Entscheidungsdatum
07.08.2017Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §7 Abs2 Z5Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Landesrechtspfleger Mag. Fahrngruber über die Beschwerde der Frau S. W. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Sozialzentrum für den … Bezirk, vom 12.04.2017, Zl. MA 40 - Sozialzentrum für den … Bezirk - SH/2017/1501947-001, mit welchem gemäß §§ 7, 8, 9, 10 und 12 des Wiener Mindestsicherungsgesetzes - WMG in der geltenden Fassung im Zusammenhang mit den §§ 1, 2, 3 und 4 der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Gesetz zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien - WMG-VO in der geltenden Fassung auf Grund einer Änderung I.) die zuletzt mit Bescheid vom 20.01.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01198197-001, zuerkannte Leistung mit 30.4.2017 eingestellt, II.) eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs zuerkannt und III.) den für die über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs hinausgehenden Bedarf eine Mietbeihilfe zuerkannt wurde, nach öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG wird der angefochtene Bescheid behoben.
II. Gemäß § 7 Abs. 1 WMG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 WMG-VO wird der Beschwerdeführerin eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs (Grundbedarfs) zuerkannt:
von 01.05.2017 bis 28.02.2018 monatlich je € 844,46.
III. Gemäß § 9 WMG wird der Beschwerdeführerin für den über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs hinausgehenden Bedarf eine Mietbeihilfe zuerkannt:
von 01.05.2017 bis 28.02.2018 monatlich je € 118,22.
IV. Gemäß § 8 Abs. 3 WMG wird Ihnen zu der monatlich wiederkehrenden Leistung der Mindestsicherung in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung zuerkannt:
von 01.05.2017 bis 01.05.2017 von € 844,46
von 01.10.2017 bis 01.10.2017 von € 844,46.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
A. Zum Gang des Verfahrens
1. Mit Bescheid vom 20.01.2017 zur Zl. MA 40 - SH/2017/01198197-001 wurden der Antragstellerin S. W., geboren am …1993, österreichische Staatsbürgerin, Leistungen nach dem WMG (Mindeststandard € 837,76), Sonderzahlungen im Mai und Oktober (je € 837,76) und Mietbeihilfe (pro Monat € 105,54) zuerkannt.
2. Mit Schreiben vom selben Tag wurde die Antragstellerin aufgefordert, ein ärztliches Gutachten bei der Pensionsversicherungsanstalt (in der Folge kurz: PVA) durchführen zu lassen. Das Gutachten der PVA attestierte Frau W. Arbeitsfähigkeit, dies wurde ihr aber nicht im Rahmen des Parteiengehörs mitgeteilt. In der Folge erließ die Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.04.2017, mit dem die bisher zuerkannten Leistungen eingestellt und neu bemessen wurden.
3. Begründend führte die Behörde aus, dass laut dem ärztlichen Gutachten der PVA Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben sei. Die Dauerleistung sei daher einzustellen und die Bedarfsorientierte Mindestsicherung neu zu bemessen gewesen.
4. Frau W. brachte aus diesem Grund eine Beschwerde gegen das Gutachten der PVA bei der Behörde ein, die diese an die PVA weiterleitete.
5. Gegen den Bescheid der MA 40 brachte Herr Ing. Mag. E., MBA, in der Folge kurz BFV, im Namen von Frau W. Beschwerde ein. Da dem Behördenakt keine Vollmacht zu entnehmen war und darüber hinaus die Eingabe nicht von Frau W. unterschrieben war, wurde an den Einbringer (Vorlage einer entsprechenden Vollmacht) und Frau W. (Vorlage einer unterschriebenen Beschwerde) je ein Mangelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG gerichtet. Diesen Aufträgen wurde Folge geleistet, die Beschwerde vom Verwaltungsgericht Wien in Bearbeitung genommen.
6. In der Sache führte die nunmehrige Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: BF) im Wege ihres Vertreters aus, dass sie aufgrund ihrer Krankheitssituation ständig sowohl in medizinischer als auch therapeutischer Betreuung stehe. Außerdem bestehe aufgrund der langjährigen (mehr als 20 Jahre andauernden) Krankengeschichte eine sehr starke Reduktion der Belastbarkeit und sei das Vorbringen der PVA – Frau Dr. R. für die BF nicht nachvollziehbar. Die BF habe vor etwa 1 Jahr begonnen, wieder ein eigenständiges Leben zu führen und sei durch die Untersuchung bei der PVA eine spürbare Verschlechterung ihres Gesamtzustandes eingetreten. Der BFV wies darauf hin, dass sowohl mit dem Verein P. als auch mit der H. Betreuungsvereinbarungen bestünde, die ein reguläres Arbeitsverhältnis unmöglich machen würden.
7. Mit Schreiben vom 23.05.2017 meldete sich Frau W. bei der Behörde krank und gab weiters bekannt, dass sich die Miete auf € 232,22 erhöht habe. Die Behörde nahm dies zum Anlass, einen weiteren Bescheid (Zl.MA 40 – SH/2017/1712072-001) zu erlassen, mit dem einerseits der BF Leistungen zuerkannt wurden, andererseits aber für das hg. Verfahren der Zeitraum der Zuerkennung massiv eingeschränkt und auch in die Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichtes eingegriffen wurde. Gegen diesen Bescheid brachte die BF ebenfalls eine Beschwerde ein, das Verfahren ist zur GZ: VGW-242/043/RP28/10616/2017 anhängig.
8. Die PVA hat trotz Aufforderung durch das Verwaltungsgericht Wien kein Gutachten vorgelegt. Im Behördenakt befindet sich lediglich eine einzeilige „Chefärztliche Stellungnahme“: „Gemäß ärztlichem Gutachten vom 27.03.2017 ist Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben“. Diesem Schreiben ist nicht zu entnehmen, welche Person das Gutachten erstellt hat.
9. Am 13.07.2017 fand am Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der die BF und der BFV teilnahmen, die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme. In der Verhandlung wurde eine Bestätigung über die Behandlung des betreuenden Facharztes und den Verein P. vorgelegt.
10. Da die belangte Behörde in der Zwischenzeit einen weiteren Bescheid betreffend den Bezug von Bedarfsorientierter Mindestsicherung erlassen hat (siehe Punkt 7) und dieser Bescheid aufgrund des Zeitraumes, über den entschieden wurde, einen direkten Bezug zu diesem Verfahren hat, wurde die Entscheidung nicht verkündet.
B. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
B 1. Gesetzliche Bestimmungen:
11. Gemäß § 4 Abs. 1 WMG hat Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich (§ 4 Abs. 2 WMG).
12. Gemäß § 7 Abs. 1 WMG haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2 Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
13. Nach § 7 Abs. 2 WMG erfolgt die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft nach folgenden Kriterien:
1. Volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft.
2. Volljährige Personen im gemeinsamen Haushalt, zwischen denen eine unterhaltsrechtliche Beziehung oder eine Lebensgemeinschaft besteht, bilden eine Bedarfsgemeinschaft.
3. Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Elternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.
4. Volljährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe und volljährige Personen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil bilden mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft.
5. Volljährige Personen ab dem vollendeten 21. Lebensjahr und volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie im gemeinsamen Haushalt mit einem Eltern- oder Großelternteil leben.
14. Gemäß § 8 Abs. 1 WMG erfolgt die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten. Für Personen, die das Regelpensionsalter nach dem Bundesgesetz vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG) erreicht haben und für volljährige, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 13,5 vH der Mindeststandards, wenn sie alleinstehend sind oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft leben. Liegen bei mehr als einer Person in der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vor, beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 9 vH der Mindeststandards.
15. Zu Folge § 8 Abs. 2 WMG betragen die Mindeststandards:
1. 100 vH des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. b ASVG abzüglich des Beitrages für die Krankenversicherung
a) für volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben;
b) für volljährige Personen, die ausschließlich mit Personen nach Z 3 oder Z 4 (Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher) eine Bedarfsgemeinschaft bilden;
2. 75 vH des Wertes nach Z 1 für volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 leben;
3. 50 vH des Wertes nach Z 1
a) für volljährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 4;
b) für volljährige Personen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 4;
4. 27 vH des Wertes nach Z 1 für minderjährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 3.
16. § 8 Abs. 3 WMG lautet: Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben und volljährigen, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähigen Personen ist zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zuzuerkennen. Ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, ist auf diese Sonderzahlungen anzurechnen.
17. Gemäß § 9 Abs. 1 WMG wird ein über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs nach § 8 Abs. 1 hinausgehender Bedarf an die anspruchsberechtigten Personen als Bedarfsgemeinschaft in Form einer monatlichen Geldleistung (Mietbeihilfe) zuerkannt, wenn dieser nachweislich weder durch eigene Mittel noch durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Die Mietbeihilfe gebührt ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat.
18. Die Mietbeihilfe ist, bei durch unbedenkliche Urkunden nachgewiesenen tatsächlich höheren Kosten der Abdeckung des Wohnbedarfs, bis zur Höhe der Bruttomiete zuzuerkennen und wird wie folgt berechnet:
1. Den Ausgangswert bilden die nach Abzug sonstiger Leistungen tatsächlich verbleibenden Wohnkosten bis zu den Mietbeihilfenobergrenzen nach Abs. 3.
2. Dieser Ausgangswert wird durch die Anzahl der in der Wohnung lebenden volljährigen Personen geteilt und mit der Anzahl der volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft multipliziert.
3. Von dem für die Bedarfsgemeinschaft ermittelten Wert wird ein Betrag in folgender Höhe vom jeweiligen Mindeststandard nach § 8 Abs. 2 abgezogen:
a) für jede volljährige Hilfe suchende oder empfangende Person ein Betrag in der Höhe von 25 vH;
b) für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Person, wenn sie alleinstehend ist oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft lebt, ein Betrag in der Höhe von 13,5 vH;
c) für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Person, wenn bei mehr als einer Person der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vorliegen, ein Betrag von 9 vH.
19. Die Mietbeihilfenobergrenzen werden pauschal nach Maßgabe der in der Wohnung lebenden Personen und der angemessenen Wohnkosten unter Berücksichtigung weiterer Beihilfen durch Verordnung der Landesregierung festgesetzt (§ 9 Abs. 3 WMG).
20. § 10 Abs. 1 WMG lautet: Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen.
21. Gesetzliche oder vertragliche und der Höhe nach bestimmte Ansprüche der Hilfe suchenden Person auf Leistungen, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, sind auch dann anzurechnen, wenn die Hilfe suchende Person diese nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich) verfolgt, sofern die Geltendmachung weder offenbar aussichtslos noch unzumutbar ist. Dies ist von der unterhaltsberechtigten Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung glaubhaft zu machen (§ 10 Abs. 4 WMG).
22. Gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG beträgt der Mindeststandard für das Jahr 2017 € 844,46.
23. § 28 VwGVG lautet: Abs. 1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Abs. 2: Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltsdurch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
24. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
25. Die Erkenntnisse sind im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen. Hat eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden, so hat in der Regel das Verwaltungsgericht das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden (§ 29 Abs. 1 und 2 VwGVG).
B 2. Das Verwaltungsgericht hat folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt festgestellt:
26. Die BF, Frau S. W., ist österreichische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Wien und berechtigt, Leistungen nach dem WMG zu beziehen. Sie erhält keinerlei Unterstützung durch das AMS oder andere Personen oder Institutionen.
27. Die BF ist aufgrund ihrer Erkrankungen und den damit verbundenen Therapien dauerhaft nicht arbeitsfähig.
28. Die BF bezahlt € 232,22 Gesamtmiete, sie erhält keine Wohnbeihilfe.
29. Diese Ergebnisse beruhen auf der Einsicht in den Verwaltungsakt der Behörde und den Akt des Verwaltungsgerichtes Wien sowie auf den Ergebnissen des Beweisverfahrens.
B 3. In rechtlicher Hinsicht wurde dazu erwogen:
30. Die BF ist österreichische Staatsbürgerin und berechtigt, Leistungen nach dem WMG zu beziehen, der entsprechende Antrag auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung und Mietbeihilfe wurde am 16.01.2017 eingebracht. Dem Antrag wurde mit Bescheid vom 20.01.2017 stattgegeben (Dauerleistung) und wurde der BF ebenso Mietbeihilfe zuerkannt. Diese zuerkannten Leistungen wurden durch den angefochtenen Bescheid eingeschränkt – keine Dauerleistung, nur Mindeststandard, Reduktion der Mietbeihilfe - und nach Einbringung der Beschwerde wurde ein weiterer Bescheid (siehe oben Punkt 7) erlassen, der die Mietbeihilfe an die bekannt gegebene neue Miete angepasst hat.
31. Im Zuge der Verhandlung hat die BF nicht nur fachärztliche Gutachten und ihre Betreuungsvereinbarungen vorgelegt, sondern war es dem erkennenden Gericht auch möglich, einen persönlichen Eindruck von der BF zu gewinnen.
B 3.1.1. Zur Frage der Arbeitsfähigkeit
32. Als Entscheidungsgrundlage dienen dem Verwaltungsgericht Wien die einzeilige, unbegründete Stellungnahme der PVA, ein fachärztliches Gutachten des behandelnden Arztes, der Therapieplan sowie die persönliche Einvernahme. In der Verhandlung vom 13.07.2017 führte die BF zu ihrer Therapie aus, dass 2 x wöchentliche Therapieeinheiten bei Dr. B. und bei einer Psychotherapeutin, Sa. Be., stattfinden. Dr. B. ist seit 8 Jahren der behandelnde Arzt der BF und hat die BF an den Verein P. zur Therapie vermittelt. Als Folge der PVA-Untersuchung und des nachfolgenden Gutachtens sei eine rapide Verschlechterung des Gesamtzustandes eingetreten, sodass sie außer zu therapeutischen Zwecken kaum noch das Haus verlasse. Ergänzend wurde vom BFV vorgebracht, dass die BF bei der H. im Rahmen des Betreuten Wohnens erstmals allein wohne und zumindest 2 x wöchentlich mit ihr therapeutische Gesprächskontakte (im Rahmen der Sozialarbeit) stattfinden.
33. Unbestritten steht fest, dass die BF in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung steht, die im Normalfall 2 x wöchentlich im Rahmen des Vereins P. stattfindet. Darüber hinaus befindet sich die BF in Betreuung durch die H., die ihr auch eine Wohnung zur Verfügung stellt („betreutes Wohnen“).
34. Dem vorliegenden ärztlichen Gutachten sind folgende Diagnosen zu entnehmen: posttraumatische Belastungsstörung, Abhängigkeitssyndrom nach Drogeneinnahme in Verbindung mit einem ärztlich überwachten Drogenersatzprogramm, Agoraphobie; die BF hat auch in diesem Jahr Suizidversuche unternommen.
35. Die von der PVA vorgelegte chefärztliche Stellungnahme nimmt auf die zahlreichen als erwiesen anzusehenden Beeinträchtigungen der BF keinen Bezug, trotz gerichtlicher Aufforderung wurde das PVA-Gutachten nicht dem erkennenden Gericht vorgelegt.
36. Die vorliegenden Gutachten, Stellungnahmen und die persönliche Einvernahme der BF würdigt das erkennende Gericht wie folgt:
a) die PVA-Stellungnahme wird als mangelhaft gewertet, da die – vom VwGH geforderte - Beurteilung der konkreten Person sowie die bestehenden Krankheiten und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit nicht der vom VwGH eingeforderten ordnungsgemäßen Befundung entsprechen.
b) Die vom Verein vorgelegten Gutachten und therapeutischen Pläne sind als Gutachten zu werten, die Schlussfolgerungen des behandelnden Arztes (nach Erhebung des Befundes und des Zustandes der Patientin) sind schlüssig und glaubwürdig. Für das erkennende Gericht besteht an dieser fachlichen Expertise kein Zweifel.
c) In der Verhandlung war zu erkennen, dass die BF große Schwierigkeiten hat, mit der Situation vor dem Verwaltungsgericht Wien zurecht zu kommen. Sie hat ihre persönlichen Umstände – nach anfänglichen Schwierigkeiten – glaubhaft geschildert, es waren die Angstzustände sowie die – durch die Situation ausgelösten – Emotionen klar erlebbar.
d) In der ärztlichen Stellungnahme wird eine Reihe von Gründen angeführt, die schlussendlich zu einer negativen Bewertung der Arbeitsfähigkeit führten. Neben den durch Medikamente herbeigeführten Einschränkungen (Verlangsamung der Reaktionen, notwendige Dauermedikationen, Schlafmangel) war in der Verhandlung auch eine deutlich verringerte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit zu bemerken.
37. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Frage mangelhafter Gutachten bereits ausjudiziert. Erscheint ein Gutachten, dass aus Anlass der Prüfung der Arbeitsfähigkeit erstellt wurde, nicht schlüssig und/oder liegt einem Gutachten kein ordentlicher Befund zu Grunde, sodass es ein mangelhaftes Gutachten darstellt, kann es dem bescheidmäßigen Widerruf der zuerkannten Leistungen nicht zu Grunde gelegt werden (zum mangelhaften Befund VwGH vom 9.8.1988, Zl. 88/18/0046).
38. Für das erkennende Gericht steht nach Abschluss des Beweisverfahrens fest, dass die BF derzeit dauerhaft nicht arbeitsfähig ist.
B 3.1.2. Zur Frage des Leistungsanspruches
39a. Gemäß § 7 Abs. 2 Z 5 WMG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 lit. b WMG-VO und in Verbindung mit § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG beträgt der anzuwendende Mindeststandard für das Jahr 2017 € 844,46.
39b. Nach § 8 Abs. 3 WMG sind Personen, die für mindestens 1 Jahr dauerhaft arbeitsunfähig sind, berechtigt, im Mai und Oktober jeden Jahres eine Sonderzahlung in Höhe des Mindeststandards zu beziehen.
39c. Für alle Personen, die nach § 7 Abs. 2 Z 5 WMG Anspruch auf Leistungen haben, beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 13,5% des Mindeststandards, das sind € 114,--.
40. Der Anspruch der BF war mangels Einkommen wie folgt festzusetzen: € 844,46 (Mindeststandard) und Sonderzahlungen in gleicher Höhe im Mai und Oktober jeden Jahres. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Zuerkennung für den neu bemessenen Zeitraum (ab 01.05.2017) bis 28.02.2017 analog dem angefochtenen Bescheid gewählt.
41. Der Antrag auf Mietbeihilfe entsprechend § 8 WMG war – aufgrund der Einstufung der BF nach § 7 Abs. 2 Z 5 WMG – neu zu bemessen: Die Miete in der Höhe von € 232,77 liegt unter der Mietbeihilfenobergrenze für Ein-Personen-Haushalte, daher war mit der tatsächlichen Miete weiter zu rechnen: € 232,22 - € 114,-- (Grundbedarf) und beträgt ab 01.05.2017 € 118,22 pro Monat.
42. Da die BF aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens berechtigt war, eine Dauerleistung nach dem WMG und Mietbeihilfe zu beziehen, war der Anspruch neu zu berechnen und spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Mindestsicherung, Dauerleistung, Sonderzahlung, Schlüssigkeit eines ärztlichen Gutachtens, Arbeitsfähigkeit, Einstellung, NeubemessungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.242.043.RP28.6713.2017Zuletzt aktualisiert am
12.10.2017