RS Lvwg 2016/12/19 LVwG-000188/6/Gf/Mu, LVwG-000189/6/Gf/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 19.12.2016
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

19.12.2016

Norm

Art. 6 EMRK
Art. 7 EMRK
Art. 4 VO (EG) 852/2004 (= LMHV)
Präambel zur LMHV
Anlage zur LMHV
Art. 3 VO (EG) 178/2002
§90 LMSVG
Anlage zum LMSVG
§31 VStG
§44a VStG
§45 VStG
Erlass bzw. Leitlinie des BMGF über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte

Rechtssatz

* Rechtssystematisch besehen normieren die Bestimmungen des § 90 Abs. 3 Z. 3 LMSVG, des § 4 Abs. 1 LMSVG, der Z. 1 des Teiles 2 der Anlage zum LMSVG, des Art. 4 Abs. 2 der LMHV i.V.m. des Ersten Erwägungsgrundes der Präambel zur LMHV und i.V.m. Art. 3 Z. 3 der VO (EG) 178/2002, und der Z. 3 des Kapitels IX der Anlage II zur LMHV in ihrer Gesamtheit drei unterschiedliche Tatbestände, die hinsichtlich ihres Unrechtsgehalts wesentlich divergieren, nämlich (jeweils auf das Wesentliche reduziert) eine faktische Kontamination des Lebensmittels derart,

? dass dieses für den menschlichen Verzehr gesundheitsschädlich ist oder

? dass dieses für den menschlichen Verzehr (bloß) ungeeignet ist oder

? dass (lediglich) ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten ist;

* Im gegenständlichen Fall steht allseits unbestritten fest, dass die vom Bf. zum Vorfallszeitpunkt in seinem Betrieb vorrätige, aus rohem (= nicht pasteurisiertem) Rahm erzeugte und in der Folge von der AGES begutachtete Butter zum Ablauf des angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatums eine Hefekontamination von 2,1 bzw. 2,2 Mio KBE pro Gramm aufwies. Allerdings lässt sich den Gutachten der AGES nicht entnehmen, ob bzw. dass die festgestellte (einundzwanzig- bzw. zweiundzwanzigfache) Überschreitung des im Erlass des BMGF vom 20.11.2006, Zl. 75220/0045-IV/7/2006 („Leitlinie über mikrobiologische Kriterien für Milch und Milchprodukte“), auf S. 13 in Bezug auf Hefen mit 100.000 KBE festgelegten Grenzwertes die verfahrensgegenständlichen Lebensmittel auch entweder für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machten bzw. derart kontaminierten, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten gewesen wäre. Darüber hinaus wurden – abgesehen davon, dass dem Erlass des BMGF im Außenverhältnis keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt – seitens der belangten Behörde auch sonst keine in diese Richtung führenden Ermittlungsergebnisse vorgelegt;

* Würde ein derartiger, (nicht bloß erlassmäßig, sondern) in außenwirksamer Form rechtlich verbindlich normierter Grenzwert existieren, dann würde es im Hinblick auf das gemäß § 44a Z. 1 VStG festgelegte Konkretisierungsgebot hinreichen, wenn im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses zum einen bloß festgestellt wird, dass dieser überschritten wurde; in Ermangelung eines solcherart bindenden Grenzwertes ist es hingegen erforderlich, dem Beschuldigten anzulasten, durch welche konkret-kausale verbotene, ihm zurechenbare Tätigkeit bzw. durch welche Unterlassung er die Kontamination schuldhaft verursacht hat, weil dem Strafrecht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 EMRK, wonach der Beschuldigte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig anzusehen ist, eine bloße sog. „Erfolgshaftung“ fremd ist. Zum anderen ist es bei hinsichtlich ihres Unwertgehaltes erheblich divergierenden Deliktstatbeständen (wie hier: „Gesundheitsschädlichkeit“ – [bloße] „Ungeeignetheit“ zum Verzehr“ – Verzehr [lediglich] nicht zu erwarten) darüber hinaus – und zwar schon im Hinblick auf das strafrechtliche Legalitätsprinzip (Art. 7 Abs. 1 EMRK) und die Beurteilung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafbemessung – auch erforderlich, den Spruch des Straferkenntnisses dahin zu konkretisieren, welches dieser Tatbilder die Behörde als erfüllt angenommen hat;

* Im gegenständlichen Fall bestehen weder Ermittlungsergebnisse bzw. faktenmäßige Grundlagen dahin, welcher der in Frage kommenden Deliktstatbestände dem Rechtsmittelwerber konkret angelastet werden sollte, noch, durch welche spezifische Handlung bzw. Unterlassung der Beschwerdeführer diesen verwaltungsstrafrechtlich verpönten Erfolg herbeigeführt haben soll. Aus den vorgenannten Gründen geht dieses „non liquet“ zu Lasten der Behörde (vgl. insbesondere jüngst EGMR vom 20.9.2016, 926/08 [„Karelin“], RN 55 und 56, wonach eine Vermischung von richterlicher und anklagender Funktion jedenfalls dem Prinzip der Unparteilichkeit i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK widerspricht), sodass vor dem Hintergrund der gegebenen Faktenlage gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK im Zweifel zu Gunsten des Bf. davon auszugehen war, dass er den ihm zur Last gelegten Übertretungstatbestand nicht erfüllt hat.

Schlagworte

Lebensmittelkontamination; Gesundheitsschädlichkeit; Ungeeignetheit zum Verzehr; Nichterwartbarkeit des Verzehrs; Konkretisierungsgebot; Erfolgshaftung; Kausalität; Zurechenbarkeit; Deliktstatbestand; Legalitätsprinzip; non liquet; Unschuldsvermutung

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.000188.6.Gf.Mu

Zuletzt aktualisiert am

09.01.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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