Entscheidungsdatum
17.10.2017Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W131 2164418-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde von XXXX, geb 01.01.2005, StA Afghanistan, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2017, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.10.2017, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und Frau XXXX gemäß § 28 VwGVG iVm § 3 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Dem BVwG wurde im Juli 2017 ua auch der Beschwerdeverfahrensakt der Beschwerdeführerin (= Bf = Bf 4) vorgelegt und geschäftsverteilungsmäßig der hier erkennenden Gerichtsabteilung Ende Juni 2017 zur Entscheidung zugewiesen.
2. Die Bf reiste im Jahr 2015 gemeinsam mit ihrem Vater, der von ihrer Mutter verschiedenen Zweitfrau ihres Vaters, einem ihrer Brüder und ihren zwei von der genannten Zweitfrau abstammenden Halbgeschwistern nach Österreich ein. Für die Bf wurde im Oktober 2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3. Die belangte Behörde vernahm die Bf nicht (und zB auch nicht mit kinderpsychologischer Unterstützung) ein, sondern verwertete im angefochtenen Bescheid nach dem Bescheidtext Verfahrensangaben der Zweitfrau des Vaters der Bf oder (allenfalls) Verfahrensangaben des Vaters der Bf. Mit dem angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 23.06.2017 wurde der Antrag der Bf auf internationalen Schutz abgewiesen, wobei die belangte Behörde trotz des ausweislich der Berichte der eigenen Staatendokumentation der Behörde notorischen Wissens um die frauenspezifische Situation in Afghanistan entgegen dem § 18 AsylG im erstinstanzlichen Verfahren iZm dem zitierten notorischen Wissen keine entsprechenden Ermittlungen angestellt hat, ob die Bf als junges Mädchen bzw sehr junge Frau allenfalls eine jener Frauen ist, die den Asylgrund iSv VwGH Zl Ra 2016/18/0388 für sich in Anspruch nehmen (können).
4. Vor dem BVwG wurde schließlich am 11.10.2017 eine mündliche
Verhandlung durchgeführt, an welcher die belangte Behörde nicht
teilnahm und die in den hier interessierenden Teilen wie folgt
verlief (Beschwerdeführerin = Bf 4 , Vater der Bf4 = Bf1; Richter =
R; RV = rechtsfreundliche Vertreterin; Z = Sozialarbeiterin, die als
Zeugin einvernommen wurde):
[...]
R: Wissen Sie, was die Tochter [Bf 4] derzeit ausbildungsmäßig macht und wie beurteilen Sie ihre geistige Reife?
Z: [Bf 4] geht in die Hauptschule und für ein Kind, das bislang keine Schulbildung genossen haben dürfte, ein sehr offenes, liebes, nettes Mädchen ist.
R: Halten Sie es für Sara für vertretbar, dass sie heute kurz zu ihren aktuellen Lebensumständen befragt wird?
Z: Das muss ich den Eltern überlassen.
R an Bf1: Halten Sie es für möglich, dass ich Ihre Tochter [Bf 4] heute über ihren Tagesablauf in Österreich befrage?
Bf1: Ja, das können Sie machen. Sie können alles fragen.
R: Halten Sie [Bf 5] auch bereits alt genug dafür?
Bf1: Ja.
R zu Bf4: Sprechen Sie usbekisch?
Bf4: Ich kann Türkisch.
R: Können Sie schon ein bisschen Deutsch?
Bf4: Ja.
R: In welche Schule gehen Sie derzeit?
Bf4 auf Deutsch: Ich habe schon die Schule besucht. Aber jetzt gehe ich in eine Volksschule, Sch*** Straße.
R an Bf4: Wie unterscheidet sich Ihr Leben in Österreich von Ihrem Leben in Afghanistan?
Bf4: Es ist sehr unterschiedlich. Mein Leben hier ist schöner, ich gehe in die Schule. Ich lerne sehr viel und ich will eine Ärztin in Zukunft sein. Ich liebe meine Eltern sehr. Ich habe viele Freundinnen hier, wir treffen uns regelmäßig. In Afghanistan konnten wir keine gemeinsamen Ausflüge machen. Ich konnte mich so wie jetzt in Afghanistan nicht bekleiden. Ich musste lange Kleidung tragen und meinen Kopf bedecken. Hier lebe ich so wie ich bin und unternehme sehr viel mit meiner Familie, wir können spazieren gehen. Ich kann mir mein Leben ohne Schule nicht vorstellen, aber in Afghanistan war das unmöglich, dass ich eine Schule besuche. Ich habe keine Angst hier in Österreich. In Afghanistan habe ich immer Angst gehabt, ich war damals klein, aber ich kann mich noch daran erinnern, dass viele kleine Mädchen heiraten mussten. Ich lerne Englisch und Deutsch hier, ich lerne alles hier.
R: Wollen Sie einmal selber entscheiden, ob und wen Sie heiraten?
Bf4: Ja.
R: Wäre das auch in Afghanistan möglich?
Bf4: Nein, ich kann dort keine eigene Entscheidung treffen.
R: Wissen Sie, welche Religion die meisten Leute hier haben?
Bf4: Was meinen Sie?
R: Haben Sie schon etwas von Christen gehört?
Bf4: Wenig, aber gehört habe ich.
R: Wissen Sie, welcher Religion Sie zugehören?
Bf4: Ich gehöre dem Islam an. Ich will aber keine Muslimin sein. Da es im Islam sehr strenge Regeln gibt. Es gibt z.B. Zwangsheirat, Kleidungsvorschriften, ich habe nichts gegen Kopftuch aber ich will nicht etwas noch darüber tragen. Ich meine lange Kleidung und die Kopfbedeckung mit Gesichtsverschleierung. Es gaben aber auch sehr böse Menschen, man nennt sie Talib, wir hatten immer sehr viel Angst vor ihnen.
R: Wenn es im Sommer heiß ist, ist es Ihnen mit oder ohne Kopftuch lieber?
Bf4: Es ist egal ob Sommer oder Winter, ich will kein Kopftuch tragen, will immer offen sein.
R: Können Sie Ihre heutige Bekleidung beschreiben?
Bf4: Ich habe jetzt Sportschuhe, eine Jeanhose, einen Pullover und eine ärmellose Weste an.
R: Sind Sie geschminkt?
Bf4: Geschminkt bin ich nicht. Wir sind aber zu einer Friseurin gegangen, und meine Mutter hat gefragt ob ich mich schminken lassen will, ich wollte aber nicht.
R: Finden Sie es gut oder schlecht, wenn ein jeder seine Meinung öffentlich sagen darf, wenn er etwas schlecht findet, was Politiker machen?
Bf4: Ich finde es gut.
R: Werden Sie in Ihrer Familie verpflichtet, hier irgendwelche islamischen Gebete zu verrichten?
Bf4: Nein. Sie überlassen es mir.
R: Wen verstehen Sie derzeit als Ihre Familie?
Bf4: Meine Geschwister und meine Eltern.
R: Wie beurteilen Sie N*** R*** im Punkte der Familie?
Bf4: Ich liebe sie mehr als meine eigene Mutter. Sie steht jeden Tag um 5 Uhr in der Früh auf damit sie uns für die Schule bereiten kann. Sie bereitet unsere Taschen vor mit den Jausen, kocht für uns. Am Abend warnt sie uns immer, dass wir früh, vor 21 Uhr ins Bett gehen müssen damit wir in der Früh um 6 Uhr aufstehen. Sie kontrolliert auch ob wir unsere Zähne geputzt haben.
R: Haben Sie schon wahrgenommen, dass Frau R*** und Ihr Vater diskutiert haben wie in irgendeiner Angelegenheit weiter vorgegangen wird?
Bf4: Nein.
R: Wer entscheidet in Ihrem aktuellen Wohnumfeld bzw. in Ihrer Familie, wenn es etwas zu entscheiden gibt?
Bf4: Meine Eltern (Die Beiden).
R: Wie kleidet sich Fr. R*** unter der Woche, so wie andere Frauen hier oder so wie Frauen in Afghanistan?
Bf4: So wie die Frauen hier.
R: Haben Sie schon etwas davon gehört, dass in Österreich oder Europa (EU) Männer und Frauen gleichberechtigt sind?
Bf4: Ja, habe ich gehört (Bf4 nickt spontan).
R: Finden Sie das gut oder schlecht?
Bf4: Ich glaube, es ist gut.
R: Haben Sie früher in Afghanistan Wahrnehmungen gehabt, dass die Taliban Ihren Vater bzw. Fr. Rostam misshandelt haben, um von Ihnen Schafe bzw. Rinder verlangt haben?
Bf4: Wir haben das immer von anderen gehört. Meine Eltern haben uns aber nie darüber erzählt. Weil wir glauben, dass wir noch sehr klein waren.
R: Haben Sie noch Geschwister in Afghanistan?
Bf4: Ja.
R: Haben Sie Kontakt zu diesen?
Bf4: Nein. Wir haben ein paar Mal telefoniert. Aber dann konnte mein Vater meine Mutter und Geschwister nicht erreichen. Mein Vater ruft ständig an, aber meine Mutter hebt nicht ab.
R: Haben Sie auch schon länger nicht mit Ihrer Mutter telefoniert?
Bf4: Wir haben seit langem nicht mit meiner Mutter telefoniert.
R: Gibt es noch Beweisanträge oder Vorbringen zur Fragestellung der westlichen Lebenseinstellung der Bf4?
RV: Nein.
R an Bf4: Sind Sie in erster Instanz vor dem BfA oder der Polizei einvernommen worden?
Bf4: Ich nicht, aber meine Eltern wurden einvernommen.
R: Wissen Sie, warum wir heute hier sind?
Bf4: Ja.
R: Seit wann wissen Sie, dass Sie die Freiheit gut finden, sagen zu dürfen, ob ein Politiker gute oder schlechte Handlungen macht?
Bf4: Früher wusste ich das nicht. Seitdem wir in Österreich leben, ein paar Monate später habe ich schon davon erfahren, dass man hier frei seine Meinung sagen kann.
R: Seit wann sind Sie davon überzeugt, dass Sie keine Muslimin sein wollen?
Bf4: Seit meiner Einreise nach Österreich.
R: Amtswegig wird festgehalten, dass nach soeben getätigter Wahrnehmung Bf4 rote Fingernägel hat.
R: Möchten Sie auch weiter mit den Freiheiten leben, die Sie zuerst beschrieben haben?
Bf4: Natürlich will ich weiter auch so leben.
R: Es ist der Schluss des Ermittlungsverfahrens angedacht.
RV: Es wird kein weiteres Vorbringen mehr erstattet. Auch werden keine weiteren Beweisanträge gestellt. [ ]
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Über den Verfahrensgang hinaus ist Folgendes festzustellen:
1.1. Zur Person der Bf
Die Bf ist unstrittig 2005 geboren. Sie ordnet sich selbst formal der Religion des Islams zu. Sie ist unstrittig afghanische Staatsangehörige.
Ein Asylausschlussgrund zu Lasten der Bf ist von den Verfahrensparteien weder substantiiert vorgebracht noch sonst wie bekannt geworden.
Anlässlich der am 11.10.2017 vor dem BVwG stattgefundenen mündlichen Verhandlung stellte sich im Rahmen der Befragung der Bf heraus, dass sie zumindest in einer laienmäßigen Parallelwertung glaubhaft jene Werthaltungen vertritt und internalisiert hat, die den Gleichheitsgrundsatz, die Religions- und die Meinungsfreiheit ausmachen. Sie sprach sich im Zuge der entsprechend VwGH Zl Ra 2016/18/0388 gebotenen Erörterung, ob die Bf eine entsprechend den Grundrechten geprägte Lebensweise aufweist, zB auch für die Gleichberechtigung von Mann und Frau aus.
Die Bf bewertete neben der Gleichberechtigung auch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit sehr positiv, sagte eindeutig, keine Muslimin mehr sein zu wollen und proklamierte damit die Religionsfreiheit für sich; und hat damit eindeutig überzeugt, dass sie ihre eigenen grundlegenden Grundrechte sehr schätzt.
Trotz ihres jugendlichen Alters sprach sie sich - ohne konkrete Rückfrage - autonom gegen Zwangsverheiratung wie zB in Afghanistan aus.
1.2. Aus dem LIB ist nunmehr themenspezifisch zur Situation in Afghanistan festzustellen:
Zu Rechtsschutz und Justiz:
[ ]
Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).
Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).
Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).
Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).
Zu Folter und unmenschlicher Behandlung:
Laut afghanischer Verfassung ist Folter verboten (Art. 29) (AA 9.2016; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Fälle von Folter durch Angehörige der Polizei, des NDS und des Militärs sind nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden zumindest offiziell als Problem erkannt (AA 9.2016; vgl. OHCHR 11.2.2016).
Generell sind Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr, misshandelt zu werden. In jüngerer Vergangenheit wurden im Zusammenhang mit Häftlingen, die im Zuge des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan festgenommen wurden, grobe Missstände aufgedeckt (AA 9.2016).
Im Jänner 2015, startete Präsident Ghani einen Nationalen Aktionsplan zur Eliminierung von Folter; das dafür zuständige Komitee wurde im Mai 2015 gegründet (HRW 27.1.2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Im November 2015, war das Justizministerium dabei ein neues Anti-Folter-Gesetz zu erarbeiten. Von diesem wird erwartet, weitläufige Bestimmungen zur Wiedergutmachung für Folteropfer zu enthalten (OHCHR 11.2.2016). Human Rights Watch zufolge, gab es im Jahr 2016 diesbezüglich keine weiteren Entwicklungen (HRW 12.1.2017).
Artikel 30 der afghanischen Verfassung besagt, dass Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt worden sind, ungültig sind (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Da die Abgrenzung zwischen polizeilicher und staatsanwaltlicher Arbeit nicht immer gewahrt ist, werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte zudem nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger. Schließlich liegt ein zentrales Problem in der Tatsache begründet, dass sich afghanische Richter/innen bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als "Beweismittel" erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung, wodurch sich der Druck auf NDS und Polizei erhöht, ein Geständnis zu erzwingen. Da die Kontrollmechanismen weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig sind, erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Allerdings scheint sich die Lage dieser Häftlinge insgesamt verbessert zu haben: rund 35% der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im UNAMA-Bericht von Januar 2013) (AA 9.2016).
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Zur Korruption:
Auf dem Korruptionsindex des Jahres 2015 belegte Afghanistan von 168 Ländern den 166. Platz (TI 12.2016; vgl. FH 27.1.2016). Dem Bericht von Asia Foundation zufolge, sind 90% der Afghan/innen im Alltag Korruption ausgesetzt; angegeben wurde hauptsächlich Bestechungsgelder an Polizei und Regierungsbeamte zu bezahlen (FH 27.1.2016).
Zur Erkennung, Verfolgung und Verhinderung von Korruption existiert kein gesetzlicher Rahmen (TI 10.2016). Trotz umfangreicher Reformvorhaben und aufwendiger Konsultationsmechanismen – oft unter direkter Federführung des Staatspräsidenten oder von ihm beauftragter Gremien – bleiben Qualität und Transparenz der Regierungsführung und der demokratischen Prozesse weiterhin mangelhaft. Die RNE (Einheitsregierung) startete im Mai 2016 eine neue Initiative zur Bekämpfung der Korruption, deren integraler Bestandteil das Anti Corruption Justice Center (ACJC) sein soll. Das ACJC soll Fällen erheblicher Korruption insbesondere auch unter hochrangigen Funktionären der afghanischen Regierung nachgehen, harrt aber noch seines offiziellen Startes (AA 9.2016; vgl. auch TI 10.2016). Die Regierung verfolgte weiterhin Anti-Korruptionsziele – dies beinhaltet die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung von großen Korruptionsfällen und die Stärkung des rechtlichen und behördlichen Rahmens (UN GASC 13.12.2016).
Das Gesetz verordnet strafrechtliche Sanktionen für öffentliche Korruption. Die Regierung setzt dieses Gesetz nicht effektiv um; einerseits wurde von öffentlich Bediensteten berichtet, die regelmäßig und ungestraft in korrupte Praktiken involviert waren. Andererseits gab es Korruptionsfälle, die erfolgreich vor Gericht gebracht wurden. Berichte deuten an, dass Korruption innerhalb der Gesellschaft endemisch ist – Geldflüsse von Militär, internationalen Gebern und des Drogenhandels verstärken das Problem (USDOS 13.4.2016).
Die Einheitsregierung hat im Bereich der Korruptionsprävention einige Fortschritte gemacht: Der afghanische Präsident bekräftigte seine Transparenzverpflichtungen, veranlasste eine externe Kontrolle von Beschaffungsprozessen, sowie eine Umstrukturierung des Justizsektors. All dies sind wichtige Schritte des Präsidenten, welche die Bereitschaft signalisieren, Korruption in den Griff zu bekommen (IWA 11.2016).
Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, Mohammad Farid Hamidi, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016).
Manch hochrangiger Akteure wurde dennoch strafrechtlich verfolgt – mit wenig abschreckender Wirkung. Der ehemalige Chef der Kabul Bank - Khalil Ferozi – wurde im Jahr 2014 aufgrund schweren Betrugs zu 15 Jahren Haft verurteilt. Berichten zufolge, durfte er das Gefängnis bei Tag verlassen, um seinen geschäftlichen Tätigkeiten nachzugehen. Im November 2015 unterzeichnete er ein Übereinkommen, an einem 900 Millionen US Dollar schweren Projekt mitzuarbeiten. Das Übereinkommen wurde aufgrund des öffentlichen Aufschreis storniert (FH 27.1.2016).
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Zur allgemeinen Menschenrechtslage:
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).
Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).
Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.
Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet – (AI 24.2.2016).
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Zur Situation der Tadschiken:
Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name t?jik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BfA 7.2016).
Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).
Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).
Zur frauenspezifischen Lage:
Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).
[ ]
Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).
[ ]
Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).
Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).
Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).
[ ]
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).
Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).
Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen – inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW–Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).
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Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).
Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).
Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt – in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BfA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).
Legales Heiratsalter:
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016).
In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).
Frauenhäuser
USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).
Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).
Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).
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1.3. Zusammenfassend fallspezifisch ist daher hier ausdrücklich festzustellen:
Bei der Bf handelt es sich um ein in Afghanistan geborenes und und bislang teilweise dort aufgewachsenes Mädchen bzw eine insoweit sehr junge Frau, die entsprechend ihren Angaben in der Verhandlung vor dem BVwG den Lebensstil und die Möglichkeiten einer westlichen Frau wie zB in Österreich eindeutig präferiert bzw jedenfalls in einer Parallelwertung in der Laiinnensphäre unzweifelhaft jene Werthaltungen bereits als die eigenen angenommen hat, die in den Grundrechten (insb: Gleichheitsgrundsatz gemäß Art 20 GRC, Religions- und Meinungsfreiheit) zum Ausdruck kommen.
Die Bf wäre mit dieser Einstellung und einer danach ausgerichteten Lebensweise entsprechend dem LIB in Afghanistan hinreichend wahrscheinlich naheliegend multiplen sozialen und religiösen Konflikten und Diskriminierungen in der mehrheitlich konservativ islamisch geprägten Bevölkerung und letztlich naheliegend damit als Verfolgungshandlungen gegen ihre Person zu bewertenden gesellschaftlichen Reaktionen ausgesetzt, ohne dass der afghanische Staat beim derzeitigen Entwicklungsstand rücksichtlich rechtsschutzmäßig markanter Defizite samt einem gemäß LIB sehr korrupten Staatsgefüge die Bf dz ausreichend vor diesen Handlungen zu Lasten der Bf schützen könnte bzw würde. Dies insb auch wegen der teils ineffizienten Justiz.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsste die Bf, um einer asylrelevanten Verfolgung im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan entgehen zu können, ihre vor dem BVwG glaubhaft zum Ausdruck gebrachte Gutheißung der grundlegenden menschlichen Grundrechte insb von Frauen sowie der Gleichberechtigung von Mann und Frau trotz der ihr insoweit zuzubilligenden Überzeugung unterdrücken.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verfahrensakt der Bf bzw aus den Verfahrensakten ihres Vaters und der Zweitfrau ihres Vaters; bzw insb dem aktuellen LIB bzw aus den aktuellen Angaben der Bf in der Verhandlung vor dem BVwG, die nicht substantiiert bestritten wurden und dem Gericht zudem auf Grund des authentischen Aussageverhalten der Bf glaubwürdig erschienen. Eminent für die Glaubwürdigkeit sprach, dass die Bf ihre Missbilligung der Zwangsverheiratung auch sehr junger Mädchen/Frauen in Afghanistan autonom und spontan zum Ausdruck brachte, was - hervorzuhebend - mit den LIB korrespondiert.
2.2. Dass die Bf zB die Situation der Frauen in islamisch dominierten Staaten wie insb der islamischen Republik Afghanistan zutreffend einschätzt, wird zB durch das LIB, wie oben wiedergegeben bestätigt. Dies insb auch unter Berücksichtigung, dass radikalislamische Gruppierungen wie zB die Taliban bzw der IS lt LIB die Sicherheit in Afghanistan permanent gefährden.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Allgemeines und Zuständigkeit
Gemäß § 6 VwGVG hat das BVwG gegenständlich in Einzelrichterbesetzung zu entscheiden, wobei mangels gesetzlicher Sonderverfahrensvorschriften subsidiär das VwGVG und danach das AVG anzuwenden waren bzw sind.
3.1.1. Da die belangte Behörde die Bf in erster Instanz vor Erlassung des angefochtenen Bescheids - entgegen § 18 AsylG - nicht einmal ansatzweise (allenfalls mit kinderpsychologischer Unterstützung) zum notorischen Asylgrund der "Frauen, die Gestaltung eines Lebens entsprechend einer westlich orientierten Frau bevorzugen", amtswegig befragt hat, war das Verfahren erster Instanz mangelhaft und war das grundsätzlich im Asylverfahren geltende Neuerungsverbot gemäß § 20 Abs 1 Z 2 BfA-VG nicht anzuwenden, zumal zwischen den Aussagen des Vaters der Bf und der Zweitfrau des Vaters der Bf und der Bescheiderlassung doch schon einige Zeit verstrichen war und sich in dieser Zeit der entscheidungsrelevante Sachverhalt erheblich verändert haben konnte.
3.1.2. Klargestellt wird weiters, dass unter Berücksichtigung des § 18 AsylG keine gesetzliche Vorschrift gegen die rücksichtsvolle Befragung eines gesunden 12-jährigen Menschen spricht, um den relevanten Sachverhalt amtswegig umfassend zu ermitteln.
3.1.3. Rechtlich sei zudem festgehalten, dass der Bundesminister für Justiz in seiner parlamentarischen Anfragebeantwortung vom vom 04.04.2016 zu 7991/J (XXV.GP) iZm dem hier betroffenen § 34 AsylG ua wie folgt ausgeführt hat:
Aus Sicht des Justizressorts ist die aktuelle Rechtslage ausreichend. Die Vielehe ist mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar. Dies lässt sich zwingend aus § 24 EheG und § 192 StGB ableiten, wonach die Doppelehe ein Ehenichtigkeitsgrund und das Eingehen einer solchen strafbar ist. Klagebefugt für die Nichtigkeitsklage sind die Staatsanwaltschaft, jeder der Ehegatten sowie der frühere Ehegatte oder eingetragene Partner; ist die Ehe aufgelöst, so kann nur die Staatsanwaltschaft die Nichtigkeitsklage erheben (§ 28 Abs. 2 EheG)
...
Ob eine Ehe im Ausland formgültig zustande gekommen ist, richtet sich gemäß § 16 Abs. 2 IPRG nach dem Personalstatut jedes Verlobten; es genügt die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung. Die sachlichen Ehevoraussetzungen und die der Ehenichtigkeit sind gemäß § 17 IPRG für jeden Verlobten nach seinem Personalstatut (in der Regel das Recht des Staates, dem die Person angehört, § 9 IPRG) zu beurteilen. Ist das Personalstatut eines Ehegatten das österreichische Recht, so leidet die Ehe am Nichtigkeitsgrund der Doppelehe (§ 24 EheG). Auch die Rechtsfolgen der Verletzung der sachlichen Ehevoraussetzungen richten sich nach dem Recht, nach dem die Nichtigkeit besteht.
Ist nun nach dem Personalstatut beider Ehegatten eine Mehrfachehe zulässig, so ist rein theoretisch kein Nichtigkeitsgrund gegeben. Allerdings ist bei der Anwendung fremden Rechts stets auch die Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG zu beachten, wonach eine Bestimmung nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden.
Nach der Rechtsprechung greift die Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG allerdings nicht schematisch und abstrakt ein, vielmehr muss die Anwendung der fremden Norm im konkreten Einzelfall zu einem Eingriff in die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (hier in jene des Ehe- und Familienrechts) führen. Die Frage, ob die Anwendung einer bestimmten Vorschrift gegen den österreichischen ordre public verstößt, ist somit nach der konkreten Situation durch die unabhängigen Gerichte im Einzelfall zu beurteilen.
Nach der Rechtsprechung des OGH (etwa 3 Ob 186/11s) besteht bei dieser ordre public-Prüfung ein nach Ausmaß und Bedeutung des Inlandsbezugs abgestufter Prüfungsmaßstab ("Relativität des ordre public"). Worin ein für die Anwendung des § 6 IPRG ausreichender Inlandsbezug liegt, kann nur im Einzelfall bestimmt werden. Anhaltspunkte sind etwa der gewöhnliche Aufenthalt, die Geburt oder die Eheschließung im Inland. Je stärker die Inlandsbeziehung, desto weniger werden befremdliche Ergebnisse der Anwendung ausländischen Rechts hingenommen. Unter bestimmten Umständen kann nicht von einem ausreichenden Inlandsbezug gesprochen werden, der eine Beurteilung einer ausländischen Norm als ordre public-widrig rechtfertigen würde. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der gewöhnliche Aufenthalt der betroffenen Personen nicht in Österreich liegt.
Ob eine Vielehe von den Gerichten unter Heranziehung der genannten Kriterien als ordre public-widrig zu beurteilen ist, ist daher immer von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig.
...
Die Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes sind nach dem Personalstatut zu beurteilen, das die Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes hatten; bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten ist das Personalstatut des Kindes im Zeitpunkt der Geburt maßgebend (§ 21 IPRG). Kinder aus Vielehen, die im Ausland rechtsgültig geschlossen wurden, werden daher in der Regel als ehelich anzusehen sein. Nach österreichischem Recht gelten (auch nach dem Inkrafttreten des Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetzes 2013) Kinder selbst aus nichtigen Ehen als ehelich.
Insoweit wird gegenständlich die Zweitehe des Vaters der Bf - konform mit der Vor - Rsp des AsylGH, siehe dazu AsylGH C9 317.335-1/2008 in diesem Beschwerdeverfahrenskomplex als ordre public - widrig iSd § 6 IPRG bewertet, soweit es um die Anwendung der VerfahrensBegünstigungen des § 34 AsylG ging, da die Vielehe konform mit der BMJ - Auskunft gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung steht und es sachwidrig erschienen wäre, daran auch noch verfahrensrechtlichen Privilegierungen zu knüpfen.
Demtentsprechend wurde das Beschwerdeverfahren der Zweitfrau des Vaters der Bf aus dem gegenständlichen Beschwerdeverfahrenskomplex ausgeschieden, nachdem die Zweitfrau in der Verhandlung vor dem BVwG - entgegen den Niederschriften der Behörde - angegeben hat, dass sie gemäß § 20 Asylgesetz - selbst bereits in erster Instanz hinreichend konkret einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung vorgebracht gehabt hätte, womit deren Beschwerdeverfahren gemäß § 20 Asylgesetz anderweitig fortzuführen ist.
Da entsprechend der oben wieder gegebenen Auskunft des BMJ bei dem hier relevanten ausländischen Personalstatut die Halbgeschwister der Bf im Verhältnis zum Vater der Bf dennoch weiter als ehelich gelten, konnten die (restlichen) Beschwerdeverfahren der Bf, des Vaters der Bf, des Bruders der Bf und der beiden Halbgeschwister der Bf im Lichte deren Verbundenheit gemäß § 34 Abs 2, Abs 4 und Abs 6 Z 2 AsylG jedenfalls gemeinsam fortgeführt werden, da bei ehelichen Kindern auch der Vater grundsätzlich gleichberechtigt vertritt.
3.1.4. Da für den Vater der Bf gleichfalls unstrittig rechtzeitig Bescheidbeschwerde gegen die Versagung des internationalen Schutzes eingereicht worden ist, ist jedenfalls von der rechtzeitigen Beschwerdeerhebung für die Bf auszugehen - § 16 Abs 3 BFA - VG.
3.2. Die hier interessierenden Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (= AsylG) lauten:
Anwendungsbereich
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt
1. die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich;
[...]
Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung;
2. die EMRK: die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958;
[...]
9. die Statusrichtlinie: die Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9;
[...]
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;
12. ein Verfolgungsgrund: ein in Art. 10 Statusrichtlinie genannter Grund;
13. ein Antrag auf internationalen Schutz: das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; der Antrag gilt als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten;
14. ein Asylwerber: ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens;
15. der Status des Asylberechtigten: das zunächst befristete und schließlich dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;
16. der Status des subsidiär Schutzberechtigen: das vorübergehende, verlängerbare Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;
17. ein Herkunftsstaat: der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes;
18. ein Mitgliedstaat: jeder Staat, der Vertragspartei des EU-Vertrages (Z 6) ist;
19. ein EWR-Staat: jeder Staat, der Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist;
20. ein Drittstaat: jeder Staat, außer ein Mitgliedstaat des EWR-Abkommens oder die Schweiz;
20a. Fremder: wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt;
20b. Drittstaatsangehöriger: ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist;
20c. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;
21. EWR-Bürger: jedermann, der Staatsangehöriger eines EWR-Staates (Z 19) ist;
22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat;
dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat;
[...]
2. Hauptstück
Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten
1. Abschnitt
Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat