TE OGH 2017/9/27 7Ob88/17t

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Veröffentlicht am 27.09.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G***** K*****, vertreten durch Mag. Dr. Maximilian Motschiunig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei L***** B***** K*****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wegen 30.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 28. März 2017, GZ 2 R 37/17d-63, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 4. Jänner 2017, GZ 45 Cg 58/15w-51, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16. Februar 2017, GZ 45 Cg 58/15w-59, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden – abgesehen von der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Feststellungsbegehrens betreffend die Haftung der Beklagten für die künftigen Schäden aus einer 5 %-igen Sehkraftminderung des rechten Auges des Klägers – aufgehoben und dem Erstgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Entscheidung über die Kosten aller drei Instanzen bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

Der Kläger suchte am 16. 5. 2011 die Augenambulanz eines Klinikums auf, dessen Rechtsträgerin die Beklagte ist. OA Dr. J***** J***** untersuchte den Kläger am rechten Auge und diagnostizierte eine Choriorethinopathia Centralis Serosa (CCS; Flüssigkeitsansammlung unter der zentralen Netzhaut). Er beschrieb dies dem Kläger als eine stressbedingte Erkrankung und nannte zwei Behandlungsmethoden, nämlich eine konservative mit Augentropfen und eine – als „nicht die vordringlichste“ bezeichnete – Laserbehandlung. Er schlug dem Kläger vor, vorerst abzuwarten und Stress zu vermeiden, weil eine sofortige Behandlung nicht notwendig sei und es sein könne, dass die Krankheit von allein ausheilt.

Tatsächlich heilt CCS in 80 bis 90 % der Fälle innerhalb von einem bis sechs Monaten spontan ab. Es gibt für diese Krankheit keine evidenzbasierte, zugelassene Therapie, daher wird in den meisten Fällen zunächst auf eine spontane Verbesserung durch Resorption der Flüssigkeit gewartet.

Tritt innerhalb von zwölf Wochen keine wesentliche Abflachung und/oder Resorption der Flüssigkeitsansammlung unter der Netzhaut ein, kommt es binnen drei Monaten zu einer Zunahme von verzerrtem Sehen oder zu einer weiteren Sehverschlechterung – der Verlauf der CCS sollte regelmäßig mit einer Schichtanalyse der Netzhaut (OCT) evaluiert werden –, sollte die Durchführung einer dosisreduzierten photodynamischen Therapie („PDT“;„Lasertherapie“) erwogen werden. Die Rezidivrate der Erkrankung liegt bei ca 30 %. 10 % der Patienten erleiden mehrere Rezidive. Häufige Rezidive reduzieren die Visusprognose (Sehleistungsprognose), weil die Abheilung oft mit Defekten in der Netzhautschicht unter den Sehzellen einhergeht und zentrale Netzhautsinneszellen und feine Aderhautgefäße absterben und/oder Gefäßwucherungen in der Aderhaut auftreten. Wenn keine Flüssigkeitsansammlung mehr vorhanden ist, ist grundsätzlich keine Behandlung mehr erforderlich; weitere regelmäßige Kontrollen der Sehleistung zur Dokumentation von Rezidiven sind auch nach kompletter Resorption der subretinalen Flüssigkeit sinnvoll.

Am 16. 8. 2011 nahm der Kläger den am 16. 5. 2011 vereinbarten Kontrolltermin im Klinikum wahr. Nach diversen Untersuchungen teilte ihm die Ärztin Dr. K***** W***** mit, dass die Flüssigkeitsansammlungen bzw die Durchlöcherungen der Netzhaut verheilt seien, alles in Ordnung sei und seine Sehkraft wieder 100 % betrage. Sie erklärte ihm, dass bei neuerlichen Beschwerden jederzeit eine Kontrolle oder eine Wiedervorstellung möglich sei. Anlässlich dieses Kontrolltermins wurde mit dem Kläger nicht über die Ursache und die Art der Krankheit und darüber gesprochen, auf welche konkreten Beschwerden er zukünftig zu achten habe, bei deren Auftreten aufgrund des Risikos von bleibenden Schäden ein Augenarzt aufzusuchen ist. Er wurde nicht darüber aufgeklärt, dass die Krankheit, wenn sie wieder auftritt und zu spät behandelt wird, einen bleibenden Sehkraftverlust zur Folge haben kann, weil eine längere Flüssigkeitsansammlung die Sehzellen schädigt, weshalb regelmäßig der Gesundheitszustand zu kontrollieren und Augenarzttermine wahrzunehmen seien.

Im Sommer und Herbst 2011 hatte der Kläger keine Probleme mit seinen Augen. Um die Weihnachtszeit 2011 bemerkte er eine mit der im Mai 2011 aufgetretenen nicht vergleichbare Sehschwäche („unscharfes Sehen“), die er auf altersbedingte Weitsichtigkeit zurückführte. Die im Mai 2011 aufgetretene Erkrankung erachtete er als ausgeheilt. Der Kläger wäre noch im Dezember 2011 zu einer Augenuntersuchung gekommen, wenn er darüber aufgeklärt worden wäre, dass bei einer CCS die Rezidivrate 30 % beträgt, bleibende Schäden möglich sind und deshalb bei jeder Art von Sehverschlechterung regelmäßige Kontrollen empfehlenswert sind. Nach einer Untersuchung im Dezember 2011 hätte ein behandelnder Augenarzt bei fehlender Rückbildung des Ödems nach ein bis drei Monaten „am ehesten eine reduzierte photodynamische Therapie indiziert“ (PDT-Lasertherapie), welche mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 bis 50 % eine „Visusverbesserung über zwei Zeilen“ (auf der augenärztlichen Sehprobentafel) ermöglicht hätte.

Tatsächlich suchte der Kläger erst am 31. 5. 2012 das Klinikum auf, wo OA Dr. J***** am rechten Auge des Klägers CCS im Sinn eines Rezidivs diagnostizierte. Nachdem Dr. J***** den Kläger wieder über die zwei Behandlungsmethoden, nämlich Augentropfen oder „PDT mit reduzierter Fluens“, aufgeklärt hatte, wurde in Absprache mit dem Kläger vorerst mit einer Therapie zugewartet und ein Kontrolltermin in fünf Wochen vereinbart. Anlässlich des Kontrolltermins am 6. 7. 2012 legte Dr. J***** dem Kläger nahe, zur Abklärung einen Untersuchungstermin an der Universitätsklinik G***** zu vereinbaren, wo am 18. 10. 2012 ebenfalls CCS diagnostiziert wurde. Anlässlich dieses Untersuchungstermins an der Universitätsklinik wurde dem Kläger erstmals erklärt – dass ihm Dr. J***** dies schon zuvor erklärt hatte, steht nicht fest –, dass durch die Flüssigkeit im Auge Sehzellen irreversibel geschädigt wurden.

Derzeit hat der Kläger am rechten Auge ein Restsehvermögen von 5 %.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von 30.000 EUR sA und die Feststellung ihrer Haftung „für sämtliche künftigen Schäden aus der zwischenzeitig kausalen 100%-igen Sehkraftminderung des rechten Auges, die dem Kläger in Zukunft entstehen“. Die ärztlichen Erfüllungsgehilfen der Beklagten hätten ihn darüber aufklären müssen, dass seine Netzhauterkrankung jederzeit wieder auftreten könne, daher, insbesondere bei neuerlichen Beschwerden, regelmäßige augenärztliche Kontrollen erforderlich seien, weil sonst ein irreversibler Sehkraftverlust drohe. Wäre eine solche Aufklärung erfolgt, hätte sich der Kläger beim neuerlichen Auftreten von Symptomen sofort in Behandlung begeben und alle empfohlenen Behandlungen wahrgenommen, wodurch ein neuerlicher Netzhautschaden vermieden worden wäre. Beim Kläger liege ein Dauerschaden vor, der zu Spätfolgen führen könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Der Kläger sei über das mögliche Wiederauftreten der Erkrankung aufgeklärt und ihm aufgetragen worden, bei Wiederauftreten von Beschwerden sofort vorstellig zu werden. Die reduzierte photodynamische Therapie, deren Anwendung im Ermessen des jeweiligen Arztes stehe, hätte nur theoretisch die Sehkraft des Klägers verbessern können. Da der Kläger erst am 31. 5. 2012, also ein halbes Jahr nach dem Auftreten von Beschwerden, die Augenambulanz im Klinikum aufgesucht habe, treffe ihn ein Mitverschulden.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzengeldes von 10.000 EUR sA und stellte fest, dass die Beklagte dem Kläger für sämtliche künftigen Schäden hafte resultierend aus dem Umstand, dass er aufgrund mangelhafter Aufklärung betreffend seine Augenerkrankung am rechten Auge im Jahr 2011 per 8. 11. 2016 (Verhandlungsschluss) am rechten Auge nur mehr einen Visus von 5 % statt 20 % aufweise. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 20.000 EUR sA und das Feststellungsmehrbegehren wies das Erstgericht ab. Es führte rechtlich aus, die Ärzte der Beklagten hätten allenfalls schon am 16. 5. 2011, jedenfalls aber am 16. 8. 2011 ihre Aufklärungspflicht verletzt. Der Kläger wäre darüber aufzuklären gewesen, welche Risiken ein mit 30%-iger Wahrscheinlichkeit auftretendes Rezidiv berge, dass nämlich häufigere oder längere Flüssigkeitsansammlungen die Sehleistung bleibend reduzieren könnten, weshalb auch nach kompletter Resorption der subretinalen Flüssigkeit regelmäßige Kontrollen, insbesondere bei jeder Art von Visusverschlechterung, empfehlenswert seien. Damit wäre zu verhindern gewesen, dass der Kläger die im Dezember 2011 aufgetretene Sehschwäche auf eine scheinbar „harmlose“ Altersweitsichtigkeit zurückgeführt habe. Den Beweis, dass dadurch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht bloß unwesentlich erhöht worden sei, habe der Kläger erbracht. Bei entsprechender Aufklärung und sofortiger ärztlicher Betreuung, in die sich der Kläger begeben hätte, wäre nach 1 –3 Monaten ohne Rückbildung des Ödems eine Behandlung indiziert gewesen, die mit Wahrscheinlichkeit von ca 30 – 50 % eine Visusverbesserung über 2 Zeilen (20 %) ermöglicht hätte. Eine umfassende Aufklärung hätte also dazu geführt, dass der Kläger am rechten Auge statt einer bleibenden Visusverschlechterung auf 5 % nur eine solche auf 20 % erlitten hätte. Als Schmerzengeld sei ein Betrag von 10.000 EUR angemessen und das Feststellungsbegehren sei an den tatsächlichen Kausalverlauf anzupassen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht, jener der Beklagten dagegen Folge und wies die Klagebegehren zur Gänze ab. Die Beweisrüge des Klägers zum Ausmaß seiner Visusverschlechterung für den Fall einer augenärztlicher Behandlung binnen ein bis drei Monaten ab Dezember 2011 erledigte das Berufungsgericht nicht, weil es keine Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Ärzte der Beklagten erkannte. Es vertrat die Rechtsansicht, dass zur „vollständigen“ therapeutischen Aufklärung und Beratung im vorliegenden Fall nämlich nicht nur die Rezidivrate, die Gefahr irreversibler Schäden und die Empfehlung augenärztlicher Kontrollen, sondern auch die Information gehört hätte, dass es für die Erkrankung des Klägers keine evidenzbasierte zugelassene Behandlungsmethode gebe und dass die dosisreduzierte photodynamische Therapie, über deren Risken ebenfalls aufzuklären gewesen wäre, im günstigsten Fall mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 bis 50 % eine Sehleistungsverbesserung über zwei Zeilen auf der augenärztlichen Sehprobentafel erreicht hätte. Der Kläger wäre mit einer Fülle von Informationen, insbesondere statistischen Wahrscheinlichkeiten möglicher zukünftiger Erkrankungen und – wissenschaftlich noch nicht anerkannten – Therapiemöglichkeiten, versorgt worden, die ihm die Einschätzung seiner Lage nicht erleichtert, sondern erschwert hätte. Ein ärztlicher Aufklärungsfehler liege daher nicht vor.

Wenn keine wissenschaftlich anerkannte ärztliche Behandlungsmethode zur Verfügung stehe und die einzige erwägenswerte Methode im für den Patienten günstigsten Fall mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 bis 50 % seine Sehkraft um zwei Zeilen auf der augenärztlichen Sehprobentafel verbessern könne, sei dem Patienten überdies nicht einmal der Anscheinsbeweis dafür gelungen, dass die vollständige therapeutische Aufklärung auch nur einen Teil des Schadens an seiner Gesundheit verhindert hätte. Das angefochtene Urteil sei daher in eine Klagsabweisung abzuändern gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten gewesen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn des Zuspruchs von 30.000 EUR sA und der Haftungsfeststellung für künftige Schäden aus einer Sehkraftverminderung von 95 %. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete eine ihr freigestellte Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt, weil die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen für die abschließende rechtliche Beurteilung nicht ausreichen:

1.1. Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (RIS-Justiz RS0123136 [T1]; vgl auch RS0038176). Maßgeblich ist dafür der aktuelle anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (RIS-Justiz RS0123136 [T2]).

1.2. Die ärztliche Aufklärungspflicht umfasst (ua) auch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen der Unterlassung einer Behandlung zu unterrichten. Damit der Patient sein Selbstbestimmungsrecht in zurechenbarer Eigenverantwortung wahrnehmen kann, soll ihm durch diese Aufklärung und Belehrung die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung durchführen lassen soll oder unterlassen kann (vgl 9 Ob 64/08i; 3 Ob 77/10k; RIS-Justiz RS0026578). Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen ist erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben. Über Außenseitermethoden muss dagegen nicht aufgeklärt werden (vgl 4 Ob 241/12p = RdM 2013/102 [Leischner-Lenzhofer]).

1.3. Die Belehrung hat umso ausführlicher und eindringlicher zu sein, je klarer für den ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation die schädlichen Folgen des Unterbleibens einer Behandlung sind und je dringlicher die weitere Behandlung aus der Sicht eines vernünftigen und einsichtigen Patienten erscheinen muss. Auf alle nur denkbaren Folgen der Nichtvornahme einer Behandlung muss der Arzt nicht hinweisen (9 Ob 64/08i; 3 Ob 77/10k; RIS-Justiz RS0026529).

2.1. Ein Oberarzt der Beklagten diagnostizierte am 16. 5. 2011 beim Kläger am rechten Auge eine Choriorethinopathia Centralis Serosa (CCS). Diese war nach konservativer Behandlung bei der Kontrolle am 16. 8. 2011 abgeheilt und die Sehkraft des Klägers betrug wieder 100 %.

2.2. Schon die Frage, ob es dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht (vgl Pkt 1.1.), dass nach einer solchen abgeheilten Erkrankung eine Aufklärung des Patienten dahin, es sei bei jeder Art von Sehverschlechterung zur ehesten Klärung eines (neuerlichen) Behandlungsbedarfs eine (regelmäßige) Kontrolle geboten, lässt sich aufgrund der erstgerichtlichen Feststellungen nicht eindeutig beantworten. Für eine solche Annahme könnten die Feststellungen sprechen, dass „bei Wiederauftreten von Symptomen wie Visusverschlechterung, Metamorphopsien (verzerrtes Sehen) etc (…) Kontrollen zu empfehlen (sind)“ und dass „auch nach kompletter Resorption der subretinalen Flüssigkeit (...) weitere regelmäßige Kontrollen zur Dokumentation der Rezidiven und Sehleistung sinnvoll (sind)“. Damit wird aber nicht klar, welchen Beurteilungsmaßstab das Erstgericht seiner bloßen Empfehlung zugrunde legt. Der festgestellte Zweck der „Dokumentation der Rezidiven und Sehleistung“ ist nicht eindeutig mit der gebotenen Klärung eines Behandlungsbedarfs gleichzusetzen. Das Erstgericht wird daher in seiner neuerlichen Entscheidung eine aussagekräftige Feststellung dahin zu treffen haben, ob nach dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft nach einer kompletten Abheilung einer CCS bei jeder Art von Sehverschlechterung zur ehesten Klärung eines (neuerlichen) Behandlungsbedarfs eine augenärztliche Kontrolle geboten ist und/oder welche Anweisungen sonst dem medizinischen Standard entsprechen.

3.1. Führen die Beweisergebnisse zum Schluss, dass der in 2.2. formulierte Kontrollbedarf nicht dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht, dann liegt die vom Kläger behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht nicht vor.

3.2. Entspricht dagegen der bezeichnete Kontrollbedarf dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft, dann wäre dem Kläger diese Kontrollnotwendigkeit zu vermitteln und zur Untermauerung der Bedeutung einer solchen Kontrolle auch auf die relativ hohe Rezidivrate von ca 30 % sowie die bei mehrfachen Rezidiven bestehende Möglichkeit von dauerhaften Sehschäden hinzuweisen gewesen. Eine solche Aufklärung hätte – entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts – keine Überspannung der ärztlichen Aufklärungspflicht und keine Überforderung des Patienten dargestellt, sondern wäre jedem Durchschnittspatienten einfach erklärbar und für diesen auch leicht nachvollziehbar.

3.3. Bei Vorliegen des in 2.2. beschriebenen Kontrollbedarfs und ausgehend von der dann nach 3.2. notwendigen Aufklärung wurde diese Aufklärungspflicht – entgegen dem Standpunkt des Berufungsgerichts und im Sinn der Revisionsausführungen – bei der Kontrolle am 16. 8. 2011 verletzt. Die damals tätig gewesene Ärztin hat den Kläger nämlich lediglich darauf hingewiesen, dass „bei neuerlichen Beschwerden jederzeit eine Kontrolle oder erneute Wiedervorstellung möglich sei“. Der bloße Hinweis auf eine Kontroll“möglichkeit“ und die unterbliebene Aufklärung über vergleichsweise häufige Rezidive sowie deren mögliche Folgen, konnten keine ausreichende Grundlage dafür bilden, dem Kläger die sachgerechte Beurteilung eines bestehenden Kontroll- und gegebenenfalls Behandlungsbedarfs (vgl 3.2,) bei neuerlich auftretenden Sehbeschwerden mit ausreichender Deutlichkeit zu vermitteln. Dass der Kläger bei dieser Sachlage erst im Mai 2012 eine neuerliche Untersuchung durchführen ließ, begründet kein Mitverschulden.

4.1. Das Erstgericht hat festgestellt, dass sich der Kläger, wäre er im zuvor beschriebenen Sinn aufgeklärt worden, noch im Dezember 2011, also unmittelbar nach dem neuerlichen Auftreten von Sehbeeinträchtigungen, einer Augenuntersuchung unterzogen hätte. Für die Beurteilung der Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung bei der Untersuchung am 16. 8. 2011 und dem deshalb gegebenenfalls unterbliebenen früheren Behandlungsbeginn ist dann zu klären, welches nötigenfalls sofortige ärztliche Vorgehen zu welchem voraussichtlichen Therapieergebnis geführt hätte. Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang aber lediglich Feststellungen zur Anwendung der reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) und zu deren Erfolgswahrscheinlichkeit getroffen. Dies reicht aber für eine umfassende Klärung der Bedeutung der unzulänglichen Aufklärung nicht aus:

4.2. Erfolgt die (behauptete) Schädigung durch ein Unterlassen, so ist Kausalität dann anzunehmen, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte (4 Ob 71/10k mwN; 4 Ob 145/10t; RIS-Justiz RS0022913). Es muss daher versucht werden, den hypothetischen Ablauf bei Vermeiden der Unterlassung durch Setzen des gebotenen Verhaltens herauszufinden. Das gebotene Verhalten ist hinzuzudenken. Die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs sind geringer als die Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat (RIS-Justiz RS0022900 [T14]; 4 Ob 71/10k).

4.3. Für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und seine Kausalität in Bezug auf den eingetretenen Schaden ist der Patient beweispflichtig, wobei hier wegen der besonderen Schwierigkeiten eines exakten Beweises an den Kausalitätsbeweis geringere Anforderungen zu stellen sind, zumal ein festgestellter schuldhafter Behandlungsfehler auf einen nachteiligen Kausalverlauf geradezu hinweist. Aus diesem Grund wird in diesem Fall der Anscheinsbeweis als ausreichend angesehen (RIS-Justiz RS0038222), der darauf beruht, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266). Es genügt, dass „überwiegende Gründe“ für die Verursachung des Schadens sprechen (RIS-Justiz RS0022782). Steht ein ärztlicher Behandlungsfehler, etwa ein das Operationsrisiko betreffender Kunstfehler, fest, reicht aber nach herrschender Rechtsprechung für den Patienten der Nachweis, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde (vgl RIS-Justiz RS0026768; RS0038222 [T11]; 9 Ob 64/08i [zur Verletzung der Aufklärungspflicht]). Dies wird auch dann gelten müssen, wenn dem Patienten eine Maßnahme vorenthalten wird, die dem in Fachkreisen anerkannten Standard der besten Versorgung entspricht (vgl dazu etwa 6 Ob 3/98d). Zumindest unter dieser Voraussetzung könnte die mit einer PDT-Lasertherapie verbundene Möglichkeit einer Visusverbesserung eine ausreichende Grundlage für den Kausalitätsnachweis durch den Kläger und eine dadurch ausgelöste Nachweispflicht der Beklagten sein, dass diese Maßnahme mit großer Wahrscheinlichkeit (vgl RIS-Justiz RS0038222 [T7]) zu keiner zumindest partiellen Verbesserung der Sehleistung beim Kläger geführt hätte.

4.4. Das erstmalige Auftreten der CCS wurde beim Kläger mit einer sofort eingeleiteten konservativen Behandlung, nämlich mit der Verabreichung von Augentropfen und dem Auftrag zur Vermeidung von Stress, erfolgreich behandelt. Es wird daher vom Erstgericht bei seiner neuerlichen Entscheidung im Sinn der dargestellten Judikatur zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit im Fall einer beim Kläger bereits im Dezember 2011 vorgelegenen weiteren CCS und einer sofort eingeleiteten konservativen Therapie mit Augentropfen sowie einem Stressmanagment eine neuerliche gänzliche Heilung oder ein zumindest gegenüber dem nunmehrigen Zustand geringerer Visusabfall hätte erzielt werden können. Gelingt dem Kläger insoweit der Kausalitätsnachweis im zuvor dargestellten Sinn des Anscheinsbeweises, kann sich sein Schadenersatzanspruch (gegebenenfalls teilweise) schon deshalb als berechtigt erweisen.

5. Zur reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) steht zwar fest, dass sich der Kläger am 31. 5. 2012 in Absprache mit dem Arzt nicht zu dieser Behandlungsmethode entschlossen hat. Damit allein lässt sich allerdings eine allfällige, der Beklagten zuzurechnende Aufklärungspflichtverletzung des seinerzeit tätig gewesenen Oberarztes nicht abschließend verneinen. Zunächst hat das Erstgericht diese Therapie als nicht „evidenzbasiert“ und nicht „zugelassen“ qualifiziert, womit ungeklärt ist, ob diese überhaupt als eine dem aktuellen und anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Methode angesehen werden kann oder ob es sich dabei um eine Außenseitermethode handelt. Es steht auch nicht fest, ob und gegebenenfalls welche Risiken mit dieser Therapie verbunden sind. Überdies ist es derzeit nicht absehbar wie die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer PDT nach einer gegebenenfalls fehlgeschlagenen konservativen Behandlung zu bewerten wären. Erst nach Klärung dieser Umstände kann verlässlich beurteilt werden, ob dem Kläger die photodynamische Therapie (PDT) in der seinerzeitigen Situation hätte empfohlen werden müssen. Gegebenenfalls müsste dann auch geklärt und festgestellt werden, ob sich der Kläger für diese Behandlungsmethode entschieden hätte. Erst danach ließe sich ein auf das Unterbleiben der reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) gestützter Schadenersatzanspruch des Klägers verlässlich beurteilen.

6.1. Zusammengefasst folgt:

Das Erstgericht wird bei seiner neuerlichen Entscheidung eine Feststellung darüber zu treffen haben, ob nach dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft nach einer kompletten Abheilung einer CCS bei jeder Art von Sehverschlechterung zur ehesten Klärung eines (neuerlichen) Behandlungsbedarfs eine augenärztliche Kontrolle geboten ist. Trifft dies zu, dann lag beim Termin am 16. 8. 2011 eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vor. Für diesen Fall ist zu klären, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit im Fall einer beim Kläger bereits im Dezember 2011 vorgelegenen weiteren CCS und einer sofort eingeleiteten konservativen Therapie mit Augentropfen sowie einem Stressmanagment eine neuerliche gänzliche Heilung oder ein zumindest gegenüber dem nunmehrigen Zustand geringerer Visusabfall hätte erzielt werden können. Gelingt dem Kläger insoweit der Kausalitätsnachweis im Sinn des Anscheinsbeweises, könnte sich sein Schadenersatzanspruch (gegebenenfalls teilweise) als berechtigt erweisen.

Aus dem Unterbleiben der reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) könnte der Kläger allenfalls dann einen Schadenersatzanspruch ableiten, wenn es sich dabei um eine im Lichte optimaler Versorgung in der damaligen Situation empfehlenswerte Methode gehandelt hat, zu der sich der Kläger unter Berücksichtigung der damit gegebenenfalls verbundenen Risiken entschlossen hätte.

6.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

Textnummer

E119692

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00088.17T.0927.000

Im RIS seit

07.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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