Rechtssatznummer
1Entscheidungsdatum
22.12.2016Norm
Art. 18 AEUVRechtssatz
* Wie bereits in den hg. Erkenntnissen vom 8.8.2016, LVwG-4115067, und vom 24.6.2015, LVwG-410600, ausführlich begründet, erweist sich das in den §§ 3 ff GSpG normierte Monopolsystem wegen Inkohärenz als unionsrechtswidrig: Denn einerseits basiert die gesetzliche Regelung de facto nicht auf einem durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses – wie etwa dem Verbraucherschutz (in Form des Spielerschutzes und der Suchtvorbeugung) oder der Kriminalitätsbekämpfung und der Kriminalitäts-, insbesondere Betrugsprävention, oder der effektiven und systematischen Verringerung der Anreize und Gelegenheiten zum Spiel –, sondern tatsächlich dient diese primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an Staatseinnahmen (in Höhe von 0,4% der jährlichen Gesamteinnahmen des Bundes); andererseits – und unabhängig davon – erweist sich auch die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems (Privatisierung durch Übertragung der zwar sowohl strengen Antrittsvoraussetzungen als auch einer rigiden staatlichen Kontrolle unterliegenden Ausübungsbefugnisse nicht auf eine unbeschränkte, sondern – im Sinne einer Bedarfsprüfung – auf eine bloß limitierte Anzahl von Konzessionären) und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen (Betretungs-, Einschau-, Informations- und Überprüfungsrechte; vorläufige und/oder endgültige Beschlagnahme, Einziehung und nachfolgende Vernichtung der Eingriffsgegenstände; Verwaltungsstrafe; Betriebsschließung) insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Bindung an eine vorhergehende richterliche Ermächtigung jeweils als unverhältnismäßig;
* Dies ergibt sich vornehmlich daraus, dass der Ausgangspunkt, dass in Österreich 64.000 Personen spielsüchtig seien, auf einer bloße Mutmaßung fußt; Gleiches gilt für die nicht näher verifizierbare Behauptung, dass in Österreich eine dazu affine Kriminalität vorherrsche; auch wenn man die diesbezüglich ins Treffen geführten, statistisch hochgerechneten Zahlen als vorbehaltlos zutreffend unterstellen würde, ließe sich angesichts deren Geringfügigkeit keine sachliche Rechtfertigung für den gegenwärtig zu konstatierenden legistischen und administrativen Aufwand finden; und selbst wenn eine solche bestünde, würde sich dennoch das konkret institutionalisierte System schon als solches als unverhältnismäßig erweisen, weil sich die Intentionen eines effizienten Spielerschutzes und/oder einer effizienten Kriminalitätsvorbeugung jedenfalls auch im Wege einer zahlenmäßig nicht beschränkten Konzessionsvergabe erreichen ließen. Schließlich lässt sich auch keine sachliche Rechtfertigung dafür finden, weshalb über die bspw. bereits im FinStrG und in der BAO enthaltenen Berechtigungen hinaus im GSpG behördliche Maßnahmen vorgesehen und auch tatsächlich erforderlich sein sollen, die bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die Unionsrechtskompatibilität des im GSpG normierten Monopolsystems noch gar nicht verbindlich festgestellt ist, jeweils ohne eine vorangehende richterliche Ermächtigung massive Eingriffe in die Grundrechtssphäre von potentiellen Interessenten für eine Konzession – wie z.B. Beschlagnahmen, Verwaltungsstrafen, Verfall, Einziehungen, Betriebsschließungen – ermöglichen;
* An dieser Einschätzung vermögen auch die Erkenntnisse des VfGH vom 15.10.2016, E 945/2016, und des vom 16.3.2016, Ro 2015/17/0022, nichts zu ändern, weil diese v.a. wegen jeweils eingeschränkter Kognitionsbefugnis und Nichtvornahme einer autonomen Beweisaufnahme und Beweiswürdigung auf keinem gerichtsförmigen Verfahrens i.S.d. Art. 6 EMRK bzw. i.S.d. Art. 47 EGRC basieren;
* Widerspricht eine innerstaatliche Regelung dem Unionsrecht, so hat diese nach ständiger Rechtsprechung des EuGH faktisch unangewendet zu bleiben. Dieser Grundsatz ist von jedem staatlichen Organ auf jeder Ebene des Verfahrens unmittelbar von Amts wegen zu beachten. Konkret bedeutet dies insbesondere, „dass der Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine Regelung im Glücksspielbereich nicht zu Sanktionen führen kann, wenn diese Regelung mit Art. 56 AEUV nicht vereinbar ist“ (vgl. EuGH vom 30. April 2014, C 390/12 [Pfleger, EU:C:2014:281], RN 64, m.w.N.). Daraus resultiert für den vorliegenden Fall, dass die Bestrafung der Bf. wegen des Verdachtes einer Übertretung des § 52 Abs. 1 Z. 1 viertes Tatbild GSpG ausgeschlossen ist, weil sich diese Eingriffsnorm rechtssystematisch als eine auf der Glücksspielmonopolregelung des GSpG fußende und mit dieser in einem untrennbaren Zusammenhang stehende Bestimmung darstellt;
* Von einem – aus Gründen der Rechtskraft zwar nicht gehinderten (vgl. z.B. EuGH vom 15. Oktober 2015, C 581/14 [Naderhirn], RN 28 ) – neuerlichen Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Europäischen Union war im gegenständlichen Fall deshalb abzusehen, weil der EuGH in seinem Urteil vom 30. April 2014, C 390/12 (Pfleger), bereits explizit klargestellt hat (vgl. RN 47), dass die Frage der Unionsrechtskonformität des im GSpG verankerten Monopolsystems davon abhängt, ob sich Letzteres insgesamt als kohärent erweist, wobei diese Kohärenzprüfung nicht dem EuGH, sondern den jeweils zur Vollziehung des GSpG berufenen nationalen Behörden und Gerichten obliegt.
Schlagworte
Glücksspielmonopol; Unionsrechtskompatibilität; Kohärenzprüfung; Amtswegigkeit; Bindungswirkung; gerichtsförmiges Verfahren; eingeschränkte Kognitionsbefugnis; autonome Beweisaufnahme; autonome Beweiswürdigung; EuGH; VfGH; VwGHAnmerkung
Gegen diese Entscheidung wurde Revision an den VwGH erhoben.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.411653.5.Gf.MuZuletzt aktualisiert am
23.10.2017