TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/18 I404 2161964-1

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Veröffentlicht am 18.10.2017
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Entscheidungsdatum

18.10.2017

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I404 2161964-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende sowie und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie den fachkundigen Laienrichter Johann Philipp als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 04.05.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz (BBG) nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Folge gegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses aufgrund des festgestellten Grades der Behinderung von 50 v.H. vorliegen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit formularmäßigem Vordruck, beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (in der Folge: belangte Behörde), eingelangt am 24.02.2017, beantragte XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer) die Ausstellung eines Behindertenpasses. Dem Antrag legte der Beschwerdeführer diverse Befunde bei.

2. In der Folge wurde im Auftrag der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. M W, ein Facharzt für Orthopädie, vom 21.04.2017 erstellt, in welchem folgende Funktionseinschränkung festgestellt wurde:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos. Nr.

GdB %

1

Sprunggelenk – Untere Extremitäten, Sprunggelenk – Funktionseinschränkung bis Versteifung einseitig Schmerzhafte Bewegungseinschränkung Sprunggelenk rechts bei St. n. Unterschenkelbruch mit Gelenksbeteiligung. Operative Versorgung im Dezember 2016

02.05.32

30 %

Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Folgende beantragen bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Hüftleiden: Hier ist der Patient beschwerdefrei.

3. Mit Bescheid vom 04.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass das durchgeführte medizinische Beweisverfahren ergeben habe, dass der Grad der Behinderung 30 % betrage. Die wesentlichen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, welche einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig eine Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass in der Zwischenzeit keine Besserung seiner Situation eingetreten sei. In der Beilage übermittle er alte Befunde.

Der Beschwerde legte der Beschwerdeführer diverse Gutachten und Unterlagen bei.

5. Mit Schreiben vom 20.06.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. In der Folge erstellte Dr. M W im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes ein medizinisches Sachverständigengutachten vom 13.09.2017, in welchem er folgende Funktionseinschränkungen feststellte:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos. Nr.

GdB %

1

Funktionseinschränkung bis Versteifung einseitig des Sprunggelenkes. Der oberste Bereich des vorgegebenen Rahmensatzes wird verwendet, da die posttraumatische Arthrose des oberen Sprunggelenks mit auch Fehlstellung der Gelenksfläche des Schienbeins einer Versteifung in ungünstiger Stellung funktionell gleichzusetzen ist.

02.05.32

40 %

2

Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig des Kniegelenks Der oberste Bereich des vorgegebenen Rahmensatzes wird verwendet, da deutliche belastungsabhängige Schmerzen sowie eine Bewegungseinschränkung bestehen. Intermittierende Verschlechterung. Zudem deutliche Mehrbelastung der linken unteren Extremität, um die rechte untere Extremität zu schonen

02.04.18 (gemeint: 02.05.18)

20 %

3

[ergänzt: Funktionseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades einseitig] Der untere Bereich der vorgegebenen Rahmensätze wird gewählt, da zwar eine schmerzhafte Funktionseinschränkung besteht, diese Beschwerden jedoch nicht im Vordergrund stehen

02.05.07

10 %

Gesamtgrad der Behinderung 50 %

Die führende funktionelle Einschränkung des rechten Sprunggelenks (02.05.32) wird durch die Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks (02.05.18) um 1 Stufe erhöht. Durch die deutliche schmerzhafte Einschränkung des rechten Sprunggelenks wird vermehrt die linke untere Extremität belastet. Hierdurch kommt es zu einer deutlichen Mehrbelastung im Bereich der vorbestehenden Arthrose des linken Kniegelenks mit entsprechender Symptomatik.

Die Funktionseinschränkung geringen Grades der rechten Hüfte (02.05.07) erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter.

Eine wesentliche Verbesserung der Situation ist nicht zu erwarten, somit handelt es sich um einen Dauerzustand. Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.

7. Mit Schreiben vom 02.10.2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde das Gutachten von Dr. M W vom 13.09.2017 und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Des Weiteren forderte das Bundesverwaltungsgericht beide Parteien auf, bekannt zu geben, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werde oder ob darauf verzichtet werde. Im Falle, dass kein ausdrücklicher Antrag erfolge, ziehe das Bundesverwaltungsgericht in Erwägung, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

8. Mit Schreiben vom 06.10.2017 teilte die belangte Behörde mit, dass der Sachverständigenbeweis vollständig und schlüssig sei. Die belangte Behörde verzichte auf eine Stellungnahme sowie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Der Beschwerdeführer machte von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und stellte am 24.02.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde.

1.2. Beim Beschwerdeführer liegen derzeit folgende Funktionseinschränkungen vor:

-

Posttraumatische Arthrose des oberen Sprunggelenks mit Fehlstellung der Gelenksfläche des Schienbeins, daher mit einem Grad der Behinderung von 40 % laut Pos. Nr. 02.05.32 (Leiden 1)

-

Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig des Kniegelenks mit deutlichen belastungsabhängigen Schmerzen sowie einer Bewegungseinschränkung, daher mit einem Grad der Behinderung von 20 % laut Pos. Nr. 02.05.18 (Leiden 2)

-

Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig bei Arthrose des rechten Hüftgelenks mit belastungsabhängigen Schmerzen sowie arthrosetypischen Anlaufschmerzen der rechten Hüfte, daher mit einem Grad der Behinderung von 10 % laut Pos. Nr. 02.05.07 (Leiden 3)

1.3. Die führende funktionelle Einschränkung 1 wird durch die funktionelle Einschränkung Nr. 2 um eine Stufe erhöht. Die Funktionseinschränkung der Hüfte erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter. Beim Beschwerdeführer liegt daher ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 % vor.

1.4. Eine Besserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist nicht zu erwarten. Es handelt sich somit um einen Dauerzustand.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen bezüglich des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie zum Wohnsitz des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die festgestellten Funktionseinschränkungen basieren auf dem Sachverständigengutachten von Dr. M W vom 13.09.2017.

Ein Gutachten ist auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten sind nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.

Im vorliegenden Verfahren wurde das Gutachten vom 13.09.2017 als vollständig und schlüssig erachtet.

Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem erhobenen klinischen Befund und den vorgelegten medizinischen Beweismitteln und entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen nach der Einschätzungsverordnung.

Hinsichtlich des Leidens 1 führt der Gutachter in seinem Gutachten begründend zur gewählten Positionsnummer 02.05.32 aus, dass der oberste Bereich des vorgegebenen Rahmensatzes deswegen herangezogen wurde, da die posttraumatische Arthrose des oberen Sprunggelenks mit Fehlstellung der Gelenksfläche des Schienbeins einer Versteifung in ungünstiger Stellung funktionell gleichzusetzen ist.

Bezüglich der Funktionseinschränkung geringen Grades des Kniegelenks (Leiden 2) legt der Gutachter insbesondere dar, dass der Beschwerdeführer unter deutlichen belastungsabhängigen Schmerzen sowie einer Bewegungseinschränkung leidet, sowie, dass eine intermittierende Verschlechterung gegeben ist und stuft dieses Leiden somit nachvollziehbar mit einem Grad der Behinderung von 20 % ein. Der Vollständigkeit halber wird ausgeführt, dass der Gutachter aufgrund eines offensichtlichen Schreibfehlers die Positionsnummer 02.04.18 anstatt richtig die Positionsnummer 02.05.18 (Kniegelenk, Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig) angeführt hat.

Hinsichtlich des Leidens des rechten Hüftgelenks führt der Gutachter nachvollziehbar und schlüssig aus, dass dieses nicht im Vordergrund steht und somit ein Grad der Behinderung von 10 % gemäß der Positionsnummer 02.05.07 heranzuziehen ist.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Gutachter auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen ist, und die Beeinträchtigungen im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft wurden.

2.3. Hinsichtlich des Gesamtgrades führt der Gutachter schlüssig aus, dass das Leiden 1 durch Leiden 2 um eine Stufe erhöht wird und begründet dies umfassend und widerspruchsfrei. Des Weiteren weist der Gutachter darauf hin, dass Leiden 3 aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter erhöht.

2.4. Des Weiteren wurde vom Sachverständigen nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers nicht zu erwarten ist, weshalb es sich hierbei um einen Dauerzustand handelt.

2.5. Das Gutachten von Dr. M W wurde dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde zur Stellungnahme übermittelt. Diese sind dem Gutachten in der Folge jedoch nicht entgegengetreten.

Das Gutachten steht mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, ist schlüssig und vollständig und ihm wurde nicht entgegen getreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat dieses Gutachten unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

2.6. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Ausstellung eines Behindertenpasses sind die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten. Es liegen keine Beweismittel vor, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden im eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Des Weiteren ist auf den Umstand hinzuweisen, dass die belangte Behörde ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hat. Auch der Beschwerdeführer wurde ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu stellen und hat er dies in der Folge nicht getan. Auch aus diesem Grund konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:

Einzelrichter

§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG) lautet wie folgt:

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) BGBl I 2013/33 in der geltenden Fassung lauten wie folgt:

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.

(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt A) – Stattgebung der Beschwerde

3.2.1. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§§ 3 und 4 der Einschätzungsverordnung (EVO), BGBl II 261/2010 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Die maßgebliche Positionsnummer 02.05 der Anlage zur Einschätzungsverordnung lautet wie folgt:

02.05 Untere Extremitäten

Hüftgelenke

02.05.07

Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° Mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit

10-20 %

02.05.08

Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° Mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit

20-40 %

02.05.09

Funktionseinschränkung mittleren Grades einseitig Streckung/Beugung bis zu 0-30-90° Mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit

30 %

Kniegelenk

Funktionseinschränkungen im Kniegelenk als Folge von Knorpel-, Band- und Meniskusläsionen.

Ausprägung von Knorpelschäden geringeren, mittleren und schweren Grades werden in der Einschätzungsverordnung mitberücksichtigt.

Bei Versorgung mit Endoprothesen (einseitig oder beidseitig) wird der Einschätzungswert um 10 % erhöht.

02.05.18

Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig Streckung/Beugung bis 0-0-90°

10-20 %

02.05.19

Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig Streckung/Beugung bis 0-0-90°

20-30 %

02.05.20

Funktionseinschränkung mittleren Grades einseitig Streckung/Beugung 0-10-90°

30 %

Sprunggelenk

Funktionseinschränkung bis Versteifung der Sprunggelenke je nach Funktion und Stellung – günstige oder ungünstige Stellung.

02.05.32

Funktionseinschränkung bis Versteifung einseitig

10-40 %

02.05.33

Funktionseinschränkung geringen bis mittleren Grades beidseitig

30-40 %

02.05.34

Funktionseinschränkung schweren Grades beidseitig

50 -60 %

3.2.2. Dem vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewerteten Sachverständigengutachten vom Dr. M W vom 13.09.2017 folgend, beträgt der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers nunmehr 50 %.

Die führende funktionelle Einschränkung wurde vom Gutachter unter die Positionsnummer 02.05.32 mit einem Grad der Behinderung von 40 % eingestuft. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung sieht bei dieser Positionsnummer einen Grad der Behinderung zwischen 10 und 40 % vor. Der Gutachter führt aus, dass er den obersten Bereich des Rahmensatzes deswegen verwendet hat, da die posttraumatische Arthrose des oberen Sprunggelenks mit einer Fehlstellung der Gelenksfläche des Scheinbeines einer Versteifung gleichzusetzen ist. Diese Einordnung entspricht den Voraussetzungen der Anlage zur Einschätzungsverordnung.

Die Einstufung des Leidens 2 mit einem Grad der Behinderung von 20 % laut Positionsnummer 02.05.18 sowie die Einstufung des Leidens 3 mit einem Grad der Behinderung von 10 % laut Positionsnummer 02.05.07 entsprechen ebenfalls dem vorgegebenen Rahmen der Anlage zur Verordnung.

Auch bei der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist der Gutachter nach den Vorgaben von § 3 Abs. 3 der Einschätzungsverordnung ausgegangen, wonach eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, (nur) dann vorliegt, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen. Diesbezüglich hat der Gutachter angegeben, dass das Leiden 1 durch Leiden 2 wechselseitig negativ beeinflusst wird und begründete dies umfassend. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde daher zu Recht mit 50 % festgestellt.

3.2.3. Entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach der Grad der Behinderung 30 v.H. betrage, liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, daher vor.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.

3.2 Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision

§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2161964.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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