Entscheidungsdatum
07.08.2017Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §22Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Freistätter, MBA, über die Beschwerde der Frau Ma. M., vertreten durch Rechtsanwalt, vom 24.05.2017, gegen das Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk vom 27.04.2017, Zahl: MBA ... - S 10078/17, wegen Übertretung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 - StbG,
zu Recht e r k a n n t:
I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die Beschwerdeführerin keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Das gegenständliche Straferkenntnis vom 27.4.2017 richtet sich gegen die Beschwerdeführerin als Beschuldigte und hat folgenden Spruch:
„Sie haben als Fremde im Sinne des § 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 – StbG, wohnhaft in Wien, T.-straße, insofern gegen die Bestimmung dieses Gesetzes verstoßen, als Sie bei der Antragstellung am 31.3.2016 in einem Verfahren zum Erwerb der Staatsbürgerschaft vor der Behörde, nämlich der Magistratsabteilung 35, 1200 Wien, Dresdner Straße 93, wissentlich falsche Angaben gemacht haben, indem Sie einen gefälschten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 10a StbG vorgelegt haben.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
§ 10a Abs. 1 in Verbindung mit § 63c Abs. 1 des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG)
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe von € 1.000,00, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen und 12 Stunden gemäß § 63c Abs. 1 leg.cit.
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
€ 100,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10% der Strafe (mindestens jedoch € 10,00 je Übertretung).
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher € 1.100,00. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen.“
Dem Straferkenntnis liegt eine Sachverhaltsdarstellung der MA 35 vom 28.2.2017 zu Grunde, wonach die Beschwerdeführerin bei ihrem Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 31.3.2016 ein „Zertifikat für Deutsch“ über das Sprachniveau B1 des GERS vorgelegt habe. Aus der Sicht der Behörde habe es sich dabei um ein gefälschtes Zertifikat gehandelt.
II. Dagegen richtet sich die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde, in der die Tat nicht bestritten wird. Vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführerin deshalb bereits im Rahmen eines nach § 223 Abs. 2 StGB eingeleiteten Strafverfahrens vor dem BG ... im Rahmen einer Diversion mit einer Geldbuße von € 800,00 bestraft worden wäre. Aus Gründen des Doppelbestrafungsverbotes hätte die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren nicht bestraft werden dürfen.
Da es gegenständlich ausschließlich um die Klärung einer Rechtsfrage ging und eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten ließ, konnte von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien gemäß § 44 Abs. 3 Z 1 iVm Abs. 4 VwGVG abgesehen werden.
III. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
III.1. Rechtsgrundlagen:
Die für die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes relevanten Normen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311/1985 in der geltenden Fassung lauten:
§ 10a. (1) Voraussetzung jeglicher Verleihung der Staatsbürgerschaft ist weiters der Nachweis
1.
über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 2 NAG und
2.
von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung und die sich daraus ableitbaren Grundprinzipien sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes.
Verwaltungsübertretungen
§ 63c. (1) Wer in einem Verfahren zum Erwerb der Staatsbürgerschaft oder in einem Verfahren zur Ausstellung von Bestätigungen oder sonstigen Urkunden vor der zuständigen Behörde wissentlich falsche Angaben macht, um sich die Staatsbürgerschaft oder die Ausstellung einer Bestätigung oder sonstigen Urkunde in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft zu erschleichen, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. Wer diese Tat begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 5 000 Euro bis zu 15 000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. Der Versuch ist strafbar.
(2) Wer einer Verfügung nach § 63 Abs. 2 keine Folge leistet oder der ihm nach § 56 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 50 Euro bis zu 250 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, zu bestrafen. Dies gilt nicht für Organe der inländischen Gebietskörperschaften.
Gemäß § 223 Abs. 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen, wer eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz herstellt oder eine echte Urkunde mit dem Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde. Nach Abs. 2 leg.cit. ist ebenso zu bestrafen, wer eine falsche oder verfälschte Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht.
Gemäß § 200 Abs. 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat zurücktreten, wenn der Beschuldigte einen Geldbetrag zu Gunsten des Bundes entrichtet. Nach Leistung des Geldbetrages und allfälliger Schadensgutmachung hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß § 205 nachträglich fortzusetzen ist (§ 200 Abs. 5 StPO).
Die einschlägigen Bestimmungen des VStG über das Zusammentreffen einer Verwaltungsübertretung und einer gerichtlich strafbaren Handlungen lauten:
§ 22. (1) Soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
(2) Hat jemand durch mehrere selbstständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind die Strafen nebeneinander zu verhängen. Dasselbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde zu ahndenden strafbaren Handlungen.
Gemäß Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.
III.2. Sachverhalt:
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens (Akt der belangten Behörde, Gerichtsakt sowie der eingeholte, die Beschwerdeführerin betreffende Strafakt des Bezirksgerichtes ..., GZ ...) wird folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:
Die Beschwerdeführerin wurde am ...1986 geboren und ist nigerianische Staatsangehörige. Sie stellte am 31.3.2016 beim Magistrat der Stadt Wien, MA 35, einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Dabei legte sie ein gefälschtes Sprachdiplom B1 vor. Die Beschwerdeführerin wusste, dass es sich um eine Fälschung handelte.
Die Staatsanwaltschaft Wien erhob gegen die Beschwerdeführerin am 2.9.2016 wegen § 223 Abs. 2 StGB Strafantrag. In der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht ... vom 24.11.2016 zeigte sich die Beschwerdeführerin voll geständig. Da die Voraussetzungen für eine diversionelle Erledigung vorlagen, wurde ihr angeboten, das Verfahren nach Bezahlung einer Geldbuße von 800,00 Euro einzustellen. Die Geldbuße wurde von der Beschwerdeführerin zur Gänze fristgerecht entrichtet.
Mit Beschluss des BG ... vom 30.12.2016 wurde das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin gemäß §§ 199 und 200 Abs. 5 StPO eingestellt.
Am 27.4.2017 wurde das nunmehr im Beschwerdeverfahren anhängige Straferkenntnis gegen die Beschwerdeführerin erlassen.
III.3. Rechtliche Beurteilung:
Nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 4 7. ZPEMRK ist die Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen nur zulässig, sofern diese sich in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppel- oder Mehrfachbestrafung im Sinne des Art. 4 7. ZPEMRK liegt demnach vor, wenn eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war, also der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft – ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt daher, wenn das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst (vgl. zuletzt VfGH 13.6.2013, B 422/2013 mwH; VwGH 15.3.2013, 2012/17/0365).
Auch der EGMR sprach in seiner Judikatur (etwa Verfahren Fischer gegen Österreich, Beschwerde Nr. 37950/97) aus, dass Art 4 7. ZPEMRK sich nicht auf das Recht beschränkt, nicht zweimal bestraft zu werden, sondern auch das Recht betrifft, nicht zweimal vor Gericht gestellt zu werden. Angesichts der unterschiedlichen Tatumschreibungen im StGB bzw. in den jeweils einschlägigen Verwaltungsvorschriften ist in derartigen Fällen jeweils zu prüfen, ob die strafbare Handlung, welche Gegenstand des Gerichtsverfahrens war und die angezeigte Verwaltungsübertretung die gleichen wesentlichen Tatbestandsmerkmale aufweisen oder nicht (vgl. dazu unter anderem grundsätzlich Thienel/Hauenschild, Verfassungsrechtliches ne bis in idem und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 70 ff).
In seiner Vorabentscheidung im Fall Van Esbroeck, RsC-436/04, ist der EuGH von einem weiten Begriff derselben Tat ausgegangen. Im Ergebnis bestimmt der EuGH den Tatbegriff anhand des tatsächlichen Sachverhaltes. Entscheidend ist somit das tatsächliche Geschehen, der sogenannte historische Lebenssachverhalt, nicht aber dessen rechtliche Einordnung unter einem bestimmten Straftatbestand. Ebenso wenig ist die Identität des hinter der jeweiligen Strafnorm stehenden Rechtsguts von Bedeutung (vgl. ausführlich zu dieser Entscheidung den Beitrag von Rosbaud in ÖJZ 2006, 669 ff).
§ 22 Abs. 1 VStG normiert in diesem Sinne eine generell subsidiäre verwaltungsbehördliche Strafbarkeit. Eine Tat ist demnach als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Nach herrschender Ansicht ist eine Diversion im Hinblick auf das Doppelverfolgungs- und -bestrafungsverbot so zu behandeln, als hätte das Verfahren mit einer Verurteilung geendet (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014), Rz 1130, mwN).
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Bestrafung wegen Übertretung des Staatsbürgerschaftsgesetzes angesichts der diversionellen Maßnahme wegen Gebrauchs einer gefälschten Urkunde zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache (§ 223 Abs. 3 StGB) gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoße, ist begründet.
Das Delikt des Gebrauchs einer gefälschten Urkunde gemäß § 223 Abs. 3 StGB umfasst den Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretung des § 63 c Abs. 1 in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Z 1 StbG.
Der Schutzzweck beider Bestimmungen zielt darauf ab, sich im Rechtsverkehr nicht durch Vorlage einer gefälschten Urkunde eine Rechtsposition (hier: Verleihung der Staatsbürgerschaft) zu erschleichen. Die Vorlage des gefälschten Sprachdiplomes vor der Staatsbürgerschaftsbehörde stellt jene Handlung dar, die in einem Strafgerichtsverfahren zur Strafbarkeit gemäß § 223 StGB führt. Es kann somit kein Zweifel bestehen, dass Sache des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens sowie des beim BG ... anhängig gewesenen Strafverfahrens die gleiche Tat war, nämlich die Vorlage einer gefälschten Urkunde zur Erschleichung einer Rechtsposition.
Mit der Bestätigung des vorliegenden Straferkenntnisses würde daher für ein- und dasselbe Verhalten der Beschuldigten ein Unrechts- und Schuldgehalt abgegolten, der bereits durch die diversionelle Erledigung wegen des Vergehens nach § 223 Abs. 2 StGB umfasst wurde. Die Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 10a Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 63c Abs. 1 StbG stünde somit in Widerspruch zu Art. 4 7. Zusatzprotokoll der EMRK und § 22 Abs. 1 VStG.
Daher war das Straferkenntnis zu beheben und das Strafverfahren einzustellen.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Doppelverfolgungsverbot, Doppelbestrafungsverbot, dieselbe Tat, Subsidiarität, Scheinkonkurrenz, Diversion, Erschleichung einer RechtspositionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.051.031.7750.2017Zuletzt aktualisiert am
22.09.2017