Rechtssatznummer
1Entscheidungsdatum
18.12.2015Rechtssatz
* Im gegenständlichen Fall war das Vorstellungsverfahren aufgrund des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH wieder offen und wäre sohin von der Vorstellungsbehörde – hier: nicht von der OöLReg, sondern, weil es sich bei der Kommunalsteuer um eine im Bereich der Vollziehung des Bundes angestammte Angelegenheit handelt (vgl. Art. 119a Abs. 3 B VG), vom LH für OÖ – weiterzuführen gewesen. Indem jedoch stattdessen der Bürgermeister eine – erstinstanzliche – „Berufungsvorentscheidung“ (gemäß § 276 BAO [nunmehr § 262 BAO]) erlassen hat, ist dieser als (gänzlich) unzuständiges Organ eingeschritten. Deshalb erweist sich auch der Bescheid des Gemeinderates, mit dem nicht bloß eine Aufhebung wegen Unzuständigkeit, sondern eine Sacherledigung erfolgte, als inhaltlich rechtswidrig. Für das nunmehr fortzuführende Vorstellungsverfahren ist jedoch nach der zwischenzeitlich ergangenen Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle BGBl I 51/2012 nicht mehr der LH von OÖ, sondern gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 8 B-VG das LVwG OÖ zuständig.
* Die Rechtsfrage der Abgabennachforderung für Geschäftsführer-Gesellschafter einer Rechtsanwalts-GmbH wurde von der Gemeinde im Hinblick auf die Judikatur des VwGH (z.B. vom 10.11.2004, 2003/13/0018) zwar zutreffend beurteilt; nach ständiger Rechtsprechung des VfGH wird jedoch eine Person in ihrem durch Art. 6 Abs. 1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren, im Besonderen auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist, dann verletzt, wenn die ungewöhnlich lange Dauer des Verwaltungsverfahrens ausschließlich dem Verhalten der Behörden zuzuschreiben ist und keine für die Dauer sprechenden Gründe vorliegen (vgl. z.B. VfGH vom 2.10.2013, B 1566/2012, m.w.N.). Dies trifft im gegenständlichen Fall, wo einerseits zwischen dem am 6. Juli 2006 ergangenen Erkenntnis des VwGH und einer am 3. November 2011 an den Beschwerdeführer gerichteten Zahlungserinnerung, also über einen Zeitraum von nahezu 31/2 Jahren hinweg, überhaupt keine Verfahrensschritte gesetzt wurden, und andererseits dieses Verfahren erst nach einer Gesamtdauer von mehr als 12 Jahren (!) abgeschlossen werden kann, zweifellos zu. Wird eine Verletzung im Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist konstatiert, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine adäquate Entschädigung dieser Rechtsbeeinträchtigung geboten; ein solcher Entschädigungsanspruch darf nicht unangemessen niedrig sein (vgl. z.B. EGMR vom 26.7.2001, 51.585/99, RN 47 u. 64, und vom 29.3.2006, 36.813/97, RN 189, 202 ff u. 213). Vor diesem Hintergrund findet es das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich geboten, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles gemäß § 235 Abs. 1 BAO von Amts wegen eine Nachsicht der Abgabennachforderung in einem Ausmaß von 2.000 Euro (? 45%) festzusetzen.
Schlagworte
Rechtsanwalts-GmbH; Geschäftsführer-Gesellschafter; Kommunalsteuer; Abgabennachforderung; Verwaltungsgerichtbarkeits-Novelle – Übergangsrecht; Verfahrensdauer, überlange; Nachsicht in angemessenem AusmaßAnmerkung
Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGOB:2015:LVwG.450091.5.Gf.MuZuletzt aktualisiert am
07.01.2016