Entscheidungsdatum
25.10.2017Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W169 2101460-3/2E
W169 2101459-3/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX, geb. XXXX, 2. XXXX, geb. XXXX, beide StA. Indien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.09.2017, Zlen. 1. 830901304-161689627, 2. 830901609-1616336483, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung werden zurückgewiesen.
II. Die Beschwerden werden gemäß §§ 57, 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer und seine Lebensgefährtin, die Zweitbeschwerdeführerin, versuchten am 27.06.2013 am Flughafen Schwechat in Österreich einzureisen. Nach Verweigerung der Einreise stellten sie am 28.06.2013 beim Bundesasylamt Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 23.07.2013 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen wurden. Zudem wurde ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung Zypern zuständig ist.
Gegen diese Bescheide brachten die Beschwerdeführer Beschwerden beim Asylgerichtshof ein.
In der Folge wurde den Beschwerdeführern nach einer telefonischen Auskunft seitens des Asylgerichtshofes, wonach den Beschwerden stattgegeben werden würde, am 08.08.2013 die Einreise gestattet.
Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 27.12.2013 wurde den angeführten Beschwerden stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.
Daraufhin wurden die Beschwerdeführer unter Ausfolgung von Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 51 AsylG zum Asylverfahren zugelassen und am 16.09.2014 sowie am 19.01.2015 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2015 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 28.06.2013 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen, ihnen der Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zuerkannt und diese Entscheidungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG mit Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG verbunden. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 oder 55 AsylG wurden ihnen nicht erteilt und es wurde festgestellt, dass die Abschiebungen der Beschwerdeführer nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sind. Die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Die dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2015 als unbegründet abgewiesen.
Am 15.10.2015 stellten die Beschwerdeführer neuerlich Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2015 bzw. 17.12.2015 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden.
Die dagegen eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.03.2016 als unbegründet abgewiesen.
Am 05.12.2016 bzw. am 15.12.2016 stellten die Beschwerdeführer die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.12.2016 führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er Österreich seit seinem ersten Asylantrag im Jahr 2013 nie verlassen habe. Auf die Frage, warum er nun einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stelle, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass seine alten Asylgründe nach wie vor aufrecht seien. Es habe jedoch Änderungen gegeben, zumal vor drei Wochen der Vater seiner Lebensgefährtin in Indien eine Anzeige gegen den Erstbeschwerdeführer, seinen Vater und seinen Bruder erstattet habe, zumal der Beschwerdeführer angeblich seine Tochter entführt habe. Deshalb sei der Vater des Erstbeschwerdeführers von der Polizei festgenommen und ins Gefängnis gesperrt worden; nach seinem Bruder werde noch gesucht. Folglich werde auch er in Indien von der Polizei gesucht. Außerdem würde ihn noch immer die Familie seiner Freundin verfolgen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, dass diese ihn töte.
Die Zweitbeschwerdeführerin führte im Rahmen ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.12.2016 aus, dass sie Österreich seit der Stellung ihres ersten Antrages auf internationalen Schutz nicht verlassen habe. Sie stelle einen neuerlichen Asylantrag, da ihr Vater den Vater ihres Lebensgefährten angezeigt habe und dieser deshalb festgenommen worden sei, zumal ihr Vater behauptet habe, ihr Lebensgefährte habe sie entführt. Sie könne derzeit nicht mehr nach Indien zurück; sie würde von ihrer Familie nicht mehr akzeptiert werden und es bestehe die Gefahr eines Ehrenmordes.
Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 31.03.2017 führte der Erstbeschwerdeführer auf die Frage, warum er neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz stelle, aus, dass sie beim ersten Asylantrag falsche Angaben gemacht hätten, weil sie sehr nervös gewesen seien. Beim zweiten Antrag hätten sie alle Angaben wahrheitsgemäß getätigt; trotzdem sei dieser Antrag gleich nach zwei Monaten negativ entschieden worden. Seine alten Fluchtgründe seien noch immer aufrecht; sie hätten sich aber verschlimmert, zumal der Vater seiner Lebensgefährtin seine Familie angezeigt und bei der Polizei angegeben habe, dass der Beschwerdeführer seine Tochter entführt habe. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben. Er fürchte sich vor der Familie seiner Lebensgefährtin und auch vor der Polizei. Er könne keine Dokumente, welche seine Identität bestätigen würden, vorlegen. Nach Vorhalt, dass er am 21.12.2016 eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl übernommen habe, in welcher ihm mitgeteilt worden sei, dass seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Absicht bestehe, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zum Erstverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergeben habe, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er seit vier Jahren in Österreich sei und immer auf selbstständiger Basis gearbeitet habe. Er habe nie Sozialhilfe beantragt oder bezogen. Da er einen zweiten negativen Bescheid bekommen habe, sei sein Gewerbe ruhend gestellt worden. Er bitte ihm zu erlauben, hier ein "offizielles anständiges Leben zu führen".
Nach Vorhalt von aktuellen Länderfeststellungen zu Indien führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er wisse, wie die Situation in Indien sei. Er wolle auf keinen Fall dorthin zurück, zumal ihm dort Gefahr drohe. Außerdem würden in den Länderfeststellungen nur positive Dinge stehen.
Zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er keine Verwandten in Österreich habe. Er lebe mit seiner Lebensgefährtin, der Zweitbeschwerdeführerin, im gemeinsamen Haushalt. Er habe als selbstständiger Pizzazusteller gearbeitet. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation. Er könne Deutsch lesen, sprechen, aber auch ein wenig schreiben. Seine Eltern, zwei jüngere Brüder sowie Onkeln und Tanten seien noch in Indien. Zu seinen Familienangehörigen habe er keinen Kontakt.
Im Rahmen der Einvernahme legte der Erstbeschwerdeführer Einkommensteuerbescheide aus den Jahren 2014, 2015 und 2016, einen Mietvertrag, ein A2-Sprachzeugnis sowie einen Meldezettel vor.
Die Zweitbeschwerdeführerin führte im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.03.2017 auf die Frage, warum sie einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stelle, aus, dass ihre Fluchtgründe noch immer aufrecht seien und ihr Leben in Indien weiterhin in Gefahr sei. Sie habe Angst vor ihrer Familie; ihr jüngerer Bruder habe sie bereits mehrere Male bedroht. Sie bekomme regelmäßig Bedrohungen von ihrem Bruder über WhatsApp. Diese Bedrohungen hätten bereits in Indien angefangen und würden bis jetzt andauern. Dies habe alles mit den Gründen zu tun, welche sie bereits im Vorverfahren angegeben habe. Sie habe sich von einem Mann, den ihre Familie für sie ausgesucht habe, scheiden lassen. Ihren nunmehrigen Lebensgefährten, mit dem sie in Wien zusammenlebe, habe sie bereits vor der Eheschließung kennengelernt. Sie sei aber gezwungen worden, einen Mann zu heiraten, den sie nicht gewollt habe. Nach der Scheidung habe sie sich wieder ihrem nunmehrigen Lebensgefährten zugewandt. Ihrer Familie habe dies aber nicht gefallen und diese habe ihr gedroht, sie zu töten, falls sie ihren nunmehrigen Lebensgefährten heiraten bzw. ihn wieder treffen werde. Auch ihr Ex-Ehemann wolle sie töten, weil sie ihn wegen eines anderen Mannes verlassen habe.
Nach Vorhalt, dass sie am 21.12.2016 eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes übernommen habe, in welcher ihr mitgeteilt worden sei, dass seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Absicht bestehe, ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zu ihrem Erstverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergeben habe, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass sie auf keinen Fall nach Indien zurückwolle, zumal ihr Leben dort in Gefahr sei. Sie sei seit vier Jahren in Österreich und habe sich immer selbst versorgt. Sie habe auch zweimal versucht, auf selbstständiger Basis zu arbeiten. Da sie aber keinen legalen Status besitze, habe sie keine Aufträge bekommen. Sohin habe sie beide Gewerbe ruhen lassen. Sie bitte, ihr eine Bestätigung zu geben, damit sie einer legalen Beschäftigung nachgehen könne.
Nach Vorhalt von aktuellen Länderfeststellungen zur Lage in Indien führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass das, was man in den Zeitungen und in den Berichten im Internet über Indien lese, in Wirklichkeit nicht stimme.
Zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass sie mit ihrem Lebensgefährten, dem Erstbeschwerdeführer, in Österreich im gemeinsamen Haushalt lebe. Ansonsten habe sie keine Verwandten in Österreich. Sie habe einen A2-Deutschkurs besucht und könne ein diesbezügliches Zeugnis vorlegen. Ihre Eltern, ihre zwei Brüder sowie Onkeln, Tanten und Cousinen würden nach wie vor in Indien leben. Zu ihren Familienangehörigen in Indien habe sie keinen Kontakt. Sie sei kein Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation in Österreich. Ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet könne sie insofern bestreiten, als sie in der Nacht Zeitungen austeile; darüber hinaus bekomme sie monatlich € 600 bis € 650 von ihrem Cousin aus Kanada überwiesen.
Mit den angefochtenen Bescheiden wurde die (dritten) Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Beschwerdeführern kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
Begründend wurde hinsichtlich des Spruchpunktes I. ausgeführt, dass ein neuer Sachverhalt, welcher eine anders lautende Entscheidung in der Sache rechtfertigen würde, nicht vorliege. Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der Beschwerdeführer gelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amtswegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung der Anträge nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, seien die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Hinsichtlich des Spruchpunktes II. wurde festgehalten, dass eine der Rückkehr entgegenstehende Integration der Beschwerdeführer ebenso wenig erkannt werden könne, wie eine der Rückkehr entgegenstehende Situation nach Indien.
Gegen Spruchpunkt II. und III. der angefochtenen Bescheide wurde von den Beschwerdeführern durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass die Behörde entschieden habe, ohne eine "mündliche Verhandlung" durchzuführen, in der sie ihre persönlichen Standpunkte hätten darlegen können. Sie seien seit Juni 2013 in Österreich und mittlerweile sowohl beruflich als auch privat/sozial integriert. Sie hätten in Österreich viele Freunde, wohingegen sie in Indien so gut wie keine Kontakte mehr hätten. Der Erstbeschwerdeführer betreibe in Österreich ein Kleintransportgewerbe, sei als selbständiger Unternehmer tätig und in der Lage, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Die Zweitbeschwerdeführerin betreibe in Österreich das Gewerbe der Hausbetreuung und sei ebenfalls in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Die Beschwerdeführer würden in Österreich im gemeinsamen Haushalt leben und beabsichtigen, hier zu heiraten, sobald ihre beiden Aufenthaltsverfahren positiv entschieden seien. Auch wenn ihre Asylverfahren rechtskräftig erledigt seien, gäbe es berücksichtigungswürdige Gründe, ihnen einen Aufenthaltstitel zu gewähren. In Indien sei ihnen die Eheschließung aufgrund der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kasten verwehrt. Weil die Beschwerdeführer in Österreich bereits verfestigt seien, würde die Ausreise in ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK eingreifen. Weiters hätten sie das Modul der Integrationsvereinbarung erfüllt, zumal sie bereits die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgeschlossen hätten, wobei zum Beweis dafür die A2 Zeugnisse vom 16.02.2017 vorgelegt wurden. Zudem werde der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerden sowie auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1 Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Indien. Ihre Identitäten stehen nicht fest. Sie beherrschen die Sprachen Punjabi; die Zweitbeschwerdeführerin spricht zudem auch ein wenig Englisch und Hindi. In Indien leben die Eltern, die Brüder sowie Onkeln und Tanten der Beschwerdeführer sowie Cousinen der Zweitbeschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführer versuchten am 27.06.2013 am Flughafen Wien Schwechat in Österreich einzureisen. Nach Verweigerung der Einreise stellten sie am 28.06.2013 ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2013 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen wurden. Zudem wurde ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II. Verordnung Zypern zuständig ist. Am 08.08.2013 wurde den Beschwerdeführern die Einreise in das österreichische Bundesgebiet gestattet. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 27.12.2013 wurde den Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 23.07.2013 stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. Daraufhin wurden die Beschwerdeführer unter Ausfolgung von Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 51 AsylG zum Asylverfahren zugelassen. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2015 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 28.06.2013 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen und diese Entscheidungen mit Rückkehrentscheidungen verbunden. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern nicht erteilt und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Indien zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2015 als unbegründet abgewiesen.
Am 15.10.2015 stellten die Beschwerdeführer neuerlich Anträge auf internationalen Schutz und wurden diese mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2015 bzw. 17.12.2015 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Die dagegen eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.03.2016 als unbegründet abgewiesen.
Am 05.12.2016 bzw. am 15.12.2016 stellten die Beschwerdeführer ihre dritten, die gegenständlichen, Anträge auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführer halten sich seit Abschluss ihres Asylverfahrens durch Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2015 unrechtmäßig in Österreich auf. Sie sind ihrer Ausreiseverpflichtung nach Indien bisher nicht nachgekommen.
Die Beschwerdeführer haben keine Verwandten oder sonstigen Familienangehörige in Österreich. Die Beschwerdeführer leben in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Sie haben beide einen A2 Deutschkurs absolviert und sprechen Deutsch. Die Beschwerdeführer sind in Österreich nicht Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation. Sie verfügen über einen Freundeskreis in Österreich. Die Beschwerdeführer sind gesund und stehen im erwerbsfähigen Alter. Sie nehmen keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch; der Erstbeschwerdeführer arbeitet als Pizzazusteller und die Zweitbeschwerdeführerin trägt in Österreich Zeitungen aus. Darüber hinaus bekommt die Zweitbeschwerdeführerin monatlich € 600 bis € 650 finanzielle Unterstützung von ihrem Cousin aus Kanada.
Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für den Aufenthalt aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
1.2. Zur Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:
Sicherheitslage
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).
Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011
Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_09493FC61FD08185D486477F8D93E1EE/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016
-
Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,
http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 5.12.2016
-
ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):
Asylländerbericht Indien
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SATP - South Asia Terrorism Portal (9.1.2017): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2016,
http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.1.2017
Allgemeine Menschenrechtslage
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.8.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.8.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.8.2016).
Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.4.2016).
Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:
Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.8.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.8.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).
Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.4.2016).
Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.4.2016).
Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC forderte von den Bundesstaatenregierung, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Behörden haben die Streitkräfte nicht dazu aufgefordert, Todesfälle während der Haft an die NHRC zu melden (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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BICC - Bonn International Centre for Conversion (6.2016):
Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien,
http://ruestungsexport.info/uploads/pdf/countries/201607/indien.pdf, Zugriff 13.12.2016
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NHRC - The National Human Rights Commission India (o. D.): The National Human Rights Commission India, http://www.nhrc.nic.in/Documents/Publications/NHRCindia.pdf, Zugriff 5.1.2017
-
ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):
Asylländerbericht Indien
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USDOS – US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 13.12.2016
Religionsfreiheit
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.8.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016), ordnet eine säkularen Staat an, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteilich zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht setzen die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.8.2016). Der Schutz umfasst sowohl die innere Glaubensfreiheit als auch die Ausübung und im Prinzip auch die Verbreitung der Religion (AA 16.8.2016). Religionsfreiheit wird im Allgemeinen auch in der Praxis respektiert (FH 27.1.2016) und kaum eingeschränkt (AA 16.8.2016). Premierminister Modi hat sich im Februar 2015 zur Religionsfreiheit und der Gleichwertigkeit aller Religionen bekannt (AA 25.4.2015). Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgruppen werden von der Regierung nicht geduldet (AA 25.4.2015). Das friedliche Nebeneinanderleben im multi-ethnischen, multi-religiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 12.2016). Die existierenden Spannungen, haben in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen geführt (zuletzt 2013 in Muzzafarnagar/Uttar Pradesh mit mehr als 40 Toten) (AA 16.8.2016). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonvertierungen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Änderung seiner religiösen Überzeugung zum Ziel haben sowie zu Diskriminierung und Vandalisumus. Es kommt auch zu Bedrohungen und Übergriffen von Hindu-Nationalisten auf Muslime und Christen sowie zur Zerstörung ihres Eigentums aufgrund ihres Glaubens und im Zuge von Streitereien über die örtliche Lage von Kirchen und Moscheen (USDOS 10.8.2016).
Die größten religiösen Gruppen, nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung bei der Volkszählung aus dem Jahr 2001, sind Hindus (79,8%), Muslime (14,2%), Christen (2,3%) und Sikhs (1,7%) (CIA Factbook 12.12.2016). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.8.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016), deren Vertreter in einer staatlichen Nationalen Minderheitenkommission sitzen. Hinzu kommen eine schier unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher indigener Volksgruppen mit eigenen animistischen Riten ("Adivasis" genannt), und die zahlenmäßig kleinen jüdischen und Bahai-Gemeinschaften (AA 16.8.2016). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.8.2016).
Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit Hindumehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder "Verlockung" erfolgt - was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen. Manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 27.1.2016). In sechs der 29 Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Gujarat, Himachal Pradesh, Chhattisgarh, Odisha, und Madhya Pradesh) bestehen Anti-Konvertierungsgesetze. Es gibt in diesem Zusammenhang Berichte über Verhaftungen, jedoch nicht über Verurteilungen nach diesem Gesetz In Arunachal Pradesh ist dieses Anti-Konvertierungsgesetz aufgrund fehlender Freigabe der Gesetzgebung nicht implementiert. Ausländische Missionare jeglicher Religionszugehörigkeit benötigen "Missionsvisa" ("missionary visa") (USDOS 10.8.2016).
Bundesorgane, einschließlich des Ministeriums für Minderheitenangelegenheiten (Ministry for Minority Affairs), die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) und die Nationale Kommission für Minderheiten (National Commission for Minorities - NCM) können Behauptungen über religiöse Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.8.2016). Religiöse Minderheiten, vor allem Muslime und Christen, werfen den Behörden vor, nicht genug zum Schutz ihrer Rechte zu tun (HRW 27.1.2016).
Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Die Regierung gewährt bei der Ausarbeitung dieser Gesetze erhebliche Autonomie für die Personenstandsgremien. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamisches Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.8.2016). Im Familienrecht genießen Muslime wie auch Christen besondere Freiheiten, die ihnen die Beachtung ihrer Traditionen ermöglichen (AA 16.8.2016).
Der Wahlsieg der hindu-nationalen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; die Debatte zu religiös motivierter Gewalt wird lebhaft und kontrovers geführt (AA 16.8.2016). Im Vorfeld der Wahlen kam es 2013 zu Vorfällen von Gewalt gegen religiöse Minderheiten. Regierungsquellen zufolge wurden dabei in 823 Vorfällen 133 Personen getötet und 2.269 verletzt (HRW 29.1.2015). Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Religionsgruppen im Jahr 2015 haben nach offiziellen Angaben zugenommen: Im Vergleich zum Vorjahr gab es rund 17% mehr Zwischenfälle (von 644 auf 751), mit insgesamt 97 Toten (95 in 2014). 2.264 Personen wurden bei derartigen Zwischenfällen verletzt (1.921 im Vorjahreszeitraum). Die Mehrzahl der Übergriffe dürfte hindu-fundamentalistisch motiviert sein; eine offizielle Aufschlüsselung gibt es nicht. Gewalttätige Übergriffe durch selbsternannte Retter der "gau mata" (Heilige Mutter Kuh im Hinduismus) haben an Intensität und Zahl zugenommen (AA 16.8.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (25.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien
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CIA - Central Intelligence Agency (12.12.2016): The World Factbook
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India,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017
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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/327703/468368_de.html, Zugriff 21.12.2016
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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/295494/430526_de.html, Zugriff 21.12.2016
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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/318378/457381_de.html, Zugriff 21.12.2016
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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):
Asylländerbericht Indien
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USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - India, http://www.ecoi.net/local_link/328426/469205_de.html, Zugriff 21.12.2016
Ethnische Minderheiten
Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 12.2016). Die Verfassung enthält eine Garantie zum Schutz vor Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Rasse, Kaste, Geschlecht oder Geburtsort. Minderheiten haben das Recht auf eigene Bildungseinrichtungen sowie auf Pflege ihrer Sprache und Kultur (AA 16.8.2016). Das Gesetz räumt dem Präsidenten auch die Befähigung ein, benachteiligte Kasten und Stämme für spezielle Quoten und Begünstigungen zu bestimmen (USDOS 13.4.2016). Gesetze setzen Quoten bei Bildungseinrichtungen und Regierungsanstellungen für sogenannte "registrierte" Kasten (Dalits) und Stämme, sowie einige andere sogenannte "benachteiligte Klassen", fest (FH 27.1.2016).
Historisch sind weite Teile der Gesellschaft in Kasten oder Clans organisiert (USDOS 13.4.2016) und Mitglieder unterer Kasten und Minderheiten sind weiterhin alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt (FH 27.1.2016). Die Kaste ist ein komplexes traditionelles Hierarchiesystem, das auf ritueller Reinheit und Berufsgruppen beruht. Obwohl mit der Verfassung von 1949 Kastendiskriminierung verboten wurde, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 13.4.2016). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit, die in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt sind und auf sozialen und religiösen Traditionen fußen und vielfach implizit verlaufen, jedoch weit verbreitet (USDOS 13.4.2016).
Um Minderheiten stärker in das öffentliche Leben zu integrieren und ihre Teilhabe zu erhöhen, erfahren die unterste Schicht der Kastenordnung (sog. "Dalits" oder "Unberührbare") sowie die Adivasis eine positive Diskriminierung, deren Zulässigkeit in der Verfassung festgeschrieben ist. Im Bildungswesen (u.a. Studienplätze) und in der staatlichen Verwaltung (u.a. Stellenvergabe) sind Quoten von bis zu 49,5% für die sogenannten "Scheduled" Castes and "Scheduled" Tribes ("scheduled" = in der Verfassung erwähnte Kasten und Stämme) sowie für andere benachteiligte Gruppen, "Other Backward Castes", vorgesehen. Quoten werden auf zentralstaatlicher Ebene nur nach Kastenzugehörigkeit und sozialem Status, nicht aber nach Religion, zugeordnet. Allerdings gibt es in einigen Bundesstaaten Quotenregelungen für bestimmte religiöse Gemeinschaften, so z.B. in Tamil Nadu, Kerala und Andhra Pradesh für "rückständige" Christen und Muslime (AA 16.8.2016).
Trotz dieser umfangreichen positiven Förderprogramme, weitreichender gesetzlichen Schutzbestimmungen und verfassungsmäßigem Verbot von "Unberührbarkeit" (Artikel 17) werden Angehörige von niederen Kasten und Dalits in Indien noch immer massiv und systematisch diskriminiert, vor allem auch durch Polizei und Strafjustiz (AA 16.8.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016).
Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Bei den Wahlen 2014 waren 84 Sitze für Kandidaten der geschützten Kasten und 47 für jene der geschützten Stämme reserviert, was insgesamt 24% der Sitze im Unterhaus ergab. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 13.4.2016).
Englisch genießt den Status der sekundär offiziellen Sprache, ist aber die wichtigste Sprache für nationale, politische und wirtschaftliche Kommunikation. Hindi ist die am weitest verbreitet gesprochene Sprache und die Hauptsprache von 41% der Menschen. Es gibt 14 weitere offizielle Sprachen: Bengali, Telugu, Marathi, Tamil, Urdu, Gujarati, Malayalam, Kannada, Oriya, Punjabi, Assamese, Kashmiri, Sindhi, und Sanskrit. Hindustani ist eine populäre Variante des Hindi/Urdu und wird weitgehend im Norden Indiens gesprochen, ist aber gemäß Zensus aus dem Jahr 2001 keine offizielle Sprache (CIA Factbook 12.12.2016). Die nationale Volkszählung kategorisiert die Bevölkerung anhand der gesprochenen Sprachen, aber nicht nach rassischen oder ethnischen Gruppen (USDOS 13.4.2016).
Vor allem in Indiens abgelegenen Nordosten gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Stämme und Ethnien. Ihr Verhältnis untereinander und gegenüber der Zentralregierung birgt großes
Konfliktpotential. Dieses beruht v.a. auf der Missachtung der großen ethnischen und kulturellen Vielfalt der dortigen Bevölkerungsgruppen, ihren Bestrebungen zur Wahrung ihrer kulturellen Identität sowie auf der wirtschaftlichen Vernachlässigung seitens der indischen Zentralregierung (AA 16.8.2016). Kinder aus vulnerablen Gemeinschaften sind Formen der Diskriminierung aufgrund ihrer Kasten- oder Religionszugehörigkeit sowie ihrer Ethnie ausgesetzt (HRW 27.1.2016).
Konfliktfördernd ist v.a. auch der als Bedrohung wahrgenommene, unkontrollierte Zustrom illegaler (muslimischer) Einwanderer, vor allem aus Bangladesch. Es gibt ca. 100 Rebellengruppen, deren Aktivitäten bis heute zehntausende Menschenleben gekostet haben. Aktionen von Polizei und Militär richten sich gegen diese militante Gewalt, nicht aber gegen bestimmte Ethnien (AA 16.8.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
-
CIA - Central Intelligence Agency (12.12.2016): The World Factbook
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India,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017
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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/327703/468368_de.html, Zugriff 22.12.2016
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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/318378/457381_de.html, Zugriff 16.12.2016
-
ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):
Asylländerbericht Indien
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USDOS - US Department of State (13.4.2016): India, Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 21.12.2016
Relevante Bevölkerungsgruppen
Die Verfassung verbietet Diskriminierung auf Basis von Rasse, Geschlecht, Invalidität, Sprache, Geburtsort, Kaste oder sozialen Status. Die Regierung arbeitet mit unterschiedlichem Erfolg an der Durchsetzung dieser Bestimmungen (USDOS 13.4.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016).
Quellen:
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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 23.12.2016
-
BICC - Bonn International Centre for Conversion (6.2016):
Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien,
http://ruestungsexport.info/uploads/pdf/countries/201607/indien.pdf, Zugriff 7.12.2016
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung und die Regierung