RS Lvwg 2016/7/11 LVwG-050006/37/Gf/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.07.2016
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

11.07.2016

Norm

Art. 49 AEUV
Art. 267 AEUV
Art. 140 B-VG
§10 ApG
§63 VwGG

Rechtssatz

* Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die VwG zwar dann, wenn der VwGH einer Revision stattgegeben hat, dazu verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen; wie aus dem Beschluss des EuGH vom 15.10.2015, C-581/14 („Naderhirn“), hervorgeht, gilt dies jedoch nicht, wenn eine solche Rechtsauffassung dem Unionsrecht widerspricht;

* Im Beschluss vom 30.6.2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“), hat der EuGH im Ergebnis festgestellt, dass die vom VwGH in dessen Erkenntnis vom 30.9.2015, Ro 2014/10/0081, mit dem das Erkenntnis des LVwG OÖ vom 21.2.2014, LVwG-050006/8/Gf/Rt, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde, vertretene Rechtsmeinung dem Unionsrecht widerspricht (vgl. RN 13 iVm RN 36 dieses Beschlusses); daher kommt die in § 63 Abs. 1 VwGG normierte Bindungswirkung im vorliegenden, zur Erlassung eines Ersatzerkenntnisses fortzusetzenden Verfahrens nicht zum Tragen;

* Weiters ist in inhaltlicher Hinsicht zu beachten, dass nach dem Beschluss des EuGH vom 30.6.2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“), das in § 10 Abs. 2 Z. 3 i.V.m. § 10 Abs. 4 ApG festgelegte Kriterium einer starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" – zumal auch die jüngst erfolgte Einfügung eines Abs. 6a in § 10 ApG durch die Novelle des ApG durch BGBl I 30/2016 keine Unionsrechtskonformität dieser Regelung bewirkt – bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke allgemein in keiner konkreten Situation, die einer Prüfung unterzogen wird, Anwendung finden darf; davon ausgehend stellt sich die um ihren unionsrechtswidrigen materiellen Gehalt bereinigte Rechtslage nunmehr wie folgt dar:

„§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

1. sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen nach § 342 Abs. 1 ASVG (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, oder

2. die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt.“

* Wie sich aus RN 23 des Beschlusses des EuGH vom 30.6.2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“), ergibt, ist nach der Konzeption des § 10 ApG das Vorliegen eines Bedarfes als prinzipiell gegeben anzunehmen, es sei denn, dass dieser Vermutung mindestens einer der in dieser Regelung genannten konkreten Umstände entgegensteht (s.a. das Urteil des EuGH vom 13.2.2014, C 367/12 [„Sokoll-Seebacher I“], RN 28); demgemäß ist gleichsam eine „Negativprüfung“ vorzunehmen, d.h., dass nach der bereinigten Rechtslage ein Bedarf als jedenfalls gegeben zu erachten und damit die Anforderung des § 10 Abs. 1 Z. 2 ApG bereits dann als erfüllt anzusehen ist, wenn (nur mehr) weder der Ausschlussgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 ApG noch jener des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG vorliegt;

* Als nicht tragfähig erweist sich hingegen die von der Österreichischen Apothekerkammer in einer unmittelbaren Reaktion auf den vorzitierten Beschluss des EuGH in einer Presseaussendung vertretene reduktionistische Rechtsauffassung, dass „die Bedarfsprüfung für Apotheken ..... weiterhin aufrecht“ bleibe, die Behörden „aber nun mehr Flexibilität darin“ hätten, „in bestimmten Fällen Ausnahmen zuzulassen, wenn dies der Versorgung der Bevölkerung dienlich ist.“; denn diese Meinung steht sowohl im eindeutigen Widerspruch zum Gesetzestext des § 10 ApG, der den Behörden keinerlei Ermessen einräumt, als auch in Opposition zum insoweit völlig klaren Tenor des EuGH-Beschlusses;

* Schließlich lässt sich auch nicht einwenden, dass im gegenständlichen Fall das Unionsrecht mangels Auslandsbezug nicht zum Tragen kommt: Denn der EuGH hat etwa schon in seinem Urteil vom 19. Juli 2012, C 470/11 („Garkalns“ – EU:C:2012:505) betont, dass das Unionsrecht auch für rein innerstaatliche Konstellationen, die außerhalb des Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten bzw. der EGRC liegen, insbesondere dann maßgeblich ist, wenn das nationale Recht vorschreibt, dass einem inländischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zukommen, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden (vgl. RN 20). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs, 1 erster Satz B-VG einen verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz für sämtliche österreichischen Staatsbürger normiert. Daraus leitet der VfGH in ständiger Judikatur ein Inländerdiskriminierungsverbot ab (vgl. z.B. VfGH vom 6. Oktober 2011, G 41/10 [= VfSlg 19529/2011], Pkt. III.2.1., m.w.N.). Um also eine darin bestehende Inländerdiskriminierung, dass ein Ausländer in einer vergleichbaren Situation dadurch bessergestellt wäre, dass für diesen § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG direkt unanwendbar ist, hintanzuhalten, gebietet eine verfassungskonforme Interpretation dieser Bestimmung, sie auch bei Sachverhalten ohne Auslandsbezug unionsrechtskonform auszulegen, d.h., deren unionsrechtswidrigen Inhalt nicht anzuwenden;

* Aus allen diesen Gründen war daher der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben; unter einem war der Rechtsmittelwerberin die beantragte Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke zu erteilen.

Schlagworte

Apotheken; Bedarfsprüfung; starre Grenzen; Ermessen, keines; EuGH; VwGH

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.050006.37.Gf.Mu

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2016
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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