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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im AnlassfallSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen nigerianischen Staatsangehörigen, der am 5. Oktober 2001 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser Antrag wurde am 29. Oktober 2002 rechtskräftig abgewiesen. Der Beschwerdeführer ist verheiratet; seine Ehefrau und Kinder leben in Ungarn. Er wurde sowohl im Jahr 2003 als auch im Jahr 2011 strafgerichtlich verurteilt.
Mit Bescheid vom 18. Juli 2016 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht und erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß §10 Abs2 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs1 Z1 FPG (Spruchpunkt I). Das BFA stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II) und erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III). Der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß §18 Abs2 Z1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV). In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids ist die Beschwerdefrist mit zwei Wochen angegeben.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. September 2016 wegen Verspätung zurück. Der Bescheid des BFA sei dem Beschwerdeführer am 18. Juli 2016 persönlich übergeben und damit zugestellt worden; die Übernahme an diesem Tag sei auch nach Übermittlung des Verspätungsvorhaltes nicht bestritten worden. Gemäß §16 Abs1 BFA-VG bestehe eine zweiwöchige Beschwerdefrist in den Fällen des §3 Abs2 Z2, 4 und 7 BFA-VG. In diesem Verfahren liege ein Fall des §3 Abs2 Z4 BFA-VG vor; die Beschwerdefrist habe daher am 1. August 2016 geendet. Die am 12. August 2016 beim BFA eingebrachte Beschwerde sei daher verspätet.
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet wird.
Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung aber Abstand genommen.
3. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26. September 2017, G134/2017 ua., die Wortfolge "2, 4 und" sowie den zweiten Satz in §16 Abs1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 24/2016, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Erlassung des angefochtenen Beschlusses eine der als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, hat auch für den Verfassungsgerichtshof die Wirkung, dass er die betreffenden Bestimmungen nicht mehr anzuwenden hat (vgl. etwa VfSlg 12.954/1991, 15.401/1999; VfGH 14.12.2005, B1025/04; 29.6.2011, B308/11; 9.6.2016, E543/2016).
4. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.
Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
VfGH / Anlassfall, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E2715.2016Zuletzt aktualisiert am
06.11.2017