Falle einer Mitteilung gemäß Abs. 4 ist der Ablauf der Frist gemäß Abs. 4 letzter Satz gehemmt. Das Bundesamt hat den Antragsteller von der Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Mit Ausfolgung des Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG ist das Verlängerungsverfahren formlos einzustellen."
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 70/2015, lauten:
"Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus'
§ 41a. (1) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs. 4 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn
1. sie bereits zwölf Monate einen Aufenthaltstitel gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzen,
2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
3. eine Mitteilung gemäß § 20e Abs. 1 Z 2 AuslBG vorliegt.
(2) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs. 4 ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' erteilt werden, wenn
1. sie bereits zwei Jahre einen Aufenthaltstitel gemäß § 42 besitzen,
2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
3. eine Mitteilung gemäß § 20e Abs. 1 Z 3 AuslBG vorliegt.
(3) Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn eine Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005 vorliegt. Der Aufenthaltstitel ist unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen ab Zustellung der Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, zu erteilen. § 20 Abs. 2 gilt sinngemäß."
2. Zur Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde:
2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
2.2. Im Beschwerdefall ist angesichts der geteilten Zuständigkeiten bei Verlängerungsanträgen nach § 59 AsylG zunächst zu klären, ob die belangte Behörde überhaupt zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers berufen war.
§ 59 Abs. 4 AsylG geht davon aus, dass die örtlich zuständige Behörde nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz nur infolge einer Mitteilung des BFA nach § 59 Abs. 4 AsylG zuständig wird. Unterbleibt eine solche Mitteilung, besteht weiterhin eine Zuständigkeit des BFA. Im Beschwerdefall ist nun unzweifelhaft am 12. Jänner 2017 eine solche Mitteilung des BFA an die belangte Behörde ergangen. Diese Mitteilung enthält alle in § 59 Abs. 4 AsylG aufgezählten erforderlichen Informationen und ist deshalb geeignet, die entsprechende Rechtswirkung des Zuständigkeitsübergangs auf die belangte Behörde auszulösen. Daran kann auch der zum Akt genommene Inhalt eines E-Mailverkehrs zwischen zwei Sachbearbeiterinnen des BFA und der belangten Behörde, in welchem ersucht wird, "den Antrag wieder anher zu übermitteln", nichts ändern. Weder sieht § 59 Abs. 4 AsylG vor, dass eine einmal ergangene Mitteilung widerrufen werden kann, noch geht aus dem E-Mail vom 21. Februar 2017, welches im Übrigen nicht approbiert wurde, ein entsprechender Erklärungswille des BFA eindeutig hervor.
Ein Übergang behördlicher Zuständigkeiten durch formfreien E-Mailverkehr auf Sachbearbeiterebene würde zudem dem verfassungsrechtlichen Gebot der präzisen Regelung von Behördenzuständigkeiten widersprechen (vgl. zB VwGH 2.8.2016, Ro 2015/05/0008, unter Verweis auf VfGH 12.3.2015, G 151/2014 ua). Es kann daher § 59 Abs. 4 AsylG nicht der Inhalt unterstellt werden, die Möglichkeit eines behördlichen Zuständigkeitsübergangs durch informelle Zurückziehung einer einmal zugestellten Mitteilung nach § 59 Abs. 4 AsylG vorzusehen.
In diesem Zusammenhang ist unbedeutend, ob die Mitteilung nach § 59 Abs. 4 AsylG inhaltlich richtig, in dem Sinne, dass die in § 59 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG genannten Kriterien tatsächlich erfüllt sind, ergangen ist. Eine solche inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen für eine Mitteilung ließe erneut eine klare Abgrenzung verwaltungsbehördlicher Zuständigkeiten vermissen, weil erst eine inhaltliche Prüfung samt entsprechendem Ermittlungsverfahren erkennen ließe, ob eine "wirksame" Mitteilung nach § 59 Abs. 4 AsylG vorliegt und damit nach außen hin keinerlei Klarheit herrschte, welche Behörde zur Entscheidung über einen Verlängerungsantrag berufen ist.
Somit war die belangte Behörde ab Zugang der Mitteilung nach § 59 Abs. 4 AsylG am 19. Jänner 2017 zur Entscheidung über die Angelegenheit zuständig.
2.3. Mit Übermittlung der Mitteilung gemäß § 59 Abs. 4 AsylG samt der bezughabenden Verwaltungsakten am 19. Jänner 2017 begann für die belangte Behörde die Entscheidungsfrist für den Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers zu laufen. § 41a Abs. 3 NAG sieht eine von § 8 VwGVG abweichende Entscheidungsfrist von lediglich acht Wochen vor. Diese Frist ist am 16. März 2017 abgelaufen. Für das Verwaltungsgericht Wien ist nicht ersichtlich, dass der ungenutzte Ablauf der Frist nicht auf ein überwiegendes Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen wäre. Vielmehr ging diese angesichts der Rückübermittlung des Akts an das BFA offenbar davon aus, überhaupt nicht zur Entscheidung verpflichtet zu sein. Die gegenständliche Säumnisbeschwerde vom 10. April 2017 wurde daher nicht zu früh erhoben.
2.4. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass § 41a Abs. 3 NAG ein amtswegiges Vorgehen der Behörde vorsieht. Angesichts dessen, dass der Angelegenheit ursprünglich ein Antrag des Beschwerdeführers zugrunde liegt und dieser auch ein rechtliches Interesse an einer Entscheidung hat, geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass trotz des amtswegigen Vorgehens eine Untätigkeit der belangten Behörde im Verfahren nach § 41a Abs. 3 NAG im Säumnisweg bekämpft werden kann.
2.5. Die Säumnisbeschwerde ist somit zulässig, die Entscheidungspflicht ist mangels Nachholung des Bescheids durch die belangte Behörde und Vorlage der Säumnisbeschwerde auf das Verwaltungsgericht Wien übergegangen und von diesem inhaltlich zu behandeln.
3. In der Sache:
3.1. § 41a Abs. 3 NAG sieht zwingend die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" bei Vorliegen einer Mitteilung des BFA gemäß § 59 Abs. 4 AsylG vor (arg.: "ist von Amts wegen […] zu erteilen"). Der Behörde, wie auch dem im Säumnisweg zuständig gewordenen Verwaltungsgericht, kommt dabei kein inhaltlicher Spielraum zu, was sich auch aus dem vom Gesetzgeber gewählten kurzen Entscheidungszeitraum ("unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen"), in welchem ein reguläres Ermittlungsverfahren de facto nicht durchgeführt werden kann, ersehen lässt. Es ist daher nicht weiter zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 59 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG tatsächlich vorliegen; zudem sind die Voraussetzungen des 1. Teils des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes oder sonstige besondere Erteilungsvoraussetzungen nicht zu prüfen.
3.2. Dem Beschwerdeführer ist der beantragte Aufenthaltstitel daher gemäß § 20 Abs. 1 und 2 NAG für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ohne Durchführung einer – im Übrigen von keiner Partei beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026).
5. Die ordentliche Revision ist zulässig, da im Beschwerdefall Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen waren, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt. So liegt – soweit überblickbar – keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dazu vor, ob eine Mitteilung des BFA nach § 59 Abs. 4 AsylG von diesem widerrufen werden kann bzw. in welcher Form dies zu geschehen hätte. Weiters liegt – soweit überblickbar – keine Rechtsprechung dazu vor, ob die belangte Behörde bzw. das im Säumnisweg zuständig gewordene Verwaltungsgericht dazu berufen ist, die Mitteilung nach § 59 Abs. 4 AsylG auf seine rechtliche Richtigkeit hin zu überprüfen bzw. welche Konsequenzen daran knüpfen, wenn das BFA eine solche Mitteilung übermittelt, ohne dass die Voraussetzungen des § 59 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG tatsächlich vorliegen.
Schlagworte
Sachliche Zuständigkeit, behördlicher Zuständigkeitsübergang, Säumnisbeschwerde, Verletzung der Entscheidungspflicht, amtswegiges Vorgehen, EntscheidungsspielraumAnmerkung
VwGH v. 4.10.2018, Ro 2018/22/0001; AbweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.032.8709.2017Zuletzt aktualisiert am
25.10.2018