RS Lvwg 2016/10/27 LVwG-000166/4/Gf/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 27.10.2016
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

27.10.2016

Norm

Art. 6 EMRK
Art. 4 7.ZPMRK
§2 AusbildungsvorbehaltsG (AusbVorbG)
§2 MTD-G
§31 VStG
§44a VStG
§66 VStG

Rechtssatz

* Mit Blick auf die im vorliegenden Fall allein strittige Frage, ob die Methode der Atlas-Energetik-Therapie vom Berufsbild eines Physiotherapeuten erfasst ist, findet sich weder im Spruch noch in der Begründung des Straferkenntnisses ein Hinweis oder eine nähere Konkretisierung dahin, inwiefern das ihm angelastete Anbieten einer derartigen Ausbildung dem Berufsbild des Physiotherapeuten nach dem MTD-G unterliegt. Vielmehr wird offenbar stillschweigend unterstellt, dass es sich bei der vom Bf. praktizierten Methode um eine den Physiotherapeuten vorbehaltene Tätigkeit handelt. Ohne nähere Belege trifft eine solche Sichtweise jedoch – mangels entsprechender Offenkundigkeit – in dieser Allgemeinheit nicht zu. Da es sich insoweit nicht ausschließlich um eine Rechts-, sondern auch um eine Sachfrage handelt – konkret geht es nämlich um die Abgrenzung dahin, ob und wenn ja, inwieweit den Physiotherapeuten nicht nur chiro-physische, sondern auch psychoenergetische Behandlungsmethoden vorbehalten sind –, hätte diese zuvor durch ein entsprechendes Sachverständigengutachten geklärt werden müssen. Ein solches wurde aber einerseits von der belangten Behörde nicht in Auftrag gegeben; andererseits würde – wie der EGMR jüngst in seinem Urteil vom 20.9.2016, 926/08 (Karelin/Russland), festgestellt hat – eine diesbezüglich autonom-ergänzende Beweisführung durch das Verwaltungsgericht dem in Art. 6 Abs. 1 EMRK zum Ausdruck kommenden Prinzip der Unparteilichkeit des Gerichts widersprechen. Wenn daher nur auf Basis eines Sachverständigengutachtens dem Beschuldigten eine Übertretung des § 2 AusbVorbG i.V.m. § 2 Abs. 1 MTD-G spruchmäßig hinreichend konkretisiert angelastet werden kann, eine solche fachkundige Beurteilung jedoch objektiv besehen (aus welchen Gründen auch immer) de facto nicht vorliegt, dann erweist sich die Tatumschreibung konsequenterweise als unzureichend, sodass das Straferkenntnis den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG nicht entspricht;

* Da dem Bf. ein Verhalten angelastet wurde, das in jener Form, in der dieses seitens der belangten Behörde spruchmäßig fixiert wurde, keinen Straftatbestand erfüllt, war der gegenständlichen Beschwerde stattzugeben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben. Eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens war hingegen im Hinblick auf die gegenwärtig noch offene Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG nicht zu verfügen. Ob bzw. in welcher Form das Strafverfahren weitergeführt wird, hat vielmehr im Lichte des zuvor angeführten Urteils des EGMR vom 20. September 2016, 926/08, die belangte Behörde aus eigenem zu beurteilen. Dem stünde das Doppelverfolgungs- und  bestrafungsverbot des Art. 4 des 7.ZPMRK nicht entgegen, weil eine explizit ohne Einstellung verfügte Aufhebung eines Straferkenntnisses nicht einer rechtskräftigen Erledigung des Verwaltungsstrafverfahrens gleichzuhalten ist (vgl. in diesem Sinne schon VwGH vom 4. Juli 1991, 90/10/0131; vom 27. Mai 1988, 88/18/0034; und vom 22. Jänner 1980, 1967/79, allerdings jeweils noch zur Rechtslage vor der VStG-Novelle 1991; zur geltenden Rechtslage vertrat der VwGH hingegen in Bezug auf die Unabhängigen Verwaltungssenate die Auffassung, dass eine derartige Vorgangsweise nicht zulässig war [vgl. VwGH vom 29. März 1994, 93/04/0021, und vom 16. Oktober 2001, 99/09/0150]).

Schlagworte

Physiotherapie; Atlas-Energetik; Beweislastverteilung; non liquet; Unschuldsvermutung; Aufhebung des Straferkenntnisses ohne Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.000166.4.Gf.Mu

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2016
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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