TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/13 W147 2009362-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2017
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Entscheidungsdatum

13.10.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W147 2009362-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. Martin SAUSENG, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. Juni 2014, Zl. 648177200-1731895, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2015 und 26. September 2017 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer brachte, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet gelangt war, am 12. Oktober 2013 verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein, wobei er zum Nachweis seiner Identität einen Führerschein, ausgestellt am XXXX , vorlegte.

Im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am nächsten Tag führte der Beschwerdeführer befragt zu seinem Reiseweg aus, den Entschluss zur Ausreise habe er am 24. September 2013 gefasst und habe er seinen Herkunftsstaat von seinem Wohnort am 2. Oktober 2013 mit einem Taxi verlassen, sei mit diesem nach XXXX gereist. Dort sei er sieben Tage aufhältig gewesen, habe einen Schlepper getroffen und sei schließlich mit einem LKW nach dreitägiger Fahrt in Österreich angekommen. Sein Reisepass und sein Inlandsreisepass würden sich bei der Polizei in seinem Herkunftsort befinden. Befragt nach den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates gab der Beschwerdeführer an, der Mann seiner Cousine namens XXXX sei Widerstandskämpfer und im Jahre 2013 zu ihm nach Hause gekommen. Er habe ca. eine Woche beim ihm übernachtet. Am XXXX seien in der Nacht 50 bis 60 Polizisten zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihn auf die Polizeistation mitgenommen; dort sei er geschlagen und gefoltert worden. Nach drei Tagen habe ihn der Onkel seiner Frau, er sei Polizist, von der Polizeistation abgeholt und ihn in eine Krankenanstalt gebracht, da er Magenprobleme gehabt hätte. Dieser Onkel seiner Frau habe dem Beschwerdeführer sodann geraten, Dagestan zu verlassen. In Falle einer Rückkehr fürchte er festgenommen zu werden und nicht mehr nach Hause zurückzukommen.

Zu Beginn der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 18. Februar 2014 gab der Beschwerdeführer an, psychisch und physisch in der Lage zu sein, der Einvernahme zu folgen. Derzeit nehme er Arzneimittel ein, da er in der Erstaufnahmestelle eine Lungenentzündung bekommen habe. Als Beweismittel legte der Beschwerdeführer neben seinem Führerschein eine Bestätigung über einen stationären Krankenanstaltenaufenthalt vom 13. bis 23. September 2013 sowie zwei Ladungen zum Verhör vom 12. Jänner 2013 und 30. November 2013 vor. Er sei Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der awarischen Volksgruppe zugehörig und muslimischen Glaubens. Bis zu seiner Ausreise habe er ständig an einer angegebenen Wohnadresse in Dagestan gelebt. Dabei handle es sich um ein Haus, welches nunmehr im Eigentum seiner Eltern stünde; diese würden im Nebenhaus wohnen. Gemeinsam mit dem Beschwerdeführer hätten seine Ehegattin und seine beiden Kinder an der angegebenen Adresse gelebt. Vor ca. zehn Tagen seien die beiden Häuser und die seines Bruders umstellt worden. Sein Bruder sei geflüchtet, seine Frau und seine Kinder seien zum Onkel seiner Ehegattin geflüchtet; dieser sei stellvertretender Leiter der Sondergruppe der Polizei. Mit seiner Ehegattin und seinen Eltern stehe er per Internet in Kontakt; er habe von diesem Vorfall vor zehn Tagen erfahren und sei ihm auch ein Foto übermittelt worden, welches ein Nachbar aufgenommen hätte. Seinen Wohnsitz habe er am XXXX verlassen, als er von der Polizei mitgenommen und drei Tage hindurch auf der Polizeistation angehalten worden sei. Dann sei er zehn Tage im Krankenhaus gewesen bis ihn der Onkel seiner Gattin abgeholt und zu einem Bekannten gebracht habe; dort habe er sich bis zu seiner Ausreise versteckt gehalten. Befragt nach weiteren Identitätsdokumenten führte der Beschwerdeführer aus, sein Inlands- und sein Auslandsreisepass seien ebenso wie sein alter Führerschein bei der Polizei. Den nunmehr vorgelegten Führerschein habe er vor der Ausreise mit Hilfe des Onkels seiner Ehegattin ausstellen lassen; dieser habe diesen über seine "eigenen Leute" machen lassen mit dem Vorwand, der Beschwerdeführer habe seinen alten Führerschein verloren. Er habe einen Reisepass besessen, da er eigentlich beabsichtigte, in die Arabischen Emirate zu reisen, da sein Bruder dort Freunde habe. Der Auslandsreisepass sei ihm glaublich im Jahre XXXX oder XXXX in seinem Heimatort ausgestellt worden und sei er tatsächlich erst einmal außerhalb seines Herkunftsstaates in Aserbaidschan gewesen. Zu den vorgelegten Ladungen führte der Beschwerdeführer aus, er sei als Zeuge zum Verhör geladen worden, jedoch vermute er, dass es lediglich eine Formalität sei, da sie ja wüssten, dass er nicht mehr im Herkunftsland sei. Über Vorhalt, wonach eine der Ladungen vom Jänner 2013 stamme, einem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerdeführer sehr wohl noch im Herkunftsstaat gewesen sei, führte der Beschwerdeführer aus, dabei müsse es sich um einen Irrtum handeln, es müsse wohl Jänner 2014 gemeint sei. Er sei einzig und allein einmal und zwar am XXXX festgenommen worden. Er habe ein eigenes Geschäft betrieben, Autos aus dem Ausland gekauft, verzollt und dann weiterverkauft. Seine Ausreise sei durch sein Einkommen aus diesem Geschäft finanziert worden. Auch sein Vater habe ihm geholfen; dieser sei Fachmann für Stromversorgung und arbeite trotz seines Alters immer noch. Befragt wie seine Familienangehörigen in seinem Herkunftsland leben und wie deren wirtschaftliche Lage sei, führte der Beschwerdeführer aus, seine Eltern und sein Bruder würden der Familie helfen. Sein Bruder habe mit ihm das Geschäft betrieben, dies jedoch seit einem Monat eingestellt, da er Probleme bekommen hätte, ausreisen wolle dieser jedoch nicht, er sei Patriot. Aufgefordert die Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates darzulegen gab der Beschwerdeführer an, Ursache seiner Probleme sei der namentlich genannte Ehegatte seiner Cousine. Dieser habe auch ein Geschäft betrieben und dem Beschwerdeführer geholfen. Er sie 2011 in die Berge gegangen; er sei beschuldigt worden, glaublich im September 2011 ein Attentat auf XXXX verübt zu haben. Bei diesem Attentat sei zwar der Leiter am Leben geblieben, jedoch seien zwei seiner Neffen ums Leben gekommen. Nachdem der Ehegatte seiner Cousine nicht mehr zu Hause gelebt habe, sei dessen Bruder spurlos verschwunden und angeblich tot aufgefunden worden. Seit 2011 sei der Ehegatte seiner Cousine öfters zum Beschwerdeführer gekommen und habe er diesen geholfen, da er ihm nahe wie ein Bruder gestanden sei. Drei Mal haben sich seine Cousine und ihr Ehegatte beim Beschwerdeführer für eine Woche getroffen, auch hätten der Beschwerdeführer und sein Bruder über seine Cousine Geld geschickt, er selbst habe den Ehegatten seiner Cousine mit dem Auto einmal nach XXXX gebracht, weshalb man angenommen habe, dass der Beschwerdeführer selbst beim Attentat mitbeteiligt gewesen sei. Das letzte Mal sei er Anfang September 2013 beim Beschwerdeführer gewesen, auch Kampffreunde seien dieses Mal mitgewesen, die abends bzw. nachts geblieben seien; einen davon habe der Beschwerdeführer mit dem Auto seines Bruders wieder zurückgeführt. Seine Cousine und deren Gatte hätten in der Hütte im Garten übernachtet. Als die Polizei gekommen sei, seien die beiden bei ihm aufhältig gewesen, die Cousine sei im Haus geblieben, deren Gatten sei geflüchtet, wobei der Beschwerdeführer nicht angegeben könne auf welchem Weg. Es seien sehr viele Polizisten gewesen, ca. 40 bis 50 die den Häuserblock umstellt hätten, es sei schon dunkel gewesen, gegen acht oder zehn Uhr seien sie in den Innenhof des Hauses gekommen, hätten alles durchsucht, seine Frau und seine Kinder seien ebenfalls zu Hause gewesen. Die Frauen und die weinenden Kinder hätten sie nicht angegriffen, er selbst habe sich an die Wand stellen müssen. Die Polizisten hätten nichts gefunden und ihn mitgenommen, in eine Polizeiabteilung gebracht und drei Tage hindurch in einer Zelle angehalten. Geschlagen sei er nicht worden, er vermute, dass Grund hiefür gewesen sei, dass einer seiner Bekannten der Polizeileiter der Stadt sei. Der Beschwerdeführer habe ersucht, diesen herbeizuholen. Nach drei Tagen ohne Schlaf habe er gesundheitliche Probleme bekommen. Er sei stundenlang verhört worden, nach bestimmten Personen gefragt, habe immer die gleichen Fragen gestellt bekommen. Sie hätten verlangt, dass er eingestehe, bei dem Attentat den Ehegatten seiner Cousine chauffiert zu haben; da er dies nicht getan habe, habe er dies auch nicht zugegeben. Er sei schließlich zusammengebrochen als auf einmal sein namentlich genannter Bekannter zu ihm gekommen sei und direkt mit einer Rettung in Begleitung dreier Polizisten in eine Krankenanstalt gebracht worden sei. Die ersten Tage seien sie neben ihm gesessen, zum Schluss nicht mehr. Am zehnten Tag sei er von seinem Bekannten abgeholt und in dessen Heim gebracht worden. Dann sei seine Familie hinzugekommen und alle gemeinsam zu dem letzten Aufenthaltsort im Bezirk XXXX gebracht worden. Dann sei der Beschwerdeführer nach XXXX gereist, um die Sache zu klären, er habe seinem Bekannten angeboten, Geld zu bezahlen, um in Ruhe gelassen zu werden. Dies sei jedoch nicht möglich gewesen, da der Abteilungsleiter, welcher seine Neffen verloren hätte, Rache wolle. Als er schon in Österreich gewesen sei, habe er per Internet erfahren, dass der Ehegatte seiner Cousine verstorben sei; er habe Fotos bekommen, die er auch vorlegen könne.

Befragt nach dem Befinden seiner Cousine, der Witwe, antwortete der Beschwerdeführer, diese wohne nach wie vor in XXXX , ihr Gatte habe ihr ein Haus und eine Wohnung hinterlassen, Geld habe er auch genug gehabt. Nach seinem Tod habe sie keine Probleme mehr gehabt. Sie sei von der Polizei verhört worden, aber es sei üblich, Frauen zu deren eigener Sicherheit nicht viel zu erzählen. Die Frage, ob seine Gattin sämtliche Hintergründe wisse, da ja die Cousine des Beschwerdeführers und dessen Gatte sich im Haus des Beschwerdeführers getroffen hätten, bejahte der Beschwerdeführer, seine Gattin habe "ja auch gekocht". Mit seinem bekannten, den stellvertretenden Leiter der Sondergruppe, habe er keinen Kontakt, er sei verhört worden jedoch sei weiters, soweit der Beschwerdeführer wisse, nichts passiert. Befragt nach den Lebensumständen seiner Familie führte der Beschwerdeführer aus, diese würden sich nicht verstecken, gingen "spazieren und so"; er vermute, dass dieses problemlose Leben dadurch möglich sei, da sie bei seinem Bekannten wohnen. Dem Beschwerdeführer habe sein Bekannter jedoch geraten, auszureisen. Befragt, was einen weiteren Verbleib in seinem Herkunftsstaat unmöglich machte, antwortete der Beschwerdeführer, er habe Angst um sein Leben. Sein Bruder habe ähnliche Probleme, einmal sei für ihn schon bezahlt worden. Vor zehn Tage sei wieder das Viertel umstellt worden, seinem Bruder sei die Flucht gelungen, die Häuser seien durchsucht worden, jedoch sei nichts mitgenommen worden, auch seine Eltern hätten bleiben dürfen. Zu seinen Fluchtgründen wolle er ergänzend vorbringen, dass die Freunde des getöteten Gatten seiner Cousine im Falle seiner Rückkehr wieder zu ihm kommen und um Hilfe bitten würden. Sie wüssten, dass er sie nicht verraten würde, da er von der Gesinnung her für die Befreiung Dagestans sei; er unterstütze diese Idee sei aber dagegen, dies mit Gewalt, Explosionen und Tötungen zu erreichen. Seine Familienangehörigen würden wie bereits erwähnt bei seinem Bekannten leben, jedoch hege er den Wunsch, sie nach Österreich zu bringen; seine Eltern und sein Bruder hingegen wollen nicht nach Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13 Juni 2014, Zl. 648177200-1731895/BMI-BFA_STM_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 12. Oktober 2013 gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde kurz zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung(sgefahr) glaubhaft gemacht habe. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates hätten sich als unglaubwürdig erwiesen. Selbst bei Wahrunterstellung sei es dem Beschwerdeführer möglich wieder in seinem Herkunftsstaat zu leben. Weiters lägen keine Anhaltspunkte vor, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe oder mit dieser für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes einhergehe. Im Hinblick auf die Ausweisungsentscheidung führte die belangte Behörde unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer illegal eingereist sei und nahe Angehörige im Herkunftsstaat habe, weshalb seine Ausweisung zulässig sei.

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben. Die erstinstanzliche Erledigung wurde unter näherer Begründung wegen Rechtswidrigkeit infolge mangelhafter Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften vollinhaltlich angefochten.

3. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 4. Juli 2014 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

4. Die Ehegattin des Beschwerdeführers reiste mit den gemeinsamen Kindern ebenfalls in das Bundesgebiet ein und brachte für sich und die minderjährigen Kinder am 26. Februar 2015 ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz ein.

Im Zuge der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte die Ehegattin des Beschwerdeführers aus, sie habe gemeinsam mit den minderjährigen Kindern ihren Herkunftsstaat am XXXX mit einem Reisezug nach Moskau verlassen, wo sie mit einem Anschlusszug nach Weißrussland gereist seien. Von dort seien sie mit einem Schnellzug nach Polen gereist, wo sie einen Asylantrag gestellt hätten. Sie seien in ein Flüchtlingslager gebracht worden und hätten dort zwei Tage verbracht. Anschließend seien sie mit einem Taxi nach Wien gereist und habe sie ihr Ehegatte von dort zur Erstaufnahmestelle gebracht. Sie sei sowohl mit einem Inlandsreiseipass als auch einem Auslandsreisepass gereist. Befragt nach einem Visum führte die Gattin des Beschwerdeführers aus, sie habe sich drei Mal vergeblich um ein Schengen- Visum bemüht, da sie keines erhalten hätten, seien sie selbständig nach Österreich gereist. Befragt nach ihrem Fluchtgrund antwortete die Gattin des Beschwerdeführers, dieser sei im XXXX in ihrem Haus von mehreren Polizisten abgeführt und inhaftiert worden. Wie lange der Beschwerdeführer inhaftiert gewesen sei, könne sie nicht angeben. Er sei dann aus ihr unbekannten Gründen in ein Krankenhaus gebracht worden. Als er entlassen worden sei, hätten sie einige Tage bei Verwandten bleiben müssen, da ihr Ehegatte befürchtet habe, neuerlich inhaftiert zu werden. Nach zehn Tagen habe der Beschwerdeführer Dagestan verlassen und habe einen Monat danach angerufen, dass er sich in Österreich befinde; deshalb seien sie nun hier. Sie möchte bei ihrem Mann bleiben und würden die Kinder ihren Vater brauchen.

Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahm vor der belangte Behörde am 12. Mai 2015 gab die Ehegattin des Beschwerdeführers einleitend zu dem Protokoll ihrer Erstbefragung an, der Beschwerdeführer sei wegen Magenblutungen in eine Krankenanstalt gebracht worden nicht aus ihr unbekannten Gründen. Sie sei seit 2009 mit dem Beschwerdeführer standesamtlich und seit 2008 traditionell verheiratet und hätten im Herkunftsstaat in einem Einfamilienhaus gelebt. Ihr Auslandsreisepass und die ihrer Kinder seien bei den Behörden in Polen verblieben. Über Vorhalt wonach beabsichtigt sei, sie und die Kinder nach Polen abzuschieben führte die Gattin des Beschwerdeführers aus, es sei ihre Absicht gewesen mit den Kindern zu ihrem Gatten nach Österreich zu reisen. Nachdem sie kein Visum erhalten habe, sei sie illegal nach Österreich gereist. Wäre ihr Gatte in einem anderen Land, wäre sie dorthin gereist.

5. Am 11. Juni 2015 fand zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer sowie eine geeignete Dolmetscherin teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte mit Schreiben mitgeteilt, keinen Vertreter zu entsenden. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer erneut ausführlich zu Ausreisegründen und Lebensumständen im Herkunftsstaat, sowie zum Gesundheitszustand und Leben in Österreich befragt. Auf Antrag des Vertreters des Beschwerdeführers wurde dessen zwischenzeitig ebenfalls im Bundesgebiet aufhältige Ehegattin als Zeugin einvernommen.

6. Mit Bescheiden vom 26. Mai 2015 wurden die Anträge der Ehegattin und der Kinder des Beschwerdeführers seitens der belangten Behörde ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unzulässig zurückgewiesen und für die Prüfung ihrer Anträge Polen für zuständig erklärt. In Einem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung nach Polen für zulässig erklärt.

Infolge der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerden wurden diese Bescheide mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Juni 2105 gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG behoben.

Die seitens der belangten Behörde eingebrachte Revision wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2015 abgewiesen.

7. Nach Zulassung der Verfahren wurde die Ehegattin des Beschwerdeführers sodann am 23. August 2016 neuerlich vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und legte zu Beginn Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen, Schulbesuchsbestätigungen der Kinder sowie medizinische Unterlagen ihre Kinder betreffend vor. Befragt nach den Wohnverhältnissen in ihrem Herkunftsstaat führte die Ehegattin des Beschwerdeführers aus, sie hätte gemeinsam mit dem Beschwerdeführer und den Kindern in einem Einfamilienhaus in einem namentlich genannten Dorf gelebt. Im Nebenhaus habe ihr Schwager, der Bruder des Beschwerdeführers mit seiner Gattin, der Schwester der Ehegattin und deren Kinder gelebt, in einem weiteren Nebenhaus die Eltern des Beschwerdeführers. Der Bruder und die Eltern des Beschwerdeführers würden nach wie vor dort leben, das Haus des Beschwerdeführers stünde nunmehr leer. Kontakt halte sie mit ihren Verwandten per Internet. Ihr Vater sei verstorben, ihre Mutter sei behindert und lebe ebenfalls im Dorf. Sie habe einen Bruder und eine Schwester, drei Onkel mütterlicherseits und vier Tanten. Ihr Bruder arbeite als Juwelier, ein Onkel ebenfalls, ein weiterer Onkel arbeite bei OMON. Die standesamtliche Eheschließung mit dem Beschwerdeführer sei 2009 erfolgt.

Seit ihr Ehegatte Probleme wegen des Mannes der Cousine bekommen hätte, hätten auch Kontrollen begonnen. Sie könne nicht erklären, welche Probleme dies waren, er habe sich versteckt gehalten und sei ein radikaler Moslem gewesen. Er sei schlussendlich umgebracht worden, sie könne sich an Fotos erinnern, auf einem Video sei sein Auto umzingelt und er erschossen worden. Wer ihn erschossen habe und wer ihn gesucht habe könne sie nicht angeben.

Befragt nach den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates gab die Ehegattin des Beschwerdeführers an, dass ihr Onkel, der bei Omon arbeite, ihr geraten habe, auszureisen nachdem der Beschwerdeführer die Stadt verlassen hatte.

Im XXXX seien sie zu Hause gewesen, als am Abend uniformierte und maskierte Omon-Männer in das Haus eingedrungen seien während sie gerade das Abendessen gemacht hätte. Die Kinder seien oben im ersten Stock gewesen. Ihr Gatte sei mitgenommen worden. Es sei alles sehr schnell gegangen. Sie seien ins Haus eingedrungen, ca. 10 bis 15 Personen, hätten laut gesagt "Bleibt wo ihr seid", ihrem Mann seien die Arme nach hinten verdreht worden. Wieviel Männer vor dem Haus gewesen seien, könne sie nicht angeben, Nachbarn hätten gesehen, dass das Haus umzingelt gewesen sei. Fünf Tage oder ein Woche sei der Beschwerdeführer verschwunden gewesen. Ihr Onkel habe sie und die Kinder zu sich nach Hause geholt. Ihren Gatten habe sie nicht besuchen dürfen und habe sie dann erfahren, dass er im Krankenhaus liege. Eines Tages sei ihr Onkel mit ihrem Gatten gekommen, habe sie und die Kinder abgeholt und zu einem Freund gebracht. Sie seien nicht sehr lange dort geblieben und habe der Beschwerdeführer von dort aus den Herkunftsstaat verlassen.

Sie selbst habe über Anraten ihres Onkels den Herkunftsstaat verlassen, da ihr Gatte mitgenommen worden sei und sie deswegen Probleme bekommen könnte. Sie habe bei ihrer Mutter gelebt und seien auch dort einmal Männer vom Omon gekommen und hätten Häuser und Gärten durchsucht. Sie hätten Dokumente überprüft und gefragt, wer wo wohne. Sie hätten kontrolliert und seien wieder gegangen.

Als sie bei ihrer Mutter gewesen sei, seien Militärfahrzeuge zum, Haus ihres Schwagers gefahren; überall im Kinderzimmer seien Laserpunkte der Waffen sichtbar gewesen, habe ihr ihre Schwester erzählt.

Mit nunmehr ebenfalls angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 5. September 2016, wurden die Anträge der Ehegattin und der Kinder des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. Asylgesetz 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß §§ 57 und 55 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Mit Spruchpunkt IV. wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

8. Am 25. September 2017 fand zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eine Fortsetzung der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, seine Ehegattin – nunmehr als Beschwerdeführerin und beide als gesetzliche Vertreter in den Beschwerdeverfahren ihrer Kinder - sowie eine geeignete Dolmetscherin teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte mit Schreiben mitgeteilt, keinen Vertreter zu entsenden. Im Rahmen der Verhandlung wurden der Beschwerdeführer und dessen Ehegattin erneut ergänzend zu Ausreisegründen und Lebensumständen im Herkunftsstaat, sowie zum Gesundheitszustand und Leben in Österreich befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation, wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch genannten Personalien und ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er ist mit der Beschwerdeführerin zu W147 2135281-1 verheiratet und Vater dreier gemeinsamer minderjähriger Kinder, den BeschwerdeführerInnen zu W142135275-1, W147 2135277-1 und W147 2135279-1.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Dem Beschwerdeführer ist eine Teilnahme am Erwerbsleben möglich.

Der unbescholtene Beschwerdeführer hat sich während seines relativ kurzen Aufenthaltes Grundkenntnisse der Deutschen Sprache angeeignet und lebt von der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat – mit Ausnahme seiner Gattin und seiner minderjährigen Kinder, deren Beschwerden mit heutigem Tag ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurden ? keine Angehörigen im Bundesgebiet. Im Falle des Beschwerdeführers konnten keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt und kann vor dem Hintergrund seiner erst relativ kurzen Aufenthaltsdauer von keiner besonderen Verfestigung im Bundesgebiet gesprochen werden.

1.2. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen – bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne – sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA – Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation – Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA – Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA – Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 14.4.2017).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der der Staat mit aller Härte gegen "Aufständische" vorgeht. Die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern war in den Jahre 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier (AA 24.1.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in dem Kadyrow’schen Privatstaat. Ebenso existiert – anders als in der Nachbarrepublik – zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3.000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagiert Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015).

Laut Swetlana Gannuschkina ist Abdulatipow ein alter sowjetischer Bürokrat. Sein Vorgänger Magomedsalam Magomedow war ein sehr intelligenter Mann, der kluge Innenpolitik betrieb. Er hatte eine Diskussionsplattform organisiert, wo verfeindete Gruppen miteinander gesprochen haben. Es ging dabei vor allem um den Dialog zwischen den Salafisten und den Anhängern des Sufismus. Unter ihm haben auch die außergerichtlichen Hinrichtungen von Seiten der Polizei aufgehört. Er hat eine sogenannte Adaptionskommission eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, Kämpfern von illegal bewaffneten Einheiten eine Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen. Diejenigen, die kein Blut an den Händen hatten, konnten mit Hilfe dieser Kommission wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Wenn sie in ihrem bewaffneten Widerstand Gewalt angewendet oder Verbrechen begangen hatten, wurden sie zwar verurteilt, aber zu einer geringeren Strafe. Auch diese Personen sind in die dagestanische Gesellschaft reintegriert worden. Mit der Ernennung Abdulatipows als Oberhaupt der Republik gab es keine Verhandlungen mehr mit den Aufständischen und er initiierte einen harten Kampf gegen den Untergrund. Dadurch stiegen die Terroranschläge und Gewalt in Dagestan wieder an (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. AI 9.2013).

Quellen:

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ACCORD (14.4.2017): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

http://www.ecoi.net/news/190001::russische-foederation/120.sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen.htm, Zugriff 21.6.2017

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AI – Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen,

http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen, Zugriff 21.6.2017

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Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

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IOM – International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

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SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.6.2017

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem We

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