TE Lvwg Erkenntnis 2017/9/5 VGW-031/005/11065/2016

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Veröffentlicht am 05.09.2017
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Entscheidungsdatum

05.09.2017

Index

L40009 Sonstige Polizeivorschriften Wien;
L40019 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung Polizeistrafen Wien
41/01 Sicherheitsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

WLSG §1 Abs1 Z1
WLSG §1 Abs1 Z2
SPG §81 Abs1
SPG §81 Abs2
VStG §3 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch die Richterin Dr. Hason über die Beschwerde des Herrn J. B., vertreten durch seinen Sachwalter Herrn MMag. Dr. P., Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Döbling, vom 14.6.2016, GZ: VStV/916300845687/2016, betreffend Verwaltungsübertretungen nach dem WLSG und nach dem SPG, zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Spruch des gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer als Beschuldigten gerichteten Straferkenntnisses hat folgenden Wortlaut:

„1. Sie haben am 13.06.2016, von 19:15 Uhr bis 19:30 Uhr in Wien, T.-gasse, durch folgende Begehungsweise den öffentlichen Anstand verletzt: Schreien ordinärer Schimpfworte

2. Sie haben am 13.06.2016, von 18:43 Uhr bis 18:47 Uhr in Wien, C.-gasse durch das unten beschriebene Verhalten in besonders rücksichtsloser Weise die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört.

Sie haben mehrere Passanten angeschrien und beschimpft, sodass die Polizei herbeigeholt wurde.

3. Sie haben am 13.06.2016, von 19:15 Uhr bis 19:30 Uhr in Wien, T.-gasse durch folgende Begehungsweise ungebührlicherweise störenden Lärm erregt: lautes Schreien.

4. Sie haben sich am 13.06.2016, von 19:20 Uhr bis 19:30 Uhr in Wien, T.-gasse durch das unten beschriebene Verhalten trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses seine gesetzliche Aufgabe wahr nahm, aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert.

Sie haben mehrmals mit zu Fäusten geballten Händen im Gesichtsbereich der u.EB wild gestikuliert.

Der Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

§ 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG, § 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. 566/91

§ 1 Abs. 1 Z. 2 WLSG. § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. 566/91

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von

Euro 100,00

Euro 100,00

Euro 100,00

Euro 100,00

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

1 Tage(n) 1 Stunden

1 Tage(n) 1 Stunden

1 Tage(n) 1 Stunden

1 Tage(n) 1 Stunden

Gemäß

§ 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz

§ 1 Abs. 1 WLSG

§ 1 Abs. 1 WLSG

§ 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz

Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):

13 Stunde(n) 15 Minute(n) Vorhaft (entspricht 53.-) wird auf die Strafe zu Pkt. 1 angerechnet.

Ferner hat der Beschuldigte gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG zu zahlen:

Euro 40,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens 10 Euro für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich Euro 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher Euro 387,00“

In dem dagegen vom Sachwalter des Beschwerdeführers eingebrachten Rechtsmittel wird vorgebracht, dass der Beschwerdeführer psychisch krank und die Tat ihm daher nicht vorwerfbar sei. Der Beschwerdeführer leide an einer chronisch produktiven Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche bedingt durch die vorliegende Realitätsstörung zu einer deutlichen Einengung der sozialen Kompetenz führe. Der Beschwerdeführer sei somit in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht unzurechnungsfähig im Sinne des § 3 Abs 1 VStG.

Aufgrund des Beschwerdevorbringens ersuchte das Verwaltungsgericht Wien den Facharzt für Psychiatrie und Neurologie der Magistratsabteilung 15 um Abgabe eines Gutachtens, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlungen aus medizinischer Sicht in der Lage war, das Unerlaubte seiner Handlungen einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie der MA 15 gelangte in seinem fachärztlichen Gutachten vom 25.10.2016 zu folgendem Schluss:

„BEURTEILUNG:

Der Untersuchte ist seit mehreren Jahren besachwaltet; das in diesem Zusammenhang erstellte psychiatrische Gutachten weist bereits im Jahr 2005 auf eine chronifizierte schizophrene Psychose hin.

Aktuell ist mit dem Probanden ein geordnetes Gespräch aufgrund von Denkstörungen und massiven Beeinträchtigungen des Realitätsbezuges nicht möglich, Biographie und Anamnese sind kaum erhebbar.

Auch in Bezug auf den gegenständlichen Vorfall ist dem Beschwerdeführer eine geordnete Auskunftserteilung nicht möglich; seinen Äußerungen sind lediglich eine psychotisch motivierte erhöhte Konfliktbereitschaft sowie häufiger Konsum größerer Alkoholmengen zu entnehmen.

Diagnostisch weisen die aktuellen psychopathologischen Auffälligkeiten neuerlich auf eine unbehandelte schizophrene Psychose mit chronifiziertem Verlauf hin; Denken und Handeln des Untersuchten scheinen überwiegend durch die psychische Erkrankung determiniert.

In Bezug auf die vorgeworfenen Tathandlungen im Juni dieses Jahres muss damit aus fachärztlicher Sicht mit Wahrscheinlichkeit von einer schweren psychischen Beeinträchtigung zusätzlich zur festgestellten Alkoholisierung und damit von einer Aufhebung von Diskretions- und Dispositionsfähigkeit ausgegangen werden.“

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Gemäß § 3 Abs 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Die Bestimmungen des § 3 VStG sind von Amts wegen wahrzunehmen (vgl zB das Erkenntnis des VwGH vom 22.9.1992, Zl. 92/06/0087). Die Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 Abs 1 VStG bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit, ob aber von einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ausgegangen werden kann, kann, wenn Indizien in diese Richtung vorliegen, nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten hinreichend geklärt werden (siehe zB VwGH vom 23.10.1991, Zl. 91/02/0065).

Der Grundsatz "in dubio pro reo" stellt eine Regel für jene Fälle dar, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise in dem entscheidenden Organ nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Nur wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein "Freispruch" zu erfolgen (vgl zB die Erkenntnisse des VwGH vom 15.5.1990, Zl. 89/02/0082 und vom 28.11.1990, Zl. 90/02/0137).

Aufgrund der Beurteilung durch den Facharzt für Psychiatrie und Neurologie der MA 15 ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war.

Der Beschwerde war daher in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren spruchgemäß einzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Lärm; Lautes Schreien; öffentliche Ordnung; Sachwalter; Unzurechnungsfähigkeit; Psychose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.031.005.11065.2016

Zuletzt aktualisiert am

20.09.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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