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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des S H in N, geboren am 12. Jänner 1973, vertreten durch Dr. Wolfgang Weinwurm, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. März 1999, Zl. 200.036/0-III/07/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, der am 22. August 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Zu seinen Fluchtgründen am 25. August 1997 niederschriftlich befragt, gab er im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei von einem Gericht in Mitrovica zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er beschuldigt worden sei, Mitglied der Partei "Frieden für Kosovo" zu sein. Tatsächlich sei er aber kein Mitglied dieser Partei gewesen, sondern gehöre seit zwei Jahren der Partei "PPK" an. Vom 1. bis 30. Juni 1997 habe er die Haftstrafe verbüßt und sich danach wieder zu Hause aufgehalten. Aus dem Heimatland sei er schließlich geflüchtet, da er am 3. Juli 1997 eine schriftliche Ladung zu Gericht erhalten habe und dieser Ladung keine Folge leisten wollte. Er nehme an, dass das Gericht ihn zur Partei "Frieden für Kosovo" befragen wollte. Am 10. Juli 1997 sollte er vor Gericht erscheinen. Vor seiner Flucht habe er sich bei Verwandten aufgehalten.
Mit Bescheid vom 26. November 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 838/1992, ab.
In seiner dagegen erhobenen Berufung erklärte der Beschwerdeführer, er habe sich bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt in einer sehr schlechten körperlichen und psychischen Verfassung befunden, da er die vier vorangegangenen Nächte im Freien zugebracht habe. Dies erkläre, warum er zum Teil widersprüchliche Antworten gegeben habe. Zum Beispiel habe er als Grund für die Vorladung vom 3. Juli 1997 angegeben, zur Partei "Frieden für den Kosovo" befragt worden zu sein. In Wahrheit sei er jedoch wegen einer ganz anderen Sache vorgeladen worden. Nähere Ausführungen würden in Kürze erfolgen.
Mit Schriftsatz vom 5. März 1998 brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, seine vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben seien nicht korrekt übersetzt worden. So habe er z.B. "Frieden für den Kosovo" nie als "Partei" bezeichnet, da diese eine solche auch nicht sei. Es handle sich dabei um eine illegale militärische Organisation. Der Beschwerdeführer sei verhaftet worden, weil er immer wieder zusammen mit einem Freund, der tatsächlich Mitkämpfer von "Frieden für den Kosovo" gewesen sei, gesehen worden sei. Dieser Freund sei auch gefangen genommen worden und befinde sich seiner Information nach immer noch in Haft. Während seiner Haft sei der Beschwerdeführer fast täglich von den Wachebeamten mit Knüppeln geschlagen worden. Er habe auch heute immer wieder Schmerzen in der Gegend der rechten Niere und am Fuß, wo sich eine noch gut sichtbare blau gefärbte Beule, resultierend aus den Schlägen, befände. Nach seiner Entlassung sei er in einem derart schlechten körperlichen Zustand gewesen, dass er zwei Wochen im Bett habe verbringen müssen. Dies sei nicht bei ihm zu Hause, wie fälschlich protokolliert worden sei, sondern bei seinem Onkel, wo er sich versteckt gehalten habe, gewesen. Den Grund für seine neuerliche Vorladung könne er nicht mit Sicherheit sagen. Im Zusammenhang mit seiner bereits erfolgten Inhaftierung und der Misshandlung während der Haft, habe die neuerliche Vorladung für ihn eine asylrelevante Bedrohung dargestellt. Es gebe unzählige Fälle von Festgenommenen, die "verschwunden" seien, und es gebe keine Garantie, dass dies ausgerechnet ihm nicht passieren würde. Gerade bei der sich jetzt zuspitzenden Lage im Kosovo wäre er im Falle seiner Rückkehr nicht sicher vor Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlung.
Im Rahmen der von der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer, er habe seine Heimat verlassen, weil er beschuldigt worden sei, Mitglied der UCK zu sein. Am 3. Juli 1997 seien zwei Polizeiautos mit ca. 15 Polizisten zu ihm nach Hause gekommen und hätten dort nach ihm gesucht. Zu diesem Zeitpunkt sei er noch zu Hause aufhältig gewesen. Nicht nur er selbst, auch seine Familie sei geschlagen und belästigt, seine Schwester, die eine albanische Tracht getragen habe, vor seinen Augen vergewaltigt worden. Danach seien die Polizisten wieder abgezogen und hätten ihm eine schriftliche Ladung für den 6. Juli 1997 zur Polizeistation in Mitrovica übergeben. Einen Tag zuvor sei er jedoch zu seinem Onkel nach Pristina gefahren. Bis zu seiner Flucht nach Österreich habe er sich etwa fünf Wochen bei verschiedenen Verwandten aufgehalten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. März 1999 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Der Beschwerdeführer habe die Handlungsabläufe im Laufe des Verfahrens gravierend unterschiedlich dargestellt. Dies stelle regelmäßig einen starken Hinweis für ein konstruiertes Vorbringen dar. Würden Geschehnisse tatsächlich erlebt, so mögen zwar Details oder konkrete Daten mehr oder weniger rasch in Vergessenheit geraten, doch würden sich Handlungsabläufe regelmäßig stark ins Gedächtnis einprägen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers erscheine daher auf Grund der Schilderung unterschiedlicher Handlungsabläufe objektiv betrachtet, nicht glaubwürdig. So sei es beispielsweise nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer erst anlässlich seiner Einvernahme am 3. März 1999 die sich vor seinen Augen zugetragene Vergewaltigung seiner Schwester berichtet habe. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass es sich hiebei um ein gesteigertes Vorbringen handle, welches nicht mit der Wirklichkeit übereinstimme. Da der Beschwerdeführer zentrale Handlungsabläufe im Kernbereich seines Vorbringens (Behandlung während der Haft, Aufenthalt nach seiner Haftentlassung) in völlig unterschiedlicher Weise dargestellt habe, sei sein Vorbringen, tatsächlich ins Blickfeld der Behörden geraten zu sein, unglaubwürdig. Auch unter Bedachtnahme auf die allgemeine Situation im Heimatland des Beschwerdeführers könne ohne glaubhaften, individuellen Anknüpfungspunkt, der die Person des Asylwerbers aus einem der in der GFK genannten Gründen gefährdet erscheinen ließe, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid nach der Sachlage bei seiner Erlassung zu prüfen hat.
Die belangte Behörde hat sich ausschließlich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner individuellen Verfolgung auseinander gesetzt. Sie ist weiters ausdrücklich davon ausgegangen, dass ohne Vorliegen einer glaubhaften individuellen Verfolgung die allgemeine, im Heimatland des Beschwerdeführers herrschende Situation keine asylrelevante Verfolgung begründen könne. Damit hat sie die Rechtslage verkannt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, kann eine Verfolgungsgefahr nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mit weiteren Nachweisen). Aus in zahlreichen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes dargestellten Gründen (vgl. für viele das hg Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0332) ist es als notorisch anzusehen, dass die Situation im Kosovo ab 28. Februar 1998 eskaliert ist und es deshalb bei einem ethnischen Albaner, der - wie der Beschwerdeführer - aus dem Gebiet von Kosovska Mitrovica stammt, - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden kann, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
In dem zuletzt genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgeführt, dass die Situation, selbst wenn zwischenzeitig eine Änderung eingetreten wäre, seit dem "Massaker von Racak", verübt am 15. Jänner 1999 an Dutzenden albanischen Zivilpersonen, zumindest der Lage vor Ende September 1998 gleichzuhalten sei. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende, asylrelevante Verfolgung hätte der Beschwerdeführer nach den obigen Ausführungen somit nur dann nicht zu befürchten gehabt, wenn eine derartige Verfolgung bei ihm auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden könnte. Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung war daher - anders als die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte - eine Gefährdung nicht nur für jene Personengruppen gegeben, die einen "glaubhaften, individuellen Anknüpfungspunkt" für eine Verfolgung darlegen konnten.
Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999010328.X00Im RIS seit
22.11.2000