TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/18 I404 2148929-1

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Veröffentlicht am 18.10.2017
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Entscheidungsdatum

18.10.2017

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I404 2148929-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende sowie und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie den fachkundigen Laienrichter Johann Philipp als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 07.02.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Mit formularmäßigem Vordruck, beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (in der Folge: belangte Behörde), eingelangt am 22.11.2016, beantragte XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer) die Eintragung der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass.

2. In der Folge wurde von der belangten Behörde ein Gutachten von Dr. I S, einer Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 06.02.2017 eingeholt, in welchem folgende Funktionseinschränkungen festgestellt wurden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

1

Leber, Z.n. Lebertransplantation am 15.06.2013 bei Fettleberzirrhose und unilokulärem HCC, 11/16 unauffälliges Lebertransplantat mit normalen Leberfunktionsparameter wie auch der restlichen Laborroutine, lebenslang notwendiger immunsuppressiver Therapie, analoge RSP

2

Neuromuskuläre Erkrankungen, Bulbäre Verlaufsform einer amyotrophen Lateralsklerose (ED 01/17), Dysarthrie, Muskelfazikulationen, medikamentöse Therapie mittels Rilutek, kontinuierlich fortschreitende Erkrankung

3

Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates, Osteoporose unter Subsitutionstherapie, Knochendichtemessungsbefund nicht vorliegend, analoge RSP

4

Aktinische Keratose, laufende Therapie, regelmäßige fachärztliche Kontrolle

5

Vorbestehende Dissektion bzw. Aneurysma am Truncus coeliacus, ohne baldiges Operationsrisiko

1. Zumutbarkeit

der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

In der letzten Verlaufskontrolle an der GE-Ambulanz des KH Halls von 11/16 zeigte sich ein unauffälliges Lebertransplantat mit normalen Leberfunktionsparameter wie auch der restlichen Laborroutine. Unter laufender immunsupprimierender Dauertherapie (Erhaltungsdosis) mittels Advagraf 1mg 2-0-0 und Cellcept 500 mg 1-0-1 besteht eine mäßig erhöhte Infektionsanfälligkeit, welche jedoch kein Ausmaß erreicht, das mit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr vereinbar wäre. Eine immunsuppressive Therapie schließt die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht aus. Die Ausprägung der bulbären Verlaufsform einer amyotrophen Lateralsklerose (ED 01/17) führt derzeit weder klinisch noch anamnestisch zu einer Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Anamnestisch ist eine Strecke von 300-400m langsam mit Pausen begehbar, Treppensteigen ist nicht alternierend, jedoch ohne Anhalten möglich, eine Gangunsicherheit wird verneint. Am Untersuchungstag ist ein Treppensteigen treppauf und treppab im Wechselschritt ohne Anhalten möglich. Unbeschuht zeigt sich ein unauffälliges sicheres Gangbild mit normaler Schrittlänge/Abrollbewegungen und auffälligem Armpendeln, freier Stand möglich. Herr V erhebt sich aus dem Liegen mit seitlichem Abrollen, Aufstehen erfolgt ohne Zuhilfenahme der Arme, keine Verwendung von weiteren Hilfsmitteln. Halte- und Greiffunktionen sind erhalten. Zusammenfassend: Die festgestellten Funktionseinschränkungen lassen derzeit das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke auch unter Verwendung geeigneter Hilfsmittel, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus medizinischer Sicht zu.

2. Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein

3. Am 07.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer zuletzt ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung wurde mit 70 % festgesetzt.

4. Mit Bescheid vom 07.02.2017 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei. Wie dem Sachverständigengutachten zu entnehmen sei, sei dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

5. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig eine Beschwerde erhoben. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass er um neuerliche Überprüfung des Bescheids ersuche, da es einen neuen Befund gebe. Bis zur nächsten Busverbindung seien es ca. 1500 m, was nicht mehr möglich sei. Es sei eine bulbäre Form eines ALS [ergänzt: Amyotrophe Lateralsklerose] diagnostiziert worden, welche diverse Einschränkungen mit sich bringe, insbesondere im Bereich des Sprachzentrums und der Motorik. Es werde im Mai die nächste Untersuchung geben und er dann den neuen Befund übermitteln werde. Er bitte um nochmalige Überprüfung der Gesamtsituation.

Der Beschwerde legte der Beschwerdeführer einen Ambulanzbericht der Untersuchung vom 25.01.2017 (Abteilung Innere Medizin, Landeskrankenhaus Hall) bei.

6. Mit Schreiben vom 02.03.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. In der Folge erstellte Dr. I S im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten vom 10.05.2017, in welchem diese wie folgt ausführte (Anonymisierungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

" Zur Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung wird meinerseits immer die Frage gestellt, ob der Antragsteller/-in in der Lage ist eine kurze Strecke (d.h. 300 bis 400m) zu bewältigen.

Dies hat der Beschwerdeführer am Untersuchungstag - wie in dem Sachverständigengutachten dokumentiert ist - folgendermaßen beantwortet: Diese Strecke ist langsam mit Pausen begehbar.

Im Verlauf des weiteren Anamnesegespräches am 31.01.2017 wurde von Seiten des Beschwerdeführers kein weiteres Mal erwähnt, dass eine Schwäche der Beine bzw. eine Gangunsicherheit bestehe, die zu einer Einschränkung der Gehstecke oder Gehleistung führe.

In der anschließenden klinischen Untersuchung zeigte sich ein guter Allgemein- und Ernährungszustand, der Beschwerdeführer war kardial und pulmonal unauffällig. Es fanden sich keine motorischen oder sensiblen Einschränkungen der oberen oder unteren Extremitäten. Unbeschuht zeigte sich ein unauffälliges, sicheres Gangbild mit normaler Schrittlänge/Abrollbewegungen und unauffälligem Armpendeln, der freie Stand war möglich, keine weiteren Hilfsmittel waren erforderlich und die Halte- und Greiffunktionen waren erhalten. Am Untersuchungstag war ein Treppensteigen sowohl treppauf als auch treppab im Wechselschritt ohne Anhalten möglich.

Im neu vorlegten GE-Ambulanzbericht der ambulanten Untersuchung vom 25.01.2017 (Abteilung Innere Medizin, Landeskrankenhaus Hall) ergaben sich bei Z.n Lebertransplantation am 15.06.2013 bei Fettleberzirrhose und uniloklärem HCC zeigten sich aus hepatologischer Sicht keine Auffälligkeiten, die Leberfunktionsparameter waren nahezu im Normbereich bei einer lebenslang notwendigen immunsuppressiven Therapie.

In allen bisher vorliegenden Befunden finden sich kein Hinweis für eine derart massive Ausprägung der Erkrankungen, die zu einer Unmöglichkeit der Fortbewegung auf den eigenen Füßen bzw. zu einem derart massiven Kraftverlust in den Armen führt, aus denen eine Unmöglichkeit des sicheren Transports in öffentlichen Verkehrsmitteln aus medizinischer Sicht resultieren.

Zusammenfassend ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke auch unter Verwendung geeigneter Hilfsmittel, das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus medizinischer Sicht derzeit möglich."

8. In der Folge übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde das ergänzende Sachverständigengutachten vom 10.05.2017 und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 29.05.2017 mit, dass der Sachverständigenbeweis vollständig und schlüssig sei.

Der Beschwerdeführer machte von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.

8. In einer weiteren ergänzenden medizinischen Stellungnahme vom 30.07.2017 führte Dr. I S im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes wie folgt aus (Anonymisierungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

Die Ausprägung der einzelnen vorliegenden Erkrankungen sowie das Gesamtbild des gesundheitlichen Zustandes des Beschwerdeführers, welche bereits im Sachverständigengutachten vom 31.01.2017 und in der Stellungnahme vom 10.05.2017 dokumentiert wurden, erfordern aus medizinischer Sicht keine Pausen beim Zurücklegen einer Strecke von 300-400m.

9. In der Folge übermittelte das Bundesverwaltungsgericht die Stellungnahme vom 30.07.2017 dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.

Von dieser Möglichkeit zur Stellungnahme machten beide Parteien in der Folge keinen Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

1.1. Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und hat seinen Wohnsitz in Österreich. Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt am 07.02.2017 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde mit 70 % festgesetzt.

1.2 Folgende Funktionseinschränkungen liegen beim Beschwerdeführer vor: Funktionseinschränkungen der Leber, neuromuskuläre Erkrankungen, generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates, aktinische Keratose und vorbestehende Dissektion bzw. Aneurysma am Truncus coeliacus.

1.3. Das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport im öffentlichen Verkehrsmittel sind dem Beschwerdeführer möglich. Des Weiteren kann er auch kurze Wegstrecken ohne Hilfsmittel und Unterbrechung zurücklegen.

1.4. Beim Beschwerdeführer liegen keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor. Er ist auch nicht hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind. Es besteht auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder der körperlichen Belastbarkeit.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zu Wohnort und Alter des Beschwerdeführers sowie zum Pass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.

2.2. Die Feststellungen zu den funktionellen Einschränkungen des Beschwerdeführers basieren auf den von der belangten Behörde eingeholten Gutachten der Dr. I S, einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 06.02.2017 sowie den durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholten ergänzenden ärztlichen Stellungnamen der Dr. I S vom 10.05.2017 und vom 30.07.2017.

2.3. Hinsichtlich der körperlichen Funktionseinschränkungen stellte Dr. I S in ihrem ergänzenden Gutachten vom 10.05.2017 fest, dass diese zu keiner Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führen und begründete dies umfassend und nachvollziehbar. So führte sie insbesondere aus, dass bei dem Beschwerdeführer ein guter Allgemein- und Ernährungszustand besteht, sowie dass der Beschwerdeführer unter keinen motorischen oder sensiblen Einschränkungen der oberen oder unteren Extremitäten leidet und begründete dies umfassend und widerspruchsfrei. Darüber hinaus führte die Gutachterin aus, dass der Beschwerdeführer dazu in der Lage ist, eine Wegstrecke von 300 bis 400 m aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurückzulegen und wies in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 30.07.2017 diesbezüglich explizit darauf hin, dass der Beschwerdeführer für das Zurücklegen dieser Wegstrecke keine Pause benötigt.

Der von dem Beschwerdeführer mit der Beschwerde neu vorgelegte Ambulanzbericht wurde von der Gutachterin in ihrem ergänzenden Gutachten vom 10.05.2017 mitberücksichtigt. Diesbezüglich führte die Gutachterin aus, dass sich aus diesem - sowie auch aus sämtlichen anderen vorgelegten Befunden - keine Hinweise für eine derart massive Ausprägung der Erkrankung, die zu einer Unmöglichkeit der Fortbewegung auf den eigenen Füßen bzw. einem derart massiven Kraftverlust in den Armen führt, aus denen eine Unmöglichkeit des sicheren Transportes in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus medizinischer Sicht resultiert, finden lassen.

Die ergänzenden medizinischen Stellungnahmen von Dr. I S wurden dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme übermittelt. Dieser hat in der Folge jedoch von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

Die Gutachten sowie ergänzenden Stellungnahmen stehen mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, sind schlüssig und vollständig und ihnen wurde nicht (auf derselben fachlichen Ebene) entgegen getreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat diese Gutachten unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

Im Übrigen wäre es jedoch dem Beschwerdeführer frei gestanden, das im Auftrag der Behörde bzw. des Gerichtes erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften bzw. zu widerlegen zu versuchen. Dies ist im gegenständlichen Verfahren nicht erfolgt (vgl. VwGH vom 26.02.2008, Zl. 2005/11/0210).

2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass sind die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher zwei ergänzende ärztliche Stellungnahmen eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegen getreten. Es wurden der Beschwerde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten ärztlichen Stellungnahmen berücksichtigt. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:

Einzelrichter

§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.

(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt A) – Abweisung der Beschwerde

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 263/2016, lautet wie folgt:

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

– erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

– erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

– erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

– eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

– eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

Nach den Ausführungen der Gutachterin Dr. I S wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300 bis 400 Meter) ist ohne Pause möglich. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt.

Wenn der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beschwerde vorbringt, dass die nächste Bushaltestelle 1500 Meter entfernt sei und ihm diese Distanz nicht möglich sei, so ist diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel es entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ankomme, nicht aber auf andere auf Umstände wie die Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. zuletzt VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Das Ermittlungsverfahren hat des Weiteren ergeben, dass beim Beschwerdeführer keine schwere anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vorliegen und er weder blind noch hochgradig sehbehindert oder taubblind ist.

Zur Frage, ob beim Beschwerdeführer eine erheblichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vorliegt, ist auszuführen, dass nach den Erläuterungen zur (gleichnamigen) Vorgänger-Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (BGBl. II Nr. 2013/495) zu § 1 Abs. 2 Z. 3 Folgendes ausgeführt ist:

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend. Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Beim Beschwerdeführer liegt jedenfalls keine dieser ausdrücklich angeführten Einschränkungen vor. Auch wurde keine der sonst beim Beschwerdeführer festgestellten Leiden als "erheblich" oder "schwer" eingestuft, weshalb keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit besteht.

Aus diesem Grund liegt auch keine erhebliche Einschränkung der unteren Extremitäten vor.

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.

3.3. Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision

§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2148929.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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