Rechtssatznummer
1Entscheidungsdatum
25.11.2016Rechtssatz
* Insgesamt ergibt sich aus den §§ 28 und 29 ApG, dass ein Arzt für Allgemeinmedizin mit Kassenvertrag i.S.d. § 342 ASVG – insbesondere wenn dieser in einer sog. „Ein-Arzt-Gemeinde“ ordiniert – dann einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Hausapothekenbewilligung hat, wenn sein Berufssitz von (einer in dieser oder in einer anderen Gemeinde, d.h. von) der nächstgelegenen bereits bestehenden öffentlichen Apotheke mehr als 6 Straßenkilometer entfernt ist;
* Strittig ist zwischen den Verfahrensparteien lediglich, ob das in § 29 Abs. 1 Z. 2 und 3 ApG jeweils normierte Kriterium des „Berufssitzes“ erfüllt ist bzw. anders gewendet: ob die in der Gemeinde E. von der Mitbeteiligten Partei geführte Ordination (nicht nur als ein Berufssitz i.S.d. § 45 ÄrzteG, sondern auch) als ein Berufssitz im Sinne des § 29 ApG zu qualifizieren ist;
* In diesem Zusammenhang hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 3.7.1990, 86/08/0125 (= VwSlg 13248 A/1990) mit ausführlicher Begründung darauf abgestellt, dass im Falle einer Haupt- und einer Zweitordination jene als Berufssitz anzusehen ist, in der das Schwergewicht der ärztlichen Tätigkeit ausgeübt wird, wobei sich dieses nach der jeweiligen Anzahl der Patienten bemisst; im Erkenntnis vom 9.7.1990, 90/10/0038, wurde dies dahin präzisiert, dass bei gleich langen Ordinationszeiten ein Verhältnis von 3:2 (bzw. von 60% zu 40%) geeignet sei, zu erweisen, dass das Schwergewicht der beruflichen Tätigkeit in jener Ordination liege, in der vergleichsweise um 20% mehr Patienten behandelt wurden; und schließlich lässt sich aus dem Erkenntnis vom 26.6.1995, 91/10/0169, ableiten, dass feste Ordinationszeiten in einem Ausmaß von 181/2 Stunden pro Woche jedenfalls geeignet sind, die gesetzlich geforderte fachlich ordnungsgemäße Heilmittelzubereitung, lagerung und abgabe zu gewährleisten;
* Daraus, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen § 19 Abs. 2 bis 4 ÄrzteG 1984 in jener den vorangeführten Entscheidungen des VwGH zu Grunde liegenden Fassung einerseits und § 45 Abs. 2 bis 4 ÄrzteG andererseits darin besteht, dass ein praktischer Arzt damals „grundsätzlich nur einen Berufssitz“ und einen zweiten Berufssitz nur mit Bewilligung der Ärztekammer haben durfte, während ein solcher Arzt seit dem 1.1.1995 schon von vornherein „zwei Berufssitze“ etablieren darf, lässt sich in Verbindung damit, dass auf gesetzlicher Ebene eine zeitgleich-parallele Fortentwicklung des ApG unterblieben ist bzw. (erst) mit der am 29. März 2006 in Kraft getretenen ApG-Novelle BGBl I 41/2006 eine Aufwertung der Versorgungsfunktion von ärztlichen Hausapotheken als Anreiz zur Aufrechterhaltung der ärztlichen Versorgung in ländlichen Gebieten erfolgte, insgesamt ableiten, dass sich zwar aus der Sicht der ärztlichen Berufsausübung die Bindung des Arztes an bloß einen Standort entsprechend gelockert hat, dass Gleiches jedoch nicht für die für eine ärztliche Hausapotheke geforderte Gewährleistung einer fachlich ordnungsgemäßen Heilmittelzubereitung, lagerung und abgabe gilt. Die seit der Novelle BGBl 100/1994 erfolgte Bedeutungsänderung des Begriffes „Berufssitz“ im ÄrzteG hat daher keine Auswirkungen auf den synonymen, nunmehr aber inhaltlich nicht mehr völlig deckungsgleichen Begriff in § 29 Abs. 1 Z. 2 und 3 ApG nach sich gezogen;
* Insgesamt lässt sich sohin aus diesen Entscheidungen für die gegenwärtig maßgebliche Rechtslage (weiterhin) ableiten, dass bei zwei Berufssitzen eine Hausapothekenbewilligung nur für jenen erteilt werden darf, an dem tatsächlich signifikant mehr Patienten behandelt werden. Dabei kommt es auf prognostische Entwicklungen – wie etwa ein künftiges Patientenpotential – nicht an; vielmehr kann, wenn ein deutliches Überwiegen für den in Aussicht genommenen Berufssitz vorerst nicht gegeben ist, ein (neuer) Antrag jederzeit gestellt werden, sobald sich das Verhältnis anforderungsgemäß eingestellt hat;
* Angesichts des im vorliegenden Fall bestehenden Verhältnisses der Patientenzahlen von (lediglich) 55% (Ordination E) zu 45% (Ordination R), das unter dem vom VwGH als maßgeblich erachteten Richtwert von 60%:40% liegt, sowie des Umstandes, dass die wöchentliche Ordinationszeit in E bloß 131/2 Stunden beträgt und diese ebenfalls unter dem vom VwGH als akzeptabel festgelegten Ausmaß von 181/2 Stunden liegt, stellt die Ordination der Mitbeteiligten Partei in E sohin keinen „Berufssitz“ i.S.d. § 29 Abs. 1 Z. 2 und 3 ApG dar, weshalb sich die Bewilligungserteilung für eine Hausapotheke aus diesem Grund als rechtswidrig erweist.
Schlagworte
Hausapotheke; öffentliche Apotheke; Kassenvertrag; Bedarfsprüfung; mehrere Berufssitze; überwiegende ärztliche TätigkeitAnmerkung
Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.050071.16.Gf.MuZuletzt aktualisiert am
19.12.2016