TE Vfgh Beschluss 2017/6/27 E1823/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.2017
beobachten
merken

Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art119a Abs9
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
VwGVG §18
Nö GdO 1973 §16

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde einer Gemeinde gegen die Aufhebung des - die Behandlung eines Initiativantrages auf Durchführung einer Volksbefragung untersagenden - Berufungsbescheides des Gemeindevorstandes mangels Legitimation

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.              Mit ihrer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wendet sich die Marktgemeinde Enzesfeld-Lindabrunn gegen ein Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, mit dem dieses den Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Enzesfeld-Lindabrunn aufgehoben hat. Dieser Berufungsbescheid bestätigte den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Enzesfeld-Lindabrunn, mit dem dieser ausgesprochen hatte, dass die Behandlung eines Initiativantrages auf Durchführung einer Volksbefragung gemäß §16 NÖ Gemeindeordnung 1973 (im Folgenden: NÖ GO 1973) zu unterbleiben habe.

Die Beschwerdeführerin behauptet durch das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Selbstverwaltung verletzt zu sein. Sie beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie für den Fall der Ablehnung oder Abweisung der Beschwerde die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof. Ihre Beschwerde begründet die Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit, dass – entgegen der Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich – die Fragestellungen des Initiativantrages kein eindeutig bestimmtes Begehren enthalten würden, weshalb eine Volksbefragung mit diesen Fragestellungen unzulässig sei.

2.              Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, soweit der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Beschwerden gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes über einen Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung sind auf Art144 B-VG zu stützen (vgl. VfSlg 18.190/2007, 18.807/2009, 19.711/2012). Daran hat sich auch mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nichts geändert: Art141 Abs1 lith B-VG ermächtigt den Verfassungsgerichtshof – auch in Verbindung mit Art141 Abs1 litj B-VG, der eine Anfechtungslegitimation ausdrücklich nur in den genannten Fällen vorsieht ("in den Fällen") – weiterhin lediglich zu Entscheidungen im Zusammenhang mit der Anfechtung des "Ergebnisses von […] Volksbefragungen". Eine solche Eingabe käme im vorliegenden Zusammenhang jedoch nur dann in Betracht, wenn auf Grund eines diesbezüglichen Antrages ein Verfahren für eine Volksbefragung tatsächlich eingeleitet und durchgeführt worden wäre und ein sodann gemäß Art141 B-VG anfechtbares Ergebnis gezeitigt hätte (vgl. VfSlg 18.807/2009). Eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung ist daher – trotz ihrer Sachnähe – nicht als Anfechtung der Entscheidung über das Ergebnis einer Volksbefragung gemäß Art141 B-VG zu werten, sondern unterliegt Art144 B-VG.

3.              Die Beschwerde erweist sich dennoch als unzulässig:

3.1.           Zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B-VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, dh., wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (vgl. VfSlg 11.764/1988, 15.398/1999, 15.733/2000, 17.840/2006, 17.920/2006, 18.442/2008, 19.151/2010, 19.289/2011). Wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls schon ausgesprochen hat (VfSlg 5358/1966, 8746/1980, 14.575/1996, 15.733/2000), hat die Existenz subjektiv-öffentlicher Rechte zwingend die Parteistellung im Verwaltungsverfahren zur Folge, oder – anders ausgedrückt – es kann die für die Beschwerdeberechtigung maßgebende Möglichkeit, durch den Bescheid in der Rechtssphäre verletzt zu werden, nur bei Personen vorliegen, denen in der im konkreten Verwaltungsverfahren behandelten Sache die Stellung einer Partei zugekommen ist. Für die Beschwerdelegitimation gemäß Art144 Abs1 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung gelten sinngemäß dieselben Voraussetzungen (vgl. VfGH 20.2.2014, B182/2014; 12.6.2015, E385/2015; 10.6.2016, E427/2016 ua.; 12.6.2015, E402/2015; 24.2.2017, E65/2017).

Die beschwerdeführende Gemeinde macht als subjektiv-öffentliches Recht das ihr "verfassungsgesetzlich gewährleistet[e] Recht auf Selbstverwaltung" geltend. Dazu ist Folgendes zu bemerken:

3.1.1.         Art119a B-VG enthält die grundsätzlichen Regelungen über die Gemeindeaufsicht. Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 entfiel das bis dahin in Art119a Abs5 B-VG verankerte Rechtsmittel der Vorstellung gegen letztinstanzliche Gemeindebescheide. Dieses wurde durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren ersetzt (vgl. die Erläut. zur RV 1618 BlgNR 24. GP, 11 f.). Gegen letztinstanzliche Gemeindebescheide steht nunmehr unmittelbar die Bescheidbeschwerde an das jeweils zuständige Verwaltungsgericht offen, wodurch ein verwaltungsgerichtliches und nicht wie zuvor ein aufsichtsbehördliches Verfahren ausgelöst wird (vgl. dazu Leeb, Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte aus Gemeindesicht, in: Kommunalwissenschaftliche Gesellschaft [Hrsg.], Verwaltungsreform – Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2014, 27 [41]). In diesem Verfahren kommt der zuständigen Gemeindebehörde (nur) als belangte Behörde gemäß §18 VwGVG (nicht aber wegen eines Eingriffes in das Recht auf Selbstverwaltung) Parteistellung zu.

3.1.2.         Der Gemeinde selbst kommt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Ausfluss der Selbstverwaltungseigenschaft nicht in allen Belangen des eigenen Wirkungsbereiches eine Beschwerdelegitimation auf Grund von Art144 B-VG zu. Eine solche kann sich aus Art119a Abs9 B-VG ergeben: Demnach ist die "Gemeinde […] Partei des aufsichtsbehördlichen Verfahrens und hat das Recht, Beschwerde beim Verwaltungsgericht (Art130 bis 132) zu erheben. Sie ist Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und hat das Recht, Revision beim Verwaltungsgerichtshof (Art133) und Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (Art144) zu erheben". Diese Bestimmung erfasst wie bisher (vgl. VfSlg 9195/1981) auf Grund ihres systematischen Zusammenhanges – zwischen dem ersten und zweiten Satz des Art119a Abs9 B-VG, aber auch der grundsätzlichen Regelung des Aufsichtsrechtes durch Art119a B-VG – lediglich Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten betreffend aufsichtsbehördliche Entscheidungen (vgl. Hauer, Die neue Funktion der Gemeindeaufsicht, in: Kommunalwissenschaftliche Gesellschaft [Hrsg.], Verwaltungsreform – Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2014, 61 [76 f.]; ders., Gemeindeaufsicht, in: Pabel [Hrsg.], Gemeinderecht, 2014, Rz 202; Kahl, Art119a B-VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill/Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 15. Lfg., 2015, Rz 81; Leeb, aaO, 41; Leitl-Staudinger, Die Beschwerdelegitimation vor den Landesverwaltungsgerichten, dem Bundesverwaltungsgericht und dem VwGH, in: Fischer/Pabel/Raschauer [Hrsg.], Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2014, 317 [Rz 17 und 51]; vgl. dazu zB VwGH 22.4.2015, Ro 2015/16/0001; 24.4.2015, Ro 2014/17/0144; 30.6.2015, Ra 2015/06/0048; 4.11.2016, Ra 2014/05/0046).

3.1.3.         Da jedoch keine aufsichtsbehördliche Entscheidung Gegenstand des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich war, sondern eine im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehende Sache, nämlich die Behandlung eines Initiativantrages auf Durchführung einer Volksbefragung, und die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes kein Aufsichtsmittel darstellt (das Aufsichtsrecht wird gemäß Art119a Abs3 B-VG von den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung ausgeübt), kann sich die beschwerdeführende Gemeinde nicht auf Art119a Abs9 zweiter Satz B-VG stützen. Die Gemeinde ist auch keine Partei des vorangegangenen Verfahrens (vgl. dazu zB VfGH 12.6.2015, E385/2015; 10.6.2016, E427/2016 ua.); ihr kommt somit auch als Selbstverwaltungskörper kein subjektives Recht auf rechtmäßige Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu (vgl. VfSlg 19.092/2010).

3.2.           Im Übrigen kommt auch dem Gemeindevorstand als belangte Behörde und Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht keine Parteistellung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu:

Die Legitimation zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art144 B-VG zur Voraussetzung, dass die angefochtene Entscheidung in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers eingreift (s. Punkt 3.1.). Ein solcher Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers als Voraussetzung seiner Berechtigung zur Beschwerdeführung gemäß Art144 B-VG wurde vom Verfassungsgerichtshof für (insbesondere staatliche) Organe eines Rechtsträgers grundsätzlich verneint (vgl. VfSlg 13.429/1993, 13.722/1994, 15.079/1998, 17.220/2004, 17.838/2006, 18.761/2009, 18.914/2009, 19.092/2010; VfGH 11.6.2012, B264/12; 12.6.2015, E402/2015; 24.2.2017, E65/2017). Für ein Organ eines Rechtsträgers kann die Legitimation zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes mangels Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechtes nämlich nicht aus Art144 B-VG hergeleitet werden (vgl. etwa VfSlg 18.914/2009; VfGH 11.6.2012, B264/12).

Es besteht aber auch keine sonstige verfassungsgesetzliche Bestimmung, die dem Organ eines Rechtsträgers unmittelbar die Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof einräumt oder dem einfachen (Materien-)Gesetzgeber hiezu die Ermächtigung erteilt. Folglich ist auch die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht zur Erhebung einer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht legitimiert (vgl. zB VfSlg 18.914/2009; VfGH 11.6.2012, B264/12). Eine zu Art133 Abs6 Z2 B-VG vergleichbare Bestimmung, die der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht eine Legitimation zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof einräumt, besteht für das verfassungsgerichtliche Verfahren nicht.

4.              Die Beschwerde ist daher mangels Legitimation der Beschwerdeführerin gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

Volksbefragung, Initiativrecht, Gemeinderecht, Aufsichtsrecht, Wirkungsbereich eigener, Selbstverwaltungsrecht, Rechte subjektive öffentliche, Parteistellung, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E1823.2017

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten