Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solè sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 9. August 2011 verstorbenen E***** B*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Noterbin E***** D*****, vertreten durch KNIRSCH GSCHAIDER & CERHA Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 8. Juni 2016, GZ 22 R 138/15y-114, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 dritter Satz AußStrG).
Der Antrag des Anerben und des Noterben K***** B***** auf Zuspruch der Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO analog).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Richtig ist zwar, dass der Oberste Gerichtshof in einzelnen Fällen auch bei „lebensfähigen“ geschlossenen Höfen iSd § 1 TirHöfeG bei „weitem Auseinanderklaffen“ von Ertragswert und Verkehrswert letzteren angemessen berücksichtigt hat. Entscheidend waren jedoch stets die konkreten Umstände des Einzelfalls: In 6 Ob 109/11i hatte der Hof auch als „Wohngebiet“ gewidmete Grundstücke umfasst. In 6 Ob 156/13d waren Grundstücke im Raumordnungskonzept als Erweiterungsbereich für Sondernutzungen betrieblicher Art oder Mischnutzung vorgesehen. In 2 Ob 129/16h (Übergabe unter Lebenden) hatte der Übernehmer schon mehrere zum Gutsbestand des Hofes gehörende Grundstücke abverkauft.
2. Ein mit diesen Fällen vergleichbarer Sachverhalt liegt hier nicht vor. Das Rekursgericht vermochte sich auf einschlägige Rechtsprechung zum hier anzuwendenden § 11 AnerbenG zu stützen, wonach der Anerbe in der Lage sein soll, die Abfindung der Miterben aus den Erträgnissen des landwirtschaftlichen Betriebs zu zahlen, ohne zum Abverkauf von Grundstücken genötigt zu sein. Entscheidend soll (nur oder primär) ein am Ertrag orientierter Übernahmspreis sein (zB 1 Ob 55/72 SZ 45/40; 6 Ob 26/90; 6 Ob 53/03t; vgl auch 6 Ob 154/06z SZ 2006/134; RIS-Justiz RS0050365, RS0050371, RS0050389).
3. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung ist dem Rekursgericht nicht unterlaufen, wenn es unter den konkreten Umständen – dem Gutachten der beiden bäuerlichen Sachverständigen folgend – nur auf den Ertragswert abstellte. Gerade aus der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 6 Ob 171/08b ist abzuleiten, dass bei der Ermittlung des Übernahmspreises gemäß § 11 AnerbenG die Heranziehung eines nur am Ertrag orientierten Übernahmspreises durchaus vertretbar sein kann (idS auch 6 Ob 121/12f).
4. Aus der Entscheidung 6 Ob 84/10m sind keine gegenteiligen Erkenntnisse zu gewinnen. Besondere Umstände, die im vorliegenden Fall aufgrund des behaupteten weiten Auseinanderklaffens der Werte die Berücksichtigung des Verkehrswerts geboten erscheinen ließen, werden im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt. Wenngleich daher das Rekursgericht die Berücksichtigung des Verkehrswerts mit einer zu engen Begründung ablehnte, ist seine Rechtsansicht im Ergebnis jedenfalls vertretbar.
5. Bei der Beweisaufnahme durch Sachverständige ist es deren Aufgabe, aufgrund ihrer einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfrage am besten eignet (RIS-Justiz RS0119439). Besteht aber für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn eine grundsätzlich inadäquate Methode angewendet wurde (RIS-Justiz RS0118604 [T5]).
6. Im Anerbengesetz ist keine besondere Methode für die Ermittlung des Übernahmspreises vorgesehen. Während § 167 Abs 2 AußStrG (wie früher § 102 Abs 2 AußStrG aF) für die Schätzung unbeweglicher Sachen unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich die Bewertung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz vorsieht, enthält § 11 AnerbenG keine derartige Verweisung. Der Übernahmspreis ist vielmehr weiterhin nach billigem Ermessen auf Grund des Gutachtens zweier bäuerlicher Sachverständiger so zu bestimmen, dass der Anerbe wohl bestehen kann.
7. Der Wunsch der Noterbin, den Übernahmspreis unter Annahme einer an § 5 LBG orientierten, nach ihrem Vorbringen in erster Instanz mit 100 Jahren zu bemessender Nutzungsdauer festzusetzen, lässt den wesentlichen Grundsatz außer Acht, dass der Übernahmspreis so zu bestimmen ist, dass der Anerbe wohl bestehen kann. Er muss daher in der Lage sein, den Übernahmspreis ohne Abverkauf von Grundstücken etwa durch Kreditaufnahme zu finanzieren (6 Ob 26/90; 6 Ob 181/00m). Für die in erster Instanz gewünschte derart lange Kapitalisierungsdauer kann die Noterbin weder Literatur (vgl Probst in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Vermögensnachfolge [2010] § 6 Rz 94; Posch, Praktische Erfahrungen mit dem Anerbenrecht, NZ 2001, 321 [322]; Moser/Gruber, Der Übernahmswert im Anerbenrecht, SV 2001, 160 [162]; Kind, Anerbenrecht im Wandel der Zeit, ÖJZ 2003/46, 741 [746]) noch Rechtsprechung ins Treffen führen (vgl 1 Ob 55/72; 6 Ob 288/02z: jeweils 25 Jahre Kapitalisierungsdauer). Der festgestellte, am Grundsatz des Wohlbestehenkönnens orientierte Übernahmspreis ist in dritter Instanz daher nicht mehr überprüfbar.
Textnummer
E119679European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00151.16V.0928.000Im RIS seit
05.11.2017Zuletzt aktualisiert am
29.11.2021