TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/23 W207 2130537-1

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Veröffentlicht am 23.10.2017
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Entscheidungsdatum

23.10.2017

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W207 2130537-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Gerd GRUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den KOBV, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, Passnummer:

XXXX , vom 17.05.2016, betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Am 24.08.2001 wurde der Beschwerdeführerin auf Grund eines Antrages der Beschwerdeführerin vom 22.06.2001 vom Bundessozialamt (nunmehr:

Sozialministeriumservice, in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) ein Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H. ausgestellt. Dies erfolgte auf Grundlage eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 21.08.2001, in dem die Funktionseinschränkung "Kollagencolitis", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. nach der Positionsnummer g.z. III/d/357 der Richtsatzverordnung, festgestellt wurde.

Am 10.12.2015 stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch den KOBV, bei der belangten Behörde einen mit 09.12.2015 datierten Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass. Sie legte diesem Antrag diverse medizinische Befunde bei.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin in Auftrag. Im auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basierenden Sachverständigengutachten vom 14.04.2016 wurde – nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.02.2016 – Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben, ausgeführt:

"Anamnese: Zöliakie seit 1991, sie halte strenge Diät

Inkontinenz, Durchfälle, sie könne den Stuhl nicht halten, verwende Einlagen . kollagene Colitis

Harnprobleme seit 1990, Abgang von Harn bei Erschütterungen Bandscheibenprobleme, Schmerzen re. Bein

Z.n. N. mammae li. 08/2012 mit Quadrantenresektion (pT1c), deutliches Lymphödem links lt Prof. Schwaighofer v. 10.2.16 -CHT; RT

Stammvarikose links

MRT d. LWS v. 10.2.16 - mittelgradige Spondylarthrose L4, hochgradige Einengung des Spinalkanals, re. Einengung der Neuroforamina mittelgradig; Protrusion L3/4, mittelgradige foraminelle Enge;

MRT d. HWS v. 21. 10.15 - Spinalkanalstenose C3/4 und C5/6, mäßiggradige Neurofora- menstenosen

COPD II mit Vd. auf höhergradigem Emphysem

Derzeitige Beschwerden: s. oben

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel: Venoruton, Vetren, Esomeprazol, Arimidex, TASS, Sortis, Seractil, Novalgin, Lasilacton, Optiderm, Candibene, Hädensa, Foster 2-3x1, Sultanol 2x1

Sozialanamnese: verh., 2 Kinder, Pension

.

Antragsrelevanter Status: Caput: bland; Collum bland

Pulmo: VA, s KS, Basen verschieblich - keine Zyanose, keine Dyspnoe

Cor: HA rein, rhy, normfrequent;

Thorax:

Mammae: li. brusterhaltend operiert, mäßiges Lymphödem links

Einbeinstand bds nicht möglich, Lasegue neg, Beine können von der Unterlage gehoben werden;

Hüftgelenke: bds Flex. 100°, AR und IR endlagig red.;

Knie: bds normale Beweglichkeit, kein Streckdefizit

Sprunggelenke bland. Zehen und Fersengang nicht möglich; Einbeinstand bds unsicher möglich

Wirbelsäule: im Lot, FBA Oberschenkelhöhe, SN und RT zu 14 red; LWS kiopfdolent Schultergelenke bds: Elevation re. möglich, li endlagig red.; Ellbogengelenke bland; re.

Handgelenk Beweglichkeit zu 14 red; Faustschluss möglich, Kraft erhalten, HWS Hartspann, Beweglichkeit zu 1/3 red;

Abdomen: Hepar am Ribo, bland, Milz n. p., keine Defence, keine Druckdolenz

Haut: bland

Varizen: Stammvarikose links Psyche: bland

Neurologisch: unauffällig

Allgemeinzustand: normal Ernährungszustand: adipös

Größe: 168 cm Gewicht: 98 kg Blutdruck: 160/100

Gesamtmobilität-Gangbild: hinkend, langsam, raumgreifend, keine Gehhilfe, keine Fallneigung

Psycho(patho)logischer Status: voll orientiert, Konzentration normal, keine Suicidalität, Affizierbarkeit normal, Antrieb normal;

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

 

1

Kollagencolitis

2

Zustand nach operiertem Mammakarzinom links, Lymphödem

3

Abnützung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, multiple Gelenksabnützungen

4

COPD II

5

Zöliakie

X Dauerzustand

Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist zumutbar.

Begründung: Es zeigte sich im Rahmen der Untersuchung ein zwar verlangsamtes, jedoch ausreichend sicheres und raumgreifendes Gangbild, eine Gehhilfe wurde nicht benötigt. Eine kurze Gehstrecke kann sicher bewältigt werden. Sicheres Festhalten sowie sicheres Ein- und Aussteigen sind möglich, Niveauunterschiede können realisiert werden. Stuhlinkontinenz wie auch Harninkontinenz sich nach den gesetzlichen Vorgaben kein Kriterium für zu Zuerkennung der "Unzumutbarkeit "

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.05.2016 wurde – ohne dass der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde im Rahmen eines Parteiengehörs die Möglichkeit zur Stellungnahme zum eingeholten Sachverständigengutachten eingeräumt worden wäre – der am 10.12.2015 eingelangte Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 14.04.2016 sei als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrundegelegt worden. Wie dem Sachverständigengutachten zu entnehmen sei, würden die Voraussetzungen für die genannte Zusatzeintragung nicht vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 27.06.2016 erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch den KOBV, fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid der belangten Behörde vom 17.05.2016, in inhaltlicher Hinsicht Folgendes ausgeführt wird:

" .

Das Sozialministeriumservice hat festgestellt, dass die Voraussetzungen für die oben angeführte Zusatzeintragung nicht vorliegen und stützt sich dabei auf das eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten von Dr. XXXX .

Wie der allgemeinmedizinische Sachverständige anführt, leidet die Beschwerdeführerin sowohl an Harn- als auch an Stuhlinkontinenz. Die Beschwerdeführerin spürt den Stuhldrang nicht. Den Harndrang verspürt sie, doch muss innerhalb kürzester Zeit die Toilette aufgesucht werden, da sie den Harn nicht halten kann.

Beweis:

> PV

> beiliegender Arztbrief vom 23.06.2016

> bereits aufliegende Befunde

> Durchführung einer mündlichen Verhandlung

> Der allgemeinmedizinische Sachverständige führt in seiner Entscheidung aus, dass Stuhlinkontinenz wie auch Harninkontinenz nach den gesetzlichen Vorgaben kein Kriterium für die Zuerkennung der Unzumutbarkeit seien.

Hiebei übersieht er allerdings, dass in diesem Fall sowohl eine Harn- als auch eine Stuhlinkontinenz vorliegt und dass gemäß § 1 Abs. 2 Ziffer 3 in der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nummer 495/213 bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist. (vergleiche auch VwGH 2016/11/0018).

Es ist daher geradezu offenkundig, dass bei diesem Krankheitsbild die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist. Daran ändern - angesicht der gegenständlich schweren Ausprägung der Erkrankung - die im Handel erhältlichen angesprochenen inkontinenzprodukte nichts.

Beweis:

> w.o.

> einzuholendes Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der

? Urologie

Aus genannten Gründen stellt die Beschwerdeführerin daher die

ANTRÄGE

1. Das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde Folge geben, den erstinstanzlichen Bescheid aufheben und dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" stattgeben.

2. In eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen."

Der Beschwerde beigelegt wurde ein Arztbrief eines näher gennannten Facharztes für Urologie vom 23.06.2016, der die Diagnose "Verdacht auf neurogene Harn- und Stuhlinkontinenz" beinhaltet.

Die belangte Behörde fasste trotz des Beschwerdevorbringens die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung offenkundig nicht ins Auge und machte von der Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG keinen Gebrauch. Sie legte am 22.07.2016 die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

§ 1 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

"§ 1 .

(2) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. .

2. 3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller

Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1

Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(3) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(4) "

In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der Stammfassung) unter anderem – soweit im gegenständlichen Fall in Betracht kommend – Folgendes ausgeführt:

"§ 1 Abs. 2 Z 3:

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-

anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-

schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-

fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-

selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-

vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

-

laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

-

Kleinwuchs,

-

gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

-

bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar."

"

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Die Beschwerdeführerin ist unbestritten Inhaber eines Behindertenpasses; der Grad der Behinderung wurde mit 50 v.H. festgestellt. Dem gegenständlichen Verfahren liegt nun ein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Grunde.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt als mangelhaft, und zwar aus folgenden Gründen:

Gemäß § 56 AVG hat der Erlassung eines Bescheides grundsätzlich ein Ermittlungsverfahrens vorauszugehen. Zum einen ist darin der für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebliche Sachverhalt festzustellen, und zum anderen hat es den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Diese Gelegenheit wird den Parteien u.a. durch Gewährung eines Parteiengehörs zum festgestellten Sachverhalt gemäß § 45 Abs. 3 AVG eingeräumt. Das Parteiengehör ist jedenfalls vor der Entscheidung der Behörde zu gewähren. Im gegenständlichen Fall wurde der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten vom 14.04.2016 vor Bescheiderlassung nicht zur Kenntnis gebracht und ihr damit nicht die Möglichkeit gegeben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme und damit zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen.

Zu diesem Verfahrensmangel kommt aber erschwerend insbesondere hinzu, dass - worauf in der Beschwerde ausdrücklich hingewiesen wird - das bereits im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde erstattete Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie leide an Harn- und Stuhlinkontinenz, dies gestützt auf medizinische Befunde, die das tatsächliche Vorliegen einer solchen Funktionseinschränkung jedenfalls nicht ausschließen, von der belangten Behörde nicht berücksichtigt wurde, dies offenkundig auf Grundlage der unzutreffenden Rechtsansicht der belangten Behörde, Stuhl- und Harninkontinenz komme bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass keine rechtliche Relevanz zu. Diese – in dieser Form jedoch unzutreffende - Rechtsansicht kommt auch im oben wiedergegebenen, zum Inhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides erhobenen medizinischen Sachverständigengutachten vom 14.04.2016 zum Ausdruck, in dem ausgeführt wird, Stuhlinkontinenz wie auch Harninkontinenz würden nach den gesetzlichen Vorgaben kein Kriterium für zu Zuerkennung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" darstellen.

Die Beschwerde – eine Stellungnahme im Verfahren vor der belangten Behörde war der Beschwerdeführerin nicht möglich, da ihr kein Parteiengehör zu dem eingeräumten medizinischen Sachverständigengutachten eingeräumt worden war - zielt unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.04.2016, Zl. Ra 2016/11/0018, auf das Vorliegen von einer Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen Stuhl- bzw. Harninkontinenz ab.

In diesem Zusammenhang ist nun zunächst auf das – vor Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides ergangene - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.04.2016, Zl. Ra 2016/11/0018, zu verweisen, in dem der Verwaltungsgerichtshof – unter Zugrundelegung des Vorbingens der Revisionswerberin, sie leide an einer Durchfallerkrankung "mit häufigem und imperativem Stuhlgang" (nach ihren unwidersprochenen Angaben mindestens 20mal pro Tag und mit Flatulenzen verbunden) und seien die Zeitpunkte des Stuhlganges für sie in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar, und abgehend vom in diesem Fall vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten - ausführte, dass es geradezu offenkundig sei und keiner weiteren Erörterung bedürfe, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei diesem Krankheitsbild unzumutbar ist. Daran würden - angesichts der schweren Ausprägung der Erkrankung - die im Handel erhältlichen, vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Inkontinenzprodukte (saugfähige Einmalhosen) nichts ändern.

Der Verfassungsgerichtshof wiederum tätigte in seinem - ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, mit dem ein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" bei Vorliegen von Begleiterscheinungen der Erkrankung Morbus Crohn abgewiesen worden war, behebenden - Erkenntnis vom 23.09.2016, E439/2016, folgende hier auszugsweise wiedergegebene Ausführungen:

" ..

Der Verwaltungsgerichtshof hatte im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" schon wiederholt Krankheitsbilder zu beurteilen, die wiederkehrende Phasen der Inkontinenz beinhaltet haben: Im Erkenntnis vom 17. Juni 2013, 2010/11/0021, wurde der Umstand, dass (im Zusammenhang mit der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn) die "mehrmals im Monat auftretenden Phasen der Stuhlinkontinenz und Flatulenzen unvorhersehbar und schubartig" aufgetreten sind, als Argument für die Annahme der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewertet, insbesondere auf Grund der "Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit" der behaupteten Zustände, wie sie sich damals aus den ärztliche Gutachten ergaben. In seinem Erkenntnis vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142, wurde dieselbe Schlussfolgerung aus den Feststellungen der Behörde gezogen, wonach die damalige Beschwerdeführerin an einer Belastungsinkontinenz litt und täglich sechs bis sieben Mal ihre Vorlagen wechseln musste, wobei mit der Inkontinenz auch eine Geruchsbelästigung verbunden war. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in dem mittlerweile ergangenen Erkenntnis vom 21. April 2016, Ra 2016/11/0018, bestätigt.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Beschwerdefall vergleichbar schwere Begleiterscheinungen der Erkrankung Morbus Crohn zu beurteilen:

2.2.1. Danach leidet der Beschwerdeführer "anchologener Diarrhö mit 5-10 täglichen, auch nächtlichen Stühlen bei Dranginkontinenz". Die tägliche Anzahl der Fälle nicht beherrschbaren Stuhldrangs, mit denen der Beschwerdeführer rechnen muss, übersteigt somit jene aus den Sachverhalten der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 2013 und vom 23. Februar 2011. Die Zeitpunkte des Eintretens des Stuhldrangs sind nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht vorhersehbar und können vom Beschwerdeführer in der Regel auf Grund der Dranginkontinenz auch nicht beeinflusst werden.

2.2.2. Die Annahme, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dennoch zumutbar ist, vermag das Bundesverwaltungsgericht nur darauf zu gründen, dass die handelsüblichen Hilfsmittel (wie Einlagen, saugfähige Einmalhosen) geeignet sind, der durch das Krankheitsbild des Beschwerdeführers bedingten Verunreinigung und Geruchsbelästigung "für den Zeitraum bis zur nächsten Möglichkeit, ein öffentliches Verkehrsmittel zu verlassen" vorzubeugen.

2.3. Wenn das Bundesverwaltungsgericht auf dem Boden dieser Feststellungen die Auffassung vertritt, dass der Beschwerdeführer mit Einlagen die Verschmutzung bewältigen und die Geruchsbelästigung durch Verlassen des Verkehrsmittels "bei der nächsten Möglichkeit" vermeiden kann, dann verkennt es gröblich den Zumutbarkeitsbegriff der Bestimmung des §1 Abs2 Z3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, der – vor dem Hintergrund des offensichtlichen Zwecks der Norm – der Sache nach darauf abstellt, ob die Erreichung des mit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels angestrebten Ziels (wenngleich unter Inkaufnahme gewisser Beschwernisse) aus bestimmten, beispielsweise aufgezählten Gründen nicht gewährleistet ist. In einem solchen Fall kann auch von einer Zumutbarkeit der Benützung nicht mehr die Rede sein.

2.3.1. Daher ist es für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht angesichts dessen zu der rechtlichen Schlussfolgerung gelangen konnte, dass dem Beschwerdeführer, obwohl er im Falle des (jeweils unvorhersehbaren und auch nicht beeinflussbaren) Auftretens eines solchen Dranges die Fahrt nicht fortsetzen kann, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sein soll, obwohl sich der Zweck der Norm nicht etwa in der Vermeidung einer nach außen zu Tage tretenden Verschmutzung oder einer möglichen Geruchsbelästigung von Umstehenden erschöpft.

."

Daraus erhellt, dass sowohl der Verwaltungsgerichtshof als auch der Verfassungsgerichtshof - trotz der gegenteiligen Ausführungen in den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013 - dem Argument, bei Inkontinenz seien die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher und könnten Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen, keine entscheidungserhebliche Relevanz zumessen. Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich weiters, dass – entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde - jedenfalls Stuhlinkontinenz bzw. häufigem imperativem Stuhldrang bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtliche Relevanz zukommen kann.

Die Behörde hat ein Gutachten nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. In Bezug auf die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, die den Verfahrensgegenstand des gegenständlichen Verfahrens bildet, wird das Sachverständigengutachten vom 14.04.2016 – offenkundig ausgehend von einer verfehlten Rechtsansicht - den Anforderungen an die Vollständigkeit und die Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens aber jedenfalls nicht gerecht.

Der medizinische Sachverständige und die belangte Behörde haben sich nicht mit der behaupteten Funktionseinschränkung Stuhl- und Harninkontinenz auseinandergesetzt und diesbezüglich keinerlei Sachverhaltsermittlungen getätigt. Vor dem Hintergrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin, der von ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen sowie der im medizinischen Sachverständigengutachten vom 14.04.2016 unter den Leidenspositionen 1 und 5 festgestellten Leiden "Kollagencolitis" und "Zöliakie", welche das Vorliegen häufiger imperativer Stuhlgänge möglich erscheinen lassen, fehlt im Lichte der oben zitierten Rechtsprechung eine nachvollziehbare gutachterliche bzw. behördliche Auseinandersetzung mit den Fragen insbesondere der Häufigkeit, aber auch der Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit der behaupteten Zustände, wobei auch dem festgestellten Ernährungszustand der Beschwerdeführerin Relevanz zukommen kann; diese entscheidungserheblichen Sachverhaltselemente wurden nicht ermittelt und stehen nicht fest.

Das bisher von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten wird diesbezüglich den Anforderungen an die Schlüssigkeit und Vollständigkeit eines Sachverständigengutachtens daher in Bezug auf die im gegenständlichen Verfahren entscheidungserheblichen Fragen nicht gerecht und ist dieses ergänzungsbedürftig und daher im gegebenen Zusammenhang nicht geeignet, zur ausreichenden Sachverhaltsklärung beizutragen.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig, dies insbesondere auch im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführerin im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hatte sohin erst in der Beschwerde Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten und auszuführen darzulegen, ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen bzw. dass bisher bereits festgestellte und - allenfalls - noch bestehende Leiden bei der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes nicht (ausreichend) berücksichtigt wurden.

Die belangte Behörde machte von der ihr gemäß § 14 VwGVG eingeräumten Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (die unter anderem auch dazu dienen kann, anlässlich des Beschwerdevorbringens bei allenfalls gleichbleibendem Bescheidergebnis wesentliche Sachverhalts- oder auch Begründungselemente nachzutragen) trotz des entsprechenden Beschwerdevorbringens dennoch keinen Gebrauch und legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit dem Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

Im gegenständlichen Fall ist daher davon auszugehen, dass die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes den Sachverhalt – bezogen auf den konkreten Verfahrensgegenstand der Frage der (Un)Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel – nur ansatzweise ermittelt hat bzw. die Ermittlung des Sachverhaltes in den entscheidungswesentlichen Fragen an das Bundesverwaltungsgericht delegiert hat.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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