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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ASVG §413 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des Verbands W in Wien, vertreten durch Lansky & Prochaska, Rechtsanwälte in Wien I, Rotenturmstraße 29/9, gegen den Bescheid der Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen vom 13. Juli 2000, Zl. 120.854/3-7/2000, betreffend Zurückweisung einer Berufung und Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer die Versicherungspflicht betreffenden Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. F in Z, 2. Wiener Gebietskrankenkasse in Wien X, Wienerbergstraße 15-19, 3. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien II, Friedrich Hillegeist-Straße 1,
4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in Wien XX, Adalbert-Stifter-Straße 65, 5. Arbeitsmarktservice Wien, Landesgeschäftsstelle, in Wien I, Weihburggasse 30), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid vom 27. Mai 1997 (in der Beschwerde als "Erkenntnis" bezeichnet) traf die Wiener Gebietskrankenkasse eine Entscheidung über die Versicherungspflicht des Erstmitbeteiligten auf Grund seiner Beschäftigung bei der beschwerdeführenden Partei. Einer Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen einen Bescheid des Landeshauptmanns von Wien, mit dem der Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse bestätigt worden war, gab die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nach den Ausführungen in der Beschwerde: "für soziale Sicherheit und Generationen") mit Bescheid vom 10. September 1998 gemäß § 417a ASVG in der Weise Folge, dass sie den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien behob und die Angelegenheit zur Ergänzung der Ermittlungen und zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Landeshauptmann von Wien zurückverwies. Mit Bescheid vom 28. Oktober 1998 gab der Landeshauptmann von Wien dem Einspruch der beschwerdeführenden Partei gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 27. Mai 1997 abermals nicht Folge. Die Rechtsmittelbelehrung lautete:
"Dieser Bescheid kann binnen zwei Wochen nach Zustellung durch schriftliche Berufung an das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales angefochten werden. Die Berufung hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten und ist bei der Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien, einzubringen. Für den Versicherungsträger, der den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, ist Einbringungsstelle für die Berufung der Landeshauptmann von Wien."
Die - in Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides von der belangten Behörde als verspätet zurückgewiesene - Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen den ihr am 13. November 1998 zugestellten Einspruchsbescheid wurde am 27. November 1998 beim Landeshauptmann von Wien eingebracht und langte innerhalb der Berufungsfrist weder bei der Wiener Gebietskrankenkasse noch bei der Berufungsbehörde ein.
Durch eine Aufforderung der Berufungsbehörde, zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung Stellung zu nehmen, sah sich die beschwerdeführende Partei dazu veranlasst, bei der Wiener Gebietskrankenkasse mit Schriftsatz vom 7. Dezember 1999 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Die Begründung dieses Antrages lautete nach der in der Beschwerde nicht bestrittenen Wiedergabe im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen wie folgt:
"Die Berufung sei von einem Rechtsanwaltsanwärter nach Vorbesprechung verfasst und von einer bereits langjährig tätigen und verlässlichen Sekretärin der Kanzlei geschrieben worden. Diese sei von der Annahme ausgegangen, dass es sich um einen erstinstanzlichen Bescheid handle. Sie habe die Rechtsmittelbelehrung lediglich überflogen, wobei ihr der letzte Satz '... ist Einbringungsstelle für die Berufung der Landeshauptmann von Wien' ins Auge gesprungen sei. § 415 ASVG sei ihr nicht bekannt gewesen und habe sie nicht damit gerechnet, dass die Rechtsmittelbelehrung eine weitere Einbringungsstelle enthalten könne. Der fertige Entwurf sei RA Dr. Lansky vorgelegt worden, der keinerlei Anlass dazu gesehen habe, an der Richtigkeit der von seiner erfahrenen und verlässlichen Sekretärin verfassten Rubrik zu zweifeln.
Es liege somit ein minderer Grad des Versehens vor."
Mit Bescheiden vom 19. Jänner 2000 und 23. Februar 2000 gaben die Wiener Gebietskrankenkasse dem Wiedereinsetzungsantrag und der Landeshauptmann von Wien dem gegen diese Entscheidung gerichteten Einspruch der beschwerdeführenden Partei keine Folge. Mit Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen die Entscheidung des Landeshauptmannes ab.
In der vorliegenden Beschwerde erachtet sich die beschwerdeführende Partei durch beide Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides in ihren Rechten verletzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z. 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Zur Zurückweisung der beim Landeshauptmann von Wien eingebrachten Berufung gegen dessen Bescheid vom 28. Oktober 1998 (Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides):
Die Beschwerdeausführungen zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides gehen zunächst davon aus, dass der Landeshauptmann in erster Instanz tätig sei, wenn er gemäß § 413 Abs. 1 Z. 2 ASVG unter Ausschluss eines Bescheidrechtes der beteiligten Versicherungsträger über die Versicherungszugehörigkeit oder eine der anderen in dieser Bestimmung genannten Angelegenheiten entscheide. Hieraus "und aus der Tatsache, dass es sich bei den Erkenntnissen des Versicherungsträgers nicht um nach Vorschriften des ASVG zu Stande gekommene erstinstanzliche Bescheide" handle, soll sich nach der in der Beschwerde vertretenen Auffassung ergeben, dass "die erstinstanzliche Entscheidung im Sinne des AVG erst mit der Entscheidung des Landeshauptmannes gegeben ist". Der Landeshauptmann sei somit die Behörde, die den Bescheid in erster Instanz erlassen habe, und bei der daher - gemäß § 63 Abs. 5 AVG - die Berufung einzubringen sei.
Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass der Landeshauptmann bei der Entscheidung über Einsprüche gegen Entscheidungen der Versicherungsträger über die Versicherungspflicht nicht "unter Ausschluss eines Bescheidrechtes der beteiligten Versicherungsträger über die Versicherungszugehörigkeit" oder eine der anderen im § 413 Abs. 1 Z. 2 ASVG genannten Angelegenheiten entscheidet, wie die beschwerdeführende Partei anzunehmen scheint. Nicht auf § 413 Abs. 1 Z. 2 ASVG, sondern auf die Zuständigkeit des Landeshauptmanns zur Entscheidung über die bei ihm eingebrachten Einsprüche und Vorlageanträge gemäß § 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG bezieht sich auch die von der beschwerdeführenden Partei zitierte Auffassung von Teschner/Widlar (ASVG, Anm. 1 zu § 413), wonach der Landeshauptmann das Verfahren nicht nach den Bestimmungen der §§ 63 ff AVG zu führen habe. Diese Ansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht geteilt (vgl. hiezu mit weiteren Nachweisen Oberndorfer in Tomandl, Sozialversicherungssystem, Abschnitt 6.3.1.1.1. "Der Landeshauptmann als Rechtsmittelinstanz"). Im Übrigen ist die beschwerdeführende Partei mit ihrer Auffassung, die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung des Landeshauptmannes sei gemäß § 63 Abs. 5 AVG bei diesem einzubringen gewesen, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 19. November 1996, Zl. 96/08/0177, und auf das darin zitierte, ausführlich begründete Erkenntnis vom 1. Dezember 1992, Zl. 91/08/0022, zu verweisen. Die Ansicht der beschwerdeführenden Partei, das - von ihr dem Verfassungsgerichtshof zugeschriebene - Erkenntnis vom 19. November 1996, Zl. 96/08/0177, habe auch für Berufungen anderer Beteiligter als des Versicherungsträgers, der den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, das von der beschwerdeführenden Partei bestrittene Erfordernis der Einbringung beim Versicherungsträger (oder bei der Berufungsbehörde) als einen durch § 415 Abs. 2 ASVG in der Folge noch nicht bereinigten "Missstand" erkennen lassen, trifft nicht zu. Auf die Anregung eines "Normprüfungsverfahrens" zur Beseitigung des "Missstandes" braucht daher nicht näher eingegangen zu werden.
Mit der Einbringung der Berufung beim Landeshauptmann konnte die beschwerdeführende Partei - aus den im Erkenntnis vom 1. Dezember 1992, Zl. 91/08/0022, näher dargestellten Gründen - die Berufungsfrist nicht wahren. Durch die Zurückweisung der Berufung gegen den Einspruchsbescheid vom 28. Oktober 1998 wurde die beschwerdeführende Partei daher nicht in ihren Rechten verletzt.
2. Zur Bestätigung der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages (Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Zu dieser Bestimmung vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Auffassung, es sei - in Bezug auf ein die Partei treffendes Verschulden - "keinesfalls ... darüber zu urteilen, ob der Tatbestand der groben Fahrlässigkeit erfüllt ist, bzw." dürfe "bei Fehlen einer groben Fahrlässigkeit nicht umgehend das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG angenommen werden, wie es der Berufungswerber laut seinen Berufungsausführungen offenbar haben will".
Dem ist nicht beizupflichten. Unter einem minderen Grad des Versehens gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist - nicht anders als bei der Auslegung des gleich lautenden Tatbestandsmerkmals in § 46 Abs. 1 VwGG und § 146 Abs. 1 ZPO - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB" zu verstehen (vgl. dazu die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Entscheidung 96 ff zu § 71 AVG). Nur ein als grobes Verschulden zu qualifizierendes Fehlverhalten steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegen (vgl. in diesem Sinn zuletzt etwa die Erkenntnisse vom 27. Jänner 1998, Zlen. 97/02/0283, 0515, vom 29. September 1999, Zl. 99/11/0196, und vom 30. September 1999, Zl. 98/02/0007).
Nicht zu folgen ist aber auch der Ansicht der beschwerdeführenden Partei, es bedeute kein grobes Verschulden, wenn ein Rechtsanwalt die Beurteilung der Frage, ob die Berufung gegen einen Einspruchsbescheid eines Landeshauptmanns bei diesem einzubringen ist, seiner Sekretärin überlässt und sich dazu aus Anlass der Kontrolle des fertigen Schriftsatzes keine eigene Meinung bildet. Dass ihr das Verschulden ihres Rechtsvertreters zuzurechnen ist, stellt die beschwerdeführende Partei - mit Recht - nicht in Frage.
Schon der Inhalt der Beschwerde lässt aus den dargestellten Gründen erkennen, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen. Die Beschwerde war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 20. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000080147.X00Im RIS seit
21.12.2000