TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/20 W138 2138692-1

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Veröffentlicht am 20.10.2017
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Entscheidungsdatum

20.10.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W138 2138692-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Klaus HOCHSTEINER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.:

Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2016, Zahl: 1094726101/151768830, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.10.2017 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im November 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und islamischen Glaubens zu sein. Er stamme aus der Provinz Ghazni und habe in Afghanistan sieben Jahre lang die Grundschule besucht. Neben seinen Eltern habe er in seinem Heimatland noch einen älteren Bruder, eine Schwester sowie eine Ehefrau, mit der er sowohl standesamtlich als auch traditionell verheiratet sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer lediglich an, "Folter und den Tod" zu befürchten.

3. Am 24.08.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im zugelassenen Asylverfahren, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, die der Beschwerdeführer als seine Muttersprache angegeben hatte, niederschriftlich einvernommen. Er konkretisierte seine bisherigen Angaben dahingehend, dass er aus dem näher bezeichneten Dorf in der Provinz Ghazni stamme und nicht verheiratet, sondern seit 2015 verlobt sei. Die Grundschule habe er zudem nicht 7 sondern 9 Jahre lang besucht. Sein Vater sei als Kraftfahrer und sein Bruder im Lebensmittelhandel tätig. Wirtschaftlich ginge es der Familie gut. Er selbst habe für die afghanische Armee gearbeitet und sei als Soldat in Kunduz stationiert gewesen. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftslandes befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass Kunduz von den Taliban eingenommen worden sei und er daher zunächst nach Kabul und schließlich weiter ins Ausland geflohen sei. Da er seinen Posten verlassen habe, gelte er nunmehr als Deserteur der afghanischen Armee. Hätte er sich beim Militär zurückgemeldet, wäre er festgenommen worden und in den Militärarrest gekommen. Mit den afghanischen Behörden habe er bis dato aber keine Probleme gehabt. Andere Gründe brachte der Beschwerdeführer auch nach nochmaliger Nachfrage nicht vor.

Unter einem legte der Beschwerdeführer diverse Empfehlungsschreiben betreffend seine Integration in Österreich, einen Nachweis des von ihm besuchten Deutschkurses, eine Bestätigung der absolvierten dreimonatigen Grundausbildung sowie seinen Dienstausweis der afghanischen Armee vor.

4. Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates zwar glaubhaft seien, diesen jedoch keine Asylrelevanz zukomme. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr in seinem Heimatland nachzuweisen, da es laut den zu Grunde liegenden Länderfeststellungen auf Desertation keine Strafe gäbe. Eine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung wurde von ihm nicht behauptet. Im Falle seiner Rückkehr wäre der Beschwerdeführer somit in der Lage wieder einer Erwerbstätigkeit als Soldat nachzugehen. Unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers lägen die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz damit ebenfalls nicht vor, da nicht davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in eine derart dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt würde, dass eine Rückkehr unzumutbar wäre. Familiäre oder sonstige nähere persönliche Beziehungen innerhalb Österreichs lägen nicht vor.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 04.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater für eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

6. Gegen den angeführten Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte, fristgerecht die vorliegende Beschwerde in vollem Umfang. Er brachte darin im Wesentlichen vor, dass er aus Afghanistan geflohen sei, da er als Soldat desertiert sei und deshalb Bestrafung fürchte. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe verwies er auf seine ergänzenden Angaben in der Ersteinvernahme vor dem BFA. Angesichts der prekären Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz sei dem Beschwerdeführer, bezogen auf dessen persönliche Situation, eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar. Da er mit den örtlichen Gegebenheiten in Kabul jedoch nicht vertraut sei, könne er sich - entgegen der Ansicht des BFA - auch dort nicht niederlassen. Hinzu komme, dass er der schiitischen Glaubensrichtung des Islam sowie der Volksgruppe der Hazara angehöre und daher gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sei.

In dem beigeschlossenen handschriftlichen Vermerk (übersetzt durch die näher angeführte Person) verweis der Beschwerdeführer ergänzend darauf, dass es in Afghanistan für ihn keine Leben gäbe, da er politischer Flüchtling sei und Desertion in Afghanistan eine Straftat darstelle. Auf Grund seiner sprachlichen Probleme und der Situation auf dem Arbeitsmarkt sei es für ihn nicht möglich in Afghanistan eine Anstellung zu finden. Hinzu komme, dass die Leute in seiner Heimatprovinz wüssten, dass er Soldat gewesen sei und er deshalb Schwierigkeiten habe.

7. Mit Beschwerdeergänzung vom 21.12.2016 führte der Beschwerdeführer ins Treffen, dass er als Soldat der afghanischen Armee besonderes gefährdet und dem Risiko ausgesetzt sei, gezielt Opfer von regierungsfeindlichen Gruppierungen zu werden. Wie den unter einem dazu angeführten Bericht von UNHCR zu entnehmen sei, drohe ihm einerseits eine Verfolgung und Bestrafung seitens des afghanischen Staates wegen Desertion, andererseits durch regierungsfeindliche Gruppierungen wegen seiner Tätigkeit bei der Armee. Aus dem alleinigen Umstand, dass es keine offizielle Bestrafung für Desertion gäbe, könne nicht geschlossen werden, dass es nicht dennoch zu Verfolgungshandlungen und harten Strafen käme. Das BFA habe es zudem unterlassen zu prüfen, inwieweit die Volksgruppe der Hazara angesichts der sich zunehmend verschlechternden Sicherheitslage, in jüngster Zeit doch einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte, sodass das Verfahren insoweit mangelhaft geblieben sei. Aus den aktuellen Länderberichten gehe zudem hervor, dass Diskriminierungen gegenüber Hazara weiterhin bestehen und dass es zu Erpressung, Zwangsrekrutierung und illegaler Besteuerung sowie einer weitreichenden Verfolgung durch die Taliban komme. Im Hinblick auf die angenommene innerstaatliche Fluchtalternative wies der Beschwerdeführer nochmals darauf hin, dass das BFA verkannt habe, dass er weder mit den örtlichen Gegebenheiten in Kabul vertraut sei, noch über ein Netzwerk oder sonstige Anknüpfungspunkte dort verfüge. Bei einer Rückkehr sei der Beschwerdeführer daher der signifikanten Gefahr ausgesetzt, in eine ausweglose Situation zu geraten. Vor dem Hintergrund der nach wie vor prekären Sicherheitslage, wäre dem Beschwerdeführer daher zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

Der Stellungnahme unter einem beigeschlossen war die Tazkira des Beschwerdeführers.

8. Mit Eingabe vom 14.09.2017 übermittelte der Beschwerdeführer unter anderem ein Konvolut von Unterstützungsschreiben zum Nachweis seiner Integration in Österreich sowie seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten, eine Bestätigung des von ihm absolvierten Bewerbungsgesprächs bei dem näher bezeichneten Hotel, mehrere Lichtbilder, die den Beschwerdeführer bei seinen Freizeitaktivitäten zeigen, sowie Medienberichte von seiner Wohnortgemeinde.

9. Am 03.10.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Hazaragi teilnahmen. Ferner wurde ein Zeuge zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers einvernommen. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Soweit entscheidungswesentlich stellte sich der Gang der mündlichen Verhandlung wie folgt dar:

[ ]

III. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?

BF: Ich habe in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX gewohnt. Diese Unterkunft wird demnächst geschlossen. Ich lebe seit einiger Zeit gemeinsam mit zwei weiteren Bekannten in einer privaten Wohnung in XXXX .

R: Als gemeldete Wohnadresse haben Sie noch die XXXX ?

BF: Die Postleitzahl ist XXXX . Meine Wohnungsadresse lautet XXXX .

R: Sprechen Sie auch schon ein bisschen Deutsch? Welches Sprachniveau haben Sie? Besuchen Sie Sprachkurse oder sonstige Kurse, Schule, Vereine oder Universität?

BF: Ich habe bereits einen Deutschkurs A1 abgeschlossen, aber die Prüfung noch nicht abgelegt. Ich besuche den Deutschkurs A2. Ich habe die Möglichkeit in ungefähr 4-5 Wochen eine Deutschprüfung zu machen. Ich habe ehrenamtlich beim Verein "Jung Caritas" gearbeitet. Ich habe auch beim Roten Kreuz ehrenamtlich gearbeitet.

R: Was machen Sie unter Tags so? Wie stellt sich ein typischer Tagesablauf dar?

BF: Ich besuche dreimal die Woche, nämlich montags, mittwochs und freitags einen Deutschkurs. An den freien Tagen kümmere ich mich gemeinsam mit meinen Mitbewohnern um die Hausarbeit. Als ich noch im Heim gelebt habe, habe ich dort Volleyball gespielt. Dadurch das ich erst seit kurzer Zeit in XXXX lebe, habe ich noch nicht sehr viele Bekannte um mit ihnen Volleyball zu spielen. An manchen Wochenenden treffe ich mich mit meinen Freunden und wir unternehmen etwas gemeinsam.

R: Befinden sich in Österreich Familienangehörige von Ihnen?

BF: Nein. Ich bin alleine hier und bin noch ledig. In Afghanistan habe ich eine Verlobte.

R: Bei der Einvernahme vor der Polizei war es noch die Ehefrau?

BF: Es ist nur die Verlobte. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht weiß, warum das so protokolliert wurde.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach?

BF: Nein. Derzeit gehe ich keiner sonstigen Beschäftigung in Österreich nach. Ich möchte jedoch wieder in einem Team Volleyball spielen.

R: Sind Sie in Österreich bisher strafrechtlich verurteilt worden?

BF: Nein.

R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?

BF: Nein. Ich habe alles vorgebracht.

b) im Herkunftsstaat:

R: Im angefochtenen Bescheid des BFA wurde u.a. bereits festgestellt, dass Sie aus Afghanistan stammen. Geben Sie bitte nochmals an, welcher Volksgruppe und Religionsgemeinschaft Sie angehören (AS3 Hazara, Schiit)?

BF: Ich bin Hazara. Ich war ein schiitischer Moslem.

R: Was meinen Sie, wenn Sie sagen, "ich war ein schiitischer Moslem"?

BF: Seit ich in Österreich bin, über ich meinen Glauben nicht aus. Ich bin Atheist. Ich wollte diese Information auch bei meiner Einvernahme vor dem BFA bekannt geben. Ich wusste aber nicht, wie ich das Thema ansprechen soll. Ich kann heute ein Schreiben der islamischen Glaubensgemeinschaft vorlegen. Ich habe ein Schreiben, aus dem hervorgeht, dass sie bestätigen, dass ich den islamischen Glauben abgelegt habe und überhaupt keinen Glauben praktiziere.

BF legt nach Aufforderung des R vor: Schreiben der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 28.09.2017, welches in Kopie zum Akt genommen wird. (Beilage ./A)

R: Als Sie in Afghanistan lebten, haben Sie da Ihren Glauben praktiziert?

BF: Ich war in Afghanistan nicht besonders gläubig. Vor allem deshalb weil ich als Kleinkind dazu gezwungen wurde in die Moschee zu gehen um dort vom Mullah unterrichtet zu werden. Der Mullah hat uns Kinder dazu gezwungen zu beten, zu fasten und die rituelle Waschung zu lernen. Wenn er sich nicht durchsetzen konnte, hat er uns Kinder mit einem Schlagstock bestraft. Seit ich Atheist bin, kann mich niemand dazu zwingen einen bestimmten Glauben auszuüben bzw. mich an die Vorschriften des jeweiligen Glaubens zu halten.

R: Haben Sie in Afghanistan in einer Moschee gebetet?

BF: Ich wurde bereits als Kind dazu gezwungen in eine Moschee zu gehen um dort zu beten und Koran lesen zu lernen. In Afghanistan ist jeder verpflichtet in die Moschee zu gehen.

R: Wer hat Sie als Kind gezwungen in die Moschee zu gehen?

BF: Ich wurde sowohl von meiner Mutter als auch von meinem Vater dazu gezwungen in die Moschee zu gehen. Sie haben gemeint, dass ich mich genauso wie andere Kinder verhalten muss und lernen muss den Glauben zu praktizieren.

R: Wissen Ihre Eltern, dass Sie jetzt Atheist sind?

BF: Ja. Sie haben es erfahren.

R: Wie haben sie es erfahren und was haben die Eltern dazu gesagt?

BF: Als ich die Telefonnummer meiner Familie gefunden habe, habe ich sie selbst angerufen. Meine Eltern haben mich gefragt ob ich bete und Koran lese. Ich habe ihre Frage verneint und gesagt, dass es hier keinen Zwang der Religionsausübung gibt. Daraufhin wurden meine Eltern böse auf mich und sie haben gemeint, dass wenn jemand in Afghanistan davon erfährt, die Familie in Gefahr geraten würde.

R: Wann hatten Sie das Telefonat mit Ihrer Familie?

BF: Ich glaube es war letztes Jahr im November, als ich mit meiner Familie gesprochen habe. Mir ist es damals gelungen über einen Freund die Telefonnummer zu bekommen.

R: Haben Sie jetzt noch Kontakt mit Ihrer Familie?

BF: Ja. Ich telefoniere regelmäßig mit meiner Familie. Ich kann aber nicht genau sagen wie oft in der Woche. Wenn wir uns gegenseitig vermissen, telefonieren wir miteinander.

R: Wie lautet die Telefonnummer?

BF: Die Telefonnummer meines Vater lautet: XXXX .

R: Haben Sie ein Problem damit, dass wir Ihren Vater jetzt in der Verhandlung anrufen und fragen ob er weiß, dass Sie Atheist sind?

BF: Nein.

D wählt die Telefonnummer.

Die Verhandlung wird für 10 Minuten unterbrochen.

D erreicht XXXX , auf Nachfrage wird der D der Name des BF vom Gesprächspartner genannt.

BF bestätigt, dass sein Vater XXXX heißt.

D gibt an: Der Vater hat gesagt, dass der Sohn bis zu dem Zeitpunkt, als er noch in Afghanistan war, ein Moslem war. Ich fragte ihn ob er mit ihm über den Glauben des BF geredet hat. Der Vater verneinte dies, dass es ein Gespräch über den angeblichen Abfall von Glauben gegeben habe.

BF: Vielleicht hat der Vater die Frage der D nicht verstanden.

D: Auf Frage des Richters, gibt die D an, dass der Vater des BF sie einwandfrei verstanden hat und gesagt hat "Woher soll ich wissen, welchen Glauben er ausübt, ich bin in Afghanistan". D gibt an, dass der Vater verneint hat, dass es ein Gespräch mit dem BF hinsichtlich des angeblichen Abfall vom Glauben gegeben hat. Ich fragte den Vater, ob telefonischer Kontakt mit dem BF besteht, worauf der Vater angab, schon lange nicht mehr mit dem BF gesprochen zu haben, aber dass sie telefonischen Kontakt haben.

R an BF: Es wirkt jetzt nicht sehr glaubwürdig, dass Sie angegeben haben, dass Sie mit Ihrem Vater über Ihren Abfall des Glaubens gesprochen haben und dieser das genau nicht bestätigt.

BF: Mein Vater weiß mit Sicherheit, dass ich den islamischen Glauben abgelegt habe. Ich weiß nicht, ob er die von der D gestellten Fragen richtig verstanden hat. Ich kann es mir nicht erklären, weshalb er nicht auf die Fragen eingegangen ist. Vielleicht hat mein Vater aus Angst diese Frage nicht beantwortet, er will einfach nicht, dass jemand davon erfährt. Wir könnten meinen Vater noch einmal anrufen und ich rede mit ihm. Es besteht auch die Möglichkeit den Lautsprecher einzuschalten. Er weiß es mit Sicherheit.

R: Wenn Sie sagen, als Sie nach Österreich gekommen sind, haben Sie Ihren Glauben abgelegt. Warum haben Sie diesen Umstand nicht vor dem BFA, in der Beschwerde und der Beschwerdeergänzung erwähnt?

BF: Ich habe bereits zuvor erklärt, weshalb ich vor dem BFA nicht darüber sprechen konnte. Als ich den negativen Bescheid bekommen habe, hatte ich sehr wenig Zeit für die Beschwerde. Ein Vertreter des Verein Menschenrechte Österreich hat am letzten Tag der Frist die Beschwerde geschrieben. Es gab keine Zeit ein ausführliches Gespräch zu führen. Nach dem Erhalt des negativen Bescheids war mir klar, dass ich eine weitere Chance erhalte, meine Probleme darzulegen und ich wollte diese Möglichkeit nutzen um persönlich zu meiner Entscheidung betreffend meine Religion Stellung zu nehmen.

R: Die Beschwerde datiert vom 20.10.2016 und eine Beschwerdeergänzung vom 21.12.2016. Warum findet sich dann in der Beschwerdeergänzung nichts bezüglich des angeblichen Abfall von Glauben?

BF: Beim BFA habe ich darüber nichts gesprochen, weil ich keine Probleme bekommen wollte. Ich wollte einfach nur die Möglichkeit nutzen, persönlich zu erklären, wie ich zum Glauben stehe. An der mangelnden Zeit lag es nicht.

R weist darauf hin, dass der BF gerade die mangelnde Zeit der Einbringung der Beschwerde als Grund angab, dass er den angeblichen Abfall vom Glauben nicht vorgebracht hat. Nunmehr schildert er den Umstand anders. Die Widersprüche lassen sich nicht nachvollziehbar aufklären.

BF gibt dazu an: Als ich den negativen Bescheid bekommen habe, habe ich einen Termin beim Verein Menschenrechte bekommen. Nachdem ich dort erschienen bin, ist der Dolmetscher nicht gekommen und ich wurde für einen anderen Tag bestellt. Mir wurde nicht erklärt was in der Beschwerde stand, sondern nur, dass ich unterschreiben soll. Mit der Zeit habe ich mir überlegt, dass ich persönlich erklären möchte, wie ich über den Glauben denke, und deshalb habe ich mich nicht mehr an den Rechtsberater gewandt.

R: Wer alles weiß, dass Sie angeblich vom Glauben abgefallen sind?

BF: Meine Familie und alle meine Freunde in Österreich sowie auch meine Bekannten aus der Flüchtlingsunterkunft, wissen, dass ich keinen Glauben praktiziere. Auch meine Freunde, die mich heute begleiten, sind informiert.

R an einen Zuhörer aus dem Gerichtssaal: Sind Sie auch Afghane?

Zeuge (Ausgewiesen durch Reisepass Nr. XXXX ): Ja.

R an Z: Wo wohnen Sie?

Z: Ich wohne in Wien XXXX .

R: Wann sind Sie geboren?

Z: Am XXXX .

R: Haben Sie einen Beruf?

Z: Ich war selbstständig und bin derzeit arbeitslos.

R: Woher kennen Sie den BF?

Z: Wir haben uns am Westbahnhof getroffen, das war mit der Flüchtlingswelle 2015.

R: Stehen Sie seitdem in engeren Kontakt?

Z: Wir treffen uns immer wieder wenn der BF in Wien ist.

R: Sind Sie gläubiger Moslem?

Z: Ich habe kein Religionsbekenntnis und übe den islamischen Glauben nicht aus.

R: Was wissen Sie über den Glauben des BF?

Z: Rund um Silvester 2016 habe ich den BF getroffen. Ich wusste nicht wie er zum Glauben steht. Ich habe jedoch mitbekommen, dass der BF Alkohol konsumiert hat, was für einen gläubigen Moslem eine schwere Verfehlung wäre.

R: Haben Sie definitiv mit dem BF über seinen Glauben gesprochen?

Z: An diesem vorgenannten Tag wurde die Stimmung nach Alkoholkonsum lockerer. Bereits vorher ist mir aufgefallen, dass der BF nicht betet. Wir haben dann auch über den Glauben gescherzt, was ich niemals tun würde, wenn mir ein gläubiger Moslem gegenüber wäre. Dies bereits aus Respekt vor der Person und deren Glauben.

R: Hat sich der BF Ihnen gegenüber jemals direkt über seinen Glauben geäußert?

Z: Er hat mir gegenüber geäußert, dass er seit, er in Österreich ist, die Möglichkeit hat, den islamischen Glauben nicht mehr auszuüben. In Afghanistan war der BF gezwungen Glaubenshandlungen vorzunehmen. Hätte er dies nicht getan, hätte dies schwere Konsequenzen für den BF gehabt.

R: Wissen Sie etwas dazu ob der BF es seiner Familie mitgeteilt hat?

Z: Der BF hat mir bereits vor längerem erzählt, dass seine Familie davon weiß, dass der BF seinen Glauben nicht mehr ausübt. Ich vermute, dass der Vater des BF aus einem Ehrgefühl heraus nicht offen gelegt hat, dass er vom Glaubensabfall des BF Kenntnis hat.

R: Wer aus dem Bekanntenkreis vom BF hat Ihres Wissens noch Kenntnis davon?

Z: Zumindest ein weiterer Afghane hat davon Kenntnis, dass der BF nicht mehr gläubig ist. Als der BF an seiner aktuellen Wohnadresse eingezogen ist, gab es eine Einweihungsparty, bei der ca. 7 Afghanen anwesend waren. Es gab auch Gläubige unter ihnen, welche keinen Alkohol getrunken haben. Der BF selbst hat Alkohol getrunken und ist es sicherlich auch allen anwesenden Gästen auch aufgefallen.

Z verlässt den Zeugenstand um 14:41 Uhr.

R: Wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten, wie würden Sie mit Ihrem Glauben umgehen?

BF: Ich würde auch in Afghanistan meinen Glauben nicht ausüben. Mit der Zeit würden die Leute bemerken, dass ich mich nicht an die Vorschriften des Glaubens halte. Ich könnte zu keinem Zeitpunkt öffentlich aussprechen, dass ich kein gläubiger Moslem bin und ich Atheist bin.

R: Welche Folgen würden Sie befürchten, wenn es auffallen würde, dass Sie Atheist sind?

BF: Die Leute würden mich steinigen, mich foltern und leiden lassen bis ich sterbe.

Dem BF wird Rechtsberatung hinsichtlich des Nachfluchtgrundes des Glaubensabfalles erteilt. Auf die weitere Abklärung der Fluchtgründe wird nicht weiter eingegangen, da aus Sicht des erkennenden Richters der Nachfluchtgrund glaubhaft gemacht werden konnte.

BF: Heute habe ich mich das erste Mal soweit sicher gefühlt, dass ich bereit war, im Beisein meiner Vertrauenspersonen vor einem Gericht anzugeben, dass ich von meinem Glauben abgefallen bin. Ich habe mich zuvor damit nicht wohlgefühlt, weil ich nicht genau wusste, was die Konsequenzen sein könnten.

R: Ich hätte noch Länderberichte, wozu Sie eine Stellungnahme abgeben könnten.

BF: Ich verzichte auf eine Stellungnahme.

[ ]"

Der Beschwerdeführer legte unter einem eine Bestätigung der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vor, wonach er nicht mehr Mitglied dieser Gemeinschaft sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der am XXXX geborene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX der Provinz Ghazni. Neben seiner Mutter und seinem Vater hat der Beschwerdeführer zudem noch einen Bruder und eine Schwester, die alle nach wie vor im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben. Zudem hat er eine Verlobte, die sich ebenfalls noch in Afghanistan aufhält.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Heimatdorf 9 Jahre lang die Grundschule besucht und war danach Soldat bei der afghanischen Armee. Seit Ende 2013 war er in Kunduz in XXXX stationiert. Der Vater des Beschwerdeführers ist Kraftfahrer und sein Bruder arbeitet im Lebensmittelhandel. Wirtschaftlich geht es der Familie des Beschwerdeführers gut. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie nach wie vor in telefonischem Kontakt.

Als im Oktober 2015 Kunduz von den Taliban eingenommen wurde, ist der Beschwerdeführer nach Kabul geflohen. Von dort aus hat er das Land schließlich verlassen und ist nach Österreich gekommen.

Vor seiner Ausreise, gehörte der Beschwerdeführer der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an und musste seinen Glauben regelmäßig praktizieren. In Österreich angekommen, hat der Beschwerdeführer seine Religion nicht weiter ausgeübt und ist vom muslimischen Glauben abgefallen. Der Beschwerdeführer bekennt sich aus innerer Überzeugung zu keiner Religion mehr. Diese Überzeugung bestand bereits in Afghanistan, da der Beschwerdeführer schon dort nicht gläubig war und bereits als Kind von seinen Eltern gezwungen werden musste in die Moschee zu gehen, zu beten und den Koran zu lesen. Diese Überzeugung wird auch dadurch dokumentiert, dass der Beschwerdeführer regelmäßig Alkohol konsumiert und keine Probleme hat, über seinen ehemaligen Glauben Witze zu machen. Von dem Glaubensabfall des Beschwerdeführers wissen mehrere afghanische Bekannte des Beschwerdeführers und auch dessen Eltern.

Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer sich nicht wieder zum muslimischen Glauben bekennen und diesen auch nicht wieder ausüben. Der Beschwerdeführer wäre in Afghanistan als Apostat, sowohl von staatlicher als auch von privater Seite einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt. Der Abfall vom Islam wird in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen und gilt als schwerer Verstoß gegen das Werteverständnis der afghanischen Gesellschaft.

Wegen seines Abfalls vom muslimischen Glauben und des Scharia-widrigen Verhaltens drohen dem Beschwerdeführer daher grundlegende Beeinträchtigungen seiner Menschenrechte, wenn nicht sogar der Tod von radikalislamischen Personen, wobei der afghanische Staat nicht willens, zumindest aber nicht fähig ist den Beschwerdeführer insoweit vor den drohenden Repressionen, verursacht durch die Ausübung der Religionsfreiheit zu schützen, sofern er nicht sogar vom afghanischen Staat selbst wegen seiner Apostasie asylrelevant verfolgt werden würde.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen der Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist oder nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Eine Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative steht dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung.

Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 22.06.2017

Sicherheitslage

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten – gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF – Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA – Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP – Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal‘ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha’ al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan – teilweise bekannt als IS Khorasan – ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015. – 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan liegen im Norden, während die Provinzen Paktia, Paktika und Logar im Osten liegen; Zabul grenzt gemeinsam mit Uruzgan an den Westen der Provinz. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist sie die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.249.376 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 2016).

Ghazni ist in folgende Distrikte unterteilt: Jaghuri, Malistan, Nawur, Ajiristan, Andar, Qarabagh, Giro, Muqur, Waghaz, Gelan, Ab Band, Nawa, Dih Yak, Rashidan, Zana Khan, Khugiani, Khwaja Omari, Jaghatu und Ghazni City (Vertrauliche Quelle 15.9.2015). Ghazni wird aufgrund ihrer strategischen Position, als Schlüsselprovinz gewertet – die Provinz verbindet durch die Autobahn, die Hauptstadt Kabul mit den bevölkerungsreichen südlichen und westlichen Provinzen (HoA 15.3.2016).

Gewalt gegen Einzelpersonen

39

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

952

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

140

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

155

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

4

Andere Vorfälle

2

Insgesamt

1.292

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden in der Provinz Ghazni 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in Ghazni festgehalten; gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Im Dezember 2016 verlautbarte der CEO Afghanistans den baldigen Beginn militärischer Spezialoperationen in den Provinzen Ghazni und Zabul, um Sympathisanten des Islamischen Staates und Talibanaufständische zu vertreiben (Khaama Press 23.1.2017).

Ghazni zählt zu den volatilen Provinzen in Südostafghanistan, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Operationen durchführen (Khaama Press 15.10.2016; Khaama Press 8.7.2016; vgl. auch: Truthdig 23.1.2017). Die Bevölkerung der Provinz kooperiere bereits mit den Sicherheitskräften. Ein Mitglied des Provinzrates verlautbarte, dass sich die Sicherheitslage verbessern könnte, wenn die Polizei mit notwendiger Ausrüstung versorgt werden würde (Pajhwok 8.1.2017). Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA 2016 keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet; dies wird als Abschreckung gewertet (UNMA 6.2.2017).

In der Provinz werden regelmäßig Militäroperationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 15.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 8.1.2017; Tolonews 26.12.2016; Pajhwok 21.11.2016; Afghanistan Times 25.8.2016; Afghanistan Times 21.8.2016), auch in Form von Luftangriffen (Pajhwok 18.6.2017; Afghanistan Times 3.8.2016; Khaama Press 8.6.2016). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (Sputnik News 30.11.2016). Unter anderem wurden Taliban Kommandanten getötet (Khaama Press 9.1.2017; Sputnik News 26.12.2016; Khaama Press 17.10.2016; Afghanistan Spirit 18.7.2016; Pajhwok 18.6.2016; Afghanistan Times 3.8.2016; Khaama Press 7.6.2016).

Im Februar 2017 bestätigte der afghanische Geheimdienst (NDS) den Tod eines hochrangigen al-Qaida Führers: Qari Saifullah Akhtar, war vom NDS in einer Razzia im Jänner 2017 getötet worden. Berichten zufolge, war Qari Saifullah Akhtar jahrzehntelang am Aufstand beteiligt; ihm werden direkte Verbindung zu Osama bin Laden und dem pakistanischen Geheimdienst nachgesagt (LWJ 19.2.2017; vgl. auch:

ATN News 19.2.2017).

Kunduz

Kunduz liegt 337 km nördlich von Kabul City und grenzt an die Provinzen Takhar im Osten, Baghlan im Süden und Samangan im Westen (Pajhwok o.D.k; vgl. auch: Khabarnama 22.8.2016). Die Provinz hat folgende Distrikte: Imam Sahib, Dasht-e-Archi, Qala-e-Zal, Chahar Dara, Ali Abad und Khan Abad; die Hauptstadt ist Kunduz City (Pajhwok o.D.k). Als strategischer Korridor wird Kunduz als einflussreiche Provinz in Nordafghanistan erachtet – der Sher (Shir) Khan Hafen, besser bekannt als Sherkhan Bandar liegt inmitten der Provinz und erhöht dadurch die militärische und wirtschaftliche Bedeutung (Khabarnama 22.8.2016). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.029.473 geschätzt (CSO 2016).

Kunduz City ist eine der größten Städte Afghanistans und war lange Zeit ein strategisch wichtiges Transportzentrum für den Norden des Landes. Kunduz ist durch eine Autobahn mit Kabul im Süden, Mazar-e Sharif im Westen, sowie Tadschikistan im Norden verbunden (BBC News 3.10.2016).

Strategisch wichtig ist die Stadt Kunduz nicht nur für Afghanistan (Deutsch Welle 30.9.2015), denn Kunduz war bis zum Einmarsch der US-Amerikaner im Jahr 2001 die letzte Hochburg der Taliban (RFE/RL 9.2015). Wer die Stadt kontrolliert, dem steht der Weg nach Nordafghanistan offen. Kunduz liegt auf einer wichtigen Straße, die Kabul mit den angrenzenden nördlichen Provinzen verbindet (Deutsch Welle 30.9.2015).

Gewalt gegen Einzelpersonen

35

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

334

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

20

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

23

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

3

Andere Vorfälle

1

Insgesamt

416

Im Zeitraum 1.9.2015

– 31.5.2016 wurden in der Provinz Kunduz 416 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die einst relativ friedliche Region - die Provinzen Baghlan, Kunduz und Takhar - war in den letzten Monaten von heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungskräften betroffen (Global Times China 15.1.2017; vgl. auch: News Ghana 30.1.2017). Im Jahr 2016 versuchten die Taliban einige Provinzhauptstädte einzunehmen, unter anderem auch Kunduz (Hindustan Times 8.1.2017). Im Oktober 2016 drangen die Taliban in Kunduz City ein und wurden nach einer Woche von den Sicherheitskräften wieder vertrieben (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch:

IRIN News 13.10.2016). Die Stadt selber konnte gesichert werden – die Taliban kontrollieren die umliegenden Gegenden der Provinz (Al-Jazeera 4.11.2016; vgl. auch: RFE/RL 8.10.2016).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Terroristen zu befreien (Sputnik News 31.1.2017; Khaama Press 22.1.2017; Z News 12.1.2017; Khaama Press 9.1.2017; Tolonews 29.12.2016; Tolonews 25.1.22016; UN GASC 13.12.2016; Tolonews 30.9.2016; Eurasia Review 28.4.2016); dabei werden Aufständische getötet (Tolonews 29.12.2016; Tolonews 25.1.22016; Eurasia Review 28.4.2016; South Front 11.4.2016), unter anderem auch hochrangige Talibanführer (Al-Jazeera 4.11.2016). Luftangriffe werden durchgeführt (News Ghana 30.1.2017). Ebenso wurde ein hochrangiger Talibanführer verhaftet (Sputnik News 31.1.2017).

Eine Gruppe von zehn Aufständischen hat sich dem Friedensprozess in Kunduz angeschlossen; die Aufständischen waren in unterschiedlichen Teilen der Stadt Kunduz aktiv. Einem Sicherheitsberater zufolge wird sich die Sicherheitslage nun verbessern, nachdem sich die Aufständischen dem Friedensprozess angeschlossen haben (Khaama Press 9.1.2017).

Rechtsschutz/Justizwesen

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und –verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal beh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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