TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/19 I404 2124299-1

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Veröffentlicht am 19.10.2017
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Entscheidungsdatum

19.10.2017

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I404 2124299-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende, den Richter Mag. Gerhard AUER sowie den fachkundigen Laienrichter Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Frau XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg, vom 15.03.2016 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben vom 10.11.2009 beantragte Frau XXXX (in der Folge: Beschwerdeführerin) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Vorarlberg, nunmehr Sozialministeriumservice (in der Folge: belangte Behörde) die Ausstellung eines Behindertenpasses.

Am 23.12.2010 beantragte die Beschwerdeführerin die Eintragung der Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

In der Folge wurde der Beschwerdeführerin am 27.01.2010 ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 80% und der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel befristet bis 31.01.2015 ausgestellt.

2. Am 19.11.2014 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Verlängerung des befristeten Behindertenpasses. Als Gesundheitsschädigungen gab sie Fibromyalgie und "Restless-Legs-Syndrom" an.

Diesem Antrag wurde Folge gegeben und ein (unbefristeter) Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60% ausgestellt.

3. Mit Bescheid vom 07.07.2015 hat die belangte Behörde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel" nicht mehr vorliegen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Zuge des Antrages auf Verlängerung des Behindertenpasses mit Gutachten vom 17.04.2015 festgestellt worden sei, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht mehr vorliegen würden. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

4. Am 16.12.2015 übermittelte die Beschwerdeführer der belangten Behörde einen Befund eines Facharztes für Lungenkrankheiten vom 17.11.2015 und führte ergänzend aus, dass sie nicht in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, weshalb sie um neuerliche Prüfung ersuche.

5. In der Folge wurde von der belangten Behörde ein Gutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, Dr. Fidel E, eingeholt. In seinem Gutachten vom 25.02.2016 führte er nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin folgende Funktionseinschränkungen an:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate dauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Z.n. Unterlappenresektion links bei Adenocarcinom der Lunge, massiver Hustenreiz bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel und Exposition gegenüber Dämpfen und Gerüchen

13.05.02

40

2

Chronische Fibromylagie und RLS Syndrom mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik, wiederholter stationärer Behandlung und dauerhafter medikamentöser Therapie

04.11.03

50

Gesamtgrad der Behinderung 60 v.H.

Weiters finden sich folgende Fragestellungen samt Antworten im Gutachten:

1) Welche der festgestellten Funktionseinschränkungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Lungenfachärztlich bescheinigte Unzumutbarkeit bei ausgeprägten Hustenattacken in engen geschlossenen Räumen und bei Exposition gegenüber Dämpfen und Gerüchen

2)Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Nein

Am 08.03.2016 änderte die leitende Ärztin der belangten Behörde dieses Gutachten wie folgt ab:

1) Welche der festgestellten Funktionseinschränkungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Lungenfachärztlich bescheinigte Unzumutbarkeit bei ausgeprägten Hustenattacken in engen geschlossenen Räumen und bei Exposition gegenüber Dämpfen und Gerüchen jedoch siehe untenstehende Ergänzung

2)Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? nein

Aus gutachterlicher Sicht ist die Bewältigung einer Wegstrecke von 300 bis 400 Metern möglich. Die Überwindung des Niveauunterschiedes ist möglich. Der sichere Transport durch Festhalten ist gewährleistet.

Die Aufälligkeit für Gerüche und Dämpfe stellt kein Kriterium für die Vorgabe der Unzumutbarkeit ÖV da. Die UZÖV kann somit nicht vergeben werden.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15.03.2016 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung im Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 08.03.2016 als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei. Die Anfälligkeit für Gerüche und Dämpfe stelle kein Kriterium für die Eintragung der Zusatzeintragung dar.

8. Mit Schreiben vom 31.03.2016 erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig Beschwerde und führte aus, dass sie einige Male versucht habe, mit dem Bus zu fahren und bemerkt habe, dass sie immer mehrere Stationen früher habe aussteigen müssen, wegen Gerüchen bsp. Parfüm, welche bei ihr schwere Hustenanfälle auslösen würden. Einmal sei sie in eine Situation gekommen, wo sie den Bus nicht gleich habe verlassen können, wobei es bei einem Hustenanfall bis zum Brechreiz und zur Atemnot gekommen sei. Außerdem sei es ihr ausgesprochen peinlich, sich dauernd von anderen Menschen anstarren zu lassen, die hinter ihrem Rücken auch noch über sie reden würden. Seit sie in dieser Situation gewesen sei, benutze sie keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr und meide kleine und enge Räume mit vielen Menschen. Eine Wegstrecke von 400 Metern sei möglich, aber man müsse auch den Rückweg und das Gewicht von Einkaufstaschen oder ähnlichem berechnen. Dazu komme, dass sie noch andere Einschränkungen habe wie Fibromyalgie, wodurch ihr das Tragen von schweren Sachen noch schwerer falle.

9. In der Folge wurde ein Gutachten von Dr. Istvan Z., Facharzt für Pädiatrie und HNO vom 23.09.2016 eingeholt. In seinem Gutachten führte der Sachverständige zusammengefasst aus, dass die Beschwerdeführerin unter chronischer Fibromyalgie und Restless-Legs Syndrom mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik mit einem GdB von 50% und einem Z.n. Unterlappenresektion links Adenocarcinom der Lunge mit einem GdB von 40% leide und insgesamt ein Gesamtgrad der Behinderung von 60% habe. Die Beschwerdeführerin könne eine Wegstrecke von ca. 1 Km aus eigener Kraft und ohne Fremde Hilfe ohne Unterbrechung zurücklegen. Die dauernde Gesundheitsschädigungen wirke sich nicht auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung aus. Es würden keine erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit bestehen, zumal die Beschwerdeführerin keine Sauerstofftherapie brauche. Die Anfälligkeit für Gerüche und Dämpfe stelle kein Kriterium für die Vergabe der Unzumutbarkeit dar.

Nach Aufforderung des BVwG ergänzte der Sachverständige sein Gutachten mit Stellungnahme vom 09.02.2017 insofern, als er anführte, dass die von der Beschwerdeführerin angeführten Beschwerden nicht objektiviert werden könnten.

Mit weiterer eingeforderter Stellungnahme vom 06.03.2017 führte er weiter aus, dass die Beschwerdeführerin überall Hustenanfälle bekommen könnte, wo es störende Expositionen gegenüber Gerüchen und Dämpfe gebe. Das heiße, dass die Beschwerdeführerin auch bei Tätigkeiten im Haushalt Hustenanfälle bekommen könne. Die Sicherheit der Beschwerdeführerin werde beim Transport im öffentlichen Verkehrsmittel nicht gefährdet. Es könne zu keiner lebensbedrohlichen Atemnot kommen. Die Beschwerdeführerin könne aufgrund ihrer psychischen Einstellung Paniksituationen produzieren.

10. In der Folge wurde ein Gutachten von Dr. Thomas S, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie eingeholt. Der Gutachter stellte nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin fest, dass aus psychiatrischer Sicht der Verdacht auf Vorliegen einer dissoziativen Störung mit Beginn im Jahre 2009 bei damals auch erfolgter Lungenkrebsoperation bestehe. Jedenfalls hätten die bisherigen organischen Untersuchungen bezüglich ihrer "Überempfindlichkeit und Unverträglichkeit" von Parfums, Rauch und Essenszutaten kein wegweisendes Substrat ergeben. Ob die hier hochsuspekt vorliegende dissoziative Störung mit der damaligen Operation oder mit einer sonstigen ihr zunächst unbewussten psychischen Belastungssituation ursächlich in Zusammenhang stehe, könne nur mit einer tiefenpsychologisch orientierten Therapie aufgedeckt werden und dann versuchsweise auch therapiert werden. In der Folge macht der Gutachter diesbezüglich weitere Ausführungen. Zu den Fragestellungen des Gerichts führt er an, dass bei der Beschwerdeführerin eine suspekte psychiatrische Gesundheitsschädigung vorliege, wichtig wäre bezüglich Diagnostik aber auch Therapie eine bisher noch nie erfolgte psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei aus psychiatrischer Sicht derzeit zumutbar, es wirke sich die psychiatrische Verdachtsdiagnose nicht auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen aus. Es bestehe keine erhebliche Einschränkung psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten.

11. Die Gutachten von Dr. Istvan Z und Thomas S wurden der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht.

12. Mit Schreiben vom 19.06.2017 beantragte die Beschwerdeführerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Sie führt weiter aus, dass sie unter keiner psychischen Einschränkung leide, sondern an einer organischen Unverträglichkeit von Gerüchen auf engen Räumen und bestimmten Lebensmittel.

13. Am 18.10.2017 fand vor dem BVwG, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die Beschwerdeführerin und der Sachverständige Dr. Istvan Z einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die belangte Behörde stellte der Beschwerdeführerin zuletzt am 07.07.2015 einen (unbefristeten) Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. aus.

1.2. Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen: Z.n. Unterlappenresektion links bei Adenocarcinom der Lunge, wobei keinerlei Funktionseinschränkungen der Lunge vorliegen und an Chronischer Fibromylagie mit Restless-Legs-Syndrom. Die Lungenfunktion ist nicht eingeschränkt und sie benötigt keine Sauerstofftherapie.

1.3. Das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport im öffentlichen Verkehrsmittel sind der Beschwerdeführerin möglich. Des Weiteren kann sie auch kurze Wegstrecken (300 bis 400 Meter) ohne Hilfsmittel und Unterbrechung zurücklegen.

1.4. Bei der Beschwerdeführerin liegen keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor. Sie ist auch nicht hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind. Es besteht auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder der körperlichen Belastbarkeit. Es liegen ferner auch keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zum Behindertenpass ergeben sich aus dem vorgelegten Akt der belangten Behörde.

2.2. Die Feststellungen zu den funktionellen Einschränkungen der Beschwerdeführerin basieren auf den von der belangten Behörde eingeholten Gutachten der Fidel E vom 02.04.2015 und wurden vom Gutachter Dr. Istvan Z in seinem Gutachten bestätigt. Die Beschwerdeführerin ist diesen Feststellungen auch nicht entgegen getreten oder hat weitere Leiden vorgebracht. Dass die Lungenfunktion nicht eingeschränkt ist und die Beschwerdeführerin keine Sauerstofftherapie benötigt, hat der Gutachter Istvan Z in der mündlichen Verhandlung angegeben und die Beschwerdeführerin hat dem auch nicht entgegen getreten.

2.3. Hinsichtlich der körperlichen Funktionseinschränkungen stellte Dr. Istvan Z in seinem Gutachten fest, dass sich die festgestellten Gesundheitsschädigungen nicht auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung im Verkehrsmittel auswirkt. Die Sicherheit der Beschwerdeführerin werde beim Transport im öffentlichen Verkehrsmittel nicht gefährdet, es könne zu keiner lebensbedrohlichen Atemnot kommen.

Auch die Beschwerdeführerin selbst hat in der mündlichen Verhandlung nach dem schlimmsten Vorfall bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels gefragt, angegeben, dass es zu einem Hustenanfall mit Brechreiz gekommen sei und sie das Verkehrsmittel habe früher verlassen müssen. Atemnot oder ein Brechreiz, der dazu geführt habe, dass sie sich hätte übergeben müssen, sei nicht eingetreten.

Auch in dem psychiatrischen Gutachten führte der Sachverständige Dr. Thomas S aus, dass zwar ein Verdacht auf Vorliegen einer dissoziativen Störung vorliege, diese Verdachtsdiagnose wirke sich nicht auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus.

Insgesamt steht daher für den erkennenden Senat fest, dass die Sicherheit der Beschwerdeführerin beim Transport im öffentlichen Verkehrsmittel nicht gefährdet ist.

Der Gutachter Dr. Istvan Z führte auch aus, dass die Beschwerdeführerin laut den vorgelegten Unterlagen dazu in der Lage ist, eine Wegstrecke von 300 bis 400 m aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe und ohne Pause zurückzulegen. In der Verhandlung führte er dazu aus, dass die Beschwerdeführerin ihm gegenüber angegeben habe, ca. 1 Kilometer gehen zu können. Auch in der Beschwerde gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr eine Wegstrecke von 400 Metern möglich sei, aber man müsse auch den Rückweg und das Gewicht von Einkaufstaschen oder Ähnlichem berücksichtigen. In der mündlichen Verhandlung gab die Beschwerdeführerin nunmehr an, dass sie auch bei einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Metern öfter kurz innehalten und Luft holen müsse. Vom Gutachter konnte dieses Vorbringen nicht bestätigt werden, zumal die Beschwerdeführerin ein normale Lungenfunktion hat und auch sonst keinerlei Einschränkungen attestiert wurden, welche die körperlichen Belastbarkeit einschränken würden.

2.4. Dass bei der Beschwerdeführerin keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorliegt, sowie dass sie weder hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind, steht aufgrund der Aktenlage insbesondere sämtlicher Gutachten fest. Gegenteiliges wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet.

Dass keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vorliegen, basiert auf dem Gutachten von Dr. Thomas S vom 26.05.2017 und blieb ebenfalls unbestritten.

Schließlich liegen auch keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor, zumal die Lungenfunktion nicht eingeschränkt ist, die Beschwerdeführerin keinen Sauerstoff benötigt und auch sonst keinerlei Befunde für eine solche Einschränkung vorliegen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die § 28 Abs. 1 und 2 über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.

(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt A) – Abweisung der Beschwerde

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 263/2016, lautet wie folgt:

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

– erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

– erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

– erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

– eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

– eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

Nach den Ausführungen der Gutachter Dr. Istvan Z und Dr. Thomas S wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300 bis 400 Meter) ist ohne Pause möglich. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt.

Das Ermittlungsverfahren hat des Weiteren ergeben, dass bei der Beschwerdeführerin keine schwere anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vorliegen und sie weder blind noch hochgradig sehbehindert oder taubblind ist.

Zur Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine erheblichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vorliegt, ist auszuführen, dass nach den Erläuterungen zur (gleichnamigen) Vorgänger-Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (BGBl. II Nr. 2013/495) zu § 1 Abs. 2 Z. 3 Folgendes ausgeführt ist:

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend. Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Bei der Beschwerdeführerin liegt jedenfalls keine dieser ausdrücklich angeführten Einschränkungen vor. Insbesondere benötigt die Beschwerdeführerin keine Sauerstofftherapie.

Weiters liegen auch keine erhebliche Einschränkung der unteren Extremitäten vor.

Zur Frage, ob bei der Beschwerdeführerin erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vorliegen, ist auszuführen, dass nach den oben angeführten Erläuterungen dazu Folgendes ausgeführt ist:

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapiefrakträres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson erforderlich.

Bei der Beschwerdeführerin wurde keine dieser Krankheitsbilder diagnostiziert und hat der Gutachter Dr. Thomas S festgehalten, dass sich die bestehende Verdachtsdiagnose "dissoziative Störung" nicht auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel auswirkt.

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.

3.3. Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision

§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:I404.2124299.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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