TE Lvwg Erkenntnis 2016/8/11 LVwG-550923/5/HW

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Veröffentlicht am 11.08.2016
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Entscheidungsdatum

11.08.2016

Norm

§38a AVG

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter
Mag. Dr. Wiesinger über die Beschwerde von Ing. J.W., x, W., vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. H.H., Mag. W.B., x, M., gegen den Bescheid der Bezirksgrundverkehrskommission Freistadt bei der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 21. Juni 2016, GZ: Agrar20-47-2016, betreffend eine Aussetzung gemäß § 38 AVG (mitbeteiligte Partei: J.R., x, K., vertreten durch Dr. A.M., x, T.)

zu Recht e r k a n n t :

I.     Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II.    Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.1.    Mit Eingabe vom 9. März 2016 beantragte der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „Bf“) die grundverkehrsbehördliche Genehmigung der Übertragung des Eigentumsrechts an den Liegenschaften EZ x, x, und x, Grundbuch x K. bzw. H., aufgrund des Kaufvertrages vom 17. Februar 2016 durch den Mitbeteiligten an den Bf.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2016, GZ: Agrar20-47-2016, hat die belangte Behörde das Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des aufgrund einer Klage des Mitbeteiligten gegen den Kaufvertrag vom 17. Februar 2016 beim Landesgericht Linz anhängigen Zivilverfahrens gemäß § 38 AVG ausgesetzt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der gegenständliche Kaufvertrag angefochten werde und daher das Verwaltungsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Gerichtsverfahrens ausgesetzt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Bf, in welcher unter anderem die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Von der mitbeteiligten Partei wird die Abweisung der Beschwerde beantragt und im Wesentlichen vorgebracht, dass die Frage, ob zwischen den Streitteilen ein rechtsgültiger Vertrag zu Stande kam oder nicht, entgegen der Auffassung des Bf als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG zu qualifizieren sei. Die Behörde sei daher berechtigt gewesen, das Verfahren gemäß § 38 AVG bis zur Klärung durch das Landesgericht L. auszusetzen. Die Frage, ob der Kaufvertrag rechtsgültig zu Stande kam oder aufzuheben ist, stelle eine Rechtsfrage dar, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar sei. Es wäre nicht verständlich, wenn sich die belangte Behörde mit der Frage des Vorliegens eines gültigen Kaufvertrages befassen und sodann eine Beurteilung nach den Kriterien des Grundverkehrsgesetzes vornehmen würde, wenn sodann der Vertrag durch das Landesgericht L. möglicherweise aufgehoben werden würde.

I.2.    Folgender Sachverhalt wird in Ergänzung zu Punkt I.1. als erwiesen angenommen:

Der Mitbeteiligte brachte beim Landesgericht L. (Verfahren 3 Cg 37/16w des LG L.) eine Klage ein, in welcher begehrt wird, das Landesgericht möge mit Urteil aussprechen, dass der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag vom 17. Februar 2016 aufgehoben werde und der Bf schuldig sei, die Liegenschaften sowie den Betrieb samt Zubehör an den Mitbeteiligten zurückzustellen. Der Mitbeteiligte stützt das Klagebegehren auf eine Anfechtung des mit dem Bf abgeschlossenen Vertrages wegen Irrtum, List, Wegfall der Geschäftsgrundlage und laesio enormis.

I.3.    Der unter Punkt I.1. dargestellte Verfahrensablauf und der unter I.2. festgestellte Sachverhalt ergeben sich widerspruchsfrei aus den vorliegenden Unterlagen. Die Feststellungen zur Klage konnten auf Basis der im Akt befindlichen Kopien der Klage getroffen werden. Aus dem Klagsvorbringen ergibt sich insbesondere, worauf sich die Klage stützt und was vom Kläger begehrt wird. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte ungeachtet des diesbezüglichen Antrages des Bf abgesehen werden, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist und zudem eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache auch nicht erwarten lässt (vgl. § 24 Abs. 2 und 4 VwGVG).

II.      In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes auszuführen:

II.1.   Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei gehen mit Recht davon aus, dass das Vorliegen eines gültigen Rechtsgeschäftes von der Grundverkehrsbehörde als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG zu beurteilen ist (vgl. VfGH 12.12.2012, B 884/12; VwGH 18.09.1984, 84/07/0205).

II.2.   Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Gestaltungsrechten, die gerichtlich geltend zu machen sind, solange diese vor den ordentlichen Gerichten nicht ausgeübt und daher der Vertrag noch „nicht durch eine Entscheidung des ordentlichen Gerichtes aufgehoben“ wurde, im Verwaltungsverfahren von der Rechtswirksamkeit des Vertrages auszugehen (vgl. VwGH 22.09.1992, 91/07/0007; 26.04.2013, 2011/07/0196). In derartigen Fällen ist daher von der Behörde (als Vorfrage) nur zu beurteilen, ob die Gestaltungswirkung bereits eingetreten ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 38
Rz 12).

II.3.   Die Rechte auf Anfechtung wegen List, Irrtum, Wegfall der Geschäftsgrundlage und laesio enormis sind Gestaltungsrechte, welche nach der Rechtsprechung - vom Fall einer Übereinkunft der Parteien abgesehen - gerichtlich geltend zu machen sind (vgl. etwa OGH 25.11.1993, 6 Ob 612/93; 09.07.1997, 3 Ob 20/97f; 21.10.1998, 3 Ob 205/98p; 25.04.2007, 3 Ob 216/06w;
VwGH 17.12.2009, 2008/06/0203), wobei die Gestaltungswirkung (die Vertragsaufhebung) nach h.A., welcher sich das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anschließt, grundsätzlich erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Gestaltungsentscheidung eintritt (vgl. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage: Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 35 EO Rz 26; OGH 21.10.1998,
3 Ob 205/98p; zur laesio enormis: Hödl in Schwimann, ABGB Taschenkommentar3 § 934 Rz 8; OGH 25.11.1993, 6 Ob 612/93; zur Anfechtung gemäß §§ 870 ABGB: OGH 09.07.1997, 3 Ob 20/97f; 27.11.2002, 3 Ob 131/02i; Kolmasch in Schwimann, ABGB Taschenkommentar3 § 870 Rz 12; Pletzer in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 871 ABGB Rz 73; Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 35 EO Rz 26).

II.4.   Im vorliegenden Fall wird von der belangten Behörde das Vorliegen einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darin erblickt, dass die mitbeteiligte Partei beim Landesgericht L. eine Klage eingebracht hat, mit welcher sie die Aufhebung des Vertrages vom 17. Februar 2016 begehrt, wobei sich diese Klage auf eine Anfechtung des Kaufvertrages wegen Irrtum, List, Wegfall der Geschäftsgrundlage und laesio enormis stützt. Da sich die Klage des Mitbeteiligten somit auf die Ausübung von Gestaltungsrechten, welche gerichtlich geltend zu machen sind (siehe oben II.3.), stützt, ist, solange der Vertrag noch nicht durch eine Entscheidung des ordentlichen Gerichtes aufgehoben wurde, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im verwaltungsbehördlichen Verfahren von der Rechtswirksamkeit des Vertrages auszugehen (siehe oben II.2.). Da die Gestaltungswirkung erst mit Vorliegen der gerichtlichen Gestaltungsentscheidung eintritt (siehe oben II.3.), wäre bis zum Vorliegen einer solchen Entscheidung der angefochtene Vertrag als gültig anzusehen. Eine Aussetzung des Verwaltungsverfahrens nach § 38 AVG aufgrund der Klage des Mitbeteiligten war daher nicht zulässig. Der angefochtene Aussetzungsbescheid ist daher rechtswidrig.

II.5.   Wurde ein Verfahren zu Unrecht ausgesetzt, so ist der Aussetzungsbescheid, weil er nicht hätte erlassen werden dürfen, zu beheben (Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 38 Rz 51). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

III.    Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zwar in Überstimmung mit der überwiegenden Rechtsprechung (vgl. hierzu oben II.3.) annimmt, dass im Falle einer Anfechtung wegen Irrtum, List, Wegfall der Geschäftsgrundlage bzw. laesio enormis die Gestaltungswirkung erst mit dem über die Rechtsgestaltungsklage ergehenden stattgebenden Urteil eintritt, jedoch wird in einer jüngeren Entscheidung vom Obersten Gerichtshof
(3 Ob 216/06w) ausgeführt, dass die Rechtsänderung schon im Zeitpunkt des Zuganges der Erklärung des Irrenden an den Prozessgegner eintritt und es hat eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit dieser Aussage (der Entscheidung OGH 3 Ob 216/06w) in höchstgerichtlichen Rechtsprechungen - soweit ersicht-lich - bisher nicht stattgefunden. Geht man davon aus, dass die Rechtsänderung/Gestaltungswirkung bereits mit Zustellung der Klage (Zugang der Erklärung des Irrenden an den Prozessgegner) eintritt, so wäre ab diesem Zeitpunkt und daher auch bereits vor Vorliegen einer Entscheidung des ordentlichen Gerichtes, mit welcher der Vertrag aufgehoben wird, die Gültigkeit des Vertrages fraglich und es könnte dies eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darstellen.

Schlagworte

Aussetzung; Unzulässigkeit; zivilrechtliche Gestaltungsrechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.550923.5.HW

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2016
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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