Entscheidungsdatum
18.10.2017Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
I404 2160779-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende und den Richter Mag. Gerhard Auer sowie den fachkundigen Laienrichter Johann Philipp als Beisitzer über die Beschwerde von Frau XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 29.03.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung
"Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar"
in den Behindertenpass gegeben sind.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I.Verfahrensgang
1. Frau XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) wurde vom Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (im Folgenden: belangte Behörde), am 31.01.2017 ein Behindertenpass, welcher bis 31.12.2021 befristet ist, ausgestellt. Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin wurde mit 80 % festgesetzt.
2. Mit formularmäßigem Vordruck, welcher am 31.01.2017 bei der belangten Behörde einlangte, beantragte die Beschwerdeführerin die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.
3. In der Folge wurde von der belangten Behörde ein Gutachten einer Ärztin für Chirurgie (Dr. T S) eingeholt. In ihrem Gutachten vom 11.03.2017 stellte Dr. T S folgende Funktionseinschränkungen fest:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden
Pos. Nr
GdB %
1
Malignome, Dickdarmkrebserkrankung ED 12/2016 im Stadium IV zwei Stufen unter oberem Rahmensatz bei laut letztem beiliegenden Arztbrief laufender Chemotherapie zum "down sizing" des Tumors bzw. der bis zu 10 cm im Durchmesser messenden multiplen Lebermetastasen, dann Restaging geplant und evtl. Resektion oder Radiofrequenzablation innerhalb einer Heilungsbewähung von 5 Jahren
13.01.04
80
Gesamtgrad der Behinderung 80 v. H.
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel – Welche der festgestellten Funktionseinschränkungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine; in den beiliegenden Befunden keine funktionelle Einschränkung fassbar, die nicht zumindest das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zulassen würde, das Ein- und Aussteigen sowie ein sicherer Transport ist gewährleistet
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel – Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
keine
4. Mit Bescheid vom 29.03.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig eine Beschwerde. Begründend führte die Beschwerdeführerin zusammengefasst aus, dass ihre körperliche Belastbarkeit erheblich eingeschränkt sei. Des Weiteren liege auf Grund der Chemotherapie und der Immunsuppression eine erhöhte Infektionsgefahr vor. Darüber hinaus sei sie unabhängig von ihrer Krebserkrankung und den damit einhergehenden Beschwerden bereits seit zumindest fünf Jahren bei Dr. G S, einem Facharzt für Unfallchirurgie, aufgrund schwerer posttraumatischer Sprunggelenksarthrosen beidseits in Behandlung.
6. Mit Schreiben vom 08.06.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
7. In der Folge erstellte Dr. M W, eine Ärztin für Allgemeinmedizin, im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes ein medizinisches Sachverständigengutachten vom 18.07.2017, in welchem sie insbesondere wie folgt ausführte:
Zu Fragestellung a.) kann die Beschwerdeführerin eine kurze Wegstrecke (ca. 300 bis 400 Meter) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ohne Unterbrechung zurücklegen?
Die Beschwerdeführerin, hier als Patientin bezeichnet, kann mit Hilfe von Gehstöcken und in Begleitung aus eigener Kraft eine Wegstrecke von ca. 300 Metern zurücklegen.
Zur Fragestellung b.) erschwert die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels in hohem Maß?
Die Benützung von Gehstöcken erschwert die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln in jedem Fall, da dadurch ein sicheres Ein- und Aussteigen, sowie eine sichere Beförderung ohne fremde Hilfe nicht mit Sicherheit gewährleistet werden kann.
Zur Fragestellung c.) Wirkt sich die dauernde Gesundheitsschädigung/die dauernden Gesundheitsschädigungen auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens (zu überwindende Niveauunterschiede) und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel (u.a. beim Stehen oder bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt) unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen aus?
Aufgrund der Schädigung der Nervenendigungen an beiden Vorderfüßen leidet die Patientin an Schmerzen an den Fußsohlen sowie an herabgesetztem Tastsinn. Sie kann Unebenheiten weniger spüren als ein gesunder Mensch und sich dadurch zum Beispiel nicht stehend in einem Bus halten, auch das Ein und Aussteigen wird durch diese Nervenschädigung erschwert. Bei laufender ambulanter Chemotherapie leidet die Patientin an Übelkeit, die durch den üblichen Fahrstil von Bussen verstärkt wird und Erbrechen verursachen kann.
Zur Fragestellung d.) bestehen bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten?
Jawohl, es bestehen schwere Einschränkungen der Funktionen beider unterer Extremitäten bedingt druch die z.Z. der Begutachtung ausgebildeten offenen Geschwüren an den Zehenrücken rechts, die Fußsohlen Rhagaden (das sind Risse der Oberhaut der Fußsohle= an beiden Füßen, das sekundäre Lymphödem am linken Vorfuß und Unterschenkel, sowie die Knöchelödeme beidseits bedingt durch die beidseitigen schweren Arthrosen der Knöchel.
Zur Fragestellung e.) bestehen bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit?
Es handelt sich um eine schwerkranke Patientin, die an den Folgen des metastasierenden (Lebermetastasen) Dickdarmkarzimons und den schweren Nebenwirkungen unter laufender Chemotherapie leidet. Die körperliche Belastbarkeit ist stark eingeschränkt.
Zur Fragestellung f.) liegt bei der Beschwerdeführerin eine schwere, anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor?
In Interpretation der vorgelegten Laborwerte ist das Immunsystem schwer in der Abwehrfunktion unterdrückt, was einerseits durch die laufende Chemotherapie sowie andererseits durch die laufende Grunderkrankung bedingt sein wird.
Zur Fragestellung g.) handelt es sich bei den festgestellten Funktionseinschränkungen um einen Dauerzustand oder ist eine Nachuntersuchung erforderlich?
Die Funktionseinschränkung der Polyneuropathie beider Füße und Hände wird voraussichtlich dauerhaft sein. Möglicherweise könnte sich unter medikamentöser Therapie eine Besserung im Laufe von vielen Jahren ergeben, andererseits kann auch eine Verschlechterung der Symptome nicht ausgeschlossen werden. Die vorbestehenden schweren Arthrosen der Fußgelenke beidseits sind dauerhaft. Die durch die noch laufende Chemotherapie bedingten offenen Geschwüre der Zehen können sich zurückbilden. Das sekundäre Lymphödem des linken Beines ist dauerhaft und kann nur durch laufende physikalische Therapie vor einer Verschlechterung des Zustandes der Haut gehindert werde.
Zusammenfassend wird aufgrund des schlechten Zustandes der Patientin unter Berücksichtigung der Beantwortung der Fragestellungen a.) bis g.) dringend eine Gewährung der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" empfohlen.
8. Mit Schreiben vom 29.08.2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin sowie der belangten Behörde das Gutachten von Dr. M W vom 18.07.2017 und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.
9. Mit Schreiben vom 29.08.2017 führte die belangte Behörde aus, dass der Sachverständigenbeweis vollständig und schlüssig sei. Die belangte Behörde verzichte auf eine weitere Stellungnahme. Die Beschwerdeführerin gab keine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist am 19.08.1957 geboren und hat ihren Wohnsitz in Österreich. Der Beschwerdeführerin wurde am 31.01.2017 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin wurde mit 80 v. H. festgesetzt.
1.2. Die Beschwerdeführerin leidet an einer Dickdarmkrebserkrankung im Stadium IV.
1.3. Die Beschwerdeführerin kann eine Strecke von ca. 300 Metern nur mit Hilfe von Gehstöcken und in Begleitung zurücklegen. Dies hat zur Folge, dass sich die Beschwerdeführerin nicht stehend in einem öffentlichen Verkehrsmittel festhalten kann und ein sicheres Ein- und Aussteigen sowie eine sichere Beförderung ohne fremde Hilfe nicht mit Sicherheit gewährleistet sind.
1.4. Aufgrund der offenene Geschwüren an den Zehenrücken rechts, der Fußsohlen Rhagaden an beiden Füßen, das sekundäre Lymphödems am linken Vorfuß und Unterschenkel, der Knöchelödeme beidseits sowie der beiseitigen schweren Arthrosen der Knöchel liegen bei der Beschwerdeführern erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten vor.
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zu Wohnort und Alter der Beschwerdeführerin sowie zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.
2.2. Die Feststelllungen bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten von Dr. M W vom 18.07.2017 .
Ein (ärztliches) Gutachten ist auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten sind nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.
2.2.1. Im vorliegenden Verfahren wird das erstellte Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizn Dr. M W als vollständig, schlüssig und frei von Widersprüchen beurteilt. Die ärztliche Sachverständige stellte nachvollziehbar fest, dass die Beschwerdeführerin ein Strecke von 300 Metern nur mit Hilfe von Gehstöcken sowie in Begleitung zurücklegen kann. Konkretisierend führte die Gutachterin insbesondere aus, dass die erforderliche Verwendung eines Gehstockes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beeinträchtigt und ein sicheres Ein- und Aussteigen sowie eine sichere Beförderung ohne fremde Hilfe nicht mit Sicherheit gewährleistet sind. Des Weiteren führte die Gutachterin schlüssig aus, dass bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten vorliegen und begründete dies umfassend und eingehend.
2.2.2. Den im ärztlichen Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen, ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Es finden sich keine Anhaltspunkte zur Annahme, dass das Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin mit den Erfahrungen des Lebens oder den Denkgesetzen in Widerspruch steht. Die im Gutachten dargelegten Feststellungen sind daher in freier Beweiswürdigung dem Sachverhalt zugrunde zu legen.
2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten von Dr. M W eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegengetreten. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchpunkt A) –Stattgebung der Beschwerde
3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lautet wie folgt:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
§ 1 Abs. 4 Z. 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).
3.2.3. Die Ärztin für Allgemeinmedizin kam in ihrem Gutachten insbesondere zu dem Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten vorliegen. Des Weiteren stellte die Gutachterin fest, dass die Beschwerdeführerin auf die Benützung von Gehstöcken angewiesen ist, was zu Folge hat, dass sich die Beschwerdeführerin nicht stehend in einem öffentlichen Verkehrsmittel festhalten kann und ein sicheres Ein- und Aussteigen sowie eine sichere Beförderung ohne fremde Hilfe nicht mit Sicherheit gewährleistet sind. Dies hat die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zur Folge.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass liegen gegenständlich somit vor.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben.
3.3. Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision
§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2160779.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.10.2017