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25/01 StrafprozessNorm
EMRK Art6 Abs1 / VerfahrensgarantienLeitsatz
Kein Verstoß der angefochtenen, eine Urteilsbegründung nicht vorsehenden Bestimmung der StPO über die Ausfertigung des Urteils eines Geschworenengerichtes gegen das Recht auf ein faires Verfahren; hinreichende verfahrensrechtliche Vorkehrungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für ein Verständnis des (kondemnierenden) Urteils trotz der fehlenden BegründungRechtssatz
Abweisung des Parteiantrags auf Aufhebung des §342 StPO idF BGBl I 164/2004.
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte (vgl ua EGMR 16.11.2010, Fall Taxquet, Appl 926/05; 10.01.2013, Fall Legillon, Appl 53406/10; 10.01.2013, Fall Agnelet, Appl 61198/08; 29.11.2016, Fall Lhermitte, Appl 34238/09) geht der VfGH davon aus, dass die Strafprozeßordnung 1975 hinreichende verfahrensrechtliche Vorkehrungen enthält, welche dem Angeklagten und der Öffentlichkeit trotz der fehlenden Begründung ein Verständnis des (kondemnierenden) Urteils ermöglichen.
Die Rechtslage stellt hinreichende Mechanismen zur Verfügung, um die Durchführung eines fairen Verfahrens iSd Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte zu ermöglichen, welche eine unter anderem die Rechtsbelehrung und Anleitung der Geschworenen, die Fragestellung und die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel berücksichtigende Gesamtbetrachtung der verfahrensrechtlichen Vorkehrungen erfordert:
Zunächst sieht die Strafprozeßordnung 1975 die Verpflichtung vor, dem Angeklagten den Inhalt der Anklage deutlich zur Kenntnis zu bringen, wobei diesem die Möglichkeit zu eröffnen ist, der Anklage - unter anderem durch eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes - entgegenzutreten. Im Zuge der Hauptverhandlung wird in der Folge durch die detaillierten Regelungen über die Gestaltung der Fragen sichergestellt, dass sich der - dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegende - Wahrspruch der Geschworenen auf alle für die Subsumtion erforderlichen Sachverhaltselemente gründet, womit ihm (implizit) Feststellungen über diese Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Der Angeklagte kann die Gestaltung der Fragen durch eigene Anträge beeinflussen und die fehlerhafte Gestaltung im Rechtsweg geltend machen. Darüber hinaus sieht die Strafprozeßordnung 1975 eine umfassende Belehrung der Geschworenen vor und verpflichtet diese, ihre Erwägungen in einer kurzen Niederschrift festzuhalten, welche dem Angeklagten im Wege der Akteneinsicht zugänglich ist. Gegen ein kondemnierendes Urteil kann der Verurteilte sowohl mit Berufung als auch mit Nichtigkeitsbeschwerde vorgehen und in diesem Rahmen auch die Richtigkeit der durch den Wahrspruch (implizit) festgestellten Tatsachen rügen. Das Rechtsmittelgericht überprüft hierauf, ob sich aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Tatsachenfeststellungen ergeben.
Angesichts dieser strafprozessualen Bestimmungen ist es die Aufgabe der Vollziehung, die dargestellten Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 im Lichte des Art6 EMRK anzuwenden.
Kein Verstoß der angefochtenen Bestimmung des §342 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK.
Schlagworte
Strafprozessrecht, Geschworene und Schöffen, fair trial, VfGH / ParteiantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G344.2016Zuletzt aktualisiert am
01.07.2019