RS Lvwg 2016/10/27 LVwG-000118/2/Wei

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 27.10.2016
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

27.10.2016

Norm

§90 Abs3 Z1 LMSVG
Art 5 iVm Anh II Teil D und E der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 idF Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 und idF Verordnung (EU) Nr. 601/2014
Art 2 litm), n), und o) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004
Anh I Nr. 1.13, Nr. 1.15 und Nr. 7.1. zur Verordnung (EG) Nr. 853/2004
Art 18 Abs1 B-VG
Art 7 EMRK
Art 49 GRC
§1 Abs1 und 2 VStG

Rechtssatz

Änderung der Gemeinschaftsliste der Lebensmittelzusatzstoffe

Mit der am 5. Juni 2014 im Amtsblatt der EU kundgemachten Verordnung (EU) Nr. 601/2014 der Kommission vom 4. Juni 2014, die gemäß ihrem Art 2 erst 20 Tage nach der Kundmachung in Kraft getreten ist (also nach der Tatzeit), wurde Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 hinsichtlich der Lebensmittelkategorien (Teil D) von 08 Fleisch und der Verwendung bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe in Fleischzubereitungen geändert. Bis zum Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 601/2014 und damit auch zur Tatzeit galt die Liste der Lebensmittelzusatzstoffe und ihrer Verwendungsbedingungen im Anhang II in der ab 1. Juni 2013 geltenden Fassung der Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 der Kommission vom 11. November 2011.

Im Wesentlichen wurde mit der Verordnung (EU) Nr. 601/2014 die im Verhältnis zu Fleischzubereitungen begrifflich zu Überschneidungen führende Kategorisierung „nicht verarbeitetes Fleisch“ (samt verfehlten Unterkategorien) und „verarbeitetes Fleisch“ aufgegeben und eine klarstellende, der Trennschärfe dienende Harmonisierung durch alleinige Verwendung der Begriffe und Definitionen in der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 für „frisches Fleisch“, „Fleischzubereitungen“ und „Fleischerzeugnisse“ vorgenommen (vgl dazu Erwägungsgrund 5 zur VO Nr. 601/2014).

Einschlägige Begriffsbestimmungen

Aus der Begriffsbestimmung Nr. 1.15 im Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ist abzuleiten, dass (auch zerkleinertes) frisches Fleisch, also auch Hackfleisch/Faschiertes, dem andere Lebensmittel, Würzstoffe oder Zusatzstoffe zugegeben wurden, unter den Begriff „Fleischzubereitungen“ fällt. Dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn es einem Bearbeitungsverfahren unterzogen wurde, das die innere Muskelfaserstruktur des Fleisches noch nicht so verändert hat, dass die Merkmale frischen Fleisches beseitigt wurden.

In Ergänzung dazu sind dann „Fleischerzeugnisse“ (vgl Anh I Nr. 1.7. der EG-VO Nr. 853/2004 ) „verarbeitete Erzeugnisse, die aus der Verarbeitung von Fleisch oder der Weiterverarbeitung solcher verarbeiteten Erzeugnisse so gewonnen werden, dass bei einem Schnitt durch den Kern die Schnittfläche die Feststellung erlaubt, dass die Merkmale von frischem Fleisch nicht mehr vorhanden sind“.

Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen den Begriffen Fleischzubereitungen und Fleischerzeugnisse, die als Lebensmittelkategorien nach der aktuellen Rechtslage der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 idFd Verordnung (EU) Nr. 601/2014 gelten, besteht in der fachlich zu klärenden Antwort auf die Frage, ob durch eine „erfolgsqualifizierte“ – dh. über die Grundbedingung der wesentlichen Änderung des ursprünglichen Erzeugnisses im Verarbeitungsbegriff nach Art 2 Abs 1 lit m) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 hinausgehende – Verarbeitung die innerer Muskelfaserstruktur des Fleisches so verändert wurde, dass die Merkmale frischen Fleisches nicht mehr vorhanden sind, oder ob dieser Zustand noch nicht eingetreten ist (vgl dazu auch die Klarstellungen im Leitfaden unter  IV.3.2.).

Der Begriff „Verarbeitung“ nach Art 2 Abs 1 lit m) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 stellt zwar auf eine wesentliche Änderung des ursprünglichen Erzeugnisses durch ein (auch kombiniertes) Verfahren wie Erhitzen, Räuchern, Pökeln, Reifen, Trocknen, Marinieren, Extrahieren, Extrudieren ab. Dieses Verarbeitungsverfahren kann, muss aber nicht zur Folge haben, dass die innere Muskelfaserstruktur des Fleisches so verändert wird, dass die Merkmale frischen Fleisches beseitigt werden. Für den Begriff „Verarbeitung“ genügt schlicht eine wesentliche Änderung des frischen Fleisches. Es liegt dann bereits eine verarbeitete Fleischzubereitung bzw ein „Verarbeitungserzeugnis“ iSd Art 2 Abs 1 lit o) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004, aber noch kein Fleischerzeugnis vor (vgl instruktiv auch die Bsp im Leitfaden unter IV.3.2.)

Produkteinordnung unter Berücksichtigung der fachlichen Aussagen im ÖLMB

Beim gepökelten Produkt „BBQ Frische Cevapcici“ kann nicht ohne weiteres von „Fleischzubereitungen aus rohem Faschierten“ (dazu ÖLMB Codexkapitel 14, Punkt A.6.3.) ausgegangen werden. Es kommt gemäß dem beschriebenen Abgrenzungskriterium für die inzwischen harmonisierten Lebensmittelkategorien im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 darauf an, ob durch eine „erfolgsqualifizierte“ Verarbeitung die Zellstruktur des Fleisches soweit verändert wurde, dass die Merkmale frischen Fleisches nicht mehr gegeben sind, oder ob dies noch nicht der Fall ist.

Da die Begriffsbestimmung Nr. 1.13 im Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 für „Hackfleisch/Faschiertes“ (entbeintes Fleisch, das durch Hacken/Faschieren zerkleinert wurde) weniger als 1 % Salz vorsieht, kann begrifflich beim gegenständlichen Produkt, das laut Deklaration 1,5 % Kochsalz enthält, nicht mehr von Hackfleisch/Faschiertem im Sinne der zitierten Begriffsbestimmung, sondern nur von gepökeltem zerkleinertem Fleisch die Rede sein. Das ÖLMB kennt im Kapitel 14 unter Punkt B 1 im Satz 2 ausdrücklich die Richtlinie, dass zerkleinertes Fleisch, dem mindestens 1,5 % Kochsalz zugefügt wurde, als Fleischerzeugnis gilt. Da diese Fakten im Gutachten der AGES, das auf die aus der Produktdeklaration ersichtlichen Pökelung (Zugabe von Nitritpökelsalz) und auf den hohen Salzgehalt von 1,5 % mit keinem Wort eingeht, nicht berücksichtigt werden, fehlt eine fachlich fundierte Auseinandersetzung zur Einstufung als Fleischzubereitung, die offensichtlich nur routinemäßig und substanzlos erfolgte. Dem Gutachten kommt in dieser wesentlichen Frage keine Aussagekraft zu, weshalb es auch keinen Belastungsbeweis darstellt. Im Ergebnis sprechen die sonstigen aktenkundigen Umstände in Verbindung mit dem ÖLMB zugunsten der Darstellung des Bf, weshalb - jedenfalls im Zweifel zugunsten des Bf - von einem Fleischerzeugnis auszugehen war, bei dem die Zugabe sämtlicher beanstandeten Zusatzstoffe zulässig ist.

Günstigeres Tatzeitrecht

Im Übrigen war der zur Tatzeit anstelle der Kategorie „Fleischerzeugnisse“ noch verwendete (weitere) Begriff „verarbeitetes Fleisch“ günstiger, weil er im Auslegungszusammenhang mit den legal definierten Begriffen „Verarbeitung“ und „Verarbeitungserzeugnisse“ nur eine wesentliche Änderung des Fleisches durch das angewendete Bearbeitungsverfahren, aber nicht begriffsnotwendig eine „erfolgsqualifizierte“ Verarbeitung wie beim Fleischerzeugnis voraussetzte.

Die im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 zur Tatzeit noch geltende begriffliche Unterscheidung zwischen „verarbeitetes Fleisch“ und „unverarbeitetes Fleisch“ mit der Unterkategorie „Fleischzubereitungen gemäß der Verordnung (EG) 853/2004“ war sachlich unzutreffend und im Verhältnis zur Definition der Unterkategorie in sich widersprüchlich und problematisch, weil im Wege zulässiger Auslegung nicht korrigierbar. Eine systematisch-logische Interpretation ist nicht möglich, wenn die Systematik im Anhang II, gemessen an den damit zusammenhängenden Rechtsvorschriften (Legaldefinitionen) unzutreffend ist, weil die vorgenommene Kategorisierung anderen legal definierten Begriffsinhalten widerspricht.

Die vom Verordnungsgeber der Europäischen Union erlassene Neufassung des Anhangs II bezüglich der Lebensmittelkategorien bei Fleisch hat nicht einfach nur klargestellt (was ohnehin schon zuvor durch Auslegung klar erkennbar war), dass es auf die Begriffsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ankommen soll. Der eigentliche Regelungsgrund war die Schaffung von Klarheit und Rechtssicherheit dadurch, dass der weitere Begriff „verarbeitetes Fleisch“ durch den engeren Begriff „Fleischerzeugnis“ ersetzt wurde, um eine klare Abgrenzung zur Fleischzubereitung durch ein gemeinsames Kriterium erst zu ermöglichen.

Eine „Auslegung“ des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008, die den allgemeinen Begriff „verarbeitetes Fleisch“ iSd spezielleren Definition von „Fleischerzeugnis“ im Anhang I Nr. 7.1. der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 und damit ungeachtet des legal definierten Begriffs der „Verarbeitung“ einschränken will, erscheint methodisch unzulässig, weil dies auf eine Korrektur durch freie Rechtsfindung hinausläuft und auch die durch Legaldefinitionen festgelegten Begriffsinhalte ignoriert. Der Begriffsinhalt von „verarbeitetes Fleisch“ ergibt sich nämlich im Zusammenhang mit den legal definierten weiteren Begriffen „Verarbeitung“ bzw „Verarbeitungserzeugnisse“ in Art 2 Abs 1 lit m) und lit o) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004. Die Begriffe dieser Verordnung gelten nach Art 2 Z 2 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 auch für deren Anwendungsbereich.

Alle Fleischerzeugnisse, bei denen die Merkmale von frischem Fleisch definitionsgemäß nicht mehr vorhanden sind, fallen unter den weiten Begriff der „Verarbeitungserzeugnisse“. Dieser umfasst aber auch verarbeitete Fleischzubereitungen. Schließlich kann auch „verarbeitetes Fleisch“ je nach Intensität des angewandten Bearbeitungsverfahrens ein Fleischerzeugnis oder eine verarbeitete Fleischzubereitung sein. Es sind daher Überschneidungen zwischen den Begriffen „verarbeitetes Fleisch“ und „Fleischzubereitungen“ durch die angeführten Begriffsbestimmungen vorgegeben. Um eine klare Abgrenzung zu ermöglichen war eine begriffliche und systematische Änderung der Lebensmittelkategorien unter 08 Fleisch im Teil D des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 erforderlich, wo auf gleicher Ebene zwischen „Fleischzubereitungen“ (08.02) und „Fleischerzeugnisse“ (08.03) unterschieden wird und sich nunmehr definitionsgemäß klar abgrenzbare (komplementäre) Begriffe gegenüberstehen.

Klarheitsgebot bei Blankettstrafnormen

Die Blankettstrafnorm des § 90 Abs 3 Z 1 LMSVG enthält ein generelles Verbot des Zuwiderhandelns gegen im Anhang zum LMSVG aufgelistete unmittelbar anwendbare Rechtsakte der EU. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs gilt unter dem Aspekt des Art 18 Abs 1 B-VG und Art 7 EMRK für Blankettstrafnormen ein strenger Maßstab (vgl aus jüngerer Zeit VfSlg 17349/2004; VfSlg 17479/2005). Dabei muss der Tatbestand mit genügender Klarheit als Verbotsnorm und damit als strafbarer Tatbestand so gekennzeichnet sein, dass jedermann ihn als solchen zu verstehen vermag (VfSlg 12947/1991). Ein unerlaubtes Verhalten darf nur dann und insoweit angenommen werden, als die Abgrenzung des erlaubten vom unerlaubten Verhalten so eindeutig eingesehen werden kann, dass jeder berechtigte Zweifel über den Inhalt des pflichtgemäßen Verhaltens ausgeschlossen ist (VfSlg 14319/1995).

Eine besondere Bestimmtheitsproblematik kann sich bei Blankettstrafnormen ergeben, die allgemein an unmittelbar anwendbare Rechtsakte der Europäischen Union (Verordnungen) als Ausfüllungsnormen anknüpfen, wenn und soweit diese Normen unklar sind und keine bestimmten (genauen) Gebots- oder Verbotsvorschriften enthalten. Die durch das Prinzip „nulla poena sine lege“ gezogenen Grenzen des nationalen Strafrechts im Sinne der dargelegte Kriterien gelten auch für unionsrechtliche Verhaltensnormen, die durch Verweisung zum Inhalt einer Blankettstrafnorm geworden sind (vgl idS Höpfel, WK StGB § 1 Rz 38; C. Fuchs, in Raschauer/Wessely (Hrsg) VStG2, Grundrechte im Verwaltungsstrafverfahren Rz 33; Wessely in Raschauer/Wessely (Hrsg) VStG2 Rz 12 ff, 15 zu § 1 VStG). Gemäß Art 49 Abs 1 GRC handelt es sich dabei mittlerweile um ein in der Europäischen Union gewährleistetes Grundrecht (vgl näher Pabel, Justizgrundrechte § 19 Rz 96 ff, in Grabenwarter [Hrsg] Europäischer Grundrechtsschutz, 2014).

Rechtsunsicherheit infolge Unklarheit der Ausfüllungsnorm

Die sich nicht ausschließenden Begriffe „Fleischzubereitungen“ und „verarbeitetes Fleisch“ waren unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der legal definierten „Verarbeitung“ (Art 2 Abs 1 lit m EG-VO Nr. 852/2004) nicht abgrenzbar. Somit führt die Überschneidung der Begriffe zur Unklarheit über die richtige kategorische Einordnung des Lebensmittels und die dementsprechend zulässigen Zusatzstoffe.

Diese Rechtsunsicherheit widerspricht den dargestellten Anforderungen an die Bestimmtheit von Strafnormen und führt zu berechtigten Zweifeln des Normadressaten darüber, was verboten ist und was nicht. Eine korrigierende „Auslegung“ zur Angleichung des Begriffs „verarbeitetes Fleisch“ an den mit Verordnung (EU) Nr. 601/2014 schließlich nachträglich eingeführten Begriff „Fleischerzeugnis“ ist unzulässig, weil dies eine freie Rechtsfindung zum Nachteil des Täters wäre. Durch exzessive Auslegung iSv Rechtsschöpfung könnte man auch stets das Rückwirkungsverbot umgehen.

Die Blankettstrafnorm des § 90 Abs 3 Z 1 LMSVG iVm Art 5 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 und ihrem Anhang II erfüllte zur Tatzeit angesichts der im gegenständlichen Fall beschriebenen Rechtsunsicherheit der Ausfüllungsnorm nicht die in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs formulierten Anforderungen an die Klarheit der Verbotsnorm für den Normadressaten. Sie darf nicht als Grundlage für die Annahme eines verbotenen Verhaltens dienen. Fehlt eine ausreichende Determinierung, so mangelt es bereits an einem objektiven Straftatbestand (vgl idS VfSlg 14319/1995 und mwN Wessely in Raschauer/Wessely (Hrsg) VStG2 Rz 12 zu § 1 VStG).

Schlagworte

Fleisch; Fleicherzeugnisse; Fleischzubereitungen; (nicht) verarbeitetes Fleisch; Faschiertes; anzuwendendes günstigeres Recht; Blankettstrafnormen

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.000118.2.Wei

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2016
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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