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40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und DienstrechtsverfahrenNorm
EMRK 7. ZP Art4 Abs1Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes in einem Plädoyer nach Einstellung des gerichtlichen Strafverfahrens wegen Rücktritts von der Anklage; keine unzulässige Doppelverfolgung im Sinne der EMRK angesichts der unterschiedlichen Zwecke des Verwaltungsstrafverfahrens und des strafgerichtlichen Verfahrens nach dem Verbotsgesetz, nämlich dem Hintanhalten einer Ordnungsstörung einerseits und der Ahndung der "Auschwitzlüge" als geschworenengerichtliches Delikt andererseitsRechtssatz
Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15.11.2016 im Fall A und B (GK), Appl 24130/11 und 29758/11, folgt, dass eine Aufeinanderfolge oder Parallelität von Verwaltungsstrafverfahren und gerichtlichem Strafverfahren mit Art4 Abs1 7. ZPEMRK vereinbar sein kann, wenn es sich bei der Verfolgung (und Bestrafung) eines bestimmten Verhaltens nicht um eine Verdoppelung der Verfahren handelt, sondern die beiden Verfahren in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen, indem sie einander mit unterschiedlichen rechtlichen Reaktionen zu verschiedenen Zwecken ergänzen.
Der Beschwerdeführer ist im vorliegenden Fall nicht zweimal, sondern nur wegen der Verwaltungsübertretung nach ArtIII Abs1 Z4 EGVG bestraft worden. Das Strafverfahren wurde gemäß §227 Abs1 StPO eingestellt (was einem Freispruch iSd Art4 Abs1 7. ZPEMRK gleichkommt, s VfSlg 18833/2009). Der Beschwerdeführer ist aber auch nicht entgegen Art4 Abs1 7. ZPEMRK doppelt verfolgt worden.
Ziel des Gesetzgebers ist mit ArtIII Abs1 Z4 EGVG, grundsätzlich Störungen der öffentlichen Ordnung hintanzuhalten. Diese Regelung wurde als ArtIX Abs1 Z7 1986 mit BGBl 248 ins EGVG aufgenommen und sollte eine verwaltungsstrafrechtliche Handhabe gegen das Übel der Verharmlosung nationalsozialistischen Gedankenguts bieten, das das VerbotsG nicht erfasst. Dieses - in vielen Fällen vom Strafrecht gerade nicht mehr erfasste - Verhalten soll - nach dem Willen des Gesetzgebers - noch einer verwaltungsstrafrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Als der Verwaltungsstraftatbestand geschaffen wurde, bestand §3h VerbotsG noch nicht.
Als Bekämpfung eines Übelstandes geht ArtIII Abs1 Z4 EGVG viel weiter als die Tatbestände des VerbotsG. Es bedarf - im Gegensatz zur "Auschwitzlüge" in §3h VerbotsG - weder einer Leugnung oder gröblichen Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schlechthin noch eines spezifischen Vorsatzes, in Österreich wieder ein nationalsozialistisches Regime zu errichten. Vielmehr geht es in ArtIII Abs1 Z4 EGVG um die Ahndung eines Verhaltens, das dadurch, dass es - wenngleich fälschlich - den Eindruck erweckt, es werde Wiederbetätigung im Sinne des VerbotsG betrieben (dem aber tatsächlich der dahin gehende Vorsatz mangelt), objektiv als öffentliches Ärgernis erregender Unfug, der die öffentliche Ordnung durch die Verharmlosung stört, empfunden wird. Auch reicht für seine Begehung Fahrlässigkeit.
Das Verwaltungsstrafverfahren nach ArtIII Abs1 Z4 EGVG und das strafgerichtliche Verfahren nach §3h VerbotsG verfolgen demnach unterschiedliche Zwecke mit verschiedenen Strafen (Geldstrafe und Freiheitsstrafe) - nämlich das Hintanhalten einer Ordnungsstörung einerseits und die Ahndung der "Auschwitzlüge" als geschworenengerichtliches Delikt andererseits.
Die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen ArtIII Abs1 Z4 EGVG ist somit nach Rücktritt von der Anklage wegen §3h VerbotsG mit Art4 Abs1 7. ZPEMRK vereinbar.
Keine Willkür.
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht im angefochtenen Erkenntnis denkmöglich davon aus, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung im Schlussplädoyer, es habe in Mauthausen keine Gaskammern gegeben, (fahrlässig) nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne des ArtIII Abs1 Z4 EGVG verbreitet hat. Dass im Strafverfahren als Begründung des Rücktritts von der Anklage festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer die Existenz von Konzentrationslagern und Gaskammern als historische Tatsache angesprochen und in keiner Weise bagatellisiert habe, steht dem nicht entgegen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Doppelbestrafungsverbot, Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht, Nationalsozialismus, Wiederbetätigung, NationalsozialistengesetzgebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E1698.2017Zuletzt aktualisiert am
20.03.2019