TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/20 95/08/0261

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Veröffentlicht am 20.09.2000
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §101;
ASVG §357;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art140;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des W in K, vertreten durch Dr. Helmut Malek, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Dinstlstraße 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 26. September 1994, Zl. VII/2-5942-1994, betreffend Witwerpension (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte mit Schriftsatz vom 23. Juni 1992 bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Zuerkennung einer Witwerpension.

Mit Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 17. August 1992 wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf Witwerpension unter Berufung auf die §§ 258 Abs. 1, 86 und 292 ASVG ab 1. Juni 1992 anerkannt. Die Höhe der Pension wurde ab 1. Juni 1992 mit monatlich S 2.778,-- festgesetzt.

Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Mit Schreiben vom 28. Dezember 1993 beantragte der Beschwerdeführer die "rückwirkende Erhöhung der Witwerpension ab 1. Juni 1992 auf die volle Höhe". Die dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 17. August 1992 gewährte Witwerpension entspreche (nur) 2/3 des sich unter Anwendung der entsprechenden gesetzlichen Bemessungsbestimmungen ergebenden Betrages an Witwerpension. Art. II Abs. 8 der 36. ASVG-Novelle (BGBl. Nr. 282/1981) idF des Art. V Abs. 1 der 40. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 484/1984, seien "wegen Gleichheitswidrigkeit verfassungswidrig".

Mit Bescheid vom 13. Mai 1994 wies die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurück. Nach der Begründung sei seit der Erlassung des Bescheides vom 17. August 1992 weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht eine Änderung eingetreten. Nach den vom Beschwerdeführer erwähnten Übergangsbestimmungen gebühre die Witwerpension erst ab 1. Jänner 1995 in voller Höhe. Auch eine verfassungsrechtlich bedenkliche Norm gelte bis zu ihrer Aufhebung als Bestandteil der Rechtsordnung. Der Antrag des Beschwerdeführers auf rückwirkende Erhöhung des Pensionsbetrages sei als Antrag auf eine Neufeststellung der Witwerpension zu werten; darüber sei jedoch bereits mit Bescheid vom 17. August 1992 rechtskräftig abgesprochen worden. Die Pensionsversicherungsanstalt käme auch bei neuerlicher Überprüfung des unveränderten Sachverhaltes auf Grund derselben geltenden Rechtslage zum selben Ergebnis. Da das Prinzip der Rechtskraft auch im Verfahren vor den Sozialversicherungsträgern als allgemeiner Grundsatz zu beachten sei, hätte der Antrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden müssen.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er verwies im Wesentlichen darauf, dass der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 30. Juni 1993 beim Verfassungsgerichtshof beantragt habe, Art. II Abs. 8 der 36. ASVG-Novelle idF der 40. ASVG-Novelle wegen Gleichheitswidrigkeit aufzuheben. Die Regelung der Witwerpension verletze auch das Recht auf Gleichheit gemäß Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt bestätigt. Da eine Änderung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage nicht eingetreten sei, müsse der Antrag des Beschwerdeführers unter sinngemäßer Anwendung des § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 19. Juni 1995, B 2164/94, abgelehnt und diese mit Beschluss vom 30. August 1995 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Auch die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat eine Gegenschrift erstattet, in der - ohne Kostenbegehren - die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird zunächst die Zulässigkeit der Anwendung des § 68 Abs. 1 AVG in Abrede gestellt.

Dazu ist der Beschwerdeführer auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach trotz Nichtanführung des § 68 AVG im § 357 ASVG die Versicherungsträger nicht der Verpflichtung enthoben sind, in ihren Bescheiden dem die österreichische Rechtsordnung beherrschenden Grundsatz der Rechtskraft zum Durchbruch zu verhelfen, deren Wesen in der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit und Unwiderrufbarkeit und deren Wirkung unter anderem in der grundsätzlichen Unwiederholbarkeit, d. h. der fehlenden Berechtigung, über die mit einem Bescheid erledigte Sache neuerlich zu entscheiden, sowie in der Verbindlichkeit, d.h. der Bindung der Behörden und Parteien an den Bescheidausspruch besteht (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 16. Jänner 1990, Zl. 89/08/0163, und vom 8. Februar 1994, Zl. 93/08/0166).

Dem Beschwerdeführer ist auch nicht zu folgen, wenn er die Auffassung vertritt, sein Antrag vom 28. Dezember 1993 hätte nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen werden müssen.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 bis 71 leg. cit. die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet und auch in den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften keine Sonderregelung vorgesehen ist (§ 68 Abs. 6 AVG), - mit einem verfahrensrechtlichen Bescheid - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, da § 68 Abs. 1 leg. cit. in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern soll. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird demgemäß durch die "entschiedene Sache", d.h. durch die Identität der Verwaltungssache, über die mit einem bereits formell rechtkräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des ursprünglichen Begehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Begehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt. Der Begriff "Identität der Sache" muss daher in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden. Dies bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 15. Dezember 1992, Zl. 91/08/0166, mit Hinweis auf Vorjudikatur).

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 23. Juni 1992 bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Zuerkennung einer Witwerpension gestellt. Im Zuge dieses Verfahrens hat der Beschwerdeführer diesen Antrag mit Schreiben vom 28. Juli 1992 wiederholt und beantragt, ihm die Witwerpension "im gesetzlichen Ausmaß" zuzuerkennen. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat daraufhin mit Bescheid vom 17. August 1992 seinen Anspruch auf Witwerpension ab 1. Juni 1992 anerkannt und die Höhe der monatlichen Pension im Sinne des § 258 Abs. 1 (iVm Art. 2 Abs. 8 der 36. ASVG-Novelle idF des Art. V Abs. 1 der 40. ASVG-Novelle) mit 2/3 der vollen Höhe, also mit monatlich S 2.778,--, bestimmt. Trotz des ausdrücklichen Hinweises auf das Klagerecht unterblieb eine Anfechtung dieses Bescheides. Der Antrag des Beschwerdeführers vom 28. Dezember 1993, ihm die Witwerpension ab 1. Juni 1992 in voller Höhe auszuzahlen (da die gesetzlichen Grundlagen für die etappenweise Erhöhung der Witwerpension verfassungswidrig seien), deckt sich im Wesentlichen mit seinem ursprünglichen Antrag vom 23. Juni 1992. Da vom Beschwerdeführer auch weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des ursprünglichen Begehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung behauptet wurde, ist sein Antrag vom 28. Dezember 1993 zu Recht zurückgewiesen worden.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfassungs- bzw. Völkerrechtswidrigkeit des Art. II Abs. 8 der 36. ASVG-Novelle idF des Art. V Abs. 1 der 40. ASVG-Novelle wird in der Beschwerde selbst eingeräumt, dass der Verfassungsgerichtshof entsprechenden Anträgen, diese Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben, mit Erkenntnis vom 3. März 1995, VfSlg. 14.050, keine Folge gegeben hat. Im Übrigen war Gegenstand des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage, ob der Antrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen worden ist. Selbst für den Fall aber, dass sein Antrag als Antrag gemäß § 101 ASVG zu werten gewesen wäre, wäre ihm nicht stattzugeben gewesen, weil eine eventuelle Verfassungswidrigkeit nicht nach § 101 ASVG mit Erfolg geltend gemacht werden kann (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 8. April 1997, Zl. 97/08/0089).

Auf Grund dieser Erwägungen erweist sich die vorliegende Beschwerde somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Zur Entscheidung der allein maßgeblichen Rechtsfrage war die beantragte mündliche Verhandlung entbehrlich; von ihr wurde daher gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Wien, am 20. September 2000

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1995080261.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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