TE Vwgh Beschluss 2000/9/7 2000/01/0173

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2000
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §32 Abs3 idF 1999/I/004;
AVG §62 Abs1;
VwGG §27 Abs1 idF 1998/I/158;
VwGG §27;
VwGG §62 Abs1;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, in der Beschwerdesache des S B in W, geboren am 21. November 1976, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den unabhängigen Bundesasylsenat wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit des Asylgesetzes den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 6.250,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, reiste am 29. September 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 29. April 1998 sprach das Bundesasylamt (im zweiten Rechtsgang) aus, der Asylantrag werde gemäß § 6 Z. 4 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien sei gemäß § 8 AsylG zulässig (Spruchpunkt II.).

Die dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 18. Mai 1998 ab. Mit Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0396, bei der belangten Behörde eingelangt am 13. April 1999, behob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes. In der Folge führte die belangte Behörde mehrere mündliche Verhandlungen durch. Die letzte fand am 29. Oktober 1999 statt und endete gemäß dem in den Verwaltungsakten erliegenden Protokoll wie folgt:

"Es ergeht verfahrensleitende Verfügung auf Abstandnahme von allen weiteren Beweismitteln wegen Spruchreife des Aktes.

Die Entscheidung ergeht schriftlich.

Die Verfahrensteile verzichten auf die Anberaumung einer Verhandlung zur Verkündung der Berufungsentscheidung."

Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2000, beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt am 4. Mai 2000, erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde, weil die belangte Behörde trotz mehrerer Urgenzen bis dato keinen (neuen) Berufungsbescheid erlassen habe.

Mit Verfügung vom 8. Mai 2000 leitete der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 35 Abs. 3 VwGG das Vorverfahren ein und forderte die belangte Behörde gemäß § 36 Abs. 2 leg. cit. auf, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Verwaltungsakten vorzulegen. Diese Verfügung wurde der belangten Behörde am 24. Mai 2000 zugestellt. In ihrer Gegenschrift vom 29. Mai 2000 wies die belangte Behörde darauf hin, dass mittlerweile der Bescheid erlassen worden sei. Im Übrigen stellte sie - nach Ausführungen zu den Ursachen der Verfahrensdauer - den Antrag, die Beschwerde "als unbegründet abzuweisen".

Der Beschwerdeführer erstattete eine Äußerung, in der er bestätigt, dass nunmehr der ausstehende Bescheid erlassen worden sei. Nichtsdestoweniger liege Säumnis der belangten Behörde vor, weshalb Kostenzuspruch begehrt werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG idF BGBl. Nr. 158/1998 kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Ist - wie im vorliegenden Fall - nach Bescheidaufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof ein Ersatzbescheid zu erlassen, so beginnt die Frist mit Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde zu laufen (Mayer, B-VG2 (1997), § 27 VwGG V.1.). Gegenständlich ist zu beachten, dass nach Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. März 1999 an die belangte Behörde mit 13. April 1999 wiederum ein Berufungsverfahren nach § 6 AsylG anhängig war. Diesbezüglich normiert § 32 Abs. 3 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/1999 Folgendes:

"Abgekürztes Berufungsverfahren

§ 32.(1) ...

(2) ...

(3) Über die Berufung ist binnen zehn Arbeitstagen nach dem Tag des Einlangens bei der Berufungsbehörde zu entscheiden. Die Entscheidungsfrist wird in dem Maße verlängert, als dies für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unerlässlich ist; insgesamt soll das Berufungsverfahren jedoch nicht länger als zwanzig Arbeitstage dauern. Wird die Berufung während der Sicherung als Zurückweisung eingebracht, so ist diese entsprechend länger zulässig."

Mit dieser Bestimmung wird für das abgekürzte Berufungsverfahren vor der belangten Behörde eine Sonderregelung bezüglich der Entscheidungsfristen getroffen. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob dadurch auch die "Wartefrist" für die Säumnisbeschwerde berührt wird. Diese Frage ist indes zu verneinen:

Zwar erfasst § 27 VwGG ungeachtet seines Wortlautes (wonach es darauf ankommt, ob das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht) auch Entscheidungsfristen, die für die oberste anrufbare Behörde erlassen werden (vgl. den hg. Beschluss vom 22. März 1996, Zl. 95/17/0450). Die dargestellte Regelung des § 32 Abs. 3 AsylG ist im Ergebnis jedoch insoferne "offen", als sie keine absolute Höchstfrist festsetzt und sich letztlich (arg.: soll) mit einer Sollensanforderung begnügt (so schon zu § 32 Abs. 3 AsylG in der Stammfassung Stefan Rosenmayr, Grund- und Menschenrechte in Österreich III, 590). Sie vermag daher keine eigenständige Grundlage für ein Säumnisbeschwerdeverfahren zu bilden (vgl. das zu § 73 Abs. 1 AVG ergangene hg. Erkenntnis vom 16. März 1970, Zl. 1769/69, Slg. Nr. 7760/A), sodass auch in den Fällen des abgekürzten Berufungsverfahrens die sechsmonatige Frist des § 27 VwGG maßgeblich bleibt (siehe auch Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Rz 909 b). Davon ausgehend erweisen sich aber die, im Übrigen nicht auf § 32 Abs. 3 AsylG bezugnehmenden Ausführungen der belangten Behörde über die einer früheren Sachentscheidung entgegen stehenden Hindernisse im gegebenen Zusammenhang als unerheblich, zumal die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde kein Verschulden der säumigen Behörde voraussetzt (Mayer, aaO., VI.).

Soweit die belangte Behörde ihren Antrag auf "Abweisung" der Säumnisbeschwerde (gemeint wohl: Zurückweisung) damit begründet, dass der Beschwerdeführer (sein Vertreter) einen Unterbrechungsantrag gestellt habe, ist ihr zu entgegnen, dass ein derartiger Unterbrechungsantrag den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden kann; im Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 1999 ist - bezugnehmend auf ein Strafurteil - lediglich festgehalten, dass seitens der Vertreterin des Asylwerbers ausgeführt werde, dass es notwendig wäre, weitere Informationen zu erhalten, und zwar zum Beweis dafür, dass sich aus dem Urteil "keine Ausschlussgründe der Konvention" ergeben. Im Übrigen ist es jedenfalls ab der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 1999 - im Hinblick auf die Einbringung der Säumnisbeschwerde am 4. Mai 2000 können davor liegende Verfahrensabschnitte außer Betracht bleiben - weder zu einer formellen Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG noch zu einem - untechnischen - "Ruhen des Verfahrens" gekommen; vielmehr war nur mehr die Erlassung des Bescheides ausständig (vgl. die eingangs zitierte Passage aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 1999), weshalb sich der Sachverhalt grundsätzlich von jenen Fallkonstellationen unterscheidet, die etwa den hg. Beschlüssen vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/0307, oder vom 22. Juli 1999, Zl. 98/12/0403, zu Grunde lagen. Auch eine Verfahrenseinstellung nach § 30 AsylG hat nach dem 29. Oktober 1999 nicht stattgefunden. Im Ergebnis hatte damit die belangte Behörde die ihr gemäß § 27 VwGG offen stehende Frist für die Bescheiderlassung jedenfalls am 4. Mai 2000 überschritten, weshalb sich die an diesem Tag beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Säumnisbeschwerde ungeachtet der Ausführungen der belangten Behörde als zulässig erweist.

Im Hinblick auf die unstrittig erfolgte Erlassung des ausstehenden Bescheides nach Einleitung des Vorverfahrens war das Verfahren über die Säumnisbeschwerde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG einzustellen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff , insbesondere auf § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein Fall des § 55 Abs. 2, 3 oder 4 VwGG liegt nicht vor.

Wien, am 7. September 2000

Schlagworte

Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten Verletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - Einstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000010173.X00

Im RIS seit

22.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten