Entscheidungsdatum
23.02.2017Index
L66507 Flurverfassung Zusammenlegung landw GrundstückeNorm
FlVfLG Tir 1996 §37 Abs7Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin MMag. Dr. Barbara Schütz über die Beschwerden Gemeindegutsagrargemeinschaft Bf 1, Bf 2, Bf 3, Bf 4, Bf 5, Bf 6, Bf 7, Bf 8, Bf 9, Bf 10, Bf 11, Bf 12, Bf 13, Bf 14, Bf 15, Bf 16, Bf 17, Bf 18, Bf 19, Bf 20, alle vertreten durch Rechtsanwalt in Y, Adresse1, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde vom 21.09.2016, Zl ***, betreffend Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung über die beantragte Entschädigungszahlung (sonstige Partei: Gemeinde Z, Adresse2, Z),
zu Recht:
1. Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine Gemeindegutsagrargemeinschaft im Sinne des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996. Die Beschwerdeführer (2.) bis (20.) sind deren Mitglieder.
Mit Eingabe vom 30.06.2016 beantragten die Beschwerdeführer bei der belangten Behörde die Erlassung folgenden Bescheides: Die sonstige Partei ist schuldig, den Antragstellern zu Handen ihres Rechtsvertreters einen Betrag in Höhe von EUR 6,330.667,00 binnen 14 Tagen zu bezahlen. Hinsichtlich eines Teilbetrages von EUR 6,246.250,00 räumen die Antragsteller eine Ersetzungsbefugnis derart ein, dass die sonstige Partei berechtigt ist, anstelle Geldzahlung zu leisten, auf ihr Substanzrecht gemäß § 33 Abs 5 TFLG 1996 rechtswirksam zu verzichten.
Begründend führten die Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass sie – jeder aus eigenem Recht und zu Handen ihres ausgewiesenen, gemeinsam bestellten Vertreters – Enteignungsentschädigung wegen Legalenteignung durch die TFLG-Novellen 2010 und 2014 fordern würden. Ungeachtet einer seit Jahrzehnten rechtskräftigen Entscheidung des gesetzlichen Richters für die Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse am Gemeindegut, die zu Gunsten der Erstbeschwerdeführerin als Eigentümerin und zu Gunsten der Rechtsvorgänger der weiteren Beschwerdeführer als daran aliquot anteilsberechtigt ausgefallen sei, habe sie der Landesgesetzgeber entschädigungslos enteignet. Um der Verpflichtung zu entgehen, sie angemessen zu entschädigen, werde folgende Umgehung versucht: Den Rechtsakten des gesetzlichen Richters zur Entscheidung der Eigentumsverhältnisse am Gemeindegut werde ein Mangel unterstellt. Diese Entscheidungen über die Eigentumsverhältnisse seien verfassungswidrig gewesen; diese müssten verfassungskonform interpretiert und in dem Sinn verstanden werden, dass die Erstbeschwerdeführerin kein Eigentum und die weiteren Beschwerdeführer keine aliquoten Anteilrechte daran erworben hätten. Was als „Eigentum“ rechtskräftig entschieden worden sei, sei bloß eine inhaltsentleerte Rechtsposition; was als „aliquotes Anteilsrecht“ am Eigentum entschieden wurde, sei bloßes Nutzungsrecht beschränkt auf einen historischen Bedarf, der im Einzelfall jeweils neu nachzuweisen sei. Damit sei eine Enteignung zu Lasten der Beschwerdeführer vollzogen worden. Deren Zulässigkeit setze einen angemessenen Wertausgleich voraus. Der Anspruch der Beschwerdeführer auf angemessenen Wertausgleich sei Gegenstand des Antrages. Der Entschädigungsanspruch richte sich gegen den Österreichischen Staat in der Erscheinungsform derjenigen Ortsgemeinde, der der Landesgesetzgeber das Vermögen der Antragsteller zugewendet habe. Die Zuständigkeit der belangten Behörde ergebe sich aus § 37 Abs 7 TFLG 1996 in Verbindung mit § 87d TFLG 1996, der analog anzuwenden sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 6 AVG und § 37 in Verbindung mit §§ 71, 72, 73 und 86d TFLG 1996 wegen Unzuständigkeit der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde zurück.
In ihren dagegen erhobenen Beschwerden beantragten die Beschwerdeführer die Aussetzung des Verfahrens bis im Rechtsfall Agrargemeinschaft X und 95 Mitglieder, *** der Tiroler Landesregierung, die Frage der (Un-)Zuständigkeit der belangten Behörde innerstaatlich rechtskräftig entschieden ist, die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und die Abänderung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass dem Antrag der Beschwerdeführer stattgegeben wird, in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde. Im Übrigen sprachen sich die Beschwerdeführer gegen die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Bescheid, wonach eine Zuständigkeit der belangten Behörde nach § 37 Abs 7 TFLG 1996 und § 86d TFLG 1996 nicht gegeben sei, aus.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den verfahrenseinleitenden Antrag, den angefochtenen Bescheid und die Beschwerde.
I. Demnach steht – ergänzend zum obigen unstrittigen Sachverhalt – nachfolgender weiterer entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
Bezüglich der der Erstbeschwerdeführerin gehörenden Grundstücke ist kein Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Regulierungs-, Teilungs- oder Auseinandersetzungsverfahren anhängig.
II. Den obigen Tatsachenfeststellungen liegt nachstehende Beweiswürdigung zugrunde:
Die getroffene Feststellung stützt sich auf den angefochtenen Bescheid. Widerstreitende Beweisergebnisse liegen nicht vor.
III. Der obige unstrittige und darüber hinaus festgestellte Sachverhalt ist rechtlich wie folgt zu beurteilen:
Mit dem Landesgesetz LGBl Nr 7/2010 wurde das TFLG 1996 geändert. Diese Änderung war durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 11.06.1008, B 464/07) erforderlich geworden. Das zitierte Erkenntnis erging in einer Beschwerdesache einer Tiroler Gemeinde betreffend die dortige Agrargemeinschaft, welche das Ergebnis einer Regulierung von Gemeindegut ist. Der Verfassungsgerichtshof nahm in seinem Erkenntnis zum Rechtscharakter des Gemeindegutes und dessen Verhältnis zur Agrargemeinschaft Stellung und erklärte unter Rückgriff auf das Erkenntnis VfSlg 9336/1982, die Agrarbehörde hätte sich bei der Regulierung auf die Regelung der Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte zu beschränken gehabt. Die Agrarbehörde habe aber das Gemeindegut undifferenziert in die Regulierung mit einbezogen. Die damit verbundene „Eigentumsfeststellung“ wurde als verfassungswidrig erkannt. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes sei jedoch aufgrund des rechtskräftigen Regulierungsbescheides Gemeindegut entstanden, das nun atypischer Weise im gemeinsamen Eigentum der Gemeinde und der Nutzungsberechtigten stehe und als Agrargemeinschaft organisiert sei. Das Substanzrecht der Gemeinde müsse als agrargemeinschaftliches Anteilsrecht zur Geltung gebracht werden können.
So erfolgte durch das Landesgesetz LGBl Nr 7/2010 eine Anpassung der Definition des Begriffes Gemeindegut an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis (vgl § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996), wurde der Begriff „Substanzwert“ eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes definiert und determiniert, dass dieser der Gemeinde zusteht (vgl § 33 Abs 5 TFLG 1996).
Nachdem der Verfassungsgerichtshof klarstellte, dass das Nutzungsrecht am Gemeindegut nur im Umfang des Haus- und Gutsbedarfes der berechtigten Liegenschaft besteht und die Überschüsse aus der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit (Überling) und auch alle Erträge, die dem Substanzwert des Gemeindegutes entspringen dem Substanzwert und damit dem Substanzanspruch der substanzberechtigten Gemeinde zuordnete (Erkenntnis vom 02.10.2013, B 550/2012), wurde das TFLG 1996 durch das Landesgesetz LGBl Nr 70/2014 abermals entsprechend der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes abgeändert.
Im verfahrenseinleitenden Antrag erachten sich die Beschwerdeführer durch diese gesetzlichen Bestimmungen als enteignet und fordern vom österreichischen Staat in der Erscheinungsform der substanzberechtigten Ortsgemeinde Entschädigung.
Im gegenständlichen Verfahren ist ausschließlich zu klären, ob die belangte Behörde für dieses Begehren zuständig ist.
Infolge der getroffenen Feststellung scheidet eine Zuständigkeit der Agrarbehörde gemäß § 72 TFLG 1996, der die Zuständigkeit der Agrarbehörde im Zuge eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs-, Auseinandersetzungs- oder Regulierungsverfahrens regelt, aus. § 73 lit a bis e TFLG 1996 listet jene Fragen auf, über die die Agrarbehörde außerhalb eines Verfahrens zu entscheiden hat. Eine solche Angelegenheit liegt im gegenständlichen Fall aber nicht vor.
Die Beschwerdeführer selbst erachten die belangte Behörde aufgrund des § 37 Abs 7 TFLG 1996 in Verbindung mit § 86d TFLG 1996, der analog anzuwenden sei, als zuständig.
Eine Zuständigkeit der Agrarbehörde nach § 37 Abs 7 TFLG 1996 setzt eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis voraus. Somit kann nur das Gegenstand der Entscheidung der Agrarbehörde sein, was das TFLG 1996, Regulierungspläne und die Verwaltungssatzungen über das Mitgliedschaftsverhältnis bestimmen. Aus dem Begehren der Antragsteller und dem oben dargestellten Hintergrund deren Begehrens ergibt sich, dass es sich hier um eine Streitigkeit handelt, die mit dem Mitgliedschaftsverhältnis nichts mehr zu tun hat.
Der derzeit noch in Geltung befindliche, durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13.10.2016, G 219/2015, als verfassungswidrig aufgehobene § 86d TFLG 1995 regelt die vermögensrechtliche Auseinandersetzung für die Vergangenheit bei Agrargemeinschaften auf Gemeindegut im Sinn des § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996. Zumal das Begehren der Beschwerdeführer von § 86d TFLG 1996 nicht erfasst wird, sprechen sich diese für eine analoge Anwendung der Bestimmung aus. Die Analogie ist immer nur im Fall einer „echten Lücke“ zulässig. Eine solche liegt vor, wenn zwar eine anzuwendende Rechtsvorschrift vorhanden, diese aber in bestimmter Richtung nicht präzisiert (unvollständig) ist. Sofern kein Fall des § 86d Abs 1 lit a bis c TFLG 1996 gegeben ist, geht § 86d Abs 1 erster Satz TFLG 1996 von einer grundsätzlichen Kompensation der Ansprüche aus. Damit ist aber keine „echte Lücke“ gegeben, weshalb eine Zuständigkeit der belangten Behörde auch durch eine analoge Anwendung der genannten Bestimmung nicht in Betracht kommt.
Zusammenfassend ist der belangten Behörde folglich beizupflichten, wenn sie die Auffassung vertritt, dass sie zur Entscheidung über den verfahrenseinleitenden Antrag nicht zuständig ist.
Die Zuständigkeit der belangten Behörde ist im gegenständlichen Verfahren nicht als Vor-, sondern als Hauptfrage zu klären. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung im Sinne des § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG liegen folglich nicht vor.
Abschließend ist festzuhalten, dass die vorliegende Entscheidung trotz Antrag der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden konnte, weil der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist. Abgesehen davon wird eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich erachtet, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt, zumal auch keine Sachverhalts-, sondern lediglich Rechtsfragen zu klären waren.
IV. Begründung für die Nichtzulassung der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Unzuständigkeit der belangten Behörde resultiert aus den oben angeführten gesetzlichen Bestimmungen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt folglich nicht vor und war auszusprechen, dass die ordentliche Revision unzulässig ist.
Landesverwaltungsgericht Tirol
MMag. Dr. Barbara Schütz
(Richterin)
Schlagworte
Zuständigkeit; Agrarbehörde; Entschädigung; Legalenteignung;Anmerkung
Mit Beschluss vom 28.09.2017, E 1159/2017-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 23.02.2017, Z LVwG-2016/34/2432-3, erhobenen Beschwerden ab.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2016.34.2432.3Zuletzt aktualisiert am
22.11.2017