TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/19 W204 2160076-1

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Veröffentlicht am 19.10.2017
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Entscheidungsdatum

19.10.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W204 2160076-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

1. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 29.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 30.07.2015 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt. Der BF gab an, dass er aufgrund von Familienstreitigkeiten Afghanistan verlassen habe. Einer seiner Verwandten sei getötet worden, woraufhin seine Verwandten ihn beschuldigt hätten, den Mord begangen zu haben. Er sei von diesen bedroht worden. Bei einer Rückkehr würde er von seinen Verwandten getötet werden.

3. Der BF wurde am 21.04.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Außenstelle Wien, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, dass er der Volksgruppe der Hazara (Sadat) angehöre und schiitischen Glaubens sei. Er sei gesund, in der Provinz XXXX geboren und habe sein ganzes Leben bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in Kabul gelebt. Seine Eltern, sein Bruder und seine drei Schwestern würden nach wie vor in Kabul leben. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, dass er Afghanistan aufgrund von Streitigkeiten zwischen seiner Familie und jener des Onkels seines Vaters verlassen habe. Nachdem es im Zusammenhang zweier Verlobungsauflösungen zu Wortgefechten und Handgreiflichkeiten zwischen den Familien gekommen sei, sei der Cousin seines Vaters ermordet aufgefunden worden. Zwei Freunde des BF und er selbst seien dafür verdächtigt und vorübergehend inhaftiert worden. Elf Tage nach der Haftentlassung sei er von zwei Motoradfahrern mit einem Messer attackiert und verletzt worden. Bei den Angreifern müsse es ich um Familienmitglieder des Onkels seines Vaters gehandelt haben.

4. Am 05.05.2017 erstattete der BF eine Stellungnahme. Darin wies er auf die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan hin und wiederholte seine Fluchtgründe.

5. Das BFA wies mit Bescheid vom 10.05.2017, Zl. XXXX , den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

6. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF am 19.05.2017 mit Verfahrensanordnung der Verein Menschenrechte Österreich gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

7. Mit dem am 29.05.2017 beim BFA eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid.

8. Am 21.06.2017 brachte der BF eine Beschwerdeergänzung beim BVwG ein, worin er auf einen Widerspruch innerhalb des angefochtenen Bescheids hinwies und dem BFA Verfahrensmängel anlastete.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3), und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu Spruchteil A):

§ 28 VwGVG lautet:

"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Dieses Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Angesichts des in § 28 VwGVG verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit damit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzlich meritorische Entscheidungskompetenz. Vielmehr verlangt das in § 28 leg. cit. normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.6.2014, Ra 2014/03/0063).

Mit § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (wie auch schon mit der nahezu wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997) wurde die aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, speziell für das Asylverfahren weiter konkretisiert (vgl. dazu VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). Demnach verpflichtet § 18 Abs. 1 AsylG 2005 das Bundesamt (zuvor Bundesasylamt), in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

Die Behörde hat im konkreten Fall aus nachfolgenden Gründen gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen und den maßgeblichen Sachverhalt nur ansatzweise bzw. gar nicht ermittelt.

So hat das BFA den BF nur ansatzweise zu seinen Fluchtgründen befragt und in seinem Bescheid die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF im Wesentlichen auf gesteigerte Angaben zur Erstbefragung gestützt, obwohl der BF darin wie verlangt nur sein primäres Vorbringen kurz umschrieben hatte, er keine Gelegenheit zu vertiefenden Angaben hatte bzw. nicht näher befragt worden ist und sich keine Widersprüche ergaben. Bereits der Verfassungsgerichtshof hat aus dem Umstand, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung "insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden [dient] und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen [hat]", abgeleitet, dass an die dennoch bei der Erstbefragung erstatteten, in der Regel kurzen Angaben zu den Fluchtgründen im Rahmen der Beweiswürdigung keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen sind (vgl. VfGH 20.02.2014, Zl. U 1919/2013-15, 1921/2013-16, vgl. aber auch VwGH 13.11.2014, Zl. Ra 2014/18/0061, VwGH 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017). Es ist der Behörde grundsätzlich nicht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in der Erstbefragung zu späteren Angaben miteinzubeziehen, dies aber unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese zurückzuführen sind (vgl. VwGH 10.11.2015, Zl. Ra 2015/19/0189). Das erkennende Gericht kann jedoch keinen Widerspruch zwischen den Angaben des BF bei der Erstbefragung und in der Einvernahme beim Bundesamt erkennen, zumal der BF auch bei der Erstbefragung ausdrücklich erklärte, aus Afghanistan geflüchtet zu sein, weil er von seinen Verwandten des Mordes am Cousin seines Vaters beschuldigt und deswegen bedroht worden sei. In der Zusammenschau mit dem Vorbringen des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, wonach er erstmals näher über den konkreten Vorfall berichten konnte und angab, dass er von zwei Angreifern überfallen worden sei, kann seitens des erkennenden Gerichts kein derart gewichtiger Anhaltspunkt für die bereits bestehende Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens erkannt werden, dass eine nähere Befragung dazu hätte unterbleiben können.

Die belangte Behörde beurteilte die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe in ihrem Bescheid als nicht glaubhaft, ohne dass deren Sachverhaltsfeststellungen – mangels Vorliegens von maßgeblichen Ermittlungsergebnissen – auf einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhen konnte. Das Bundesamt stützte seine Argumentation im Wesentlichen darauf, dass die Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen in höchstem Maße vage und wenig detailreich seien. So habe er keine umfassende und plastische Darstellung vom Übergriff durch die zwei Angreifer gegeben und weder von sich aus genaue Angaben gemacht noch sei es ihm gelungen, sein Vorbringen im Anschluss an konkrete Nachfragen von Seiten des BFA zu präzisieren. Eine solche Argumentation setzt zunächst allerdings voraus, dass der BF – um § 18 AsylG 2005 gerecht zu werden – annähernd konkret befragt worden wäre. Die belangte Behörde hat es in der Einvernahme vom 21.04.2017 allerdings unterlassen, konkrete Nachfragen sowohl zum Übergriff durch die zwei Angreifer (Zeitpunkt, Tathergang etc.) als auch zur Bedrohung des BF durch die Familie des Onkels seines Vaters zu stellen.

Mangels ausreichend ermittelten Sachverhalts sind die von der belangten Behörde getätigten Plausibilitätserwägungen nicht geeignet, das Fluchtvorbingen des BF für unglaubwürdig zu erachten und so die Feststellungen des Bescheids zu tragen. Es fehlen beispielsweise auch jegliche Ermittlungsergebnisse zu den vom Beschwerdeführer im Zuge dieses Überfalls angeblich erlittenen Verletzungen an Armen und Beinen durch das Messer der Angreifer. Das BFA hat hierzu weder eine nähere Befragung vorgenommen noch ein medizinisches Gutachten eingeholt und konnte folglich auch keine Feststellungen dazu treffen, die einer Überprüfung Stand halten könnten. Damit muss auch die Beweiswürdigung des BFA, dass das Vorbringen unglaubwürdig sei, weil der Beschwerdeführer keine Beweismittel aus dem Heimatland vorlegen kann, ins Leere gehen. Somit war aufgrund einer mangelhaften Einvernahme durch das BFA zum wesentlichen Fluchtvorbringen wie dem Überfall und der polizeilichen Anhaltung sowie aufgrund von groben Ermittlungsmängeln in Hinblick auf die Verletzung des BF der wesentliche Sachverhalt als nicht geklärt sowie festzustellen, dass das BFA notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Zur Frage einer Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ist der angefochtene Bescheid überdies mangelhaft, wenn das BFA einerseits feststellt, dass der BF Angehöriger der Volksgruppe der Hazara (Sadat) sei (Bescheid, S. 10) und andererseits in seiner rechtlichen Beurteilung die Nichtzuerkennung damit begründet, dass es sich bei dem BF "um einen Paschtunen handelt", der im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan "auf die Unterstützung der Stammeskultur der Paschtunwali" zählen könne (Bescheid, S. 118).

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und der allenfalls notwendigen medizinischen Abklärungen bzw. Recherchen im Heimatland – nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch die Ermittlungen des BVwG auch keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde nicht zuletzt durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann.

Zusammenfassend ist das BVwG somit unter Zugrundelegung der oben genannten Judikatur der Ansicht, dass das BFA den maßgeblichen Sachverhalt nicht korrekt ermittelt hat und von einer ungenügenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen ist, was nach Lage des Falles ergänzende Ermittlungen erforderlich macht. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. In einer Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen war im vorliegenden Fall das dem BVwG im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben, der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Das BFA wird sich im fortgesetzten Verfahren nach einer neuerlichen und vertiefenden Einvernahme des Beschwerdeführers und den sich daraus ergebenden weiteren Ermittlungsschritten (bspw. Begutachtung der Verletzung, Heimatlandrecherche) sowie unter Heranziehung von entsprechenden, aktuellen Länderberichten eingehend mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und dabei die aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan und die Volksgruppe und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers zu berücksichtigen haben. Die aus diesen Ermittlungen resultierenden Ergebnisse werden mit dem Beschwerdeführer zu erörtern und einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung unter Vornahme einer schlüssigen Beweiswürdigung seitens der belangten Behörde zugrunde zu legen sein.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen und liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich als klar und eindeutig.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Religion, Volksgruppenzugehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W204.2160076.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.10.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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