TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/8 98/19/0011

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Veröffentlicht am 08.09.2000
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Index

10/10 Grundrechte;
19/05 Menschenrechte;
27/04 Sonstige Rechtspflege;

Norm

MRK Art6 Abs2;
RechtspraktikantenG 1987 §2 Abs2 Z3;
StGG Art6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des Dr. H G in Maria Enzersdorf, vertreten durch Dr. P, Dr. L und Dr. K, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 9. Dezember 1996, Zl. 26417/1-III 5/96, betreffend Zulassung zur Gerichtspraxis, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Aufwandersatz wird nicht zugesprochen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte mit Schreiben vom 28. März 1996 beim Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien den Antrag, ihn zur Gerichtspraxis zuzulassen, weil er sich in Hinkunft dem Beruf eines Rechtsanwaltes widmen wolle. Bereits im Antrag wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass gegen ihn wegen der §§ 159, 146 ff StGB beim Landesgericht für Strafsachen Wien Vorerhebungen im Gange seien.

Mit Schreiben vom 10. April 1996 teilte der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien mit, dass gegen den Beschwerdeführer beim Landesgericht für Strafsachen Wien Vorerhebungen "in Richtung der §§ 146 ff., 158, 159 StBG; 122 GmbHG laufen".

Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien wies mit Bescheid vom 28. Mai 1996 den Antrag des Beschwerdeführers ab. Begründend wurde ausgeführt, gegen den Beschwerdeführer liefen beim Landesgericht für Strafsachen Wien Vorerhebungen in Richtung der §§ 146 ff, 158, 159 StGB und § 122 GmbHG. Er sei bereits dreimal als Verdächtiger vernommen worden. Im Sinne der nunmehr einhelligen Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass ein gerichtliches Strafverfahren schon dann eingeleitet sei, wenn irgendeine strafgerichtliche Maßnahme gegen einen bekannten oder unbekannten Täter ergriffen werde. Gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 des Rechtspraktikantengesetzes (RPG) sei daher die Zulassung zur Gerichtspraxis ausgeschlossen.

Die dagegen erhobene Berufung, in der der Beschwerdeführer die Feststellungen zu den gegen ihn in Gange befindlichen Vorerhebungen neuerlich bestätigte, wurde vom Bundesminister für Justiz mit Bescheid vom 9. Dezember 1996 abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. In der Begründung führte der Bundesminister für Justiz aus, gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG seien Personen, gegen die wegen eines Verbrechens ein Strafverfahren eingeleitet ist, von der Gerichtspraxis ausgeschlossen. Wie schon die bescheiderlassende Behörde zutreffend ausgeführt habe, werde nach einhelliger Auffassung ein (gerichtliches) Strafverfahren bereits durch die im Rahmen gerichtlicher Vorerhebungen durchgeführten Maßnahmen gegen einen bekannten oder unbekannten Täter eingeleitet. Durch die Verwendung eines Begriffes mit einem in der Rechtsprechung und Lehre einheitlich beurteilten Bedeutungsinhalt habe der Gesetzgeber seiner aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage hervorgehenden Absicht entsprechend ein jedem Auslegungszweifel entzogenes Kriterium aufgestellt, bei dessen Vorliegen davon auszugehen sei, dass die für eine bei Gericht tätige Person erforderliche Vertrauenswürdigkeit nicht gegeben sei. Auf die Aufnahme des Erfordernisses der Vertrauenswürdigkeit als positive Zulassungsvoraussetzung sei wegen der zu erwartenden Interpretationsschwierigkeiten bewusst verzichtet worden. Der in der Berufung vertretene Rechtsstandpunkt, dass erst die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses durch Einleitung einer Voruntersuchung oder Verfügung auf Zustellung der Anklageschrift bei unmittelbarer Anklage den Ausschluss von der Gerichtspraxis zur Folge haben könne, weil erst dann ein hinreichend konkreter Tatverdacht bestehe und der Betroffene die Möglichkeit hätte, durch die Ergreifung von Rechtsmitteln seine Rechte zu wahren, verkenne das Wesen der gerichtlichen Vorerhebungen. Bereits an die Einleitung von gerichtlichen Akten im Rahmen von Vorerhebungen seien gewisse materiell-rechtliche und prozessuale Wirkungen geknüpft. Der Untersuchungsrichter habe die für die Voruntersuchung geltenden Verfahrensvorschriften auch auf Vorerhebungen anzuwenden (§ 88 Abs. 2 StPO), der Betroffene habe bereits im Stadium von Vorerhebungen die Möglichkeit, sich mit Rechtsmittel gegen Akte des Untersuchungsrichters zur Wehr zu setzen (§ 113 Abs. 1 StPO). Für die Entscheidung der Anklagebehörde, die Einleitung der Voruntersuchung oder gerichtliche Vorerhebungen zu beantragen, seien vielfach keineswegs graduelle Unterschiede in der Verdachtslage maßgebend, sondern bediene sich die Staatsanwaltschaft auch bei ausreichendem Tatverdacht häufig der Mittel der Vorerhebungen, um die oft "langwierigere" Voruntersuchung zu vermeiden. Da somit die Auslegung des Begriffs "Einleitung eines Strafverfahrens" im angefochtenen Bescheid im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung und Lehre stehe und der Ausschließungstatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG im Falle des Beschwerdeführers so lange gegeben sei, als das wegen eines Verbrechenstatbestandes gegen ihn eingeleitete Strafverfahren anhängig sei, sei der Berufung nicht Folge zu geben gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluss vom 4. Dezember 1997, B 245/97-7, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie vom Beschwerdeführer ergänzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Ein Antrag auf Zuerkennung von Aufwandersatz unterblieb.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

§ 2 RPG lautet in der hier maßgeblichen Fassung (der Stammfassung BGBl. Nr. 644/1987) auszugsweise:

"Zulassung zur Gerichtspraxis

§ 2. (1) Auf die Zulassung zur Gerichtspraxis besteht in dem Ausmaß ein Rechtsanspruch, in dem die Gerichtspraxis gesetzlich als Berufs-, Ernennungs- oder Eintragungserfordernis vorgesehen ist. Die Zulassung für einen längeren Zeitraum kann nach Maßgabe der budgetären, personellen und räumlichen Möglichkeiten erfolgen.

(2) Von der Gerichtspraxis sind Personen ausgeschlossen,

...

3. gegen die wegen eines Verbrechens ein Strafverfahren eingeleitet ist oder

... ."

Der besondere Teil der Erläuterungen der Regierungsvorlage

eines Rechtspraktikantengesetzes, 340 BlgNR 17. Gp, Seite 8, lautet

(auszugsweise):

"Zu § 2:

...

Der Entwurf verzichtet darauf, die Vertrauenswürdigkeit als Zulassungsvoraussetzung vorzusehen, zumal dieser Begriff immer wieder zu Auslegungsschwierigkeiten führt. Stattdessen werden im Abs. 2 Z 2 und 3 jedem Auslegungszweifel entzogene Kriterien aufgestellt, bei deren Vorliegen davon auszugehen ist, dass die für eine bei Gericht tätige Person erforderliche Vertrauenswürdigkeit nicht gegeben ist.

..."

Die belangte Behörde hat erkennbar die Feststellung des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien übernommen, derzufolge gegen den Beschwerdeführer "gerichtliche Vorerhebungen in Richtung der §§ 146 ff, 158, 159 StGB und 122 GmbHG" geführt würden. Diese Feststellung wird vom Beschwerdeführer auch in der vorliegenden Beschwerde nicht bestritten.

Gemäß § 17 Abs. 1 StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Mit ihrer von der Erstbehörde übernommenen Feststellung, gegen den Beschwerdeführer würden "in Richtung" ua. "§§ 146 ff StGB" gerichtliche Vorerhebungen geführt, hat die belangte Behörde zum Ausdruck gebracht, dass sich diese Vorerhebungen nicht nur auf § 146 StGB allein (Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten), sondern auch auf § 147, und somit auch auf § 147 Abs. 3 StGB (Freiheitsstrafe von ein bis zu zehn Jahren) bezieht. Es ist daher im Folgenden davon auszugehen, dass sich die Vorerhebungen auch auf den Verdacht eines Verbrechens im Sinne des § 17 Abs. 1 StGB beziehen.

Strittig ist im vorliegenden Fall hingegen, ob im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG ein Strafverfahren bereits dann eingeleitet ist, wenn gegen den Antragsteller (lediglich) gerichtliche Vorerhebungen wegen eines Verbrechens geführt werden.

Wie die belangte Behörde im Ergebnis richtig erkannte, ist nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ein gerichtliches Strafverfahren schon dann eingeleitet, wenn irgendeine strafgerichtliche Maßnahme gegen einen bekannten oder unbekannten Täter ergriffen wird. Dass zugleich auch ein Prozessrechtsverhältnis begründet wird, ist nach dieser Judikatur nicht erforderlich (vgl. die Entscheidugen des OGH vom 18. Jänner 1989, 14 Os 170-173/88, JBl 1989, 454 ff, sowie vom 9. März 1995, Os 126,127/94, ÖBA 1995/503; vgl. auch Foregger/Fabrizy, Die österreichische Strafprozessordnung8 (2000) 160, Anm. 1 zu § 83 StPO, sowie bereits die frühere Entscheidung des OGH vom 10. Dezember 1975, Nds 104/75, JBl 1976, 325 ff, mit Glosse von Liebscher). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/04/0123, dieser Auffassung hinsichtlich des im Wesentlichen mit § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG übereinstimmenden § 47 Abs. 5 des Handelskammergesetzes (HKG) angeschlossen. Dass in § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG der Wortfolge "... Strafverfahren ... eingeleitet ...", die in einer Reihe von bundesgesetzlichen Vorschriften vorkommt, ein abweichender Inhalt beigemessen werden sollte, ist weder aus der Systematik des RPG noch aus der Entstehungsgeschichte ersichtlich. Eine von diesem Verständnis abweichende Auslegung des § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG, wie sie dem Beschwerdeführer unter Rückgriff auf arbeitsrechtliche Rechtsprechung vorzuschweben scheint, ist vor dem Hintergrund der dargestellten Judikatur ausgeschlossen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es auch nicht erforderlich, von der soeben dargestellten Auslegung des § 2 Abs. 2 Z. 3 RPG abzugehen, um ein verfassungswidriges Auslegungsergebnis zu vermeiden. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführt, stellt die Nichtzulassung zur Gerichtspraxis selbst keinen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung nach Art. 6 StGG 1867 dar. Ebenso wenig erweist sich der angefochtene Bescheid als Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nach Art. 6 Abs. 2 MRK, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet wird, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Die in Rede stehende Bestimmung des RPG dient, wie die oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zeigen, ganz offensichtlich dem Zweck, von einem Vertrauensverhältnis im Bereich der Gerichtsbarkeit, dem besonderen Ausbildungsverhältnis eines Rechtspraktikanten, eine Person bereits dann auszuschließen, wenn auch nur der Verdacht ihrer mangelnden Vertrauenswürdigkeit gegeben ist. Dass der Gesetzgeber bei der Formulierung eines solchen, wenn auch relativ strengen, Verlässlichkeitskriteriums seinen rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, dass auch der Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde abgelehnt hat, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften geäußert hat.

Schließlich erweist sich auch die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers als unbegründet. Ausgehend von der oben dargestellten Rechtslage ist nicht erkennbar, welcher ergänzenden Feststellungen durch die belangte Behörde es (noch) bedurft hätte.

Der behauptete Feststellungsmangel liegt daher nicht vor.

     Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1

VwGG als unbegründet abzuweisen.

     Aufwandersatz war der belangten Behörde als obsiegende Partei

nicht zuzuerkennen, da kein diesbezüglicher Antrag gestellt wurde.

Wien, am 8. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998190011.X00

Im RIS seit

14.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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