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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §76;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des E in B, vertreten durch Dr. Peter Zach, Rechtsanwalt in 8600 Bruck/Mur, Mittergasse 28, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Februar 1996, Zl. 5-s26s2/2 - 96, betreffend Festsetzung der Höhe der Beiträge zur Selbstversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ASVG (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef-Pongratz-Platz 1, 8010 Graz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahre 1958 geborene Beschwerdeführer ist seit 30. Juli 1983 gemäß § 16 Abs. 1 ASVG in der Krankenversicherung selbst versichert.
Am 21. Dezember 1994 beantragte er gemäß § 76 Abs. 2 ASVG die Herabsetzung der Beitragsgrundlage. Er gab dabei im Wesentlichen an, über kein eigenes Einkommen zu verfügen; seine Ersparnisse seien seine einzige Existenzgrundlage. Er wohne derzeit unentgeltlich in der Wohnung seiner Eltern. Von diesen werde er auch zu Mittag verköstigt. Der im gemeinsamen Haushalt lebende Vater beziehe eine Pension in der Höhe von S 16.504,--.
Mit Bescheid vom 16. August 1995 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse unter Berufung auf die §§ 16 Abs. 1 und 76 ASVG aus, der Beschwerdeführer habe auf Grund seiner bestehenden Selbstversicherung in der Krankenversicherung ab 1. Jänner 1995 einen monatlichen Beitrag in der Höhe von S 734,40 zu leisten.
Nach der Begründung sei aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Kopien eines ihm zur Verfügung stehenden Sparbuches festgestellt worden, dass die monatlichen Abbuchungen im Zeitraum Februar 1993 bis November 1994 etwa S 1.150,-- betragen hätten. Die Fragen, ob er über weiteres Kapitalvermögen verfüge, Einkünfte aus Gelegenheitsarbeiten habe oder dem Haushalt weitere Personen mit eigenem Einkommen zugehörig seien, habe der Beschwerdeführer verneint. Mit Schreiben vom 24. Februar 1995 und 18. April 1995 habe er mitgeteilt, dass er seine Ersparnisse zur Deckung seines Lebensunterhaltes verwende und seine Eltern ihm gegenüber nicht unterhaltspflichtig seien.
Nach Auffassung der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt habe der Beschwerdeführer zwar angegeben, von seinen Ersparnissen in Höhe von insgesamt S 36.534,-- zu leben, es sei jedoch davon auszugehen, dass er seinen Lebensunterhalt auch aus Unterhaltsleistungen seiner Eltern bestreite. Angesichts der Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers handle es sich dabei um keine Unterhaltsverpflichtungen, sondern um freiwillige Unterhaltsleistungen. Diese seien jedoch den Einkünften aus Unterhaltsverpflichtungen Dritter gleichzustellen. Die monatlichen Behebungen des Beschwerdeführers von seinem Sparbuch in der Höhe von durchschnittlich S 1.150,-- reichten nach Auffassung der belangten Behörde nicht aus, um den Lebensunterhalt einer erwachsenen Person in Österreich finanzieren zu können. Die unentgeltliche Versorgung seiner Wohnbedürfnisse durch seine Eltern sei als Naturalunterhalt anzusehen. Da nach den Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge (in der Folge: Richtlinien) die Beitragsgrundlage von Personen, die ihren Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen bestritten (ausgenommen Unterhaltsansprüche unter Ehegatten), nicht niedriger sein dürften als 25 v.H. des Dreißigfachen der Beitragsgrundlage nach § 76 Abs. 1 Z. 1 ASVG sei der im Spruch genannte Betrag vorzuschreiben gewesen.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er brachte im Wesentlichen vor, § 4 Abs. 4 der Richtlinien träfe auf ihn nicht zu. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Antragstellers seien gemäß § 3 Abs. 1 der Richtlinien das Einkommen nach Abs. 2 und Unterhaltsansprüche nach Abs. 4 zu berücksichtigen. Dabei handle es sich um Unterhaltsansprüche gegenüber Ehegatten bzw. gegenüber geschiedenen Ehegatten. Der Beschwerdeführer habe weder ein Einkommen nach Abs. 2 noch Unterhaltsansprüche nach Abs. 4 dieser Bestimmung. Er sei derzeit "langzeitarbeitslos"; da er im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern lebe, bekomme er auch keine Sozialhilfe. Aus der Formulierung des § 4 Abs. 4 der Richtlinien, wonach bei Personen, die ihren Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen bestritten, ergebe sich, dass es sich bei den Unterhaltsleistungen um so hohe Leistungen handeln müsse, dass man davon auch leben könne. Diese Voraussetzung treffe bei ihm allerdings eindeutig nicht zu. Als Unterhaltsleistungen könnten auch nur Leistungen angesehen werden, die den Eltern zusätzlich Kosten verursachten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch insofern Folge gegeben, als der monatliche Beitrag in der Selbstversicherung in der Krankenversicherung für den Monat Jänner 1995 mit S 693,60, ab 1. Februar 1995 jedoch mit S 734,40 festgesetzt wurde.
Begründend vertrat die belangte Behörde im Wesentlichen die Auffassung, der Beschwerdeführer bestreite seinen Lebensunterhalt - unter Annahme der Richtigkeit seiner Angaben - hauptsächlich von Zuwendungen anderer Personen, da der von seinem Sparbuch im Monat durchschnittlich behobene Betrag von S 1.150,-- nach den Erfahrungen des täglichen Lebens keinesfalls zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ausreichen könne. Wenn der Beschwerdeführer meine, dass als Unterhaltsleistung nur Leistungen angesehen werden könnten, die seinen Eltern zusätzliche Kosten verursachten, so könne dem nicht beigepflichtet werden. Vielmehr seien darunter Leistungen zu verstehen, die es dem Beschwerdeführer ermöglichten, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei der Gewährung von Unterkunft und Kost handle es sich zweifellos um (freiwillige) Unterhaltsleistungen im Sinne des § 4 Abs. 4 der Richtlinien. Dass diese Bestimmung nur auf Personen anwendbar sei, die einen Unterhaltsanspruch gegenüber anderen Personen hätten, könne der Bestimmung nicht entnommen werden. Da die Richtlinien erst am 1. Februar 1995 in Kraft getreten seien, sei der monatliche Beitrag für Jänner 1995 weiterhin S 693,60 (monatlicher Beitrag, der für das Jahr 1994 festgesetzt worden sei).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 16 Abs. 1 ASVG können sich Personen, die nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, so lange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist, in der Krankenversicherung selbst versichern.
Die Selbstversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ist nach § 76 Abs. 2 ASVG unbeschadet Abs. 3 a) auf Antrag des Versicherten,
b) in den Fällen, in denen das auf Scheidung lautende Urteil den Ausspruch nach § 61 Abs. 3 Ehegesetz enthält, auch auf Antrag des Ehegatten, der die Ehescheidungsklage eingebracht hat, in einer niedrigeren als der nach Abs. 1 Z. 1 in Betracht kommenden Lohnstufe zuzulassen, sofern dies nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherten bzw. in den Fällen der lit. b) nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Ehegatten, der die Ehescheidungsklage eingebracht hat, gerechtfertigt erscheint.
Gemäß § 76 Abs. 3 ASVG sind bei Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Abs. 2 auch Unterhaltsverpflichtungen von Ehegatten, auch geschiedenen Ehegatten, gegenüber dem Versicherten zu berücksichtigen.
Nach § 31 Abs. 5 Z. 9 ASVG sind vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Richtlinien über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung (§ 76 Abs. 2 und 3) und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge aufzustellen.
Bei den vom Hauptverband erlassenen Richtlinien handelt es sich um eine Rechtsverordnung (vgl. das Erkenntnis vom 20. Februar 1996, Zlen. 95/08/0275, 0276).
Im Beschwerdefall galten für Jänner 1995 - was die belangte Behörde nicht berücksichtigt hat - die Richtlinien in der Stammfassung, kundgemacht in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit", Amtliche Verlautbarung Nr. 13/1990, in der Fassung ihrer Änderungen, Amtliche Verlautbarung Nr. 30/1990 und Nr. 45/1991.
Danach ist gemäß § 3 Abs. 1 zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers sein Einkommen zu berücksichtigen, ferner allfällige Unterhaltsansprüche. Darüber hinaus ist auch ein allfälliges Vermögen insoweit zu berücksichtigen, als dessen Nutzung zur Erzielung eines laufenden Einkommens möglich und zumutbar wäre, der Antragsteller jedoch eine solche Nutzung unterlässt.
Als Einkommen wird in § 3 Abs. 2 der Richtlinien der Gesamtbetrag aller Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten bezeichnet. Einkünfte sind insbesondere:
1. Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit (z.B. in der gewerblichen Wirtschaft, in der Land- und Forstwirtschaft oder in einem freien Beruf);
2.
Einkünfte aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit;
3.
Einkünfte aus Vermietung, Verpachtung oder aus Kapitalvermögen (Zinsen, Dividenden oder andere Erlöse);
4.
Unterhaltsleistungen gemäß Abs. 4;
5.
sonstige Einkünfte (z.B. Pensionszahlungen, Leibrenten, Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften).
Nicht zu berücksichtigen sind solche Einkünfte, über die der Antragsteller auf Grund gesetzlicher Vorschriften nicht frei verfügen kann (z.B. Mietzinsreserve).
Gemäß § 3 Abs. 4 sind Unterhaltsansprüche gegenüber Ehegatten bzw. gegenüber geschiedenen Ehegatten nach Maßgabe des § 76 Abs. 3 ASVG zu berücksichtigen. Das Gleiche gilt für sonstige Unterhaltsansprüche, wobei jedenfalls 12,5 % des monatlichen Nettoeinkommens des (der) Unterhaltspflichtigen als monatlicher Unterhaltsanspruch zu berechnen sind; sind diese Unterhaltsansprüche uneinbringlich oder kann der Nachweis des Nettoeinkommens nicht erbracht werden, so hat der Versicherungsträger den Unterhaltsanspruch nach billigem Ermessen zu beurteilen.
Als Beitragsgrundlage ist gemäß § 4 Abs. 1 der Richtlinien jener Betrag festzusetzen, der dem durchschnittlich auf den Monat entfallenden Teil des Jahreseinkommens (einschließlich zumutbarer Vermögensnutzung sowie allfälliger Unterhaltsansprüche) des Antragstellers entspricht.
Ab Februar 1995 galten im Beschwerdefall die Richtlinien, die in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit", Amtliche Kundmachung Nr. 6/1995, verlautbart wurden. Dabei sind folgende Bestimmungen relevant:
Nach § 3 Abs. 1 der Richtlinien sind zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers sein Einkommen nach Abs. 2 und Unterhaltsansprüche nach Abs. 4 zu berücksichtigen.
Gemäß § 3 Abs. 4 der Richtlinien sind Unterhaltsansprüche gegenüber Ehegatten bzw. gegenüber geschiedenen Ehegatten nach Maßgabe des § 76 Abs. 3 ASVG zu berücksichtigen.
Bei Personen, die ihren Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen bestreiten - ausgenommen Unterhaltsleistungen gemäß § 3 Abs. 4 - darf gemäß § 4 Abs. 4 der Richtlinien die Beitragsgrundlage nicht niedriger sein als 25 v.H. des Dreißigfachen der Beitragsgrundlage nach § 76 Abs. 1 Z. 1 ASVG.
In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, nach § 3 Abs. 1 der Richtlinien seien zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers lediglich sein Einkommen und Unterhaltsansprüche zu berücksichtigen. Der Begriff Unterhaltsanspruch beziehe sich auf einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch des Unterhaltsberechtigten gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten. Freiwillige Leistungen würden davon nicht erfasst. Auch § 76 Abs. 3 zweiter Satz ASVG stelle auf eine Unterhaltsverpflichtung als Grundlage der Unterhaltsleistung ab.
Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:
Sowohl die Richtlinien in der Stammfassung als auch die ab 1. Februar 1995 geltenden Richtlinien sehen nur eine Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen Dritter auf Grund von Unterhaltsansprüchen vor (vgl. zu den Richtlinien in der Stammfassung das Erkenntnis vom 20. Februar 1995, Zlen. 95/08/0275,0276). Freiwillige Unterhaltsleistungen Dritter (das sind solche, die ohne Bestehen eines Rechtsanspruches erbracht werden) sind von den Richtlinien daher nicht erfasst.
Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer selbsterhaltungsfähig ist und die Unterhaltsleistungen der Eltern freiwillig erfolgen. Die belangte Behörde handelte daher (bei im Ergebnis gleicher Rechtslage bis Jänner 1995 bzw. ab Februar 1995) rechtswidrig, wenn sie die Auffassung vertrat, der Beschwerdeführer bestreite seinen Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen und deshalb § 4 Abs. 4 der Richtlinien, verlautbart in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit", Amtliche Kundmachung Nr. 6/1995, zur Anwendung brachte. Hinsichtlich des Abspruches für Jänner 1995 hat die Behörde überdies verkannt, dass sie für diesen Zeitraum noch die Richtlinien in der Stammfassung anzuwenden gehabt hätte.
Auf Grund dieser Erwägungen war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996080214.X00Im RIS seit
10.01.2001