TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/18 I404 2163582-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2017
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.10.2017

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I404 2163582-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende und den Richter Mag. Gerhard AUER sowie den fachkundigen Laienrichter Johann Philipp als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch seinen Vater XXXX als gesetzlichen Vertreter, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 12.06.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung

"Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar"

in den Behindertenpass befristet bis 01.09.2020 gegeben sind.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.Verfahrensgang

1. XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer) wurde vom Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (im Folgenden: belangte Behörde), zuletzt am 30.05.2017 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde mit 100 % festgesetzt.

2. Mit formularmäßigen Vordruck, welcher am 26.05.2017 bei der belangten Behörde einlangte, beantragte der Beschwerdeführer die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.

3. Von der belangten Behörde wurde ein Gutachten einer Ärztin für Kinder- und Jugendheilkunde (Dr. M F) eingeholt. In ihrem Gutachten vom 17.05.2017 stellte Dr. M F folgende Funktionseinschränkung fest:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos. Nr

GdB %

1

Kognitive Leistungseinschränkung, Schwere Intelligenzminderung Frühkindlicher Autismus mit ausgeprägter Intelligenzminderung (Gesamt IQ 48 laut Arztbrief der Kinderklinik Innsbruck vom 12.11.2015). Es liegt eine massive Sprachentwicklungsstörung vor, unter Therapie werden nur geringgradige Fortschritte gemacht, eine verbale Verständigung ist mit dem Patienten kaum möglich. Ausgeprägte Störung von Interaktion, Kommunikation und Verhalten, wobei laut PVA-Gutachten vom 2.9.15 keine Phasen des Schreiens mehr auftreten. Der Patient ist im Alltag auf sehr viel Unterstützung angewiesen, laut vorliegenden Befund von 09/2015 damals noch Reinigung nach dem Stuhlgang nötig sowie teilweise Enuresis nocturna. Dauerhafte Erwerbsunfähigkeit, der Patient wird sein Leben lang auf eine umfassende Betreuung und Pflege durch die Familie oder externe Einrichtungen angewiesen sein. Oberster RS.

03.01.04

100

Gesamtgrad der Behinderung 100 v. H.

..

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum FLAG Gutachten vom 4.3.2016 aufgrund der aktuell vorliegenden Befunde Anhebung des GdB von 50 % auf 100 % und Festlegung als Dauerzustand. Im Vergleich zum Sachverständigengutachten vom 18.2.14 aufgrund der aktuellen Befunde Anhebung des GdB von 50 % auf 100 % sowie Festlegung als Dauerzustand. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist aktuell zumutbar, da keine Phasen des Schreiens mehr bestehen und auch kein anderweitiger Befund über Verhaltensstörungen vorliegt, die den Begleitpersonen bzw. den übrigen Fahrgästen nicht zumutbar wären.

4. Mit Bescheid vom 12.06.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der durch seinen Vater vertretene Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig eine Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass er 3 – 4 mal pro Woche an verschiedenen Therapien teilnehme, welche an unterschiedlichen Orten stattfinden würden. Wie im Bescheid angeführt, sei er auf umfassende Betreuung durch seine Familie angewiesen. Daher begleite die Mutter des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer zu jeder Therapie. Die Parkmöglichkeiten würden jedoch ein Problem darstellen. Die Eltern des Beschwerdeführers würden während der Therapie beim Beschwerdeführer bleiben wollen, durch die unvorteilhaften Parkmöglichkeiten seien sie jedoch gezwungen ein Stück entfernt zu parken. Ebenfalls müssten sie immer wieder neue Parkzettel kaufen und im Auto austauschen.

6. Mit Schreiben vom 06.07.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. In der Folge erstellte Dr. M F im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten vom 30.08.2017, in welchem sie wie folgt ausführte:

"Bei dem Patienten besteht ein frühkindlicher Autismus mit ausgeprägter Intelligenzminderung (Gesamt IQ 48 laut Befund der Kinderklinik Innsbruck vom 12.11.15) und globalem Entwicklungsrückstand, wobei vor allem die verbale Kommunikation massiv eingeschränkt ist. Die Komunikation und Interaktion mit dem Patienten ist massiv eingeschränkt und es liegen auch gravierende Verhaltensauffälligkeiten vor. In dem akutell neu vorliegenden Befund der Kinderklinik Innsbruck vom 30.10.2015 wird in der Anamnese angeführt, dass weiterhin Phasen des lauten Schreiens vorliegen (im Gegensatz dazu wurde in dem PVA Gutachten mit Untersuchung 2.9.15 angegeben, dass diese Schreiphasen nicht mehr vorliegen würden). Aufgrund der laut dem akutelleren Befund der Kinderklinik Innsbruck weithin vorliegenden Schreiphasen ist der Begleitperson des Beschwerdeführers und auch den übrigen Fahrgästen nicht zumutbar, dass öffentliche Verkehrsmittel benützt werden. Auch die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum ist aufgrund der ausgeprägten Intelligenzminderung aktuell massiv eingeschränkt, der Patient wird daher immer eine Begleitperson im öffentlichen Raum benötigen. Akutell ist aufgrund der zusätzlich vorliegenden gravierenden Verhaltensstörungen, insbesondere den Schreiphasen, auch mit einer Begleitperson die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

Im Gegensatz zum Vorgutachten vom 17.05.2017 ist aufgrund des neu vorliegenden Befundes der Kinderklinik Innsbruck vom 30.10.15 akutell die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zumutbar. Diesbezüglich ist eine Kontrolluntersuchung in 3 Jahren (im September 2020) indiziert, falls sich die Verhaltensstörung bis dahin bessert, kann die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel mit einer Begleitperson wieder zumutbar sein. Zum Kontrolltermin ist bitte ein akuteller Befund der Kinderklinik Innsbruck bzgl. der bestehenden Verhaltensstörungen einzubringen."

8. Mit Schreiben vom 06.09.2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das Gutachten von Dr. M F vom 30.08.2017 dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahem ein.

9. Mit Schreiben vom 07.09.2017 führte die belangte Behörde aus, dass das Gutachten vom 30.08.2017 vollständig und schlüssig sei. Die belangte Behörde schließe sich vollinhaltlich dem Gutachten an und verzichte auf eine weitere Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer machte von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

1.1. Der Beschwerdeführer ist am 14.06.2006 geboren und hat seinen Wohnsitz in Österreich. Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt am 30.05.2017 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde mit 100 % festgesetzt.

1.2. Der Beschwerdeführer leidet an einem frühkindlichen Autismus mit ausgeprägter Intelligenzminderung.

1.3. Die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum des Beschwerdeführers ist massiv eingeschränkt. Des Weiteren liegen beim Beschwerdeführer gravierende Verhaltensstörungen, insbesondere Schreiphasen, vor. Eine Besserung der Verhaltensstörungen ist möglich.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zu Wohnort und Alter des Beschwerdeführers sowie zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.

2.2. Die Feststelllungen bezüglich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten von Dr. M F vom 30.08.2017.

Ein (ärztliches) Gutachten ist auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten sind nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.

2.2.1. Im vorliegenden Verfahren wird das erstellte Gutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. M F als vollständig, schlüssig und frei von Widersprüchen beurteilt. Die ärztliche Sachverständige stellte nachvollziehbar fest, dass der Beschwerdeführer unter gravierenden Verhaltensstörungen leidet. Konkretiserend führte die Gutachterin aus, dass Schreiphasen vorliegen, welche der Begleitperson sowie den übrigen Fahrgästen nicht zumutbar sind.

Des Weiteren stellte die Gutachterin schlüssig fest, dass die Gefahreneinschätzung des Beschwerdeführers aufgrund der ausgeprägten Intelligenzminderung massiv eingeschränkt ist.

Hinsichtlich der Verhaltensstörungen führte die Gutachterin nachvollziebar aus, dass eine Besserung möglich ist und sprach sich daher für eine Befristung auf drei Jahre aus.

2.2.2. Den im ärztlichen Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen, ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Es finden sich keine Anhaltspunkte zur Annahme, dass das Gutachten der Fachärztun für Kinder- und Jugendheilkunde mit den Erfahrungen des Lebens oder den Denkgesetzen in Widerspruch steht. Die im Gutachten dargelegten Feststellungen sind daher in freier Beweiswürdigung dem Sachverhalt zugrunde zu legen.

2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" sind die Art und das Ausmaß der bei dem Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten von Dr. M F eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegengetreten. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Zu Spruchpunkt A) –Stattgebung der Beschwerde

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lautet wie folgt:

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 1 Abs. 4 Z. 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

3.2.3. Gemäß den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 der (gleichnamigen) Vorgänger-Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (BGBl. II Nr. 2013/495) ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vorliegen. Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen jedenfalls hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten sowie schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen.

Die Gutachterin Dr. M F stellte in ihrem Gutachten widerspruchsfrei fest, dass der Beschwerdeführer sowohl an gravierenden Verhaltensfälligkeiten als auch an einer massiv eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes leidet. Dies hat die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zur Folge.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass liegen gegenständlich somit vor.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben.

3.3. Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision

§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2163582.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten