TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/17 W115 2117773-1

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Veröffentlicht am 17.10.2017
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Entscheidungsdatum

17.10.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W115 2117773-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er in Afghanistan in einem Dorf in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , geboren worden sei und bis zum Jahr XXXX mit seiner Familie dort gelebt habe. Im Jahr XXXX habe er von seinem Heimatdorf aus Afghanistan verlassen und sei in den Iran gereist. Nachdem er im Iran einen Arbeitsunfall erlitten habe, sei er von seinem Arbeitgeber entlassen worden und habe daraufhin im XXXX den Iran verlassen. Vor ca. sechs Monaten sei er vom Iran in die Türkei gereist und von dort aus schlepperunterstützt nach Griechenland gebracht worden. Nachdem er in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden sei, habe er sich einige Monate in Griechenland aufgehalten und sei schließlich über Italien bis nach Österreich weitergereist. Befragt nach seinen Familienmitgliedern gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater vor ca. zwei Jahren verstorben sei. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder würden nach wie vor im Heimatdorf leben. Er selbst sei ledig und habe keine Kinder. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Beschwerdeführer an, dass er gelegentlich eine Koranschule in seinem Heimatdorf besucht habe. Über eine Schul- und Berufsausbildung verfüge er nicht. Zuletzt habe er als Bauhilfsarbeiter gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er von seiner Mutter erfahren habe, dass sein Vater von unbekannten Männern getötet worden sei. Daraufhin habe ihm seine Mutter geraten Afghanistan zu verlassen und in den Iran zu gehen. Befragt was er bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, antwortete der Beschwerdeführer, dass er Angst vor den Taliban habe.

1.2. Eine EURODAC-Abfrage vom XXXX ergab, dass der Beschwerdeführer am XXXX in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.3. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Beschwerdeführers hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) Zweifel an dem vom Beschwerdeführer angegebenen Alter und veranlasste eine sachverständige multifaktorielle medizinische Altersschätzung. Laut Sachverständigengutachten vom XXXX wurde zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ein Mindestalter von XXXX Jahren mit fiktivem Geburtsdatum XXXX festgestellt. Das vom Beschwerdeführer behauptete Geburtsdatum widerspreche den medizinisch-diagnostischen Befunden.

Die belangte Behörde stellte dem Gutachten folgend mit Verfahrensanordnung vom XXXX fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren sei.

1.4. Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte wurde der Beschwerdeführer am XXXX vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Im Verlauf dieser Einvernahme brachte der Beschwerdeführer ergänzend zusammengefasst vor, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Bis zu seiner Ausreise in den Iran habe er in seinem Heimatdorf in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , gelebt. Seine Mutter und sein jüngerer Brüder würden sich nach wie vor dort aufhalten. Sonst habe er keine weiteren Verwandten in Afghanistan. Zwei Onkel väterlicherseits würden in Pakistan leben. Befragt warum er Afghanistan verlassen habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass sein Vater bei der Bewachung ihres Heimatdorfes von Paschtunen getötet worden sei. Dies sei ihm von seiner Mutter erzählt worden. Genaueres könne er über den Tod seines Vaters aber nicht angeben. Nach dem Tod seines Vaters sei von den anderen Dorfbewohnern von ihm verlangt worden, dass er die Rolle seines Vaters übernehme. Aus Angst, dass er ebenfalls getötet werden würde, habe ihn seine Mutter in den Iran geschickt. Nach Vorhalt von Länderfeststellungen zu Afghanistan durch die belangte Behörde, gab der Beschwerdeführer dazu an, dass er sich dazu nicht äußern wolle.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.); ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Nach Darlegung des Verfahrensganges und Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in Afghanistan und führte begründend im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass die Identität des Beschwerdeführers mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes nicht feststehen würde. Soweit im gegenständlichen Verfahren Feststellungen zur Identität getroffen werden würden, würde dies ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren dienen. Aufgrund der vorliegenden Sprach- und Lokalkenntnisse würde feststehen, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams sei. Weiters würde aufgrund der vorhin angeführten Umstände feststehen, dass der Beschwerdeführer aus dem von ihm angegebenen Dorf in der Provinz XXXX stamme.

Hinsichtlich Spruchpunkt I. wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer habe keine Gründe geltend gemacht, die auf eine Verfolgung konkret seiner Person aus Konventionsgründen schließen lassen würden.

Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan weder eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention noch eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als Zivilperson drohe. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann, bei dem eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Zudem verfüge er in Afghanistan über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte.

Zu den Spruchpunkten III. und IV. wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte verfügen würde, sodass ein Eingriff in das Familienleben nicht vorliege. Hinsichtlich eines möglichen Eingriffes in das Privatleben des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer illegal nach Österreich eingereist sei, seinen Lebensunterhalt von der Grundversorgung bestreite und auch keine relevante Integration vorliegen würde. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei alleine aufgrund der Betreibung eines Asylverfahrens und somit lediglich für die Dauer dieses Verfahrens legalisiert. Sonstige private Bindungen in Österreich habe er nicht. Im Rahmen der vorgenommenen Interessensabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass in der Gesamtbetrachtung nach Abwägung aller Interessen festzustellen sei, dass im vorliegenden Fall den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen besondere Bedeutung zukomme, und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Eine Rückkehrentscheidung sei daher gerechtfertigt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 sei mangels Privat- und Familienlebens nicht in Betracht gekommen. Auch erfülle der Beschwerdeführer nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005. Weiters wurde von der belangten Behörde ausgeführt, dass unter den Spruchpunkten I. und II. ausführlich geprüft und schließlich festgestellt worden sei, dass dem Beschwerdeführer eine Gefahr iSd § 50 Abs. 1 und 2 FPG nicht drohe und eine Empfehlung nach Abs. 3 leg.cit. nicht existiere. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei daher zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

3. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine Rechtsberatung zur Seite gestellt.

4. Gegen den im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde erhob der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers unter Vorlage der diesbezüglichen Vollmachtsurkunde fristgerecht Beschwerde, mit der der Bescheid vollinhaltlich angefochten wurde. In der Beschwerdebegründung wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und ergänzend zusammengefasst vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara eine asylrelevante Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sei, da die afghanischen Sicherheitsbehörden nicht willens bzw. nicht in der Lage seien, dem Beschwerdeführer den notwendigen Schutz zu gewähren. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet. Von einer Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers könne daher nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus gehe aus Länderberichten zur Lage in Afghanistan hervor, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Alters bei einer Rückkehr auch der Gefahr eines sexuellen Missbrauches ausgesetzt sei. Eine Schutzfähigkeit des afghanischen Staates würde auch in dieser Hinsicht nicht vorliegen. Weiters sei der Beschwerdeführer aufgrund der nach wie vor prekären Sicherheitslage in ganz Afghanistan bei einer Rückkehr der Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt. Die von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderberichte seien nur allgemein gehalten und teilweise veraltert und geben somit nicht die aktuelle Situation in Afghanistan wieder. Hinsichtlich einer allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternative wurde vom bevollmächtigten Vertreter ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Kabul über keine familiären Anknüpfungspunkte verfüge und bei einer Rückkehr nach Afghanistan unweigerlich Gefahr laufen würde, in eine existenziell bedrohliche Lage zu geraten. Erschwerend würde hinzukommen, dass der Beschwerdeführer seit ca. vier Jahren nicht mehr in Afghanistan gewesen sei und daher kaum mehr einen Bezug dorthin haben würde. In sein Heimatdorf könne er unter gar keinen Umständen zurückkehren, da ihm dort eine weitere Ausbeutung durch Dorfbewohner drohen würde. Zur ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht beantragt.

5. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde das Verfahren im Gefolge einer Unzuständigkeitseinrede der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

5.1. In Ergänzung zur Beschwerde wurde mit Schriftsatz vom XXXX vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers zusammengefasst vorgebracht, dass der Beschwerdeführer sowohl in seinem Heimatdorf in Afghanistan als auch im Iran als Kind bzw. Jugendlicher Opfer von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung geworden sei. Aus Schamgefühl habe er sich bislang nicht darüber zu sprechen getraut, dies auch vor dem Hintergrund, als dass die Einvernahme vor der belangten Behörde von einer weiblichen Organwalterin durchgeführt und auch die Beschwerde von einer weiblichen Rechtsberaterin verfasst worden sei. Erst im Zuge eines Gespräches mit einem männlichen Rechtsberater und in Anwesenheit eines männlichen Dolmetschers sei es dem Beschwerdeführer erstmals möglich gewesen, über die für ihn traumatischen Erlebnisse zu sprechen.

5.2. Am XXXX wurde vom Beschwerdeführer ein Arztbrief eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom XXXX in Vorlage gebracht.

5.3. Mit Schriftsätzen vom XXXX und XXXX wurden vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers integrationsbescheinigende Unterlagen sowie ein ärztliches Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin vom XXXX und eine psychotherapeutische Stellungnahme vom XXXX in Vorlage gebracht.

5.4. Unter Berufung auf die erteilte Vollmacht wurde von Rechtsanwalt Mag. Bertsch mit Schriftsatz vom XXXX ein Fristsetzungsantrag eingebracht.

5.5. Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , Zl. Fr 2017/01/0023-2, wurde der Fristsetzungsantrag dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 38 Abs. 4 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, binnen drei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie derselben sowie eine Kopie des Nachweises über die Zustellung der Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) an die antragstellende Partei dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.

Gegenständliche verfahrensleitende Anordnung ist der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

5.6. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Folge eine mündliche Verhandlung an und übermittelte gleichzeitig aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan. Weiters wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der Ladung auf § 52 Abs. 2 BFA-VG hingewiesen und ihm unter Anführung der Kontaktdaten des für das Beschwerdeverfahren amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberaters mitgeteilt, dass er, falls er eine Teilnahme dieses Rechtsberaters an der mündlichen Verhandlung wünschen würde, mit diesem ehestmöglich Kontakt aufnehmen solle. Eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen wurde von den Parteien vorab nicht erstattet. Von der belangten Behörde wurde bereits im Zuge der Beschwerdevorlage mitgeteilt, dass die Teilnahme eines Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde aufgrund der gegebenen Aktenlage die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt.

5.7. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX brachte der Beschwerdeführer nach Erläuterung des bisherigen Verfahrensganges und des Akteninhaltes im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari auf richterliche Befragung im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass sich die Vertretungsbefugnis von Rechtsanwalt Mag. Bertsch nur auf die Einbringung des Fristsetzungsantrages bezogen habe. Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren werde er auch weiterhin von der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe vertreten. Befragt zu seiner Person gab der Beschwerdeführer an, dass er der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Dokumente zum Nachweis seiner Identität könne er nicht vorlegen. Er sei mit dem von der belangten Behörde festgestellten Geburtsdatum einverstanden. Seine Muttersprache sei Dari. Teilweise spreche er auch Paschtu, Farsi, Englisch und auch Deutsch. In Afghanistan habe er lediglich eine Koranschule besucht. Lesen und Schreiben habe er erst im Iran gelernt. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan habe er gemeinsam mit seiner Familie in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , im Dorf XXXX gelebt. Vor ca. sechs Jahren habe er Afghanistan verlassen und sei in den Iran gegangen. Dort habe er als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle gearbeitet. Außer seiner Mutter würden sich keine Familienmitglieder mehr in Afghanistan aufhalten. Sein jüngerer Bruder befinde sich mittlerweile im Iran. Zwei Onkel väterlicherseits würden in Pakistan leben. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er weder verheiratet sei noch eine Lebensgefährtin habe. Auch würden sich keine Familienmitglieder von ihm in Österreich aufhalten. Kontakt zu seinen Familienmitgliedern habe er keinen mehr. Befragt zu seiner aktuellen Situation in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass er gerade dabei sei den Hauptschulabschluss zu machen. Weiters habe er bereits verschiedenste Praktika und auch schon mehrere Deutschkurse absolviert. Außerdem sei er ehrenamtlich tätig und helfe seiner Nachbarin bei der Gartenarbeit. In Österreich habe er keine Straftat begangen. In diesem Zusammenhang wurden vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers integrationsbescheinigende Unterlagen in Vorlage gebracht. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er in Afghanistan in einem Zeitraum von über eineinhalb Jahren mehrmals vergewaltigt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei er dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen. Zu seinen Vergewaltigungen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er von einem Mann namens " XXXX " mehrmals vergewaltigt worden sei. Dieser Mann sei eine einflussreiche Person in seinem Heimatdorf gewesen. Er sei Anführer einer Gruppe bewaffneter Männer gewesen und habe u.a. mit Drogen und Waffen gehandelt. Die Vergewaltigungen hätten im Haus dieses Mannes stattgefunden, in das er gebracht worden sei. Wenn " XXXX " selbst nicht anwesend gewesen sei, sei er von seinen Männern vergewaltigt worden. Er habe dabei große Schmerzen verspürt. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass dieser Mann auch seinen Vater darauf angesprochen habe, dass er ihn "kaufen" wolle, da er den Beschwerdeführer ganz für sich hätte haben wollen. Sein Vater sei aber dagegen gewesen und sei deswegen auch von diesem Mann mehrmals geschlagen worden. Er und seine Familie seien machtlos gegen diesen Mann gewesen, da er sehr mächtig gewesen sei. Auch einige Dorfbewohner hätten von den Vergewaltigungen gewusst und ihn ebenfalls vergewaltigt. Aufgrund der Vergewaltigungen sei er schließlich in den Iran geflüchtet. Aufgrund der Vergewaltigungen sei er in Österreich auch in psychologischer Behandlung gewesen. In diesem Zusammenhang wurde vom bevollmächtigten Vertreter auf den im Akt einliegenden psychologischen Bericht verwiesen.

In weiterer Folge wurden durch den verfahrensführenden Richter folgende Länderberichte zur aktuellen Lage in Afghanistan in das Verfahren eingebracht:

? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 in der Fassung 25.09.2017

? UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016

? Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

? Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann

? ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Vergewaltigungen von Männern/Jungen durch Männer (Umgang der Gesellschaft mit diesem Thema; Konsequenzen für den vergewaltigten Mann/Jungen; Schutzwilligkeit/-fähigkeit der Polizei in solchen Fällen) [a-9353-1], 06. Oktober 2015 (verfügbar auf ecoi.net); http://www.ecoi.net/local_link/313595/451884_de.html (Zugriff am 03. Oktober 2017)

Nach Erörterung dieser Länderberichte und der mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen, gab der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers dazu an, dass er dazu keine Stellungnahme abgeben wolle.

5.8. Am XXXX wurde vom Bundesverwaltungsgericht die Verhandlungsschrift der belangten Behörde übermittelt. Eine Stellungnahme dazu wurde von der belangten Behörde nicht erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an.

Der Beschwerdeführer hat nach eigenen Angaben bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in dem Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , Provinz XXXX , gelebt. Er hat bereits in jungen Jahren Afghanistan verlassen und hat anschließend im Iran gelebt.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch die Sprachen Paschtu und Farsi. Weiters verfügt er über gute Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keinen aufhältigen Ehepartner bzw. eingetragenen Partner, keine Kinder oder sonstige Familienangehörige. Sein Vater ist bereits verstorben. Seine Mutter lebt nach wie vor in Afghanistan. Sein Bruder hält sich im Iran auf. Weiters verfügt der Beschwerdeführer über zwei Onkel väterlicherseits, die in Pakistan leben.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der damals minderjährige Beschwerdeführer hat Afghanistan verlassen, da er ab seinem dreizehnten Lebensjahr in einem Zeitraum von über eineinhalb Jahren von einem einflussreichen Anführer einer kriminellen Bande und seinen Gefolgsleuten sowie von einigen Dorfbewohnern immer wieder vergewaltigt wurde. Der Vater des Beschwerdeführers konnte ihn vor den Vergewaltigungen nicht schützen. Daraufhin hat der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung vom 25.09.2017:

Verfassung:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Afghanistans Präsident und CEO:

Am 29.09.2014 wurde Ashraf Ghani als Präsident Afghanistans vereidigt (CRS 12.01.2015). Nach monatelangem Streit hatten sich Ghani und Abdullah auf eine gemeinsame Einheitsregierung geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass für den Zweitplatzierten bei der Wahl der Posten eines bislang nicht vorgesehenen Ministerpräsidenten geschaffen wird (FAZ 15.06.2014). Abdullah, der Verlierer der Präsidentschaftswahl, bekam den Posten des Geschäftsführers der Regierung bzw. "Chief Executive Officer" (CEO) der Regierung (CRS 12.01.2015). Diese per Präsidialdekret eingeführte Position weist Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers auf (AA 8.2015). Der CEO fungiert quasi als Premierminister, auch wenn eine Verfassungsänderung zur formalen Schaffung des Postens des Premierministers noch ausständig ist (CRS 12.01.2015).

Regierungsbildung:

Obwohl Ghani ursprünglich versprochen hatte, 45 Tage nach seiner Vereidigung eine Regierung zu präsentieren, zeichnete sich bald ab, dass dieses Versprechen nicht eingehalten werden kann, da für die Regierungsbildung in Afghanistan für die Kabinettsposten die Koalitionspartner aus Ghanis und Abdullahs Lager gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Eine Regierung muss die starken regionalen und ethnischen sowie Stammesbindungen und -befindlichkeiten berücksichtigen, soll sie im ganzen Land akzeptiert sein. Ferner beabsichtigte Ghani, die Ministerien nur Personen mit Fachkenntnissen anzuvertrauen und keine bisherigen Minister oder Parlamentarier ins Kabinett aufzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen kompetenten Neuanfang zu schaffen. Doch wird die Übung unter solchen Prämissen zusätzlich erschwert. Ghanis Kabinettsliste war in Afghanistan mit Erleichterung aufgenommen worden, weil das Land endlich eine handlungsfähige Regierung braucht. Zwar fragten sich Beobachter wie das Afghanistan Analysts Network einerseits, inwieweit eine junge und recht unerfahrene Regierung den Herausforderungen gewachsen sei. Anderseits wurde Ghanis Festhalten am Versprechen, keine politischen Schwergewichte der Vergangenheit in die Regierung aufzunehmen, durchaus anerkennend kommentiert (NZZ 22.01.2015).

Parlament und Parlamentswahlen:

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.06.2015; vgl. CRS 15.10.2015 und CRS 12.01.2015).

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst (CRS 12.01.2015; vgl. CRS 15.10.2015). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 25.06.2015).

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011; vgl. CRS 15.10.2015). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 15.10.2015).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments (Unterhaus "Wolesi Jirga", Oberhaus "Meshrano Jirga") bleibt trotz wachsenden Selbstbewusstseins der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 06.11.2015).

Parteien:

Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des Parteiensystems ist auch auf das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes zurückzuführen sowie auf das Wahlsystem (Direktwahl mit einfacher, nicht übertragbarer Stimme). Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen politischen Lager immer wieder gestört (AA 06.11.2015).

Oppositionsbewegungen und Parteien - ganz gleich ob Kommunisten oder rechtsreligiös - wurden gezwungen, entweder unterzutauchen oder ins Exil zu gehen. Unter einer neuen und formellen Verfassung haben sich seit 2001 früher islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine Organisation politischen Glaubens oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind. Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen, aber nicht immer durch Wahlerfolge (USIP 3.2015).

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in Kabul, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 06.11.2015).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches eine Neuregistrierung aller Parteien verlangte und ferner zum Ziel hatte, ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie bisher die Unterschrift von 700 Mitgliedern vorzuweisen, mussten sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen einbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung von Parteiunterstützungsbasen oder institutionalisieren Parteipraktiken bei (USIP 3.2015).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Der afghanische Friedens- und Versöhnungsprozess ist nach einem ersten direkten und öffentlichen Treffen zwischen Regierung und Taliban in diesem Jahr wieder ins Stocken geraten. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Beide Seiten haben sich aber grundsätzlich weiter zu Verhandlungen bereit erklärt. Die Reintegration versöhnungswilliger Insurgenten bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 06.11.2015).

Sicherheitslage (Allgemein):

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1. - 31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o. D.).

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen:

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban:

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

Haqqani-Netzwerk:

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Al-Qaida:

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit

100 - 300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer

auf 300 - 500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat:

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen:

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums, vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen, im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potentielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus - eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkter Beseitigungsbemühungen, aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen, zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

Zivile Opfer:

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017).

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von

3. - 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

Sicherheitslage in der Provinz XXXX :

Der Provinz XXXX - lange Zeit eine der umstrittensten Provinzen im Süden des Landes - wird nachgesagt, der Geburtsort des Talibangründers Mullah Omar zu sein. Im Jahr 2001 war sie Ort einer Guerillaoperation - geführt vom ehemaligen Präsident Karzai - um die Taliban zu vertreiben. Die Provinz hat somit für beide Sei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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