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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. April 1999, Zl. 209.059/0-VI/17/99, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: FS, geboren am 5. Juli 1978, L), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Ein Kostenzuspruch findet nicht statt.
Begründung
Die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, reiste gemäß ihren Angaben (zuletzt) Anfang Oktober 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. Dezember 1998 die Gewährung von Asyl. Bei ihrer Einvernahme durch das Bundesasylamt am 14. Dezember 1998 gab sie zu ihren Fluchtgründen Folgendes an:
"Anfang Februar 1998 wurde ich von unbek. Serben vergewaltigt; es handelte sich um mir unbekannte Serben; diese trugen Zivilkleidung.
Unsere Heimatstadt wird von Serben verwaltet; nach der Vergewaltigung wurde ich auch bedroht und man legte mir nahe, wegzugehen. Es handelte sich um drei mir unbekannte serb. Männer. Diese drei Männer bedrohten mich unmittelbar nach der Vergewaltigung. Der Vorfall ereignete sich um ca. 22.00 Uhr; meine Haustür wurde aufgebrochen und es kamen drei Männer ins Haus; ich wurde von allen drei Männern vergewaltigt; der Vorfall dauerte ca. 2 Stunden.
Aufgrund dieser Vergewaltigung wurde ich schwanger. Ich glaube, der Grund für meine Vergewaltigung lag darin, dass ich Moslem bin. Ich war polit. nicht aktiv; ich hatte auch nie Probleme mit den serb. Behörden.
F.: Warum blieben Sie noch bis Mai 1998 in Ihrem Heimatort?
A.: Ich wurde in meinem Haus von diesen drei Personen festgehalten und wurde beinahe jeden Tag vergewaltigt.
Am 23.04.1998 konnte ich durch ein Fenster mit einem Passanten reden; dieser Mann befreite mich und brachte mich am 23.04.1998 nach Sarajevo. Ich kehrte nicht mehr in meinen Heimatort zurück.
V.: Im Zuge Ihres Reiseweges erklärten Sie, Sie seien bis Mai 1998 in Ihrem Heimatort gewesen. Am 25.05.1998 seien Sie nach Sarajevo gefahren und hätten ein Visum beantragt. Nunmehr erklären Sie Sie hätten im März Ihren Heimatort verlassen und seien dort geblieben. Erklären Sie den Widerspruch.
A.: Es handelt sich um ein Missverständnis; es kann sein, dass ich einen Fehler gemacht habe.
F.: Warum haben Sie den Vorfall nicht bei der Polizei angezeigt?
A.: Alle Behörden sind von Serben besetzt; wenn ich eine Anzeige mache, werden die Täter sicher in Schutz genommen.
Ich bin Moslem und werde bestimmt nicht akzeptiert; näher kann ich
das nicht begründen.
F.: Warum reisten Sie erst am 13.07.1998 aus?
A.: Ich wartete auf ein Visum.
Außerdem wartete ich auf eine Verpflichtungserklärung aus Österreich; eine solche habe ich aber nicht erhalten, weshalb ich einfach so ausreiste.
Ich habe Sarajevo verlassen, da ich dort niemanden habe.
Meine Mutter und mein Bruder sind in Österreich.
Diese sind Gastarbeiter in Österreich.
F.: Warum reisten Sie dann nach Deutschland?
A.: Ich dachte, ich werde in Deutschland gleich eine Aufenthaltsberechtigung erhalten.
F.: Warum stellten Sie in Deutschland keinen Asylantrag?
A.: Ich wollte nach Österreich.
F.: Warum stellten Sie nicht Anfang Okt. 1998 anlässl. Ihrer Einreise in Österreich einen Asylantrag?
A.: Ich dachte, ich werde auch so ein Aufenthaltsrecht erlangen;
eine Woche bevor ich einen Asylantrag stellte, erfuhr ich von Mirso Kolic, einem Versicherungsangestellten, dass ich einen Asylantrag stellen kann und so ein Aufenthaltsrecht erhalte;
F.: Warum stellten Sie erst eine Woche später einen Asylantrag?
A.: Ich hatte andere Verpflichtungen; mein Kind ist bei einer Pflegemutter. Ich hatte daher viel am Magistrat zu tun. Ich blieb nicht in Sarajevo, da ich dort niemanden habe; passiert ist mir dort nichts. Ich kann aber nicht auf der Straße leben.
F.: Haben Sie weitere Gründe für Ihre Asylantragstellung anzugeben?
A.: Nein, ich habe bereits alles dargelegt.
F.: Haben Sie nach den von Ihnen geschilderten Vorfällen einen Arzt aufgesucht?
A.: Nein; ich wusste nicht, wohin ich gehen soll.
Es war außerdem schon zu spät; ich war schon schwanger. An die Namen der Männer kann ich mich nicht erinnern.
F.: Was erwarten Sie im Falle einer nunmehrigen Rückkehr in Ihren Heimatstaat?
A.: Wenn ich mich in mein Elternhaus begebe, werde ich sicher von diesen Männern umgebracht; ich wurde von diesen bedroht.
F.: Was passiert, wenn Sie in einen anderen Ort/in eine andere Stadt zurückkehren?
A.: Dort wird mir sicher nichts passieren; ich habe aber außerhalb von Visegrad keine Wohnmöglichkeit und kenne niemanden.
F.: Warum kehrten Sie von Österreich wieder nach Visegrad
zurück? A.: Ich habe gehört, dass man zurückkehren kann.
F.: Warum kehrten Sie zurück, wo Sie doch alle Angehörigen in
Österreich haben?
A.: Meine Mutter erhielt ein Schreiben von der Fremdenpolizei; ich
dachte es sei besser zurückzukehren.
Sonst habe ich nichts anzuführen.
Nunmehr wird die Niederschrift rückübersetzt und Sie werden
aufgefordert, anzugeben, ob Sie dem etwas hinzufügen haben.
Nach Rückübersetzung der Niederschrift gebe ich an, dass diese
richtig und vollständig ist und ich dem nichts hinzuzufügen habe.
Anfügen möchte ich noch, dass die Männer immer in der Nacht
kamen; tagsüber war ich eingesperrt.
Dieser Zustand dauerte zwei- zweieinhalb Monate an.
F.: Warum versuchten Sie nicht, durch ein Fenster oä. zu entkommen?
A.: An unseren Fenstern befanden sich Gitter.
Ich wurde von den Männern mit Essen versorgt."
Mit Bescheid vom 8. März 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Mitbeteiligten gemäß § 6 Z. 2 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 (AsylG) idgF, als offensichtlich unbegründet ab (Spruchpunkt I.); zugleich stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten in die Republik Bosnien-Herzegowina gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die Behörde erster Instanz begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Mitbeteiligte - für die eine innerstaatliche Fluchtalternative existiere - keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1997 glaubhaft gemacht habe. In ihrem Vorbringen befinde sich ein wesentlicher Widerspruch (bezüglich des Verbleibes in Sarajevo bzw. einer allfälligen Rückkehr in ihren Heimatort nach dem 23. April 1998), welcher geeignet sei, die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben bezüglich des Ausreisegrundes in Zweifel zu ziehen. Überdies sei im Vorbringen der Mitbeteiligten, die eingangs lediglich von einer Vergewaltigung Anfang Februar gesprochen, in der Folge jedoch erklärt habe, in ihrem Haus festgehalten und beinahe jeden Tag vergewaltigt worden zu sein, eine klare Steigerung zu erblicken. Auch die Behauptung der Mitbeteiligten, sie sei zuerst nach Deutschland gefahren, weil sie angenommen habe, sie würde dort sofort eine Aufenthaltsberechtigung erhalten, sei im Hinblick darauf nicht nachvollziehbar, dass einerseits die Familie und der Lebensgefährte der Mitbeteiligten in Österreich aufhältig seien und sie andererseits angegeben habe, in Deutschland deshalb keinen Asylantrag gestellt zu haben, weil sie nach Österreich gewollt hätte. Aufgrund ihres Vorbringens, welches insgesamt als unglaubwürdig zu qualifizieren gewesen sei, gelange das Bundesasylamt zu dem Schluss, dass die Mitbeteiligte den Asylantrag lediglich gestellt habe, um - wie selbst in der Einvernahme angegeben - eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen und dass die zur Begründung des Asylantrages angegebenen Gründe lediglich konstruiert seien. Dem entspreche auch, dass die Mitbeteiligte erst im Dezember 1998 ihren Asylantrag gestellt habe, und zwar nach der Information, dass man auf diesem Weg ein Aufenthaltsrecht erlangen könne. Als glaubwürdig sei hingegen zu werten, wonach die Mitbeteiligte außerhalb ihres Heimatlandes nichts zu befürchten hätte; dies sei "logisch", zumal kein Grund bestehe, warum die Männer, von denen die Mitbeteiligte behauptet habe, vergewaltigt worden zu sein, "ein derartiges Interesse" an ihrer Person haben sollten.
Sollte man "entgegen der Ansicht der entscheidenden Behörde" - so das Bundesasylamt im Rahmen seiner rechtlichen Überlegungen wörtlich - von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Mitbeteiligten ausgehen, so sei auszuführen, dass der geschilderte Vorfall nicht auf Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zurückzuführen sei, da die geltend gemachten Übergriffe durch Private (Vergewaltigung durch Männer in Zivilkleidung) keinesfalls die Flüchtlingseigenschaft begründen könnten. Dass die staatlichen Behörden des Heimatstaates der Mitbeteiligten nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen wären, ihr Schutz vor Verfolgung zu gewähren, ergebe sich aus ihrem Vorbringen nicht. Im konkreten Fall könne der Staat umso weniger zur Verantwortung gezogen werden, als die Mitbeteiligte selbst erklärt habe, keine Anzeige bei den Behörden erstattet zu haben; das wäre aber für ein Einschreiten seitens der Behörde unabdingbar gewesen. Im Übrigen sei generell zu bemerken, "dass ein subjektives Recht auf Sanktionierung krimineller Aktivitäten bzw. eine Erfolgsgarantie nach behördlichen Ermittlungen aus der bereits zitierten staatlichen Verantwortung keinesfalls abzuleiten ist". Aus diesen Gründen fehle den Behauptungen der Mitbeteiligten "einmal mehr" die Eignung, eine Verfolgung iSd AsylG bzw. die objektiv begründete Furcht vor einer solchen glaubhaft zu machen. Nach eingehender rechtlicher Würdigung gelange das Bundesasylamt zu der Ansicht, dass der Asylantrag der Mitbeteiligten jeder Grundlage entbehre und daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen sei.
Zu ihrer Entscheidung nach § 8 AsylG führte die erstinstanzliche Behörde aus, dass eine Gefahr im Sinne des § 57 FrG im gesamten Staatsgebiet bestehen müsse, was im Fall der Mitbeteiligten von vornherein auszuschließen sei, zumal sie selbst angegeben habe, außerhalb ihres Heimatortes mit keiner unmenschlichen Behandlung rechnen zu müssen; das sei auch durch ihren Verbleib in Sarajevo tatsächlich belegt.
In ihrer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung verwies die Mitbeteiligte auf ihre Angaben im erstinstanzlichen Verfahren, wonach sie von drei serbischen Männern in Zivilkleidung gefangen gehalten und mehrmals vergewaltigt worden sei. Völlig zu Unrecht und in Widerspruch zu den evidenten Verhältnissen in der ehemaligen BR Jugoslawien sei das Bundesasylamt davon ausgegangen, dass es sich dabei um Übergriffe durch Private gehandelt habe; dieser Schluss allein aufgrund der Kleidung sei gänzlich verfehlt, zumal aus den Medien und aus den Verfahren des internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag bekannt sei, dass derartige Übergriffe gegen die moslemische Bevölkerung an der Tagesordnung seien und dass hiebei die Einheiten und Organe der serbischen Polizei bzw. des serbischen Militärs auch bewusst in Zivilkleidung vorgingen. Wäre das Bundesasylamt seiner Ermittlungspflicht nachgekommen, so hätte es zweifellos festgestellt, dass die Übergriffe gegen Leib und Leben der Mitbeteiligten sehr wohl der serbischen Polizei bzw. dem serbischen Militär zuzurechnen seien. Es wäre in der Folge auch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Mitbeteiligte in ihrem Heimatland keinen Schutz vor Verfolgung hätte erlangen können, zumal die Übergriffe eben nicht von Privaten ausgegangen seien. Das erkläre auch den Umstand, warum die Mitbeteiligte keine Anzeige bei der Behörde erstattet habe.
Die von der Mitbeteiligten dargelegte Gefährdung an Leib und Leben, insbesondere die Vergewaltigungen von moslemischen Frauen durch Angehörige der serbischen Polizei bzw. des Militärs sowie die allgemeinen Repressalien und der gegenüber der moslemischen Bevölkerung ausgeübte Abwanderungsdruck seien evident. In diesem Zusammenhang sei der vom Bundesasylamt gezogene "Rückschluss" unzulässig, wonach die Mitbeteiligte auch außerhalb ihres Heimatortes nicht mit einer unmenschlichen Behandlung rechnen müsse. Ihr kurzzeitiger Verbleib in Sarajevo ändere daran nichts, weil sie dort anonym untergetaucht sei, sodass die serbischen Behörden von ihrer Anwesenheit keine Kenntnis gehabt hätten.
Selbst wenn man - entsprechend der Auffassung des Bundesasylamtes - davon ausgehen würde, dass dem Vorbringen der Mitbeteiligten die Glaubwürdigkeit zu versagen sei, so sei dennoch die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten "in den Kosovo" unzulässig.
Mit Bescheid vom 9. April 1999 sprach der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) aus, dass der Berufung der Mitbeteiligten gemäß § 32 Abs. 2 AsylG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen werde.
Die belangte Behörde begründete dies nach Wiedergabe des Berufungsvorbringens und nach Zitierung der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen damit, dass die Abweisung eines Asylantrages auf Grundlage des § 6 AsylG nur dann in Betracht komme, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden könne. Das Bundesasylamt habe den Asylantrag der Mitbeteiligten gemäß § 6 Z. 2 AsylG abgewiesen; dies bedeute, dass ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat "das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht". Hinsichtlich der Offensichtlichkeit sei im Sinn des § 6 erster Satz AsylG ein strenger Maßstab anzulegen. Unter Zugrundelegung des Zwecks und der verfahrensrechtlichen Einreihung der in Rede stehenden Rechtsnorm habe sich diese Tatsachenwidrigkeit auf das gesamte Vorbringen des Antragstellers zu beziehen, woraus sich e contrario erschließen lasse, "dass bei Bestehen eines 'Vorbringenüberhangs', welcher sich auch nur ansatzweise auf den tatsachenentsprechenden Umständen stützt", die Anwendbarkeit des § 6 Z. 2 AsylG ausgeschlossen sei.
In ihrer Erstvernehmung habe die Mitbeteiligte die Vermutung geäußert, sie wäre wegen ihrer Eigenschaft als Moslem vergewaltigt worden. Die aufgrund der Kleidung vorgenommene Schlussfolgerung des Bundesasylamtes, es habe sich dabei um Privatpersonen gehandelt, entbehre einer nachvollziehbaren Begründung; es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörden des Herkunftsstaates das in Rede stehende Vorgehen gegen die Mitbeteiligte dulden würden. Erwiesen sei, dass die Mitbeteiligte in Visegrad, somit in der Republika Srpska gelebt habe. Die Republika Srpska sei ein Teil der Republik Bosnien-Herzegowina, der hauptsächlich von Serben bewohnt sei und wo es seit Wochen immer wieder zu Anschlägen, Schießereien und Protestaktionen komme; in diesem Zusammenhang sei anzumerken, dass die Mitbeteiligte moslemischen Glaubens sei.
Weiters sei im angefochtenen Bescheid im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass das Vorbringen insgesamt als unglaubwürdig zu qualifizieren wäre; als glaubwürdig würden hingegen die Angaben zu werten sein, wonach die Mitbeteiligte außerhalb ihres Heimatlandes nichts zu befürchten hätte. In der Folge stütze sich die rechtliche Beurteilung "zum Beispiel" darauf, dass der gegenständliche Vorfall nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Gründe zurückzuführen wäre, da die geltend gemachten Übergriffe durch Private keinesfalls die Flüchtlingseigenschaft begründen könnten. Dazu sei anzumerken, dass im Fall einer Beweiswürdigung, wonach die Angaben des Asylwerbers unwahr seien, die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht zugrunde gelegt werden könnten und ihre Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher beurteilt werden müsse. "Aus den obigen Erwägungen" könne erschlossen werden, dass betreffend die von der Erstbehörde herangezogenen Bewertungskriterien nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr der Mitbeteiligten gänzlich ausgeschlossen werden könne. Das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren lasse nicht völlig unzweifelhaft den Schluss zu, dass die Behauptungen der Mitbeteiligten, in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung befürchten zu müssen, eindeutig jeder Grundlage entbehren. Daraus ergebe sich, dass der behauptete Sachverhalt "bei bisher gegebenem Erkenntnisstand" nicht unter § 6 Z. 2 AsylG subsumierbar gewesen sei, da "etwa aus den Tatsachenbehauptungen bzw. eine daran etwa anknüpfende Verfolgungsgefahr" nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) habe ausgeschlossen werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 6 AsylG lautet wie folgt:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder
2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder
3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes trotz Aufforderung nicht mitwirken oder
5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."
Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt den Asylantrag der Mitbeteiligten ausschließlich nach § 6 Z. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Zwar ging es zunächst davon aus, dass die Angaben der Mitbeteiligten zu ihren Fluchtgründen insgesamt als unglaubwürdig zu qualifizieren seien und dass sie den Asylantrag nur gestellt habe, um eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen (die Beurteilung, wonach nur eine private Verfolgung vorliege, ergebe sich, wenn man "entgegen der Ansicht der entscheidenden Behörde" von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Mitbeteiligten ausgehen sollte.) Aus dieser Beurteilung hat das Bundesasylamt jedoch keine rechtliche Schlussfolgerung gezogen; insbesondere hat es nicht gefolgert, dass das erstattete Vorbringen zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht und dass deshalb (auch) der Tatbestand des § 6 Z. 3 AsylG erfüllt sei. Insofern stellen die Ausführungen des Bundesasylamtes zur Glaubwürdigkeit der Mitbeteiligten daher im Rahmen des Verfahrens nach § 6 AsylG, in dem es nur um einen qualifizierten Fall der Unglaubwürdigkeit geht und eine quasi "schlichte" Unglaubwürdigkeit dahin gestellt bleiben kann, nicht entscheidungswesentliche Begründungselemente dar; auf die Richtigkeit der Angaben der Mitbeteiligten kommt es daher im Ergebnis nicht an.
Der beschwerdeführende Bundesminister macht zunächst als Verfahrensmangel geltend, dass die belangte Behörde ihre Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlich-mündlichen Verhandlung gemäß § 67d AVG iVm Artikel II Abs. 2 Z. 43a EGVG verletzt habe. Außerdem habe die belangte Behörde nicht einmal § 37 AVG beachtet. Richtigerweise hätte dem Bundesasylamt im Zuge einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, zu den neuen Sachverhaltsfeststellungen - damit bezieht sich die Beschwerde auf die auf einen näher genannten Pressebericht gestützte Feststellung, wonach es in der Republika Srpska seit Wochen immer wieder zu Anschlägen, Schießereien und Protestaktionen komme - Stellung zu nehmen. Wäre dem Bundesasylamt Parteiengehör gewährt worden, hätte es darauf hinweisen können, dass sich "der Bericht" nur auf einen Teil des Herkunftsstaates bezogen habe und wäre die belangte Behörde bei Beachtung dieses Vorbringens zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Mit diesem Vorbringen, soweit es die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel darzutun versucht, zielt die Beschwerde allein darauf ab, dass der Mitbeteiligten eine "innerstaatliche Fluchtalternative" offen gestanden wäre. Damit argumentiert die Beschwerde auch an anderer Stelle, wenn sie etwa unter Aufzeigen eines "nicht nachvollziehbaren Begründungsteiles" darauf hinweist, dass aus dem Umstand, dass die "Täter" nur in der Republika Srpska die allenfalls diesen Behörden zuzurechnenden Übergriffe gesetzt haben, nicht darauf geschlossen werden könne, dass dies "die Behörden des Heimatstaates" dulden würden. Dem liegt die dann ausdrücklich erwähnte Überlegung zugrunde, dass "Verfolgung im gesamten Gebiet des Herkunftsstaates" auch bei Heranziehung des § 6 AsylG - wenn auch allenfalls nicht unter Z. 2 - "zu beachten" sei.
Die Aufzählung der für ein Vorgehen nach § 6 AsylG in Betracht kommenden Fälle in den Z. 1 bis 5 dieser Bestimmung ist abschließend (vgl. Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999), Rz 299, und das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, Zl. 98/20/0196). Dass einer der genannten und eingangs zitierten Tatbestände das Bestehen einer "innerstaatlichen Fluchtalternative" erfassen solle, sodass allein schon deswegen ein offensichtlich unbegründeter Asylantrag vorliege, lässt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht erkennen; schon die in jedem Fall ergänzend hinzu tretende Rechtsbedingung für die Anwendung des § 6 "ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" verbietet nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine Berufung auf diese Rechtsfigur im Rahmen der Beurteilung eines Asylantrages als "offensichtlich unbegründet". Ein Antrag, dessen Prüfung die Beurteilung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge erfordert - wozu der Bestand einer "innerstaatlichen Fluchtalternative" zu zählen ist -, ist nicht offensichtlich unbegründet (vgl. abermals das zuvor genannte hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1999). Davon ausgehend erweisen sich aber alle auf eine "innerstaatliche Fluchtalternative" (etwa in Sarajevo) Bezug nehmenden Ausführungen in der Beschwerde als nicht zielführend; damit braucht auch auf die vorhin dargestellte Verfahrensrüge nicht näher eingegangen werden.
Der Beurteilung der belangten Behörde, die Vergewaltigung durch drei unbekannte serbische Männer in Zivilkleidung könne im Hinblick auf die Verhältnisse in der Republika Srpska nicht ohne weiteres - wie vom Bundesasylamt angenommen - als außerstaatliche Verfolgung durch Private angesehen werden, tritt die Beschwerde nicht ausdrücklich entgegen. Zwar betont sie - im Zusammenhang mit einer geltend gemachten Aktenwidrigkeit -, dass es sich bei der Annahme der Mitbeteiligten, sie sei vergewaltigt worden, weil sie Moslem sei, um eine bloße Vermutung handle; eine Frage der staatlichen Zurechenbarkeit der behaupteten Verfolgung wird damit jedoch nicht angeschnitten. Dass die Mitbeteiligte aber bloß vermutet habe, aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK genannten Gründe (Religion) vergewaltigt worden zu sein, ist im Rahmen des Kalküls des § 6 AsylG im konkreten Fall nicht von Bedeutung.
Wie schon eingangs erwähnt, waren die Ausführungen des Bundesasylamtes zur Glaubwürdigkeit der Mitbeteiligten für seine Entscheidung im Ergebnis nicht von Relevanz; seine Beurteilung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet beruhte nämlich darauf, dass die von der Mitbeteiligten behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat im Sinn des § 6 Z. 2 AsylG offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK genannten Gründe zurückzuführen sei (sondern auf kriminelle Aktivitäten von Privatpersonen, womit freilich der Sache nach mangels relevanter "Verfolgung" im Sinn des Asylrechtes eher Z. 1 des § 6 AsylG angesprochen wurde). War die Frage der Glaubwürdigkeit der Mitbeteiligten für das Bundesasylamt ohne Bedeutung, so konnte sie es aber auch für die belangte Behörde sein; bestand für das Bundesasylamt, welches die Mitbeteiligte unmittelbar einvernommen hatte, keine Veranlassung, ihr im Sinn des § 6 Z. 3 AsylG qualifiziert die Glaubwürdigkeit abzusprechen, so war das mangels Hinzutretens neuer Umstände nämlich auch für die belangte Behörde nicht indiziert. Im Hinblick darauf geht aber schließlich die Rüge ins Leere, der angefochtene Bescheid enthalte kaum Feststellungen, weil es solcher Feststellungen auf dem Boden der nach dem Gesagten bloß rein rechtlichen Prüfung des Vorbringens der Mitbeteiligten im Rahmen des § 6 Z. 2 AsylG nicht bedurfte.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der mit der Aktenvorlage begehrte Kostenzuspruch kommt im Hinblick auf § 47 Abs. 4 VwGG nicht in Betracht.
Wien, am 7. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999010273.X00Im RIS seit
28.06.2001