TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/16 G305 2149565-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2017
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Entscheidungsdatum

16.10.2017

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G305 2149565-1/8E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 12.10.2017 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Manuela WILD, sowie den fachkundigen Laienrichter Rudolf KRAVANJA, als Beisitzer, über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministerium Service, Landesstelle XXXX vom XXXX, OB: XXXX, betreffend die Abweisung seines Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid a u f g e h o b e n und f e s t g e s t e l l t, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gegeben sind.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem am XXXX beim Sozialministerium Service, Landesstelle XXXX (in der Folge: belangte Behörde) eingelangten Antrag begehrte der Beschwerdeführer (im Folgenden so oder kurz: BF) die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO 1960 (Parkausweis) und verband dieses Ansuchen mit dem Begehren, im Behindertenpass die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" vorzunehmen.

Seinem Antrag schloss er mehrere medizinische Unterlagen an.

2. Im Auftrag der belangten Behörde erstellte die ärztliche Sachverständige und Facharzt für Orthopädie, Dr. XXXX MXXXX, auf Grund einer in seiner Ordination am XXXX durchgeführten Untersuchung ein zum XXXX datiertes Sachverständigengutachten, in dem er die beim BF festgestellten Gesundheitsschädigungen "Hirnmangeldurchblutung mit multiplen kleinfleckigen Infarkten und Zustand nach Hirnstamminfarkt" (GS1), "Hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits" (GS2), "Wirbelsäule, chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Bandscheibenschäden von L4-S1 sowie Listhese L5/S1 mit Radikulopathie L4/5 links, wiederkehrende Schmerzsymptomatik und wiederkehrende Gefühlsstörungen im linken Bein" (GS3) und "arterielle Hypertonie" (GS4) als Dauerzustand qualifizierte.

Im Hinblick auf die vorgenommene Prüfung der Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsschädigungen nach Art und Schwere auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel heißt es, dass der BF mit einer Gehstütze zwar etwas verlangsamt und linkshinkend mobilisiert sei. Jedoch liege trotz der Gangerschwernis keine hochgradige Einschränkung der Mobilität vor, die es unmöglich machen würde, eine relevante Wegstrecke zurückzulegen. Auch würden keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder der physischen und intellektuellen Fähigkeiten vorliegen. Auch bestehe keine hochgradige Sehbehinderung oder Blindheit. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dem BF unverändert zumutbar.

3. Mit Bescheid vom XXXX, OB: XXXX, wies die belangte Behörde den auf die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gerichteten Antrag des BF mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nach dem im Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht vorliegen würden.

4. Am XXXX sprach der BF im "offenen Kundenempfang" der belangten Behörde vor und gab eine gegen den vorbezeichneten Bescheid gerichtete Beschwerde zu Protokoll. Begründend führte er aus, dass enorme Probleme mit seiner Mobilität habe. Die Gangstörung werde immer größer und die Wegstrecken, die er zurücklegen könne, immer kürzer. Wenn er sich zusammennehme und ein paar Meter gehe, habe er wahnsinnig starke Schmerzen. Ohne eine Stütze könne er nicht gehen. Er brauche zumindest einen Stock, um kürzeste Strecken zu bewältigen.

5. Am XXXX legte die belangte Behörde die gegen den oberwähnten Bescheid gerichtete Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor. Hier wurde die Beschwerdesache der Gerichtsabteilung G305 zur Erledigung zugeteilt.

6. Im hg. Beschwerdeverfahren wurde das zum 24.07.2017 datierte fachärztliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie, Dr. XXXX SXXXX, eingeholt, der nach einer am XXXX in seiner Ordination durchgeführten Untersuchung des BF zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Kern ausführte, dass dem BF aus neurologischer Sicht die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei, da vor allem auf Grund der sensiblen und motorischen Störungen die sichere Beförderung auf Grund der eingeschränkten Stell- und Haltefunktionen und der damit erhöhten Sturzneigung nicht gegeben sei.

7. Am XXXX wurde vor dem erkennenden Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Beschwerdeführers sowie eines gerichtlich beeideten und zertifizierten ärztlichen Sachverständigen eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsangehöriger und XXXX Jahre alt.

1.2. Er ist Pensionist und Inhaber eines Behindertenausweises, Ausweisnummer: XXXX.

1.3. Der BF befindet sich in einem ausreichenden Allgemeinzustand. Er klagt über eine Schwäche im linken Bein mit humpelndem Gangbild verbunden mit Schmerzen im Bein, in der linken Hüfte und im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der BF verwendet eine Gehhilfe (Einpunktstock).Die Gangstörungen haben sich durch einen Schlaganfall im Jahr XXXX intensiviert.

Aus neurologischer Sicht stehen eine Hirnmangelblutung mit multiplen kleinfleckigen Infarkten und ein Zustand nach einem Hirnstamminfarkt, eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits (hörgeräteversorgt) und degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Schmerzspitzen im Vordergrund. Weiters besteht beim BF eine elektroneurographisch bestätigte sensomotorisch axonale Polyneuropathie der unteren Extremitäten.

Der BF weist folgende Gesundheitsschädigungen auf:

"Hirnmangelblutung mit multiplen kleinfleckigen Infarkten nach Zustand nach Hirnstamminfarkt" (GS1), "hochgradige Innenohrschwerhörigkeit bds. (hörgeräteversorgt)" (GS2), "degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Schmerzspitzen" (GS3) und "sensomotorisch axonale Polyneuropathie (Störung der Nervenleitfähigkeit)" (GS4). Der Gesamtgrad der Behinderung des BF wurde mit 80 v.H. eingeschätzt.

Dem BF ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der obangeführten Gesundheitsschädigungen GS1 bis GS4 nicht zumutbar, da vor allen auf Grund der sensiblen und motorischen Störungen die sichere Beförderung auf Grund der eingeschränkten Stell- und Haltefunktionen und der damit verbundenen erhöhten Sturzneigung nicht gegeben ist.

Damit sind in Hinblick auf die beantragte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass die notwendigen medizinischen Voraussetzungen gegeben.

2. Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht geht vom oben dargelegten unstrittigen Sachverhalt, der sich unmittelbar aus der Aktenlage ergibt, aus.

Beweis wurde erhoben durch die im Verfahren vor der belangten Behörde und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Befunde und Arztberichte, weiters durch das von der belangten Behörde eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten, das vom Bundesverwaltungs-gericht eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie, Dr. XXXX SXXXX, vom XXXX und auf Grund der ärztlichen Stellungnahme des gerichtlich beeideten und zertifizierten Sachverständigen, MR Dr. XXXX PXXXX, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung erstattete allgemeinmedizinische Stellungnahme des ärztlichen Sachverständigen Dr. XXXX PXXXX, der im Wesentlichen damit beauftragt war, sämtliche vom BF vorgelegten Arztbefunde und die von der belangten Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten zusammenzuführen, erweist sich als vollständig, da seiner Expertise sämtliche, von der belangten Behörde eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, sowie die vom BF vorgelegten Arztbefunde vollumfänglich und nachvollziehbar zu Grunde gelegt wurden.

Die gezogenen Schlussfolgerungen betreffend das Nichtvorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" erweisen sich darüber hinaus als nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchsfrei und konnten diese der gegenständlichen Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden. Der BF ist den Ausführungen des vom Bundesverwaltungsgericht beigezogenen ärztlichen Sachverständigen nicht entgegengetreten und hat er auch nicht versucht, diese auf derselben fachlichen Ebene in Zweifel zu ziehen, weshalb die oben getroffenen Feststellungen im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen waren.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A):

3.1.1. Zuständigkeit und anwendbares Recht

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idF. BGBl. I Nr. 66/2014, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung durch den Senat.

Gegenständlich liegt Senatszuständigkeit vor.

Die Senatszusammensetzung ergibt sich aus § 45 Abs. 4 BBG. Demnach hat bei Senatsentscheidungen gemäß Abs. 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben die für die jeweiligen Agenden erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5, sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 leg. cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht, oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.1.2. Für das vorliegende Beschwerdeverfahren sind folgende Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idF. BGBl. I Nr. 66/2014 maßgeblich:

"§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

[...]"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(5) Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

(6) Reisekosten, die einem behinderten Menschen dadurch erwachsen, dass er im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses einer Ladung des Sozialministeriumservice Folge leistet, sind in dem im § 49 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 angeführten Umfang zu ersetzen. Der Ersatz der Reisekosten entfällt, wenn die Fahrstrecke (Straßenkilometer) zwischen dem Wohnort und dem Ort der Untersuchung 50 km (einfache Strecke) nicht übersteigt."

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist im Behindertenpass gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundeministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen, idF. BGBl. II Nr. 495/2013, jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung nicht zumutbar ist, wenn das 36. Lebensjahr vollendet ist und

• erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

• erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

• erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

• eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

• eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit, Taubblindheit nach

§ 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Ausgehend von den bisherigen, durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbständige Fortbewegung im öffentlichen Raum, sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten - sie entspricht einer Entfernung von rund 200 bis 300 m - anzunehmen.

Gegenständlich hat der BF sein Begehren auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" und auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO im Wesentlichen auf sein geschädigtes rechtes Knie- und Sprunggelenk, Hüftschmerzen sowie Atemprobleme und seine dadurch eingeschränkte Mobilität gestützt.

3.1.3. Zur Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel"

Die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, die am 23.12.2013 kundgemacht wurde und gemäß § 5 Abs. 1 leg. cit. am 01.01.2014 in Kraft getreten ist, enthält nähere Regelungen über die Zusatzeintragungen in den Behindertenpass:

§ 1 Abs. 2 Z 3 der zitierten Verordnung lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 1 [...]

(2) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

[...]

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwer anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(3) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(4) Die im Abs. 2 angeführten Eintragungen sind mittels Stempelaufdruckes oder in einer anderen technisch geeigneten Weise im Behindertenpass vorzunehmen."

Nach der noch zur Rechtslage nach der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. Nr. 86/1991, ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Behörde zur Beurteilung der Frage, ob die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" vorgenommen werden kann, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt.

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden.

Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (siehe dazu VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; vom 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078; vom 01.06.2005, Zl. 2003/10/0108; vom 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; vom 17.11.2009, Zl. 2006/11/0178; vom 23.02.2011, Zl. 2007/11/0142; vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128; vom 17.06.2013, Zl. 2010/11/0021).

Ein solches Sachverständigengutachten hat sich mit der Frage zu befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich die Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (siehe dazu VwGH vom 20.03.2001, Zl. 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der dabei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Ein- und Aussteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (siehe dazu VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; vom 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).

Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnortes des BF vom nächstgelegenen Bahnhof (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0258; vom 27.05.2014, Zl. Ro 2014/11/0013).

Die angeführte, zur Rechtslage vor Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013 ergangene Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Voraussetzungen der Zusatzeintragung nach § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, unverändert von Bedeutung, dies schon deshalb, da die zitierte Verordnungsbestimmung jene rechtlich relevanten Gesichtspunkte der Benützung eines Verkehrsmittels, auf die bisherige Rechtsprechung abstellt (Zugangsmöglichkeit, Möglichkeit des Ein- und Aussteigens, Stehen, Sitzplatzsuche etc.) nicht modifiziert oder beseitigt hat, sondern weiterhin auf den Begriff der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abstellt und ergänzend regelt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen "insbesondere" als solche in Betracht kommen, die die Unzumutbarkeit nach sich ziehen können.

Der dem Beschwerdeverfahren beigezogene ärztliche Sachverständige und Facharzt für Neurologie, Dr. XXXX SXXXX, zog in seinem ärztlichen Sachverständigengutachten unter Berücksichtigung des orthopädischen Fachbefundes des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Dris. XXXX PXXXX, vom XXXX und nach einer durchgeführten Untersuchung im Wesentlichen zusammengefasst die Schlussfolgerung, dass dem BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen der bei ihm erhobenen Diagnosen "Hirnmangelblutung mit multiplen kleinfleckigen Infarkten und Zustand nach Hirnstamminfarkt" (GS1), "hochgradige Innenohrschwerhörigkeit bds. (hörgeräteversorgt)" (GS2), "degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Schmerzspitzen" (GS3) und "sensomotorisch axonale Polyneuropathie (Störung der Nervenleitfähigkeit)" (GS4) nicht zumutbar sei, da vor allen auf Grund der sensiblen und motorischen Störungen die sichere Beförderung auf Grund der eingeschränkten Stell- und Haltefunktionen und der damit erhöhten Sturzneigung nicht gegeben sei.

Der in der mündlichen Verhandlung beigezogene gerichtlich beeeidete und zertifizierte Sachverständige und Arzt für Allgemeinmedizin, MR Dr. XXXX PXXXX, führte unter einer zusammenfassenden Betrachtung aller bisher erstatteten Sachverständigengutachten, den BF betreffend aus, dass in den Gutachten eine Hirnmangeldurchblutung mit mehreren kleinfleckigen Infarkten und ein stattgehabter Zustand nach einem Hirnstamminfarkt mit den typischen Symptomen der Verlangsamung und der Schwindelsymptomatik ausgewiesen werde. Zusätzlich werde eine deutliche Abnützung der Wirbelsäule mit entsprechenden Funktionsminderungen vor allen Belastungsminderung objektiviert. Weiters sei eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit mit der Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung gegeben. Zusätzlich sei eine sensomotorische axonale Polyneuropathie gegeben, die im Gegensatz zur Voreinschätzung als neu hinzugekommene Funktionsminderung zu werten sei. Diese Nervenfunktionsstörung der unteren Extremität bedinge eine derartige Funktionsstörung, dass die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr gegeben sei, dies auf Grund der Standfunktionseinschränkung und der damit zusammenhängenden erhöhten Sturzgefahr. Durch die Hirnmangeldurchblutung und die daraus resultierenden Gleichgewichtsstörungen sei eine Potenzierung der Stand- und Haltefunktionseinschränkungen gegeben.

Demnach sind ausgehend von den bisherigen, durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" Funktionseinschränkungen relevant, die die selbständige Fortbewegung im öffentlichen Raum, sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.

In Anbetracht der von den ärztlichen Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen ist beim BF von einer erheblichen funktionellen Einschränkung auszugehen, die das selbständige Fortbewegen im öffentlichen Raum, sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unmöglich machen würde.

3.2. Da im gegenständlichen Fall die medizinischen Voraussetzungen für die erwähnte Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht vorliegen, war im gegenständlichen Fall über den Antrag des BF meritorisch im obigen Sinne abzusprechen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung nicht primär von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Im gegenständlichen Fall ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt, oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Frage, wie eine Gesamtbeurteilung zweier oder mehrerer Leidenszustände (auch bei Schmerzuständen in verschiedenen Körperregionen) zu erfolgen hat, hat der Verwaltungsgerichtshof in einer Vielzahl von Erkenntnissen (vgl. VwGH vom 19.11.1997, Zl. 95/09/0233; VwGH vom 14.03.2001, Zl. 95/08/0103; VwGH vom 23.01.2001, Zl. 2000/11/0191; VwGH vom 24.09.2003, Zl. 2003/11/0032; VwGH vom 26.09.2013, Zl. 2011/11/0176) einheitlich beantwortet. Beim Vollzug des Sachverständigenbeweises hat sich das erkennende Bundesverwaltungsgericht an die bestehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs angelehnt.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:G305.2149565.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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